Drohnen-Debatte: Der Staat als Guerillero?

Bewaffnete Predator Drohne schießt Hellfire-Rakete ab. Foto: Lance Mans Lizenz: Public Domain

20. Februar 2013
Joscha Schmierer
NBC News veröffentlichte vor kurzem (4.2.) ein internes Gutachten des US-Justizministeriums über die Gesetzeskonformität von tödlichen Drohneneinsätzen gegen operative Führungskräfte von al-Qaida oder ähnlichen Organisationen. Solche Einsätze sollen selbst dann rechtmäßig sein, wenn sie sich gegen amerikanische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger richten. Seither hat die Diskussion um diese neuartige Kriegsführung einen Schub erhalten. Bei den Erörterungen über die Berufung von John O. Brennan als CIA-Direktor spielt der Drohneneinsatz eine wichtige Rolle. Als Anti-Terrorismus-Berater des Präsidenten war er die treibende Kraft hinter dem Drohnenprogramm. Als CIA-Direktor wird er es weiter voranbringen können.

In einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung schreibt Nicolas Richter im Zusammenhang mit der Anhörung Brennans, Amerikas Drohnenprogramm sei unter Präsident Barack Obama außer Kontrolle geraten: „Die Zahl der Opfer liegt in den Tausenden, unter ihnen etliche Zivilisten, die mit dem Terrornetz al-Qaida nichts verbindet. Zudem fehlt auch im Wortsinn jede Kontrolle dieser Operationen. Noch nicht einmal die Fachausschüsse sind genau im Bilde über das, was die Drohnen anrichten und warum.“ (7.2.). Die Drohnen sind Exekutive pur. Mit ihnen scheint die Wunderwaffe im „Krieg gegen den Terrorismus“ endlich gefunden.

Asymmetrischer Krieg: Der unschlüssige Goliath

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde die Rede vom „asymmetrischen Krieg“ populär. Für Politikwissenschaftler wie Herfried Münkler wurden die neuen Kriege zum Forschungsthema. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk vom 22.8.2006 über sein Buch „Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie“ antwortete er auf die Frage, ob die Zukunft nur noch asymmetrische Kriege sehen werde: “Davon wird man ausgehen müssen“,  es sei „sozusagen die Erfindung, die Kreativität asymmetrischer Akteure, Methoden zu finden, Krieg zu führen, der billig ist, so dass sie nicht Flugzeugträger und Bombergeschwader und Satelliten, und was auch immer die Sache so teuer macht, brauchen, sondern tendenziell, wenn man es pointieren will, mit Teppichmessern am 11.9. in der Lage waren, die Supermacht in ihrem Herz zu verletzen.“

Den asymmetrischen Krieg wählen die militärisch Unterlegenen. Für die militärisch Überlegenen ist der asymmetrische Krieg dagegen sehr unangenehm. Die Kosten sind hoch, die Aussichten ihn zu gewinnen, eher gering. Ethisch wird Goliath oft schlechter aussehen als David. „Es wird mir keiner erzählen können“, meint Herfried Münkler in besagtem Interview, „dass er bei der Geschichte von David und Goliath in irgendeiner Weise um Goliath getrauert habe und gedacht hat, wie heimtückisch ihn der Kleine zu Fall gebracht hat.“ Für die militärisch Unterlegenen ist der asymmetrische Krieg eine Wahl, für den militärisch Überlegenen eine Notwendigkeit, der er sich kaum entziehen kann. Er wird also alles tun, um den asymmetrischen in einen symmetrischen Krieg umzuwandeln. Die Bush-Regierung und die Regierung von Barack Obama haben bei diesem Versuch zwei entgegengesetzte Wege eingeschlagen.

Der Weg der Bush-Regierung: „symmetrischer“ Krieg gegen Schurkenstaaten

Die Anschläge vom 11. September 2001 wurden in den USA und anderswo als kriegerischer Akt und Kriegserklärung an die zivilisierte Welt verstanden. Die Analogie zum japanischen Angriff auf Pearl Harbour wurde gelegentlich gezogen und zugleich dementiert. Schließlich war es kein Staat, der den Überfall durchgeführt hatte, sondern eine Gruppe nichtstaatlicher Akteure. Deshalb konnte der Angriff auch nicht ohne weiteres mit einem Gegenangriff auf einen feindlichen Staat beantwortet werden. Wie also vorgehen? Die Rede vom asymmetrischen Krieg drückte zunächst Überraschung und Ratlosigkeit aus. Da stand die „einzig verbliebene Supermacht“ mit ihrem Atomwaffenarsenal, mit ihren Raketen unterschiedlicher Reichweite, mit ihren Stealthbombern und Flugzeugträgern einem Feind gegenüber, den sie nicht recht zu fassen wusste.

Immerhin war bekannt, dass al-Qaida in Afghanistan über Ausbildungslager verfügte. So wurde staatlichen Akteuren, „Schurkenstaaten“, die eigentliche Verantwortung für den Terrorismus zugeschoben und versucht, al-Qaida auf dieser Fläche zu attackieren und zu vernichten. Der Krieg gegen das Talibanregime in Afghanistan wurde eröffnet, sobald es die Taliban abgelehnt hatten, al-Qaida vom afghanischen Territorium zu verbannen. Damit stellte es sich gegen den Sicherheitsrat der UN, der den USA das Recht auf Selbstverteidigung eingeräumt hatte. Die Taliban isolierten Afghanistan innerhalb der Staatenwelt. Auch auf afghanischem Staatsgebiet selbst war ihre Herrschaft nicht unbestritten. Die „Nordallianz“ hielt immer noch ein Rückzugsgebiet im Nordosten des Landes, das als Ausgangspunkt von Gegenoffensiven genutzt werden konnte. Daher musste der Angriff auf das Afghanistan der Taliban nicht unbedingt als Krieg gegen Afghanistan gelten, sondern konnte als Akt der Selbstverteidigung der USA in Afghanistan durchgehen. In dieser Lesart musste, um al-Qaida auszuschalten, das Regime gestürzt werden, das den Terroristen Heimstatt bot.

Der Bush-Regierung galt der Sturz der Talibanherrschaft als erste Phase des Krieges gegen den Terrorismus. Nach dem raschen Sieg wurde sofort der Krieg gegen den Irak vorbereitet, der dann im Frühjahr 2003 vom Zaun gebrochen wurde. Bei einem abermaligen raschen Erfolg sollte der Krieg gegen den Terrorismus in einer dritten Phase mit einem Angriff auf den Iran und dem Sturz des „Mullahregimes“ fortgesetzt werden.

Mit dem leichten Sieg in Afghanistan steigerten sich die USA nach dem Schock vom 11. September in militärischen Triumphalismus hinein. Das galt nicht nur für die Regierung, sondern auch für beachtliche Teile der Gesellschaft und viele Intellektuelle. Die USA waren „vom Mars“ und sie waren stolz darauf. Einer neugefassten Dominotheorie gemäß sollte ein Schurkenstaat nach dem anderen beseitigt und die Länder nach regime change auf die eigene Seite gezogen werden. Dem Terrorismus sollte Stück für Stück der Boden entzogen werden, indem die Regime der Schurkenstaaten gestürzt wurden. Diese Strategie wurde nie ganz ausformuliert und der Öffentlichkeit im Zusammenhang vorgestellt. Sie lässt sich aber aus den Taten der Regierung und aus Reden ihrer Vertreter und Berater erschließen, wenn man diesen Taten und Reden überhaupt einen nachvollziehbaren Gedankengang unterstellt. Es wurde davon ausgegangen, dass al-Qaida nur dank der Unterstützung von Schurkenstaaten zu Terrorakten, wie den Anschlägen vom 11. September, in der Lage sei. Also musste der Hauptschlag gegen die von den USA ausgemachten Schurkenstaaten geführt werden.

Wurde also einerseits versucht, al-Qaida in der Fläche zu bekämpfen, wurde doch andererseits zunächst kein Gedanke darauf verschwendet, wie denn das befreite Territorium der geschlagenen Schurkenstaaten gesichert werden könnte. „State building“ gehörte nicht zu den Programmpunkten der Bush-Administration. Entsprechend geriet der „Krieg gegen den Terrorismus“ schon in der zweiten Phase, mit dem Angriff auf den Irak, in größte Schwierigkeiten. Heute ist der Irak zerstückelt und vom Zerbrechen bedroht. Die inneren Widersprüche zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden verknüpfen sich mit dem großen Konflikt zwischen den arabisch-sunnitischen Golfstaaten und dem Iran. Gegenwärtig schürt dieser Konflikt den Bürgerkrieg in Syrien. Die Anschläge dort haben oft die gleichen Urheber wie die im Irak. In dieser Konfliktlage gären der alte Ost-Westkonflikt und der neue Konflikt mit China.

Die Tatsache aber, dass die USA sich sehr schnell nach dem Sturz des Talibanregimes der „zweiten Phase“ des Krieges gegen den Terrorismus zuwandten, hatte schon in Afghanistan die Unterstützung und Sicherung der notwendigen Staatsbildungsprozesse geschwächt.

Die amerikanische Strategie, den Krieg gegen den Terrorismus in der Fläche zu gewinnen und dem Terrorismus mit Schurkenstaat für Schurkenstaat den Boden zu entziehen, ist wohl gescheitert. Einerseits unterschätzten die USA die Dynamik der inneren Widersprüche, die durch den Sturz der Taliban und Saddam Husseins freigesetzt wurden, andrerseits überschätzten sie ihre Fähigkeit, durch Demonstration überlegener militärischer Macht die Kontrolle über das Staatsgebiet der gestürzten Regime zu garantieren.

Wenn man vom Konzept des asymmetrischen Krieges ausgeht, kann man sagen, dass die USA eine ganze Zeit lang die Nachteile einer großen Macht im Kampf gegen einen schwächeren, aber schwer fassbaren Feind dadurch auszugleichen versuchten, dass sie den Krieg in erster Linie gegen Staatsregime führten, denen sie zu Recht oder zu Unrecht unterstellten, sie förderten auf ihrem Territorium terroristische Aktivitäten gegen die USA und den Westen. Sie versuchten so, den asymmetrischen Krieg gegen Al Qaida als einen im Prinzip symmetrischen Krieg gegen Schurkenstaaten zu führen, in dem sie ihre überlegenen Machtmittel wirksam einsetzen konnten.

Der Weg Obamas: Die Drohne als Skalpell

Unter der Präsidentschaft Obamas bevorzugen die USA nun eine andere Form der Symmetrierung des asymmetrischen Krieges. Sie ziehen ihre konventionellen Streitkräfte aus der Fläche zurück und setzen stattdessen auf die möglichst lückenlose Beobachtung aus der Luft, um mit gezielten Schlägen einzelne Terroristen und Terroristengruppen zu vernichten. Sie machen sich dabei die Methoden ihrer Feinde zu eigen. Sie reden nicht über ihre Pläne und legen sie allenfalls dann offen, wenn sie Erfolg hatten. Dass Bild aus dem Weißen Haus, auf dem Präsident und seine engste Mannschaft die Aktion zur Liquidierung von Osama bin Laden verfolgen , hätte man sicher nicht so schnell zu sehen bekommen, wenn die Aktion schief gegangen wäre. Bei diesem Einsatz gegen den prominentesten Verantwortlichen für die Anschläge vom 11.9.2001 waren Drohnen nur bei der Beobachtung im Einsatz und die eigenen Kämpfer mussten vor Ort sein und die Beweise sichern. Ansonsten kann man sich auf die Drohnen verlassen. Ihr Waffeneinsatz muss breitenwirksam genug sein, um das Ziel auch dann nicht zu verfehlen, wenn sich in dem ausgekundschafteten Haus mehr als die eigentliche Zielperson aufhalten. Wie man sich in den USA niemals sicher sein kann, wann und wo ein neuer Anschlag Erfolg haben könnte – das ist die eigentliche Absicht der Terroristen - , so sollen sich tatsächliche, potentielle und selbst nur vermeintliche Terroristen niemals sicher sein, ob sie nicht eben in diesem Moment Ziel eines Drohnenangriffes sind. Tatsächliche, potentielle oder vermeintliche Terroristen und ihre Umgebung sollen keine Ruhe finden. Der Staat versucht mit gezielten Stichen unter den Terroristen Furcht und Schrecken zu verbreiten. Die Drohne ist sein Teppichmesser oder, wie Berater Brennan es nennt, sein Skalpell. Der asymmetrische Krieg wird auf andere als die von Bush gewählte Variante symmetrisch angelegt.

Auch Obama versucht sich also aus der Asymmetrie des Krieges gegen den Terrorismus zu befreien. Selbst wenn man seine Variante situativ für vertretbar hält, bleibt zu fragen, was dabei mit dem Staat passiert? Gewaltenteilung futsch! Exekutive als Exekution! Entstaatlicht der Staat sich damit nicht selbst, zumindest als Rechtsstaat? Ja, in diese Gefahr gerät er. Er liefert sich selbst der terroristischen Logik des Terrors aus. Hier von einem „kleineren Übel“ zu sprechen, ist ein Euphemismus. „Die Asymmetrie der Kriegsführung lässt uns keine andere Wahl“, heißt es in einem Kommentar von Ulli Kulke in der Welt (16.2.) Damit verfehlt Kulke die Pointe: Mit den Drohnen wird der asymmetrische in einen symmetrischen Krieg verwandelt, ohne dass sich an den prinzipiellen Machtunterschieden der Feinde etwas ändert. Die „einzig verbliebene Supermacht“ greift zum Teppichmesser.

Joscha Schmierer

Jeden Monat kommentiert Joscha Schmierer aktuelle außenpolitische Themen. Der Autor, freier Publizist, war von 1999 – 2007 Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts.