Der Euro, eine Krisenwährung

Euro-Symbol in Frankfurt/Main
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Seit 2010 erschüttern Krisen die Eurozone. Eine einheitliche Aufsicht über die Banken soll deren Krisenanfälligkeit bewerten

Seit 2010 erschüttern Krisen die Eurozone. Zunächst geriet die Staatsverschuldung in Griechenland aus dem Ruder, dann griff die Krise auf Irland, Portugal, Spanien und Zypern über. Das lag nicht nur an unverantwortlicher Haushaltspolitik. Auch das starke Wirtschaftsgefälle unter den jetzt 18 Mitgliedstaaten hat die Eurozone verwundbar gemacht. Deren Teilnehmer hafteten zunächst nicht wechselseitig für ihre Schulden. Doch als der  Staatsbankrott Griechenlands drohte, setzte sich bei den meisten Regierungen die Meinung durch, dass Eurostaaten in Liquiditätsschwierigkeiten unterstützt werden müssen. Auf ein erstes Hilfspaket für Griechenland kam der "temporäre Rettungsschirm", unter dem die Krisenstaaten günstig Geld erhalten. So müssen sie es nicht selbst auf den Kapitalmärkten gegen hohe Zinsen aufnehmen. Ab 2012 gab es endlich ein reguläres Instrument, den "Europäischen Stabilitätsmechanismus". Er stellt Hilfskredite für Staaten und den Bankensektor bereit, wenn sich eine Regierung zu umfangreichen Reformen und Sparmaßnahmen verpflichtet. Strittig ist seither, wie weit die Konsolidierung gehen sollte. Tatsächlich erwies sich in einigen Eurokrisenländern, auch in Griechenland, der Sparkurs als so destruktiv, dass der Internationale Währungsfonds und die EU ihre Forderungen zurückfahren mussten.


Dass die Krise ein solches Ausmaß annahm, liegt auch daran, wie die Währungsunion zustande gekommen war. Sie war im Schnelldurchgang 1992 in Maastricht beschlossen worden; ohne eine "Europäisierung" der D-Mark hätte Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand der deutschen Wiedervereinigung 1990 nicht zugestimmt. Um die neue Währung stabil zu halten, hätte eine gemeinsame Haushalts-, Schulden- und Wirtschaftspolitik vereinbart werden müssen, was auf eine politische Union hinausgelaufen wäre. Doch wie ein solcher Verzicht auf nationale Hoheitsrechte hätte aussehen können, blieb zwischen Frankreich und Deutschland, den Protagonisten des Euro-Projekts, ungeklärt.

So begann die Währungsunion 1999 mit einer unvollständigen Architektur: keine wechselseitige Kontrolle der Haushaltspolitik, keine gemeinsame Bankenaufsicht, keine besonderen Entscheidungsgremien für Krisenfälle. Über Jahre ging dies gut. Doch einige Staaten importierten mehr, als sie exportierten, und verschuldeten sich auf eigene Rechnung gegenüber dem Ausland. Griechenland etwa leistete sich jedes Jahr ein fünfprozentiges Haushaltsdefizit. Als nicht mehr abzusehen war, wie die Schulden noch bezahlt werden könnten, verlor das Land auf den Kapitalmärkten jede Glaubwürdigkeit.

Der griechische Staatsbankrott hätte alle Anleihen entwertet und damit in Europa viele Banken, die die Wertpapiere gekauft hatten, in den Bankrott getrieben. Hätte Griechenland die Währungsunion verlassen, wäre die Bedienung der alten Euroschulden in der neuen, billigeren Landeswährung sofort viel teurer geworden. Zudem hätte das "Grexit", Griechenlands Austritt aus der Eurozone, auch das Vertrauen in die Unumkehrbarkeit der Gemeinschaftswährung zerstört. Zwar lehnten Politikerinnen und Politiker besonders in kleinen Staaten die Hilfspakete ab, weil sie nicht für die Fehler der anderen haften wollten; die Regierungen standen unter enormem Druck ihrer empörten Wählerschaft. Ernsthafte Alternativen hatten sie jedoch nicht zu bieten. Die gelegentlich vorgeschlagene Zerlegung der Währung in  einen "Nord-" und einen "Süd-Euro" hätte möglicherweise den ganzen Süden kollabieren lassen. Eingedämmt wurde die Krise erst, als die Europäische Zentralbank 2012 die Zahlungsfähigkeit der Eurozonenländer garantierte. Zum Einsatz gekommen ist das Programm bisher nicht.


Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus werden nun die nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitiken stärker überwacht. Eine einheitliche Aufsicht über die Banken soll deren Krisenanfälligkeit bewerten, und in der ganzen Eurozone ist nun einheitlich geregelt, wie Finanz­institute gerettet oder geschlossen werden. Eine dritte Komponente dieser "Bankenunion", ein Einlagensicherungssystem für die ganze Eurozone, ist derzeit allerdings nicht mehrheitsfähig.

Trotz der jüngsten Reformen ist die Währungsunion noch nicht vollständig. Der wohl brisanteste Punkt ist eine Fiskal-, also Haushaltsunion, womöglich mit Zugriffsrechten der EU auf nationale Budgets und einer gemeinsamen Obergrenze der Staatshaushalte in der Eurozone. Dieses "Mehr an Europa" ist in der europäischen Bürgerschaft umstritten. Es ist nur denkbar, wenn die Entscheidungsstrukturen in der EU viel demokratischer organisiert werden. Manche Krisenmaßnahme war bisher unzureichend legitimiert, musste aber schnell umgesetzt werden. Wenn in den europäischen Hauptstädten und in Brüssel über eine Haushaltsunion diskutiert wird, wird sich zeigen, wie groß die Bereitschaft ist, auch die Pflichten zu übernehmen, die aus einer Gemeinschaftswährung erwachsen.    

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