Polnischer Provokateur

Rafał Betlejewski ist Künstler und tut alles, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er schlüpft dafür sogar in die Rolle eines „ignoranten Antisemiten“.

Dieses Porträt enstand im Rahmen einer Studienreise nach Warschau. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „Medienvielfalt, anders“-Programms erzählen in ihren Geschichten von den verschiedenen Gesichtern Polens.

Die Tür öffnet sich und der Mann, der allen vorangeht, fällt sofort auf. Er ist einer von drei eingeladenen Vertreter*innen aus dem Bereich der alternativen Medien in Polen. Er schreitet durch den Raum, in dem eine Gruppe junger deutscher Journalist*innen sitzt.

Beim Gehen ist sein Körper zu seiner vollen Größe aufgerichtet. Seine Körperhaltung zeigt, dass er es gewohnt ist, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Hinter ihm läuft ein Mittzwanziger in Kapuzenpulli. Den jüngeren Begleiter stellt er als seinen Praktikanten vor, über sich selbst sagt er: „Ich bin ein Provokateur.“ Kurzes Schweigen, er schaut den Menschen direkt in die Augen.

Ein Provokateur – ‚jemand, der andere zu Handlungen gegen jemanden herausfordert‘, steht im Duden. Rafał Betlejewski legt auch gleich damit los: „Ich bin der Meinung, dass Journalist*innen nicht wählen gehen dürfen.“ Steile These. Pokerface. Anstatt seinen Satz sofort zu erklären, lässt er ihn erst auf die Zuhörenden wirken.

Er weiß, dass er vor einer Gruppe sitzt, die seine Aussage selbstverständlich als Tabubruch empfindet. Direkt erheben sich Stimmen, die sich gegen seine Forderung stellen. Er argumentiert: „Wer als Journalist*in arbeitet, macht sich durch eine Wahlbeteiligung unfrei. Sie müssen dann nämlich in ihrer journalistischen Arbeit ständig die Wahlentscheidung für sich rechtfertigen und sind nicht mehr unvoreingenommen.“

Rafał Betlejewski provoziert mit seinen Performances

Innerhalb der Gruppe werden sich Blicke zugeworfen, manche sind amüsiert. Es sei sein Job die Menschen aufzuheizen und zu Diskussionen anzuregen. Seine Performances führt Rafał Betlejewski immer in der Öffentlichkeit auf, dokumentiert sie mit der Kamera und lädt sie danach auf seinem Youtube-Kanal hoch.

Im Jahr 2010 baute er eine Scheune nach, in der er sich einschließen und anschließend verbrennen wollte. Damit wollte Betlejewski an die Verbrennung der jüdischen Bürger*innen von Jedwabne, einer Kleinstadt im Nord-Osten Polens, am 10.7.1941 erinnern. Er selbst schlüpfte dabei in die Rolle des „polnischen, ignoranten Antisemiten“, um den Umgang der polnischen Gesellschaft in der heutigen Zeit mit dem Holocaust anzuprangern.

Die Aktion erzeugte große Öffentlichkeit und einen Aufschrei in vielen Teilen der polnischen Gesellschaft. Intellektuelle des Landes kritisierten sein Vorgehen als respektlos der jüdischen Gemeinschaft Polens gegenüber. Menschen aus rechten Kreisen drohten mit Angriffen und einer Unterbindung der Performance, da sie das Geschichtsbild ablehnen, nach welchem die Pol*innen und nicht die deutsche Besatzungsmacht das Pogrom verschuldeten.

Er trat als Fremdenfeind, Antisemit, Milchverkäufer, Vergewaltiger oder Aufsichtsrat eines Schlachtbetriebes in die Öffentlichkeit. So unterschiedlich diese Rollen auch sind, am Ende kommt es ihm darauf an, Vormachtstellungen, Ideologien und individuelle Bedürfnisse zu reflektieren und zu hinterfragen. Um die „Illusion der Wirklichkeit“ zu durchbrechen. „Ich versuche die Probleme in der Gesellschaft in mir selbst zu suchen.“

Doch wem bringt das etwas? Glaubt er wirklich, er kann etwas verändern oder macht er das alles nur für die Aufmerksamkeit? „Die Aufmerksamkeit ist mir egal. Es geht darum, dass ich mich aufopfere und so Denkprozesse anstoße.“

Am Ende steht Rafał Betlejewski gerne selbst im Mittelpunkt. „Jeder will geliebt werden“, sagt er.