Zucker für den EU-Markt - Landraub in Kambodscha

Frauen in Kambodscha, Quelle: commons.wikimedia, Lizenz: creative.commons 3.0

9. Mai 2011
Manfred Hornung
Am 19. Mai 2006 kamen Arbeiter mit schwerem Räumgerät auf die Felder und begannen alles niederzuwalzen. Sie wurden begleitet von Soldaten und Militärpolizei. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Bauernfamilien in Kambodschas südwestlicher Provinz Koh Kong noch nicht, dass ihre Äcker von einem Zuckerkonzern beansprucht wurden. Denn die formalen Verträge und Konzessionsurkunden, die den Landraub in den beiden Distrikten von Botum Sakor und Sre Ambel nachträglich „legalisieren“ sollten, wurden erst Monate später im August 2006 gezeichnet.

Die meisten Familien, die von der Vertreibung betroffen waren, lebten seit dem Ende des Rote Khmer-Regimes im Jahre 1979 auf und von diesem Land und hatten nach dem geltenden kambodschanischen Landrecht durch die jahrzehntelange Nutzung einen Anspruch darauf erwirkt, der im Wesen einem Eigentumsrecht gleicht. Als sie vor dem Ausbruch der Krise versucht hatten, diese Eigentumsansprüche von staatlicher Stelle festschreiben zu lassen, wurde ihnen von den Behörden beteuert, dass dazu kein Anlass bestünde, da „ihnen niemand das Land wegnehmen wolle”.

Ab September 2006 verschärfte sich die Lage der Kleinbauern weiter. Firmeneigenes Sicherheitspersonal misshandelte Dorfbewohner, die sich gegen den Raub ihres Landes wehrten. Es schreckte dabei auch nicht vor dem Gebrauch von Schusswaffen zurück. So trug eine Frau bei Protesten gegen den Landraub im September 2006 Schussverletzungen am Fuß davon. In den folgenden Monaten berichteten insgesamt 456 Familien von Übergriffen auf ihr Land. 5000 Hektar lebenswichtiger Anbaufläche gingen dabei insgesamt verloren, mit teilweise dramatischen Konsequenzen.

Versuche der betroffenen Bevölkerung, bei der notorisch korrupten und regierungshörigen Justiz Gehör zu finden, waren ebenso erfolglos wie die zahlreichen Petitionen an zuständige Regierungsbehörden und das Parlament. Die Firmen setzten mit Unterstützung staatlicher Stellen ihre Einschüchterungskampagne ungehindert fort, um so die Herausgabe der Felder zu erzwingen. Im Dezember 2009 leiteten die Firmen kontaminiertes Abwasser aus ihrer Zuckerraffinerie in einen nahegelegenen Fluss. Viele Menschen und Nutztiere erkrankten. Die Verursacher wurden auch in diesem Fall nicht zur Rechenschaft gezogen. Viele Dorfbewohner gaben frustriert und erschöpft den Kampf um ihr Land auf.

Die einseitige Haltung der Gerichte und der staatlichen Stellen erscheint umso fragwürdiger, als schon zu Beginn des Konflikts eine Reihe von Berichten erschienen sind, die umfassend auf die schweren Menschenrechtsverletzungen und willkürlichen Enteignungen in Botum Sakor und Sre Ambel eingingen. So hat das Menschenrechtskommissariat der Vereinten Nationen in Kambodscha schon im Juni 2007 in einem Bericht auf die massive Zerstörung der Felder durch die Firmen und die damit einhergehende Verletzung nationalen und internationalen Rechts hingewiesen.

Der Zucker-Tycoon und seine Geschäftspartner

Am 2. August 2006 hatten zwei Firmen, „Koh Kong Plantation Company Limited” und „Koh Kong Sugar Industry Company Limited”, Konzessionsverträge mit dem kambodschanischen Landwirtschaftsministerium gezeichnet. Zweck der Konzessionen war der Anbau und die Verarbeitung von Zuckerrohr. Beide Konzessionen waren jeweils über 9000 Hektar groß und grenzten direkt aneinander. In der Tat bildeten sie eine einheitliche, 19.100 Hektar große Konzession in den beiden Distrikten von Botum Sakor und Sre Ambel in der Provinz Koh Kong.

Formal vermittelten die Verträge den Eindruck, dass es sich bei beiden Firmen um streng getrennte Rechtsträger handelt. Bei näherem Hinsehen stellte sich jedoch heraus, dass die Inhaberstruktur beider Firmen nahezu identisch ist und beide Firmen die gleiche Büroanschrift teilen. Wesentliche Anteilseigner beider Firmen sind der thailändische Zuckerkonzern Khon Kaen Sugar Industry Public Company Limited (KSL), mit jeweils 50 Prozent, und der kambodschanische Geschäftsmann und Senator der regierenden Kambodschanischen Volkspartei (CPP), Ly Yong Path, mit jeweils 20 Prozent. Derartige Konzessionsverträge mit den entsprechenden Firmenkonstruktionen sind üblich, um das kambodschanische Landrecht zu umgehen, das eine absolute Höchstgrenze von 10.000 Hektar für Konzessionen festlegt.

Senator Ly Yong Path von der CPP hat weitreichende Erfahrungen mit derartigen Umgehungsgeschäften. Im Januar 2008 registrierte er in der Provinz Oddur Meanchey über ein ähnliches Firmengeflecht drei Zuckerrohrkonzessionen mit einer Gesamtgröße von 19.700 Hektar in Kooperation mit dem thailändischen Zuckerkonzern Mitr Phol. Im Oktober 2009 kam es dort zu gewaltsamen Vertreibungen von ansässigen Kleinbauern. In der Provinz Kampong Speu halten Ly Yong Path und seine Ehefrau seit Februar 2010 zwei Zuckerrohrkonzessionen mit über 16.000 Hektar Gesamtfläche, die ebenfalls direkt aneinandergrenzen. Auch in Kampong Speu sieht sich die dort lange ansässige kleinbäuerliche Bevölkerung massiven Repressalien seitens der Firmen ausgesetzt. Insgesamt sind rund 12.000 Menschen in den drei Provinzen von den illegalen Machenschaften Ly Yong Paths und seiner Geschäftspartner im Rahmen der Erteilung von Zuckerrohrkonzessionen betroffen.

Am 8. November 2010 berichtete Report Mainz über die brutalen Landnahmen in Sre Ambel durch den Zuckerkonzern KSL. Das ARD-Politmagazin hatte – angestoßen durch Informationen der Menschenrechtsorganisation FIAN – recherchiert, dass die Fondsgesellschaft der Deutschen Bank, DWS, über verschiedene Finanzprodukte Beteiligungen an dem thailändischen Zuckerkonzern hielt. Als Folge der ARD Recherche entwickelte sich ein intensiver Austausch zwischen den DWS-Verantwortlichen und der kambodschanischen Zivilgesellschaft zu den Rechtsverletzungen von KSL in Koh Kong. Nach Übersendung umfangreicher Dokumente durch die Anwälte der betroffenen Familien entschloss sich DWS laut Pressemiteilung von Report Mainz vom 4. März 2011, sämtliche Anteile von KSL zu verkaufen. Die Fondsmanager des DWS Global Agribusiness hatten die Aussagen von KSL bezweifelt, dass es sich nicht um illegale Landnahmen handele, sondern lediglich um Schwierigkeiten mit Landrechten.

Kambodschanischer Zucker – attraktiv dank der EBA Initiative der EU

Am 10. Juni 2010 verschiffte KSL ein erstes Kontingent von 10.000 Tonnen Zucker aus seiner Raffinerie in Koh Kong in die EU. Die Lieferung ist integraler Bestandteil eines Fünf-Jahres-Vertrags zwischen KSL und dem britischen Zuckerkonzern Tate & Lyle und erfolgte unter der „Everything But Arms” (EBA)-Initiative der EU. „Everything But Arms“ bedeutet, dass die am wenigsten entwickelten Länder ohne Zölle und Mengenbeschränkungen alle Produkte außer Waffen in die EU exportieren dürfen. Kambodscha konnte von dieser Handelsbegünstigung seit ihrer Einführung im Jahre 2001 profitieren. Zucker als ein politisch sensibles Produkt unterlag jedoch Sonderbestimmungen: Erst ab dem Jahre 2009 galt für ihn das Handelsprivileg in vollem Umfang. Mit dem stufenweisen Abbau der Exporthemmnisse in die EU seit 2001 wurde der kambodschanische Zucker immer attraktiver für ausländische Investoren.

Auf Fragen der Medien erklärten die Geschäftsführer der thailändischen Zuckerkonzerne KSL und Mitr Phol, dass die EBA-Initiative und der Export des Zuckers in die EU eine zentrale Rolle bei der Planung ihrer Aktivitäten in Kambodscha spielt. Im offiziellen Jahresbericht 2009 von KSL heißt es außerdem, dass der Konzern über seine kambodschanischen Niederlassungen 20.000 Hektar an Konzessionsland in Koh Kong besitzt und dass der dort hergestellte Rohzucker in die EU exportiert wird.

Die EU sieht bisher keinen kausalen Zusammenhang zwischen der EBA-Initiative und den Menschenrechtsverletzungen der Zuckerkonzerne im kambodschanischen Landsektor. In der Tat könnte die Bewertung eines solchen Zusammenhangs erst als Folge einer eigenständigen Untersuchung der EU abschließend getroffen werden. Bisher verlässt sich die EU auf Zusagen der kambodschanischen Regierung, die Landkonflikte rund um die Zuckerkonzessionen umfassend zu prüfen. Ähnliche Zusagen hat die Regierung der betroffenen Bevölkerung in Koh Kong seit 2006 gegeben, jedoch nie eingehalten. Die Regierung hat bisher noch immer die illegalen Praktiken der Zuckerkonzerne und des CPP-Senators gedeckt. Die EU sollte daher in ihrer Antwort auf die fundierten Vorwürfe nicht hinter die Standards der privatwirtschaftlichen Fondsgesellschaft DWS zurückfallen und umgehend eigenständige Untersuchungen einleiten.
 
Manfred Hornung, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kambodscha, arbeitete zuvor bei der kambodschanischen Liga zur Förderung und Verteidigung von Menschenrechten LICADHO.

Artikel zuerst erschienen in: Brot für die Welt, EED und FDCL (Hrsg.): „Land ist Leben. Der Griff von Investoren nach Ackerland“, Dossier welt-sichten 5/2011.