Fußball und Verfolgung: Ein Match für Stalin

Hintergrund

In der Sowjetunion wurde das Fußball-System neu organisiert. Klubs wurden als Anhängsel von Institutionen und großen Betrieben gegründet. Das Leben des Menschen sollte über die Arbeit definiert werden – so auch seine Freizeit. Der Moskauer Verein Spartak widersetzte sich dieser Logik. Das wurde seinen Gründern zum Verhängnis.

Die vier Spartak Helden Starostin

Im Moskauer Spartak-Fußballstadion blicken am nördlichen Rand vier Zuschauer bei Tag und bei Nacht, bei Wind und Wetter auf das Spielfeld: Zwei Männer sitzen auf einer Bank, zwei stehen hinter ihnen, einer im Anzug, der andere im Sportdress: Es sind die vier Starostin-Brüder – Nikolaj, Andrej, Alexander und Pjotr –, denen man hier im Jahr 2014 ein Denkmal gesetzt hat. Sie sind die Gründerväter und gleichzeitig die ersten prominentesten Spieler des Moskauer Vereins. Nikolaj Starostin, geboren 1902 in Moskau und damit der älteste der Brüder, rief den Fußballklub Spartak im Jahr 1935 ins Leben. Die Sportgesellschaft war etwas Neues im sowjetischen Fußball – gewissermaßen eine Provokation für das etablierte Fußballsystem. Unter den Bedingungen der Stalinschen Repressionen blieb dies nicht ohne Folgen.

Abseits der Staatskontrolle

Das Fußballspiel kam aus Großbritannien in das zaristische Russland. Die ersten Klubs entstanden rund um 1900. In der Sowjetunion wurde das System reorganisiert. Klubs wurden als Anhängsel von Institutionen und großen Betrieben gegründet. Dynamo als Mannschaft der Geheimpolizei, CSKA als Armeeklub, der Moskauer Torpedo für fußballspielende Arbeiter eines bekannten Autokombinats. Das Leben des Menschen sollte über die Arbeit definiert werden – so auch seine Freizeit.

Spartak widersetzte sich dieser Logik. Sein Sponsor war der Komsomol mit seinem Vorsitzenden und Fußballinitiator Alexander Kosarew sowie eine Gewerkschaft. Spartak war damit weniger unter Staatskontrolle als andere Vereine. Es mag auch der Name dazu beigetragen haben, dass er bald als „Klub des Volkes“ galt. Schon kurz nach seiner Gründung verzeichnete er bei sowjetischen Wettkämpfen sportliche Erfolge.

Fußballmatch auf dem Roten Platz

Zweifelhafter Höhepunkt des Ruhmes von Spartak in diesen Jahren: ein Fußballmatch für Stalin auf dem Roten Platz im Juli 1936. Es war das erste Ballspiel, das der Diktator verfolgte. Das Match fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt und war generalstabsmäßig geplant. Ein Kunstrasen war auf dem Roten Platz entrollt worden, um ihn ebener und spielfreundlicher zu machen. Spartaks A-Mannschaft trat gegen die Spieler des B-Kaders an – keine wirklichen Konkurrenten. Das A-Team entschied das Spiel für sich 4:3. „Das Spiel war eher wie ein Fußballdarbietung“, erzählt Maria Schilowa, Forscherin bei der Nichtregierungsorganisation Memorial. Sie hat die Verfolgung von Fußballern in der Stalin-Zeit aufgearbeitet.

Auch wenn dem Diktator das Spiel gefiel: Die Sportler waren nicht sicher vor politischer Verfolgung. 1937/38 wurden elf Spartakianer und ihnen Nahestehende verhaftet. Die meisten von ihnen wurden erschossen. Die Brüder Starostin kamen erst 1942 ins Visier des Geheimdienstes. Doch Anschuldigungen gegen sie hatte man schon länger gesammelt. Sie lagen in der Schublade, bis Geheimdienstchef Lawrenti Berija sie von dort hervorholte.

Bourgeoiser Fußballstil

Man warf den Brüdern antisowjetische Umtriebe und Verbreitung eines „bourgeoisen“ Fußballstils vor. Die Starostins waren weit gereist und hatten viele Kontakte im Ausland. Auch beschuldigte man sie, ein Attentat auf Stalin geplant zu haben. Eine persönliche Feindschaft dürfte in dem Fall ebenso eine Rolle gespielt haben: Berija unterstützte als leidenschaftlicher Fußballliebhaber Spartaks Konkurrenz: Er war Chef des Fußballklubs Dynamo. Dass Spartak erfolgreich und beliebt war, dürfte ihm missfallen haben. 

Stalins gefallener Star: Petr (Pjotr) Starostin. Foto aus der Gefängnisakte.

Den Starostins blieb das Todesurteil erspart. Aber sie mussten eine mehrjährige Odyssee durch die sowjetischen Arbeitslager antreten. Maria Schilowa von Memorial erzählt, dass sich der Gulag-Aufenthalt der berühmten Fußballer stark von dem eines durchschnittlichen Verfolgten unterschied: „Es war kein normaler Gefängnisaufenthalt. Viele Lagerkommandanten wollten die Brüder bei sich aufnehmen, denn sie waren berühmt.“ Die Starostins wurden als Trainer für Lagermannschaften engagiert, sie mussten keine Sklavenarbeit leisten.

Memorial hat die Geschichte der Geschwister in einem Online-Dossier aufgearbeitet, die Recherche wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt. Auch wenn das Schicksal der Starostin-Brüder im Vergleich zu anderen Verfolgten weniger dramatisch war, so mussten sie doch lange auf die Wiederherstellung ihrer Rechte warten. Erst zwei Jahre nach Stalins Tod, 1955, wurden sie rehabilitiert.


Hier finden Sie das Online-Dossier von Memorial.