Habitat III: Eröffnungsrede von Ralf Fücks

Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
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Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung (Archivbild)

Die Eröffnungsrede von Böll-Vorstand Ralf Fücks zur Konferenz "Habitat III - Co-producing sustainable cities" am 15. September 2016 in Berlin im Worlaut.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste!

Ich begrüße Sie sehr herzlich zu unserer heutigen Konferenz „Habitat III - Co-producing sustainable cities“. Wir freuen uns, dass Sie so zahlreich erschienen sind.

Anlass für unsere Tagung ist die UN-Konferenz Habitat III ("Third United Nations Conference on Housing and Sustainable Urban Development"), die vom 17. bis 20. Oktober 2016 in Quito, Ecuador, stattfindet.

Wir haben als Stiftung bereits etliche UN-Konferenzen kritisch begleitet, zuletzt die Klimakonferenz in Paris oder die UN-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung 2012 in Rio, um nur zwei Beispiele zu nennen. Auch bei Habitat III werden wir mit Beobachtern vor Ort präsent sein. Dabei hegen wir nicht die Illusion, dass wir die Ergebnisse solcher Mega-Konferenzen entscheidend beeinflussen können. Aber wir sehen sie doch als Gelegenheit zu einer globalen Debatte über zentrale Zukunftsfragen sowie als Plattform für den Dialog zwischen Zivilgesellschaft und politischen Institutionen.  

Die Habitat-Konferenzen finden nur alle 20 Jahre statt. Dieser lockere Turnus wird der Bedeutung von Fragen globaler Urbanisierung und nachhaltiger Stadtentwicklung nicht gerecht. Zum ersten Mal in der Geschichte der Zivilisation lebt heute über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Bis zur Mitte des Jahrhunderts werden es mindestens zwei Drittel sein. Die Zahl der Stadtbewohner wird innerhalb weniger Jahrzehnte noch einmal um zwei bis drei Milliarden Menschen wachsen. Das bedeutet einen gigantischen Zuwachs an Gebäuden und Infrastruktur - Energieversorgung, Wasser und Abwasser, Abfallwirtschaft, Verkehr - und eine gewaltige Herausforderungen für die öffentlichen Dienstleistungen von Städten: Bildung, Gesundheit, Transport, öffentliche Sicherheit etc.

Der von der Bundesregierung berufene wissenschaftliche Beirat „Globale Umweltveränderungen“ hat den anhaltenden Trend zur Urbanisierung in einem kürzlich veröffentlichten Report als "Umzug der Menschheit" (vom Land in die Stadt) bezeichnet. Es ist keine Übertreibung, dass die großen Zukunftsfragen – die Stabilisierung des Erdklimas, der Kampf gegen Armut und soziale Exklusion, das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe, Religion und Lebensform -  in den urbanen Zentren entschieden werden. Das gilt für die heutigen Städte wie für jene, die erst noch gebaut werden.

Städte sind der Ernstfall für nachhaltige Entwicklung in allen ihren Dimensionen: wirtschaftlich, sozial und ökologisch. Mit ihrer räumlichen Verdichtung, ihrer kulturellen Vielfalt, ihrem innovativen Potential und ihrer lebendigen politischen Öffentlichkeit bergen sie alle Voraussetzungen für eine bessere Zukunft.

Zugleich wissen wir um die Krisen und Konflikte, die in großen Städten kulminieren. Die Großstadt kann beides sein: eine menschliche Hölle und ein Ort des sozialen Aufstiegs, der individuellen Freiheit und der politischen Partizipation. Sie ist ein ökologischer Moloch, der riesige Mengen an Energie und natürlichen Ressourcen verbraucht und Abfallberge erzeugt – und sie ist das Experimentierfeld für eine ökologische Zukunft mit erneuerbaren Energien, vernetzten Wertstoffkreisläufen, ressourceneffizienten Gebäuden und einem attraktiven öffentlichen Verkehr.

Auf diese Chancen und Herausforderungen wollen wir mit unserer Tagung hinweisen. Unsere Themen sind bewusst international ausgerichtet, und unsere ReferentInnen kommen aus aller Welt. Was sich im 19. Jahrhundert in Europa abspielte – ein Prozess der  Industrialisierung und Urbanisierung in großem Stil – spielt sich heute in viel größerem Maßstab und höherem Tempo in Asien, Lateinamerika und zunehmend auch in Afrika ab. Wir möchten mit dieser Konferenz dazu beitragen, das Bewusstsein für die globale Interdependenz dieser Entwicklung zu schärfen und den internationalen Austausch fördern.  

Es hängt viel davon ab, mit welchem Wissen und welcher Wertorientierung Stadtregierungen, Verwaltungen, Stadtplaner/innen, Architekt/innen und Ingenieur/innen diese Zukunftsaufgaben angehen.

Nicht weniger wichtig ist die Beteiligung der städtischen Zivilgesellschaft bei Planungs- und Entscheidungsprozessen. Dafür müssen Formen demokratischer Partizipation etabliert werden, die über die Wahl der kommunalen Parlamente und der Bürgermeister/innen hinausgehen. Wir dürfen die Stadtentwicklung nicht dem Zusammenspiel von Bürokratie und Investoren überlassen.

Auf der Habitat III-Konferenz wird eine "New Urban Agenda" (NUA) für eine nachhaltige Stadtentwicklung verabschiedet werden.  Ob wir mit einem großen Wurf rechnen können, darüber wird uns heute Herr Professor Günter Meinert, Programmleiter für Politikberatung Stadtentwicklung bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, berichten. Wir freuen uns, dass er trotz seiner intensiven Beteiligung am Habitat III-Prozess Zeit gefunden hat, zu uns zu kommen.

Unsere Tagung wird sich auf drei Aspekte konzentrieren:

Wir möchten erstens reflektieren, welches Zusammenwirken von Stadtregierungen und Zivilgesellschaft für eine nachhaltige Entwicklung nötig ist. Die New Urban Agenda formuliert große Hoffnungen an Stadtregierungen als „agents of change“. Nachhaltig kann eine städtische Agenda aber nur sein, wenn sie die lokale Zivilgesellschaft einbezieht. In diesem Zusammenhang sind wir auf den Begriff der Koproduktion gestoßen. Er zielt auf eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen Lokalregierungen und Zivilgesellschaft, die Bürgerinnen und Bürger nicht nur bei der Entscheidungsfindung, sondern auch bei der Durchführung kommunaler Dienstleistungen einbezieht. Das kann sich auf Schulen und Kindergärten ebenso beziehen wie auf die städtische Energieversorgung oder die Abfallwirtschaft.

Die Kooperation mit der „Habitat Unit“ an der TU Berlin hat uns bei diesem Thema sehr inspiriert; dafür möchte ich unserem Kooperationspartner Philipp Misselwitz herzlich danken.

In der Eingangsdiskussion werden wir den Begriff der Koproduktion als Zauberwort der nachhaltigen Stadtentwicklung kritisch reflektieren: Diana Mitlin wird die Idee vorstellen. Poonam Joshi wird uns daran erinnern, dass in vielen Teilen der Welt zivilgesellschaftliche Akteure nicht ermutigt, sondern behindert und eingeschüchtert werden. Der legale Aktionsraum für Nichtregierungsorganisationen wird gegenwärtig in vielen Staaten massiv eingeschränkt – in der Fachwelt bekannt unter dem Begriff "skrinking spaces". Wir müssen immer wieder von neuem für die elementaren Bürgerrechte streiten: Informations- Meinungsfreiheit, das Recht auf Zusammenschluss und politische Aktivität. Ohne rechtsstaatliche Garantien ist alles Reden von nachhaltiger Stadtentwicklung nur eine hohle Phrase.

Wir freuen uns besonders, dass auf unserer Konferenz einige Vertreter/innen progressiver Stadtregierungen auftreten werden – Regierungen, die teilweise aus Protestbewegungen hervorgegangen sind und nun antreten, um es besser zu machen als ihre Vorgänger. Ich nenne an dieser Stelle Laia Ortiz aus Barcelona, Roshan Shankar aus Delhi, Sipho Nlapo aus Johannesburg und auch Sonia Dias aus Belo Horizonte. Sie werden uns heute und morgen zeigen, was Städte an nachhaltiger Entwicklung erreichen können, wenn sie es nur wollen.

Vielen Dank, dass Sie hier sind.

Wir wollen uns zweitens darüber austauschen, wie wichtige Bereiche städtischen Lebens umgestaltet werden können. Hier geht es exemplarisch um die Themen Wohnungspolitik, Abfall und Mobilität. Alle drei sind Schlüsselfragen nachhaltiger Stadtentwicklung.

Am heutigen Abend beginnen wir mit dem Thema „Recht auf Stadt und die soziale Produktion des Wohnens“. Das „Recht auf Stadt“ ist eine der umkämpftesten Formulierungen in der New Urban Agenda. Die USA, Japan und einige EU-Staaten lehnen diesen normativen Begriff ebenso ab wie die indische Regierung. Dem gegenüber stehen etliche südamerikanische Länder wie Brasilien, Mexiko, Gastbegeber Ecuador und viele zivilgesellschaftliche Gruppen. „Recht auf Stadt“ würde den Anspruch auf gleichberechtigten Zugang zur städtischen Infrastruktur und angemessenen Wohnraum als Menschenrecht für alle Einwohner, also auch für Slumbewohner/innen, postulieren.

Wir haben bei unserer Eingangsdiskussion mit Shivani Chaudhry eine Aktivistin auf dem Podium, die sich nachdrücklich für das Recht auf Stadt einsetzt. Für die Megastädte des Südens, in denen ein Drittel bis zur Hälfte aller Menschen in Favelas leben, liegt die Relevanz dieser Forderung auf der Hand. Allerdings sind Obdachlosigkeit und Mangel an bezahlbarem Wohnraum auch in den Großstädten Europas und Nordamerikas keine Seltenheit. Die „Wohnungsfrage“ rückt auch bei uns wieder ins Zentrum der Öffentlichkeit.

Drittens geht es uns um den Nord-Süd-Dialog, das wechselseitige Lernen in Städtenetzwerken und Partnerschaften. Die New Urban Agenda wird nur erfolgreich sein können, wenn wir einen globalen Lernprozess organisieren, in dem Städte sich über ihr Problemlagen und Lösungswege austauschen. Wir hoffen, dass auch diese Konferenz dazu beiträgt, dass Partnerschaften entstehen, die über den Tag hinaus Bestand haben werden.

Schließen möchte ich mit einem großen Dankeschön an alle Referent/innen, die zum Teil von weither angereist sind, um ihre Erfahrungen mit uns zu teilen.

Danken möchte ich auch unseren Kooperationspartner Philipp Misselwitz, Leiter der Habitat Unit an der TU Berlin, und last not least meinen Kolleginnen und Kollegen aus der Böll-Stiftung, die diese Konferenz aus der Taufe gehoben haben: Sabine Drewes, Solveig Bartusch, Andrea Meinecke, Petra Girsch und Kora Rösler von unserem Team Kommunalpolitik, den Kolleg/innen vom Tagungsbüro und aus unserer Kommunikationsabteilung. Ihr habt einen tollen Job gemacht!

Und nun wünsche ich uns allen eine spannende und erkenntnisreiche Tagung.  Vielen Dank.

Die Rede ist Teil unseres Dossiers: Habitat III - Nachhaltige Stadtentwicklung.