Neue Maßeinheiten in einer marktkonformen Natur innerhalb der Grünen Ökonomie

Der Handel mit Kompensationsgutschriften ist ein Paradebeispiel dafür, wie Abstraktionen Umweltpolitik beeinflussen. Nur die  Reduzierung einzigartiger Lebensräume auf einige wenige messbare Indikatoren macht den Handel mit Biodiversitätsgutschriften möglich.

Little Red Flying Foxes (Pteropus Scapulatus) Boonah, Qld.
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Ist ein Hektar Land mit hoher Eignung für Fledermäuse so viel wert wie eine größere Fläche mit mittlerer Lebensraumqualität für Fledermäuse?

Auch das zentrale Instrument gegen den Klimawandel, der Emissionshandel, ist nur möglich, weil komplexe Wirkungszusammenhänge und Machtinteressen so weitgehend abstrahiert werden, dass sie hinter der zentralen Maßeinheit CO2e verschwinden. Die Äquivalenz, die sich im CO2e ausdrückt, erlaubt zudem das Verrechnen von Emissionen unterschiedlicher Treibhausgase (1 Tonne Methan wird äquivalent zu 25 Tonnen Kohlendioxid) und macht die vielfältigen Klima- und Umweltauswirkungen der unterschiedlichen Klimagase, die sich nicht in CO2-Äquivalenz ausdrücken lassen, unsichtbar.

In ihrer Publikation CO2 als Maß aller Dinge schreiben Camila Moreno, Lili Fuhr und Daniel Speich Chassé, wie Abstraktionen – Kalorien, Kilometer, Kilos und jetzt Tonnen CO2e sowie Lebensraum-Äquivalente – moderne Umweltpolitik beeinflussen, ja beherrschen. Die scheinbare Objektivität, die die Zahlen suggerieren, blendet historische Kontexte, ungleiche Machverhältnisse und subjektive Entscheidungen aus.

Ein Paradebeispiel dafür, wie Abstraktionen Umweltpolitik heute beeinflussen, ist der Handel mit Kompensationsgutschriften. Nur die unglaubliche Reduzierung einzigartiger Lebensräume auf einige wenige messbare Indikatoren macht den Handel mit Biodiversitätsgutschriften möglich. Beim Handel mit Emissionsgutschriften ist die zentrale Maßeinheit eine Tonne Kohlendioxid (CO2). Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC)  hat Umrechnungsfaktoren für die unterschiedlichen Klimagase erstellt. Solche Faktoren waren notwendig, da unterschiedliche Treibhausgase unterschiedlich stark auf das Klima wirken.

Trotzdem sollte es möglich sein, Gutschriften für die Minderung unterschiedlicher Gase äquivalent zu handeln. Der IPCC hat festgelegt, dass die Einsparung einer Tonne Methan der Reduktion von 25 Tonnen CO2 entspricht (d. h. über einen Zeitraum von 100 Jahren erachtet der IPCC die Klimawirkung von einer Tonne Methan als äquivalent zur Klimawirkung von 25 Tonnen CO2; bei einer anderen Zeitspanne hätten sich andere Umrechnungsfaktoren ergeben). Einmal akzeptiert, erlaubt diese Umrechnungsformel den Ausgleich von CO2-Emissionen durch die Einsparung von Methanemissionen. Ähnliche CO2–Äquivalenzen wurden auch für andere Klimagase errechnet. Der Artikel The Endless Algebra of Climate Markets beschreibt eindrücklich, wie die Verursacher der Klimakrise von der Abstraktion durch CO2–Äquivalenzen profitieren und Verantwortung verschleiert wird.

Einzigartige Lebensräume werden auf äquivalente Tauscheinheiten reduziert

Umrechnungsfaktoren werden auch für die Kompensation durch Biodiversitätsgutschriften festgelegt, obwohl diese selbst von Befürwortern einer ökonomischen Bewertung von Natur für ihre Unzulänglichkeit kritisierten werden. Äquivalenzen werden hier zum Beispiel zwischen einem Hektar Land mit hoher Eignung als Lebensraum für Fledermäuse und einer größeren Fläche von Land mit mittlerer oder niedriger Lebensraumqualität für Fledermäuse hergestellt.

Oder es wird festgelegt, welche Pflanzen- oder Tierarten ein intaktes Feuchtgebiet signalisieren, wodurch ein Gebiet als Kompensation für das Trockenlegen eines anderen Feuchtgebiets qualifiziert wird. Wird der Umrechnungsfaktor von den verantwortlichen Behörden anerkannt, können Lebensräume seltener Arten oder intakte Feuchtgebiete zerstört werden, solange ein entsprechend größeres Gebiet mittlerer oder niedriger Lebensraumqualität anderswo geschützt wird. Dieser Logik folgt auch die Ansicht des ehemaligen britischen Umweltministers Paterson, der 2014 argumentierte, dass eine Millionen neu gepflanzter Bäume die Zerstörung eines 400 Jahre alten Waldes mit weit weniger als einer Million Bäume ausgleichen könne.

Verglichen werden bei solchen Äquivalenzrechnungen immer nur einige wenige ökologische Kenndaten von Lebensräumen, meist Artenlisten. Viele ökologische Funktionen sowie lokale ökonomische, soziale, kulturelle oder spirituelle Bindungen an den Lebensraum bleiben beim Prinzip der Kompensationsgutschriften immer unberücksichtigt – und gehen bei der Zerstörung eines Lebensraums ohne Ersatz verloren.

Dieser Artikel ist Teil des Dossiers "Neue Ökonomie der Natur".

Zum Weiterlesen:

  1. Moreno, C., D. Speich Chassé und L. Fuhr (2015): CO2 als Maß aller Dinge. Die unheimliche Macht von Zahlen in der globalen Umweltpolitik.
  2. Fuhr, L., C. Moreno und D. Speich Chassée (2016): Lässt sich Klimapolitik in CO2-Ausstoß bemessen?
  3. Lohmann, L. (2011): The Endless Algebra of Climate Markets.
  4. Louise Carver (2015): Measuring the value of what? An ethnographic account of the transformation of ‘Nature’ under the DEFRA biodiversity offsetting metric. LCSV Working Paper Series No. 11. Leverhulme Centre for the Study of Value.
  5. Robertson, M. (2006): The Nature that capital can see: science, state and market in the commodification of ecosystem services. Environment and Planning D: Society and Space. Vol. 24: 367-387. 
  6. Monbiot, G. (2014): Reframing the Planet.