Nachruf auf Carlo Jordan: Du hast doch noch gar nicht zu Ende erzählt!

Nachruf

Am 13. Dezember 2023 starb der frühere DDR-Bürgerrechtler und Mitbegründer der Grünen Carlo Jordan. Wir trauern um den selbst ernannten „Eremit von Boitzenburg“.

Porträt von Carlo Jordan in Schwarz-Weiß. Auf dem Bild ist er mittelalt, trägt wuscheliges kurzes Haar und einen kurzen Vollbart. Er schaut direkt in die Kamera.

Wenn man unvermutet mit Carlo zusammentraf, dann musste man mit einer intensiven Lektion in Philosophie rechnen. Vor allem, wenn er einen Kollegen vom Fach vor sich wusste. Das konnte dann zwischen Husserl, Heidegger und Adorno hin und hergehen und bis zu Wittgenstein reichen.

Carlo Jordan ein Freizeitphilosoph? Vielmehr als das.

Er hatte viele Leidenschaften und war immer für Überraschungen gut. Wer einen begnadeten Haushandwerker suchte oder eine fundierte Beratung in Sachen Gebäudesanierung und Gebäudestatik, der war bei ihm richtig.

Mit all seinen Fähigkeiten und Talenten, hätte der 1951 als Sohn einer Bäckerfamilie geborene, als Zimmermann und Bauingenieur Ausgebildete einen komfortablen Nischenplatz in der Honecker-DDR finden können. Das ließen seine Selbstachtung und seine Natur nicht zu. Er protestierte 1976, als die Staatsmacht eine Verleumdungskampagne gegen Pastor Oskar Brüsewitz startete, der sich selbst verbrannte. Im gleichen Herbst beteiligte er sich an den Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns. Das reichte zur kurzfristigen Verhaftung, Einstufung als Sicherheitsrisiko und Berufsverbot als Bauleiter. Ähnlich endete sein Fernstudium der Philosophie und Geschichte an der Humboldt-Universität. Als er Sympathien mit der polnischen Solidarność zeigte, wurde er zwangsexmatrikuliert.

Der Osten des Kontinents hatte ihn früh angezogen. Illegal reiste er durch große Teile der Sowjetunion. Später sollte er seine Reiseabenteuer in „Unerkannt durch Freundesland“ festhalten.  

Was blieb war die „Karriere“ als Oppositioneller und Umweltaktivist. Als Mitbegründer der Umweltbibliothek und später des grün-ökologischen Netzwerks Arche wurde seine Wohnung in der Fehrbelliner Straße, in unmittelbarer Nachbarschaft weiterer umtriebiger Staatsfeinde,  zum Zentrum ungezählter Treffen und Aktionen, die den Aufbruch von 1989 begleiteten. Während auf der Straße, die Wagen des Ministeriums für Staatssicherheit parkten, wurde dort das Ende des Systems vorbereitet. Auf den zahlreichen Fotos der überwachenden Staatssicherheit aus dieser Zeit sehen wir einen aufrechten und immer schmunzelnden Carlo Jordan.

Die Mitarbeit am Großen Runden Tisch und die Mitbegründung der Grünen Partei sahen Carlo beim Sprung in die Politik. Mit dem Bundesverdienstkreuz wurde er 2019 für seine Verdienste geehrt.

Eine Leidenschaft war die alte Ziegelei in der Uckermark, die er noch in den achtziger Jahren zum alternativen Refugium ausbaute. Der „Eremit von Boitzenburg“ als den er sich selbst bezeichnete, war ein sehr geselliger Eremit, denn es wimmelte dort von Tieren aller Art, vielfältigen Freunden und Bekannten.

Vor zwei Jahren ist er schwer erkrankt, hat aber auch dies überstanden und fand die Lust am Leben wieder, sprühte vor Ideen und Einfällen, fuhr Fahrrad, reiste und saß als erzählender Generalist regelmäßig am Stammtisch.

Jetzt hat er eine letzte Reise angetreten, aber er wird in jeder unserer Runden weiter mit am Tisch sitzen. Mach´s gut Carlo.