Ein Meilenstein für die nukleare Abrüstung

Hintergrund

Im Januar 2021 tritt der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen (AVV) in Kraft. Der Durchbruch des Vertrages gelang durch die zahlreichen Ratifikationen der Länder des Südens. Gleichzeitig ist kein Atomwaffenstaat und kein NATO-Mitglied dem Vertrag beigetreten. Giulia Messmer und Anne Balzer von der International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN) über einen symbolischen Sieg der internationalen Bemühungen um nukleare Abrüstung.

Sitzungssaal der Vereinten Nationen
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Der Atomwaffenverbotsvertrag wird am 7. Juli 2017 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen von einer Mehrheit der VN-Mitgliedsstaaten angenommen und zur Unterzeichnung freigegeben.

Vor drei Jahren wurde in der UN-Generalversammlung der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen (AVV) verabschiedet -  Honduras ist ihm nun, am 24. Oktober 2020, als 50. Staat beigetreten. Damit tritt das Abkommen 90 Tage später, am 22. Januar 2021, in Kraft und wird dringend notwendige Impulse für die nukleare Abrüstung setzen.

Schon die Annahme des Vertrages in der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 7. Juli 2017 war eine diplomatische Revolution: Zum ersten Mal wurde ein völkerrechtlicher atomarer Abrüstungsvertrag gegen den Willen des “nuklearen Clubs” verabschiedet. 122 nuklearwaffenfreie Staaten haben den AVV über Jahre hinweg ausgearbeitet, letztendlich verabschiedet und damit die finale Phase des Prozesses zur Ächtung von Atomwaffen eingeleitet. Die Vorreiter*innen dieser Entwicklung? Nationen des globalen Südens.

Das Ziel ist die endgültige Abschaffung von Atomwaffen

Die Atomwaffenstaaten übten während des Beitrittsprozesses massiven Druck auf viele Regierungen aus, um das Inkrafttreten des AVV zu verhindern. Bereits 2016 forderten die USA ihre NATO Alliierten auf, den AVV zu boykottieren. Die deutsche Regierung entschloss sich zu diesem Zeitpunkt den Verhandlungen fern zu bleiben – zum ersten Mal nahm sie damit nicht an multilateralen Abrüstungsprozessen teil. Kurz vor der 50. Ratifikation wurde ein weiterer Brief öffentlich, in dem Frankreich, die USA, Großbritannien, Russland und China die AVV-Beitrittsstaaten sogar aufforderten ihre Unterstützung für den neuen Vertrag zurückzuziehen. Informell soll Frankreich zudem Druck auf frankophone afrikanische Staaten ausgeübt haben, den Vertrag zu ignorieren. Und auch an der Schweiz gingen die Einschüchterungsversuche der Atommächte nicht spurlos vorbei: Während Bern noch im Vorfeld des Verhandlungsprozesses eine starke Rolle spielte und sich seit jeher auf seine humanitären Bemühungen beruft, urteilte der Bundesrat im August 2018 überraschend: “Im Extremfall der Abwehr sei die Abstützung auf die nukleare Abschreckung nicht ausgeschlossen.” Die 50. Ratifikation des AVV ist daher ein wichtiges Signal. Unter den Mitgliedsstaaten des Vertrags sind zum Beispiel Südafrika, Costa Rica, Malta, Irland, Österreich, der Vatikan. Weitere 34 Staaten haben das Abkommen zudem bereits unterzeichnet. All diese Länder eint ein Ziel: Die endgültige Abschaffung von Atomwaffen.

Das Inkrafttreten des AVV ist ein Meilenstein für die nukleare Abrüstung und setzt neue Impulse: Atomwaffen werden völkerrechtlich geächtet. Ihre Entwicklung, Produktion, Test, Erwerb, Lagerung, Transport, Stationierung, ihr Einsatz und sogar die Drohung des Einsatzes sind nun auf Grund ihrer katastrophalen Folgen für alle Mitgliedsstaaten des Vertrags verboten. Anders als im bereits seit 1968 bestehenden nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV), wird im AVV keinem Staat mehr ein legitimer Anspruch auf diese Waffen zugestanden. Aber auch die internationale Debatte wird sich durch den Atomwaffenverbotsvertag verändern. Drohungen wie der Schlagabtausch auf Twitter zwischen den nordkoreanischen und US-amerikanischen Machthabern Kim Jong-Un und Donald Trump Anfang 2018, stellten mit Parolen wie “My nuclear button is bigger and more powerful” das nukleare Tabu in Frage und offenbarten patriarchale Muster par excellence. Internationale Sicherheitspolitik, und insbesondere das Atomwaffenregime, ist bis heute durch Strukturen geprägt, in denen Macht, Stärke, Gewalt und Militarisierung als Norm gelten. Abrüstung wird als unrealistische “weibliche” Mission dargestellt. Diesem System steht mit dem Atomwaffenverbotsvertrag künftig eine neue völkerrechtliche Norm entgegen, welche humanitäre Sicherheit in den Fokus rückt. Das wird den internationalen Diskurs langfristig verschieben und der nuklearen Abschreckung die rechtliche und normative Argumentationsbasis entziehen.

Der Diskurs über Nuklearwaffen wird inklusiver und repräsentativer

Zweitens, mit dem Inkrafttreten des AVV sprechen atomwaffenfreie Staaten mit geeinter Stimme. Sie werden so durchsetzungsfähiger, einflussreicher und stärken ihre sicherheitspolitischen Ambitionen. Insbesondere Staaten des Globalen Südens wurden in den letzten Jahrzehnten an die diplomatische Seitenlinie gedrängt und durch finanzielle und entwicklungspolitische Abhängigkeiten unterdrückt. Die Mehrheit der Staatengemeinschaft musste verfolgen, wie die neun Kernwaffenstaaten neue atomare Waffen entwickeln und bestehende Systeme modernisieren - entgegen der völkerrechtlichen Vereinbarung im NVV, Abrüstung zu verfolgen. Dieses System der Machtdemonstration, die Drohung mit Massenvernichtung, ist für das 21. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß. Das war es noch nie.

Der AVV dekonstruiert die Massenvernichtungswaffen als das, was sie sind: ein menschenverachtendes Relikt, das keine Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet. Nicht auf Pandemien, nicht auf Cyberangriffe und nicht auf die Folgen des Klimawandels. Im Gegenteil: Atomwaffen verschlingen finanzielle Ressourcen, verseuchen unsere Umwelt und nehmen Menschen ihre Lebensgrundlage. Der neue AVV bricht die exklusive Debatte rund um Nuklearwaffen auf. Er erkennt in der Präambel die besonderen Auswirkungen von Atomwaffentests auf Frauen, Mädchen und indigene Völker an. Artikel 6 verpflichtet Vertragsstaaten zur Umweltsanierung und zur Betroffenenbeihilfe für die Schäden, die durch Atomwaffentests und Einsätze auf ihrem Territorium hervorgerufen wurden.

Bisher marginalisierte Gruppen haben sich eine Stimme, Raum und Anerkennung erkämpft. Der Diskurs über Nuklearwaffen wird damit inklusiver und repräsentativer, schlicht realistischer. Diese kann und darf in der weiteren Debatte nicht mehr ignoriert werden.

Atomwaffen kann die Finanzierungsgrundlage genommen werden

Drittens, in früheren internationalen Ächtungsprozessen inhumaner Waffen, zum Beispiel beim Verbot von Streumunition oder von Antipersonenminen, stiegen Unternehmen nach Inkrafttreten eines völkerrechtlichen Vertrages aus der Waffenproduktion aus. Ähnlich könnten nun zum Beispiel Aktionär*innen Druck auf Airbus aufbauen, das für die französischen Atomstreitkräfte Raketen entwickelt. Auch der Transit von Atomwaffen durch Gewässer und Lufträume wird schwieriger - so könnte Irland Großbritannien untersagen, seine Trident-Atom-U-Boote durch irische Gewässer zu steuern. Österreich hat nun eine stärkere völkerrechtliche Legitimation, den USA und der NATO zu verbieten, Atombomber durch seinen Luftraum zu fliegen. Bereits heute ist fast die gesamte Südhalbkugel eine atomwaffenfreie Zone. Mit jedem Beitritt zum Verbotsvertrag wird der weltweite Transport- und Stationierungsraum für Atomwaffen verkleinert.

Aktuell stationiert auch Deutschland im Rahmen der nuklearen Teilhabe US-Atomwaffen in Rheinland-Pfalz. Doch wie lange kann ein Land, das für Multilateralismus und Diplomatie einsteht, die abrüstungspolitischen Bemühungen einer Mehrheit der Staatengemeinschaft noch boykottieren? Ein Ende der Stationierung US-amerikanischer Atomwaffen in Deutschland wäre eine Chance für eine neue Außen- und Sicherheitspolitik. Eine Sicherheitspolitik, die Menschen in den Fokus rückt, die Massenvernichtung nicht als legitimes Mittel betrachtet, sondern als Eingeständnis internationalen Versagens. Es braucht eine progressive, feministische Strategie, um die systematischen Muster des internationalen Atomwaffenregimes abzuschaffen und die Basis für eine demokratische Sicherheitspolitik zu legen. Dazu gehört auch die Emanzipation von der Nuklearen Teilhabe der NATO und eine deutsche Sicherheitsstrategie, die nicht auf nuklearer Abschreckung beruht.

Zudem wird die Finanzierung von Atomwaffen durch Art. 1 des Vertrags untersagt. So können zum Beispiel keine Kredite mehr an Hersteller*innen von Atomwaffensystemen vergeben werden. Der Norwegische Pensionsfonds, einer der größten der Welt, hat seine Richtlinien zu Investitionen in kritische Waffensysteme bereits geändert. Ebenso haben Banken in Deutschland, den Niederlanden und Belgien ihre Richtlinien in Bezug auf Atomwaffen angepasst und dabei explizit auf den AVV verwiesen. Anleger*innen können kritisch hinterfragen, in welche Versicherungen und Geldanlagen sie investieren. Jede*r Bürger*in hat damit einen neuen Hebel, um selbst Druck auf Finanzinstitute aufzubauen, ethische Richtlinien für das Investitionsgeschäft zu entwickeln. Schritt für Schritt kann Atomwaffen so die Finanzierungsgrundlage genommen werden.  

Die Bemühungen zur Ächtung von Atomwaffen gehen weiter

Letztlich stößt der Atomwaffenverbotsvertrag Debatten an. Parlamente beraten und entscheiden, ob sie dem Vertrag beitreten sollen oder nicht. Damit sind Atomwaffen endlich nicht mehr der Elefant im Raum, sondern Konzepte wie die nukleare Abschreckung werden öffentlich hinterfragt und diskutiert. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Münchener Sicherheitskonferenz lehnen bereits jetzt 66 Prozent der Einwohner*innen Deutschlands die Abschreckung durch Atomwaffen ab. Nuklearwaffen gelangen wieder in das öffentliche Bewusstsein. Dass dies dringend nötig ist, zeigt besonders einprägsam die Doomsday Clock an, die seit Anfang des Jahres auf 100 Sekunden vor Mitternacht gestellt ist - Gründe dafür sind die simultanen Existenzbedrohungen durch Klimawandel und Nuklearwaffen. Mit dem NEW START Vertrag steht das letzte nukleare Abrüstungsabkommen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten auf der Kippe und könnte im Februar 2021 auslaufen. Die Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages wurde 2015 ohne Konsens abgeschlossen, das Datum der nächsten Konferenz steht Corona-bedingt noch nicht fest.  Der neue AVV ist deshalb insbesondere in diesen Zeiten ein wichtiges Signal. Erst vor einigen Wochen haben selbst  zwei ehemalige NATO-Generalsekretäre und 53 ehemalige Staats- und Regierungschef*innen sowie Außen- und Verteidigungsminister*innen aus NATO-Staaten in einem offenen Brief geschrieben:

“We must not sleepwalk into a crisis of even greater proportions than the one we have experienced this year.”

und eindringlich dazu aufgerufen, dem AVV beizutreten.

Es sind viele kleine Schritte, diplomatische Bemühungen und Druck aus der Zivilgesellschaft nötig, um einen Wandel in der internationalen nuklearen Abrüstungspolitik zu erreichen. Das Inkrafttreten des AVV ist ein wichtiges Puzzleteil, um die Debatte rund um Nuklearwaffen langfristig zu verändern: Weg von rein geostrategischen, festgefahrenen Abwägungen hin zu einer humanitären Sicherheitspolitik. Für das Engagement in diesem Prozess wurde ICAN 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Die Bemühungen zur Ächtung von Atomwaffen gehen weiter - auf allen Ebenen. Innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Vertrages soll eine erste Staatenkonferenz der Vertragsparteien stattfinden, um den AVV zu überprüfen und die Umsetzung zu bewerten. Die österreichische Regierung hat die Vertragsstaaten dazu bereits nach Wien eingeladen. Deutschland sollte daran teilnehmen.