Was tun gegen rassistische Mobilisierungen?

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Willkommensfest für die Geflüchteten in Heidenau am 28.8.2015

Die Zahl der rassistischen Anschläge in Deutschland steigt monatlich. Die Diskussion über Gegenstrategien kommt kaum hinterher. Was hat bisher gegen rechte Aufmärsche und Hetze vor Ort geholfen? Eine Bestandsaufnahme aus Sachsen.

Bundesweit wird spätestens seit 2013 vermehrt über Asylsuchende und deren Unterbringung gesprochen und berichtet. Dabei wird Asylsuchenden und ihrer Unterbringung in der Nachbarschaft in vielen Fällen mit (offener) Ablehnung begegnet. Asylsuchende werden per se als negativ betrachtet: Sie würden – je nach Argumentation – kulturell, religiös oder zivilisatorisch nicht nach Deutschland passen und nur Probleme verursachen. Dass eben diese rassistischen Einstellungen innerhalb unserer Gesellschaft weit verbreitet sind ist schon mehrfach durch verschiedene Studien (vgl. Wilhelm Heitmeyer: Deutsche Zustände, Folge 10 und "Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland" (PDF)) belegt worden.

Meist äußern sich diese Einstellungen allerdings nicht in politischen Aktionen. Dies ist oftmals erst der Fall, wenn Menschen ein direktes „Problem“ in ihrer Nachbarschaft wahrnehmen. Aus diesem Grund sind die Einrichtungen und Neueröffnungen von Asylsuchendenunterkünften oftmals Kristallisationspunkt rassistischer Mobilisierungen und Agitation gegen Geflüchtete. Schneeberg, Berlin-Hellersdorf, Freital und Heidenau waren dabei die medial wohl am meisten beachteten Auseinandersetzungen.

Im folgenden Text soll es nun darum gehen, die rassistischen Mobilisierungen in Sachsen im Jahr 2014 in den Blick zu nehmen. Dazu folgt zuerst ein unvollständiger Überblick über öffentliche Aktionen gegen Asylsuchende und die Unterkünfte, in denen sie wohnen müssen, ein Auszug aus der Chronik zu rassistischen Angriffen und eine Kontextualisierung dieser. Danach werden am Beispiel Leipzig-Schönefeld Aspekte rassistischer Mobilisierungen und (erfolgreicher) Gegenstrategien diskutiert. Schlussendlich versuchen wir verallgemeinerbare Hinweise zum Umgang mit rassistischen Mobilisierungen zu formulieren.

Aus den Worten …

Um einen Diskurs zu beeinflussen und eine Stimmung in der Gesellschaft zu unterstützen/zu etablieren sind öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen (Kundgebungen/Demonstrationen) ein geeignetes Mittel – sie wirken nach innen (auf die Teilnehmenden) und nach außen (auf Zuschauende, auf Lesende der Zeitungsberichterstattung etc.). Die nachfolgende Fülle an rassistischen Mobilisierungen und auch die Teilnehmendenzahlen sollten deutlich machen, dass das Thema Asyl und Unterbringung von Asylsuchenden in der Nachbarschaft mobilisiert und polarisiert. Es folgt eine unvollständige Auflistung von rassistischen Demonstrationen und Kundgebungen (z.B. keine Stadtteilversammlungen) mit Bezug zum Thema Asyl (z.B. keine Anti-Moschee-Aktionen)

  • 16.01. Roßwein (25 Teilnehmende): JN-Kundgebung „Kinderschutz statt Asylstrom“
  • 25.01. Borna (150-170): Kundgebung „Unsere Heimat – Unser Recht“
  • 25.01. Schneeberg (250): Demonstration „4. Schneeberger Lichtellauf“
  • 25.01. Chemnitz (150): Demonstration
  • 03.02. Leipzig (50-80): Kundgebung der NPD-Tarninitiative „Leipzig steht auf“
  • 15.03. Bautzen (300-350): Demonstration
  • 17.03.-20.03 Zwickau, Glauchau, Döbeln, Eilenburg, Delitzsch, Schkeuditz, Zittau, Bischofswerda, Pirna, Hoyerswerda, Großenhain (jeweils 20 bis 50): NPD-Kundgebungstour „Heimat schützen – Asylmissbrauch bekämpfen“
  • 28.03. Dresden (15): Kundgebung
  • 13.04. Borna (150): Kundgebung der Bürgerinitiative „Wir sind Borna“
  • 14.05. Rötha (unklar): Kundgebung „Gegen Politlügner und Asylmissbrauch“
  • 10.06. Bautzen (52): NPD-Mahnwache
  • 26.06. Riesa (unklar): NPD-Kundgebung „Heimat schützen – keine Scheinasylanten nach Riesa und Zeithain“
  • 28.06 Bautzen (68): NPD-Kundgebung „Asylhotel und Heim, unsere Bürger sagen nein!“
  • 12.07. Bautzen (30): NPD-Kundgebung „Asylhotel und Heim, unsere Bürger sagen nein!“
  • 02.08. Chemnitz (60): JN-Demonstration
  • 23.08. Bautzen (600): Demonstration
  • 13.10. Ottendorf-Okrilla (500): Demonstration
  • 20.10. Dresden (350): PEGIDA-Demonstration
  • 27.10. Ottendorf-Okrilla (200): Demonstration „Keine Asylanten in Ottendorf-Oḱrilla – Für echte Diskussionen“
  • 27.10. Dresden (500): PEGIDA-Demonstration
  • 03.11. Dresden (1.000): PEGIDA-Demonstration
  • 08.11. Bautzen (550): Demonstration „Asylpolitik, Freiheit für unser Volk“
  • 10.11. Dresden (1.700): PEGIDA-Demonstration
  • 11.11. Wilsdruff (50): Demonstration
  • 17.11. Dresden (3.200): PEGIDA-Demonstration
  • 22.11. Chemnitz (500): Demonstration „Gegen Asylwahnsinn, Überfremdung und Islamisierung“
  • 24.11. Dresden (5.500): PEGIDA-Demonstration
  • 25.11. Wilsdruff (50) Demonstration:
  • 28.11. Heidenau (150-200): Demonstration
  • 29.11. Neukirch (350): Demonstration
  • 29.11 Schneeberg (600-800): Demonstration „Haamitland wach aus“
  • 01.12. Dresden (7.500): PEGIDA-Demonstration
  • 02.12. Wilsdruff (90): Demonstration „Wilsdruff sagt nein zum Asylantenheim“
  • 08.12. Dresden (10.000): PEGIDA-Demonstration
  • 09.12. Wilsduff (120): Demonstration „Wilsduff sagt nein zum Asylantenheim“
  • 15.12. Dresden (15.000): PEGIDA-Demonstration
  • 16.12. Wilsdruff (140): Demonstration „Wilsdruff sagt nein zum Asylantenheim“
  • 22.12. Dresden (17.500): PEGIDA-Demonstration
  • 23.12. Wilsdruff (95): Demonstration „Wilsdruff sagt nein zum Asylantenheim“

Durch die öffentlichkeitswirksame Darstellung rassistischer Positionen durch die genannten rassistischen Mobilisierungen wird der in Sachsen ohnehin schon reaktionäre Diskurs rings um Asyl weiter nach rechts geschoben. Das gesellschaftliche Klima wird u.a. dahingehend beeinflusst, dass Gewalt (z.B. gegen Asylsuchende, ihre Unterkünfte und politische Gegner/innen) legitimiert wird.

… folgen Taten

Die Opferberatung des RAA Sachsen e.V. unterstützt in Sachsen seit 2005 Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt bei der Bewältigung der Tatfolgen und dokumentiert darüber hinaus diese Angriffe. 2014 zählte diese unabhängige Beratungsstelle insgesamt 257 Angriffe in ganz Sachsen (2013: 223), davon waren 63 Prozent (162) rassistisch motiviert. Damit stieg der Anteil an rassistisch motivierten Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr um 90 Prozent an. Mitverantwortlich für eben jene Gewalt sind nicht alleine die Menschen, welche sie ausüben, sondern auch die Menschen, die öffentlich gegen Asylsuchende und ihre Unterbringung in der Nachbarschaft agitieren und hetzen.

Um die Dimension hinter den Zahlen deutlich zu machen, folgt eine unvollständige Auflistung der rassistisch motivierten Gewalttaten in Dresden, also in der Stadt, in der PEGIDA ihren Lauf nahm (hier die Zahlen in ganz Sachsen):

  • 12.01. Dresden: Mehrere junge Männer beleidigen in einer Straßenbahn andere Fahrgäste rassistisch. Nach dem Ausstieg der Aggressoren attackieren sie weitere Fahrgäste körperlich.
  • 22.02. Dresden: Ein junger Mann schlägt einen anderen aus rassistischer Motivation. Als Passanten dem Betroffenen zur Hilfe eilen beschimpft er diese, versucht sie zu schlagen und zeigt den Hitlergruß.
  • 01.03. Dresden: Ein Mann beleidigt und schlägt einen Tunesier.
  • 07.03. Dresden: Ein betrunkener Mann beleidigte eine 34-jährige Mexikanerin und versuchte sie anschließend mit seiner Bierflasche zu schlagen.
  • 21.03. Dresden: Mehrere alkoholisierte junge Männer werfen die Fensterscheiben einer Wohnung von tunesischen Asylsuchenden ein und versuchen anschließend in die Wohnung einzudringen.
  • 04.05. Dresden: Ein Mann beleidigt einen Chinesen und tritt ihn von hinten ins Knie.
  • 21.06. Dresden: Ein Mann schlägt wiederholt auf einen schwarzen Mann ein.
  • 26.07. Dresden: Ein junger Mann beleidigt eine 16-Jährige aufgrund ihres Kopftuchs in einer Straßenbahn. An der Haltestelle schlägt er ihren Vater und einen zu Hilfe eilenden Passanten.
  • 29.07. Dresden: Unter rassistischen Parolen dringen vier Männer in eine Wohnung ein und schlagen einen Tunesier.
  • 13.09. Dresden: Ein Asylsuchender wird von zwei Männern und zwei Frauen verfolgt. Sie schlagen ihm eine Flasche auf den Kopf.
  • 14.09. Dresden: Eine Gruppe von ca. 20 Personen greift drei Asylsuchende mit Flaschen an.
  • 18.10. Dresden: Drei Menschen werden angepöbelt und beleidigt. Auf ihrer Flucht vor der Situation werden sie von einem Auto verfolgt und mit Steinen beworfen.
  • 29.10. Dresden: Zwei Tunesier werden von zwei Männern beleidigt, geschlagen und getreten.
  • 24.11. Dresden: Drei Männer schlagen und treten auf einen Asylsuchenden aus Syrien ein und bedrohen ihn mit einem Messer.
  • 06.12. Dresden: Drei Spieler des Dresdner Rugby Vereins wurden nach einer Party aufgrund ihres Bartes angegriffen. Die Täter hatten sie anscheinend als „Salafisten“ ausgemacht.
  • 06.12. Dresden: Zwei junge Asylsuchende werden von Männern beleidigt und ins Gesicht geschlagen.
  • 06.12. Dresden: Ein Mann wird von drei Männern rassistisch beleidigt und geschlagen.
  • 22.12. Dresden: Eine Gruppe migrantischer Jugendlicher wird von einer ca. 50-köpfigen Personengruppe rassistisch beleidigt und angegriffen. Die Angreife sind dabei mit Tasern und Stöcken bewaffnet.

Dass die genannten Gewalttaten unterschiedliche Auswirkungen auf die Betroffenen haben, sollte klar sein. Wichtig ist es, Betroffene und ihre Einschätzungen ernst zu nehmen und sie in ihren Wünschen und Bestrebungen zu unterstützen. Solidarität sollte hier mehr als nur eine Floskel sein.

Das Beispiel Leipzig-Schönefeld

In Leipzig wurde aufgrund diverser Faktoren von Dezember 2013 bis März 2014 eine sogenannte „Notunterkunft“ für 120 Asylsuchende in einem ehemaligen Gymnasium im Stadtteil Schönefeld eingerichtet. Diese Unterkunft war immer als zeitlich begrenzt und nie als Dauerlösung geplant und auch entsprechend kommuniziert worden. Dies hinderte jedoch Anwohner/innen, lokale Bürger/innen und Neonazis nicht daran, mit allen Mitteln gegen die Unterbringung mobil zu machen. So gab es unter verschiedenen Labeln diverse Kundgebungen und Demonstrationen gegen die Unterkunft. Es wurden Unterschriften gesammelt und im Stadtteil massiv Stimmung gemacht.

Ein erster Höhepunkt in der Auseinandersetzung war eine städtische Informationsveranstaltung am 25. November 2013. Hier ließen anwesende Neonazis und Bürger/innen den verantwortlichen Sozialbürgermeister Fabian kaum zu Wort kommen und stimmten Sprechchöre wie „Lügner, Lügner!“ an. Konstruktiver Dialog und Austausch sieht anders aus. Schon nach diesem ersten Ereignis zeichnete sich ab, dass eine gezielte mittelfristige antirassistische Intervention in Schönefeld nötig sein würde. Daher wurde von verschiedenen linksradikalen und linken Gruppen das Bündnis „Refugees Welcome“ gegründet.

Erste Aktivitäten waren die Organisation von drei Willkommensmahnwachen im Dezember 2013. Ziel war einerseits, das „Willkommen-Heißen“ der ankommenden Geflüchteten und andererseits einen pro-Asyl-Standpunkt im Stadtteil sichtbar zu machen. Durch die Mahnwachen und die sich daraus ergebenden Gespräche konnten erstmals andere Positionen im Stadtteil sichtbar gemacht und infolgedessen auch gestärkt werden. Die neuen Bewohner/innen der Unterkunft gaben ebenfalls positives Feedback und unterstützten die Aktion.

Vor Ort wirkte unterdessen gleichzeitig die bürgerlichere „Willkommensinitiative Schönefeld“, u.a. bestehend aus Lokalpolitiker/innen und Kirchenvertreter/innen. Sie sammelte u.a. Kleiderspenden, veranstaltete eine Weihnachtsfeier in der Unterkunft und wirkten als Multiplikatorin in den Stadtteil hinein. Die gemeinsamen Treffen mit dem Bündnis „Refugees Welcome“ waren von einigen Spannungen geprägt, da sich gegenseitig Kompetenz abgesprochen wurde. Auch traten eigene Rassismen in den Diskussionen dieses lokalen zivilgesellschaftlichen Bündnisses zutage: So erklärte eine lokale Politikerin der Linken, dass Spenden aufgrund des nicht ausgeprägten Demokratiebewusstseins den Geflüchteten nicht direkt überreicht werden könnten. Sie würden lediglich egoistisch Dinge kaufen, anstatt Anschaffungen zu tätigen, die allen Geflüchteten zu Gute kommen würden. Letztlich funktionierte die Kooperation zwischen beiden Gruppen, da sich jeweils klare Aufgabenbereiche herausbildeten.

Die gleichen "Argumente"

Wesentlicher Bestandteil der rassistischen Mobilisierung waren Neonazis, welche zu dieser Zeit sehr aktiv im Stadtteil waren. Neben den klassischen Aktionsformen wie Demonstrationen, Kundgebungen und Infoständen wurde weiterhin auf Hetze im Internet sowie die Organisation einer „Elterninitiative“ gesetzt. Diese sammelte Unterschriften gegen einen im Rahmen des Ethikunterrichts durchgeführten Besuch der Unterkunft. Zur Begründung wurde eine Gefahr durch ansteckende Krankheiten herbei halluziniert.

Inhaltlich waren die „Argumente“ von Neonazis und „normalen Bürger/innen“ zum Verwechseln ähnlich. Hier zeigte sich nochmals deutlich, dass rassistische und menschenverachtende Einstellungen deutlich über die Gruppe von Neonazis hinausgingen und in größeren Teilen der Gesellschaft verbreitet sind. Beispielhaft kann hier die permanente Verknüpfung von Kriminalität mit Asylsuchenden genannt werden.

Um der Stimmung im Stadtviertel langfristig zu beeinflussen, organisierte der Initiativkreis: Menschen.Würdig von Januar bis April 2014 eine Veranstaltungsreihe in Schönefeld. Diese trug den Titel „Auf gute Nachbarschaft“ und sollte einerseits über Themen wie Migration, Flucht, Asyl und Rassismus aufklären und Wissen vermitteln, und andererseits Empathie mit den Geflüchteten schaffen.

Teil der Veranstaltungsreihe waren u.a. eine Diskussion mit Geflüchteten aus der Unterkunft, ein antirassistisches Argumentationstraining und das Theaterstück „Asylmonologe“. Die Veranstaltungen wurden – gemessen an der Besucher/innenzahl – gut angenommen. Inwieweit diese das Stadtteilklima nachhaltig beeinflusst haben, bleibt selbstverständlich abzuwarten.

Durch die antirassistische Intervention im Stadtteil durch Mahnwachen, direkte Aktionen gegen rassistische Kundgebungen und Aufmärsche, die Organisation einer Veranstaltungsreihe und vieles mehr ist es erfolgreich gelungen, Deutungshoheit über die Situation vor Ort zu erlangen. Der Protest wurde erfolgreich als rassistisch stigmatisiert und Neonazis zunehmend isoliert. Durch intensive Öffentlichkeitsarbeit gelang es, linke Positionen in der Presse unterzubringen und somit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Positiv wirkte sich dabei eine punktuelle Zusammenarbeit und Abstimmung mit der Zivilgesellschaft, vor allem der Kirche vor Ort, aus. Durch diese konnte der Informationsfluss deutlich verbessert werden. In Zusammenarbeit und Ankopplung an Refugees Welcome gründeten sich viele kleine Unterstützungsgruppen, welche mit den Geflüchteten zusammen verschiedene Dinge, wie beispielsweise Rechtsberatung, Kochen, Kinderspielen und Ausflüge organisierten.

Negativ war die fehlende Einbeziehung von Geflüchteten in die politische Arbeit. Dies gelang nur sehr sporadisch, unter anderem im Rahmen der Veranstaltungsreihe. Geflüchtete wurden auch im Bündnis oftmals nicht als subjektive Partner/innen, sondern vielmehr als objektive und schützenswerte Masse betrachtet.

Allgemeine Vorschläge und Hinweise

Die nachfolgenden Punkte sind Vorschläge, mögliche Handlungsstrategien zum Umgang mit rassistischen Mobilisierungen. Sie nehmen inhaltlich Bezug auf einen Workshop auf der „Asylinitiativenkonferenz“ im November 2014 in Dresden.

Bündnispolitik: Potentielle Bündnispartner/innen gibt es viele; von Antifa & Antira, über Vereine, Kirchen, Gewerkschaften, Parteien, Presse, bis zur Stadt und lokalen Unternehmen. Welches Bündnis sinnvoll ist, hängt maßgeblich von der eigenen Position sowie eigenen Stärken und Kapazitäten ab. In strukturschwächeren Regionen ist es möglicherweise sinnvoller, breitere Bündnisse einzugehen, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Eben dieses Ergebnis bzw. diese Ergebnisse sollten Teil eines transparenten Kommunikationsprozesses sein, um Missverständnisse und Enttäuschungen aller beteiligten Akteur/innen zu vermeiden.

Einbeziehung von Geflüchteten: Asylsuchende und Menschen mit Rassismus-Erfahrungen sind Individuen mit unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen – so sollte ihnen auch gegenübergetreten werden (keine Reduzierung auf das „Flüchtling-Sein“). Ihre Ansichten und Perspektiven sollten in Interventionen gegen rassistische Mobilisierungen unbedingt einbezogen werden, denn sie sind die Menschen, welche länger im Stadtviertel wohnen müssen und tagtäglichen Anfeindungen ausgesetzt sind.

In Orten und Stadtteilen, in denen es keine aktive Selbstorganisation von Geflüchteten gibt, stellt sich die Frage, wie eine Einbeziehung praktisch aussehen kann. Hier ist ein Kennenlernen und größtmögliche Rücksichtnahme geboten. Auch wenn es sich um Orte handelt, an denen noch keine Geflüchteten untergebracht sind, werden sich in der Nähe oder in der nächstgrößeren Stadt Menschen finden, die aus ihrer Perspektive als Geflüchtete erzählen können.

Prinzipiell sind bei der Einbeziehung von Geflüchteten mögliche Sprachbarrieren zu beachten. Hier sollte Übersetzung organisiert werden, damit auch Menschen, die nicht fließend Deutsch sprechen, an Treffen und Veranstaltungen teilnehmen können. Wenn Geflüchtete z.B. an Vorbereitungs-Treffen teilnehmen, gilt es, die eigenen Strukturen transparent zu machen und Arbeitsweisen zu erläutern. Auch ist eine Informationsweitergabe (z.B. dazu, wer lokale Neonazi-Kader sind) möglicherweise wichtig.

Umgang mit Medien:Um die eigene Wahrnehmung und Darstellung der Situation vor Ort einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, empfiehlt es sich mit (lokalen) Medien zu arbeiten. In (fast) jeder Redaktion gibt es Journalist/innen, welche dem eigenen Anliegen positiv gesonnen sind. Es ist sinnvoll, für die Arbeit eine feste Ansprechperson oder -gruppe zu haben, welche den Überblick behält. Bei der Arbeit mit Medien ist es unerlässlich, das sich Personen finden, die – trotz aller berechtigter Zweifel – bereit sind, Interviews zu geben und dafür auch mit Namen und Gesicht in der Zeitung oder im Fernsehen aufzutauchen.

Wenn über die Lebenssituation von Asylsuchenden gesprochen wird, sollte immer darauf verwiesen werden, dass Geflüchtete besser selbst über ihre Situation sprechen können als ihre Unterstützer/innen. Dies sollte – sofern es Geflüchtete gibt, die daran Interesse haben – möglich gemacht werden.

Informationen für und Austausch mit der lokalen Bevölkerung: Meist kocht die Gerüchteküche im Stadtviertel oder Ort, in welchem Asylsuchende untergebracht werden, recht schnell sehr hoch. Eine mögliche Strategie kann hier die gezielte Streuung von Informationen durch Veranstaltungen sein.

Ein Aspekt ist hier die Begegnung der weißen Mehrheitsbevölkerung mit Asylsuchenden und daraus resultierend ein Blick in ihre Lebensrealität. Dies schafft Empathie und wirkt in vielen Fällen wechselseitig solidarisch und empowernd. Ein weiterer Aspekt ist die Aufklärung und Sensibilisierung der weißen Mehrheitsbevölkerung z.B. bezüglich der Themen Migration, Flucht, Asyl und Rassismus. Hier geht es um konkrete Wissensvermittlung (z.B. weltweite Fluchtbewegungen, Rechte von Asylsuchenden) und Sensibilisierung.

Bei den meisten Veranstaltungen dieser Art kommen zwar nur die Menschen, die sich sowieso schon mit dem Thema auseinandergesetzt haben, aber die diskursive Wirkung im Stadtteil sollte dabei nicht unterschätzt werden: Menschen, die eine inhaltlich und methodisch gute Veranstaltung besucht haben, reden mit ihren Freund/innen, Nachbar/innen und Kolleg/innen über die Themen und können so auf einer alltäglichen Ebene dazu beitragen, ein angenehmeres Klima im Ort oder Stadtteil zu erzeugen.

Um Agitationen und rassistischen Wortergreifungsstrategien, wie sie immer wieder bei z.B. städtischen Informationsveranstaltungen vorkommen, entgegenzutreten, sind klare Gesprächsregeln sinnvoll. Anwohner/innen haben selbstverständlich das Recht, Fragen zu stellen. Allerdings dürfen diese keinen diskriminierenden oder beleidigenden Charakter haben. Gesprächsregeln sollten vorher klar definiert und auch kommuniziert werden. Dann lassen sich Verstöße gegen eben jene auch leichter ahnden (z.B. durch Rauswurf entsprechender Personen mittels Hausrecht). Um Neonazis prinzipiell den Zugang zu solchen Veranstaltungen zu verwehren, empfiehlt sich eine Ausschlussklausel, welche sichtbar am oder im Veranstaltungsort (am besten im Eingang und bei z.B. Veranstaltungsflyern) ausgehangen werden kann. Eine mögliche Formulierung einer solchen Klausel kann wie folgt lauten:

„Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die neonazistischen Parteien oder Organisationen angehören, der neonazistischen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen. Ebenso werden Personen ausgeschlossen, die während der Veranstaltung durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen auffällig sind.“

Notfallstrukturen: Im Ernstfall (z.B. Brandanschlag, rassistischer Mob vor der Unterkunft, Abschiebung) ist es sinnvoll, über Pläne für diese Szenarien gesprochen zu haben. In einigen Fällen ist die Polizei der richtige Ansprechpartner, in anderen nicht. Solche Strukturen sollten eng mit den betreffenden Asylsuchenden abgestimmt sein, ihre Wünsche sollten wesentlich berücksichtigt werden. Ein Beispiel ist das „Café Noteingang“ aus Münster, welches „antisemitische, rassistischen und diskriminierenden Angriffen“ vorbeugen soll. Dabei symbolisieren Aufkleber an Türen die Bereitschaft der jeweiligen Lokalität zur Unterstützung für Betroffenen Personen.

Ausblick

In den letzten Jahren gab es einen Anstieg rassistischer Mobilisierungen, nicht nur in Sachsen. Dass die Zahl der dokumentierten Fälle ansteigt, liegt aber auch an zunehmender Sensibilisierung für die Thematik und zeigt, dass die Stellen, die Vorfälle dokumentieren, bei den Betroffenen bekannter werden. Der Nährboden der rechten Demonstrationen, Kundgebungen und Gewalttaten ist allerdings der tief verwurzelte alltägliche Rassismus, der unsere Gesellschaft prägt. PEGIDA darf jede Woche durch Dresden laufen, das Camp von Geflüchteten und non-citizens im März 2015 auf dem Theaterplatz wurde dagegen verboten und nur einige wenige Politiker/innen nahmen die Forderungen der Protestierenden überhaupt ernst.

Die Deutungshoheit über die Situation wird an vielen Stellen ausgehandelt. Das Thema „Asyl“ wir derzeit auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert und ist zum gesellschaftlichen Streitthema geworden. Unsere Aufgabe ist und bleibt es, rassistischer Mobilisierung entschlossen entgegenzutreten, nicht nur auf der Straße, sondern auch in mittel- und langfristig angelegten Projekten und im Alltag.

Dieser Beitrag erschien zuerst in dem Dossier "Flucht und Asyl in Sachsen" der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen.

Zum Weiterlesen (analog):

  • Antifaschistisches Infoblatt (AIB) (2014): Das Problem heißt Rassismus. Rechte Bürgerinitiativen gegen Flüchtlingsheime und die Antifa sucht nach Gegenstrategien (Nr. 102).
  • Antifaschistisches Infoblatt (AIB) (2015): German Angst. Von Wutbürgern und Rassisten (Nr. 106).
  • Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus, Evangelische Akademie Berlin, Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (2014): Was tun, damit's nicht brennt? Leitfaden zur Vermeidung von rassistisch aufgeladenen Konflikten im Umfeld von Sammelunterkünften für Flüchtlinge.
  • Chronik.LE (2014): Leipziger Zustände (Dez. 2014).
  • Der rechte Rand (DrR) (2013): Aufmarsch der Mitte (Nr. 145).
  • Menschen.Wuerdig (2014): Auf gute Nachbarschaft! Informationen und Hinweise zum Thema Asyl.
  • Pro Asyl, Amadeu Antonio Stiftung (2013): Refugees Welcome. Gemeinsam Willkommenskultur gestalten.

Zum Weiterlesen (digital):

Unterstützung bei rassistischen Mobilisierungen:

  • Mobile Beratungsteams des Kulturbüro Sachsen e.V.: Beratung von lokalen und regionalen Vereinen, Initiativen, Schulen, Jugendeinrichtungen, Kirchen, Verwaltungen und Parteien im Umgang mit menschenfeindlichen Positionen
  • Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.: Engagement für den Schutz Geflüchteter und menschenwürdige Unterbringungsbedingungen in Sachsen, öffentliche Kontrolle bei der Umsetzung des Asylverfahrens- sowie des Asylbewerberleistungsgesetzes in Sachsen
  • Opferberatung des RAA Sachsen e.V.: Beratung für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt, Beratung ist parteilich und an den Wünschen und Bedürfnissen der Betroffenen orientiert