Zeit für europäische Initiativen! Die Folgen der Trump-Präsidentschaft für Deutschland und Europa

Hinter Donald Trumps „America First“ steht auch die Skepsis gegenüber der US-amerikanischen Führungsrolle in der Welt. Die Ursachen dafür liegen tief. Europa wird beim Einsatz für Demokratie und Menschenrechte eine aktivere Rolle spielen müssen.

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Out of line? "Der Westen" braucht jetzt starke Fürsprecher/innen

Diese Analyse ist Teil eines Readers, der zum Auftakt der 18. Außenpolitischen Jahrestagung "Krise des Westens: Die Verantwortung Europas für die liberale Weltordnung" am 15.6. auf boell.de erhältlich sein wird.

„Die Anführerin der freien Welt besucht Donald Trump“. Mit diesen Worten wurde Angela Merkels Antrittsbesuch beim neuen US-Präsidenten von US-Medien kommentiert. Das ist nur vordergründig ein Kompliment. Dahinter steht eine gewaltige Erwartungshaltung an Deutschland innerhalb der USA und eine rhetorische Umkehrung des Verhältnisses Deutschlands zu den USA seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Beides ist aus deutscher Sicht alles andere als bequem.

Die gestiegene Erwartungshaltung an Deutschland ist kein Phänomen, das alleine auf Donald Trump zurück zu führen ist. Barack Obama hatte bereits intensiv für mehr Verantwortung Deutschlands und der Europäischen Union in der Welt geworben, mit dem Ziel, die USA zu entlasten und ihre Rolle als Hüter der liberalen Weltordnung zu begrenzen. Obama war es auch, der die USA weg von Europa und dem Nahen Osten und hinein ins pazifische Jahrhundert führen wollte, bevor er von den Realitäten des Arabischen Frühlings, des Krieges in Syrien und der russischen Annexion der Krim eingeholt wurde. Und ähnlich wie Donald Trump war auch Barack Obama zutiefst skeptisch gegenüber den außenpolitischen Washingtoner Expert/innenkreisen und ihren über Jahrzehnte etablierten Doktrinen.

Insofern formuliert Donald Trump mit seinem „America First“-Schlachtruf auf nationalistische Weise eine Skepsis gegenüber der Führungsrolle der Vereinigten Staaten in der Welt, deren Ursachen tiefer liegen. Der Irak-Krieg – und mit ihm das Gefühl der „imperialen Überdehnung“ der Vereinigten Staaten – sowie wenige Jahre später die Finanzkrise haben tiefe Spuren in der amerikanischen Gesellschaft hinterlassen. Es gibt außerhalb Washingtons in beiden politischen Lagern nicht mehr viele Stimmen, welche einer globalen Weltordnungspolitik unter Führung der USA das Wort reden.

Politik als Fortsetzung des Business mit anderen Mitteln

Die amerikanische Forderung einer stärkeren Beteiligung der europäischen NATO-Partner an den Rüstungsinvestitionen der Allianz ist daher eine Konstante, die nicht von Donald Trump erfunden wurde und auch nicht mit ihm verschwinden wird. Gleiches gilt für die wachsende Skepsis in der US-Bevölkerung gegenüber einer offenen multilateralen Welthandelsordnung. Und im speziellen Falle Deutschlands werden die ökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone und die Austeritätspolitik Deutschlands in einer Zeit der Null-Zinsen und eines großen Investitionsbedarfs von den meisten Politikschaffenden in Washington seit Jahren mit Kopfschütteln quittiert.

Kurzum: Der amerikanische Druck auf Deutschland, als Führungsmacht in Europa mehr Verantwortung zu übernehmen und stärker in die europäische Sicherheit und Wirtschaft zu investieren, ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern ein längerfristiger Trend im transatlantischen Verhältnis. Darauf sollte sich Deutschland einstellen, ebenso wie darauf, dass die Zeiten, in denen es bei allen globalen Ordnungsfragen im Zweifelsfall die USA richten werden, vermutlich langfristig passé sind.

Hinzu kommen die besonderen Herausforderungen der Trump-Präsidentschaft. Als Nationalist ist Donald Trump ein erklärter Gegner multilateraler Institutionen und internationaler Regelwerke. Demokratie und Menschenrechte, sowie grundsätzlich die Berücksichtigung universeller Werte in der globalen Politik, sind ihm fremd. Politik ist aus seiner Sicht die Fortsetzung des Business mit anderen Mitteln und das Verhältnis von Staaten zueinander ein transaktionales Nullsummenspiel.

Ohne die USA ist kaum ein globales Problem zu lösen. Ohne ein aktives Engagement Deutschlands und Europas jedoch auch nicht.

Von einem geordneten Teilrückzug der USA als Weltordnungsmacht unter Barack Obama, finden wir uns damit schlagartig in einer Situation wieder, in welcher die USA als Hüter der liberalen Weltordnung weitgehend ausfallen, zumindest auf die kommenden Jahre. Das ermutigt andere Länder wie Russland und China, in die sich ergebenden Leerstellen vorzudringen.

Für Deutschland und Europa bedeutet das, dass sie nun im eigenen Interesse gezwungen sind, stärker global aktiv zu sein. Die Rückgewinnung der europäischen Vorreiterschaft in der internationalen Klimapolitik ist dabei eine zentrale Aufgabe, gleichzeitig birgt ein ambitionierter ökologischer Umbau unserer Industriegesellschaften große wirtschaftliche Potentiale. Auch ein größeres europäisch abgestimmtes Engagement in multilateralen Institutionen wird notwendig sein, um zu verhindern, dass andere Akteure diese – wider die europäischen Interessen – zukünftig dominieren und einzig nach ihren Vorstellungen gestalten. Der globale Einsatz für Demokratie, universelle Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit hängt nun in erster Linie an Europa. Und nicht zuletzt wird es mehr gemeinsame europäische sicherheitspolitische Kapazitäten brauchen, und zwar nicht nur militärische, sondern auch diplomatische, politische und wirtschaftliche.

Das heißt nicht, dass Deutschland nun plötzlich zum Anführer der freien Welt wird, ebenso wenig wie die Europäische Union. Die USA sind und bleiben für lange Zeit die „indispensible nation“. Ohne die USA ist kaum ein globales Problem zu lösen. Umgekehrt wird aber auch ein Schuh draus. Die EU sind weiterhin die größte Wirtschaftsmacht der Welt und ein globaler diplomatischer und sicherheitspolitischer Akteur. Ohne ein aktives Engagement Deutschlands und Europas sind die globalen Herausforderungen unserer Zeit nicht zu lösen, sei es der Klimawandel, die politische Gestaltung der Digitalisierung oder die Regulierung der internationalen Finanzmärkte. Auch Donald Trump wird schnell merken, dass er bei der Lösung der meisten internationalen Probleme im Interesse der USA auf die Zusammenarbeit mit Europa angewiesen ist.

"Der Westen" braucht jetzt einen neuen Chor von Fürsprecher/innen

Falsch wäre es aus europäischer Sicht, nun in erster Linie abzuwarten, welche politischen Initiativen aus den USA kommen. Jetzt ist die Zeit, in der Deutschland und Europa eigene politische Projekte und Initiativen anstoßen und damit proaktiv auf die USA zugehen sollten.
Das Wort Deutschlands hat Gewicht in Washington. Das gilt erst recht, solange die deutsche Politik europäisch koordiniert und eingebettet ist. Es könnte vor dem Hintergrund auch ratsam sein, häufiger mit multinationalen Delegationen aus mehreren EU-Mitgliedstaaten nach Washington zu reisen und das Gespräch mit der Administration zu suchen.

Parallel wäre eine engere Zusammenarbeit mit den transatlantischen demokratischen Partner/innen innerhalb der USA anzustreben: in der Politik, in der Wirtschaft, in der Zivilgesellschaft. Städtepartnerschaften und Bündnisse zwischen US-Bundesstaaten und Regionen in Europa könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen, beispielsweise in der Klimapolitik.

Nicht zuletzt liegt es nun an Europa, zumindest zeitweise den von den USA abgegebenen Staffelstab als Fürsprecherin des Westens aufzugreifen. „Der Westen“ als politisches Projekt mit globalem universellem Anspruch, als eine politische Ordnung, die für Offenheit, für gemeinsame Werte, für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und regelbasierte Kooperation zwischen Staaten steht, ist weiterhin ein System mit großer globaler Anziehungskraft. Aber der Westen braucht starke Fürsprecher/innen. In zeitweiser Ermangelung einer solchen Stimme im Weißen Haus kommt diese Rolle nun einem wohlabgestimmten Chor von Stimmen aus den europäischen Hauptstädten und aus Brüssel zu.