Aus dem Dornröschenschlaf aufwachen

Atomfreie Zone auch in Deutschland?
Foto: Keoki Seu (Quelle: Flickr.com). Dieses Foto steht unter einer Creative Commons Lizenz.

7. Juni 2010
Von Agnieszka Malczak
Drei Ideen für Deutschlands Beitrag zu Global Zero

Von Agnieszka Malczak

Die Eiszeit in der nuklearen Abrüstungspolitik ist vorbei. Das Eis wurde mit Obamas Bekenntnis zu einer atomwaffenfreien Welt im April 2009 in Prag gebrochen. Weitere Schritte folgten: Die Rückführung der Rolle von Atomwaffen in der neuen US-amerikanischen Nuklearstrategie sowie das zwischen den USA und Russland geschlossene START-Abkommen über eine, wenn auch bescheidene, Reduzierung ihres Atomwaffenarsenals.
Diese Initiativen der größten Atommacht der Welt haben dazu beigetragen, dass der Atomwaffensperrvertrag bei der Überprüfungskonferenz im Mai 2010 gerettet werden konnte. Das gemeinsame Abschlussdokument weist in die richtige Richtung und bildet eine wichtige Vertrauensgrundlage für den Erhalt des Nichtverbreitungsregimes. Ein Zeichen der Hoffnung ist insbesondere auch, dass Einigkeit darüber herrscht, die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten voranzutreiben.

Mit der Rettung des Atomwaffensperrvertrages ist das Ziel jedoch noch nicht erreicht. Es gilt nun, den Geist des Vertrages mit konkreten und weitreichenden Abrüstungsschritten wiederzubeleben. Die Bundesrepublik darf sich hierbei als de facto Atommacht der Verantwortung nicht entziehen.
Doch gerade in Sachen nukleare Abrüstung hat Deutschland bei der Überprüfungskonferenz die Chance verpasst, vom Mitläufer zum Vorreiter zu werden. Während die schwarz-gelbe Bundesregierung seit Amtsantritt in den meisten Politikfeldern kläglich versagt hat, kann man ihr in Bezug auf nukleare Abrüstung bescheinigen: Sie hat sich stets bemüht. Die deutschen Bemühungen auf internationalem Parkett sind insgesamt allerdings zu zaghaft und zu kopflos um konkrete Fortschritte zu erzielen. Sowohl bei der Ausarbeitung der neuen NATO-Strategie, als auch innerhalb der EU hat sich die Bundesregierung bisher nicht entschieden genug für die Verwirklichung eines atomwaffenfreien Deutschlands und die Rückführung der Rolle von Atomwaffen in Europa und im Militärbündnis eingesetzt. Süß klingende Worte und das Versteckspiel hinter den großen Atomwaffenstaaten bringen keinen Schritt weiter. Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung aus dem Dornröschenschlaf aufwacht und zur Tat schreitet. Was kann Deutschland also tun, um all die Bekenntnisse zu Abrüstung, Nichtverbreitung und nuklearer Sicherheit mit Leben zu erfüllen?

Atomwaffen raus aus Deutschland

Nukleare Abrüstung beginnt vor der eigenen Haustür. Es ist unglaubwürdig, immerzu Forderungen an andere zu stellen und selbst nicht bereit zu sein auf das nukleare Privileg zu verzichten. Konkret bedeutet dies, die nukleare Teilhabe zu beenden und die Ausbildung von Soldat_innen, sowie die Bereitstellung von Trägermitteln für den Atombombeneinsatz einzustellen. Deutschland sollte dem Beispiel Kanadas und Griechenlands folgen, die ihrerseits vor Jahren die nukleare Teilhabe beendet haben. Der Abzug der US-Atomwaffen ist zwar laut Koalitionsvertrag nun eine Forderung der Bundesregierung, jedoch wird er an zu viele Bedingungen geknüpft.
Kritiker argumentieren, dass man mit einem zu selbstbewussten Auftreten in dieser Frage Obama und seinen Abrüstungskurs - der in den USA durchaus umstritten ist - schwächt. In Wirklichkeit sucht aber die neue US-Administration händeringend nach Partnern, die sie auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt national wie international tatkräftig unterstützen. Je mehr Staaten Farbe bekennen und dazu bereit sind mit den USA gemeinsam voranzugehen, desto schwieriger haben es die Gegner von Obamas Abrüstungskurs, die Marschrichtung zu ändern.

Die europäischen Nachbarn überzeugen

Deutschland muss sowohl nach Osten als auch nach Westen schauen und viel stärker andere Staaten von einem Abrüstungskurs überzeugen. Unter den offiziellen Atommächten ist Frankreich derzeit der absolute Hardliner und Bremser in der Abrüstungspolitik, besonders innerhalb der EU. Verstärkt und überzeugt die Idee eines Europas ohne Atomwaffen zu verfolgen, ist keine leichte Aufgabe, aber dringend notwendig.

Dazu gehört auch auf der anderen Seite den Abzug der US-Atomwaffen durchzusetzen, die im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO in Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Italien und der Türkei stationiert sind,. In Anbetracht der allgemein bekannten Tatsache, dass diese Waffen absolut keinen militärischen Nutzen mehr haben, wäre es nur konsequent sie abzuziehen. Das Problem sind hier weniger die US-Interessen, sondern vielmehr der Widerstand innerhalb der NATO. Vor allem mittel- und osteuropäische Staaten betrachten die nukleare Teilhabe mit Blick auf Russland noch immer als Rückversicherung.
Die Bundesrepublik liegt im Zentrum der NATO-Allianz und kann aufgrund ihrer guten Beziehungen zu Moskau heute eine wichtige Brückenfunktion erfüllen, um sowohl die NATO als auch Russland zur Kooperation für Abrüstung im gemeinsamen Sicherheitsinteresse zu ermutigen. Will man die Überarbeitung der NATO-Strategie nutzen, um die Rolle der Atomwaffen innerhalb der Allianz zu reduzieren und den Abzug der in Europa stationierten Atombomben einzuleiten, muss man aber eine den Sicherheitsbedürfnissen der mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten Rechnung tragende Lösung finden. Auch hier ist Deutschland aufgrund seiner Mittlerposition besonders gefordert, nicht-nukleare Alternativen zu benennen und gegenseitiges Vertrauen zu fördern.

Für einen weltweiten Atomausstieg streiten – Für mehr Sicherheit und gegen den Klimawandel

Wer sich für die verstärkte zivile Nutzung der Atomkraft einsetzt, trägt zu mehr nuklearer Unsicherheit bei und blockiert die notwendigen Antworten auf den Klimawandel und das globale Energieproblem.
Der Atomausstieg in Deutschland steht auf der Kippe. Sollte der „Ausstieg aus dem Ausstieg“ kommen, verliert die Bundesregierung nicht nur weiter an Zustimmung in der Bevölkerung, sondern verspielt die vielleicht vielversprechendste Chance, die sie im Bereich Abrüstung und Nichtverbreitung hat.

Mit der zunehmenden Ausbreitung der zivilen Nutzung, erwerben immer mehr Staaten die Fähigkeit zum Aufbau militärischer Nuklearprogramme. Gerade das Beispiel Iran zeigt, wie gefährlich der fließende Übergang zwischen ziviler und militärischer Nutzung von Atomenergie ist. Die nukleare Sicherheit ist grundsätzlich in jedem Land, in dem sich waffenfähiges Nuklearmaterial befindet, bedroht. Tonnen von diesem Material lagern an ungesicherten Orten und können somit leicht in die falschen Hände geraten, seien es die von Terroristen oder Kriminellen. Um die Problematik der doppelten Verwendung von Nuklearmaterial in den Griff zu bekommen, gibt es nur eine Lösung: Den konsequenten Ausstieg aus der Atomenergie.

Deutschland muss daher nicht nur national am Atomausstieg festhalten, sondern auch weltweit dafür werben. Die Eindämmung der zivilen Nutzung von Atomenergie kann nur bei gleichzeitiger Förderung von Erneuerbaren Energien gelingen. Noch immer sehen Entwicklungsländer in der zivilen Nutzung ein Privileg des Nordens und pochen auf Gleichberechtigung. Daran sind auch die Atommächte schuld, die im Rahmen des Nichtverbreitungsregimes statt ihren Abrüstungsverpflichtungen nachzukommen, allen Nichtkernwaffenstaaten die zivile Nutzung schmackhaft gemacht haben. Diese Strategie hat fatale Konsequenzen. Denn sie erhöht das Risiko, dass Nuklearmaterial oder Atomwaffen in die falschen Hände gelangen oder sich ein GAU wie in Tschernobyl aufgrund unzureichender Sicherheitsstandards wiederholt.

Jahr auf Jahr folgen alarmierende Berichte, dass das Zeitfenster für Klimaschutz immer kleiner wird und die weltweiten Treibhausgasemissionen extrem gesenkt werden müssen. Verschärft wird das Problem durch den großen und weiter steigenden Energiehunger der Schwellenländer. Selbst wenn man naiv das fadenscheinige Märchen von der „sauberen“ Atomkraft glaubt, können Atomkraftwerke schon aufgrund der langen Bauzeiten von 12-20 Jahren und der immensen Kosten das drängende Problem des Klimawandels nicht lösen. Deshalb muss aus ökologischen und sicherheitspolitischen Erwägungen die weltweite Förderung der Erneuerbaren Energien die Antwort sein. Dies wäre zugleich ein Innovations- und Auftragsmotor für die deutsche Wirtschaft.

Da es bei der Verbreitung der zivilen Nutzung der Atomkraft auch um Prestige geht, besteht die Aufgabe auch darin, das Image die Erneuerbaren Energien attraktiver als das der Atomenergie zu machen. Die Bundesrepublik kann bei dieser Überzeugungsarbeit eine wichtige Rolle spielen, wenn es am innerdeutschen Atomausstieg festhält. Denn Deutschland gilt als eine der technologisch fortschrittlichsten Nationen und somit als Vorbild. Ein konsequentes Umdenken in der Frage der weltweiten Energieversorgung anzustoßen, könnte der wertvollste Beitrag Deutschlands für eine atomwaffenfreie Welt sein.


Agnieszka Malczak ist abrüstungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Dossier

Atomwaffenfreie Welt oder atomare Anarchie?

Wie kann eine atomwaffenfreie Welt erreicht werden? Wie können die Krisen um die Atom-Programme im Iran und Nordkorea gelöst werden? Wie kann das globale Abrüstungs- und Rüstungskontrollsystem gestärkt werden? Antworten findes Sie in unserem Dossier.