Kenia: Welchen Preis zahlt die LGBTIQ-Community für ihren Kampf gegen Diskriminierung?

Interview

Uganda hat ein Gesetz verabschiedet, das die Verfolgung queerer Menschen verschärft und in Kenia kommt es zu Hass-Botschaften und Aufrufen zur Gewalt. Ein Gespräch mit Annette Otieno von der Nationalen Kommission für die Menschenrechte von Schwulen und Lesben (NGLHRC).

Hand mit Regenbogen-Fahne

Die Situation für queere Menschen spitzt sich in einigen afrikanischen Ländern weiter zu. In Uganda hat das Parlament am Dienstag, 21. März 2023, ein Gesetz verabschiedet, das die Verfolgung queerer Menschen in dem ostafrikanischen Land noch verschärft. Menschen, die homosexuelle Handlungen vollziehen, gleichgeschlechtliche Beziehungen eingehen oder Versuche homosexueller Handlungen nicht melden, müssen fortan mit Haftstrafen zwischen sieben und zehn Jahren oder hohen Geldstrafen rechnen. Gleiches gilt für Menschen, die sich als Mitglieder der LGBTIQ-Community bezeichnen. Die Abkürzung (Englisch: Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex Queer) steht für lesbische, schwule, transsexuelle, transgender, intersexuelle und queer lebende Personen und Lebensweisen.

Aber auch in Kenia verschärft sich die Lage. Dabei hätte es ein strahlender Erfolg für die queere Community sein können. Am 24. Februar 2023 hat der Oberste Gerichtshof des Landes ein weiteres Mal seine politische Neutralität bewiesen. Er hat einer Klage der Nationalen Kommission für die Menschenrechte von Schwulen und Lesben (NGLHRC) stattgegeben, sich unter diesem Namen als NGO registrieren zu dürfen. Zehn Jahre zuvor hatte die zuständige NGO-Koordinierungsstelle den entsprechenden Antrag abgelehnt, weil der Titel die beiden Worte „schwul“ und „lesbisch“ enthält.

Die Kommission arbeitete trotzdem weiter gegen Gewalt, Diskriminierung und andere Menschenrechtsverletzungen, die regelmäßig gegen die LGBTIQ-Community in Kenia verübt werden. In ihrer bahnbrechenden Entscheidung vom 24. Februar erklärten die Richter*innen nun, das Recht auf Vereinigungsfreiheit stehe gemäß der Verfassung von 2010 der LGBTIQ-Community als Menschenrecht zu, unabhängig davon wie dies die kenianische Gesellschaft sehen mag.

Doch kaum war das Urteil öffentlich geworden, brach on- und offline eine Welle von Hass-Botschaften und Aufrufen zu Gewalt gegen LGBTIQ-Personen los. Es entstand eine Atmosphäre gesellschaftlicher Hetze, in der Politiker*innen, religiöse Institutionen und Führungspersönlichkeiten, Künstler*innen gezielte Desinformation betrieben. Präsident William Ruto fühlte sich sogar bemüßigt, öffentlich zu beteuern, dass gleichgeschlechtliche Ehen überall, jedoch nicht in Kenia existieren könnten. Ein Parlamentsabgeordneter aus dem Bezirk Homa Bay forderte lebenslange Haftstrafe für LGBTIQ-Personen. Die queere Community muss ihren hart erkämpften juristisch-politischen Erfolg also mit Anfeindung, Verfolgung und Verunglimpfung bezahlen. Die Hetzkampagne geschieht in einer Zeit besonderer ökonomischer Härten und Preissteigerungen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sie ein Ablenkungsmanöver von wirtschaftlichen Problemen sein soll.

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat mit Annette Otieno, Kommunikationsmanagerin der Nationalen Kommission für die Menschenrechte von Schwulen und Lesben (NGLHRC) gesprochen.

 

Heinrich-Böll-Stiftung: Frau Otieno, können Sie die Reaktionen auf das Urteil des Obersten Gerichts beschreiben?

Annette Otieno: Hauptsächlich homophobe Hassrede im Internet, aber wir haben auch gerade am Freitag eine Demonstration in Mombasa mit Aufrufen zu Gewalt gesehen. Das hat zu einem Anstieg von Gewalt gegen LGBTIQ-Personen in Kenia geführt. LGBTIQ-Organisationen erfahren über ihre Hotlines von einer wesentlich höheren Zahl von Gewaltfällen als vorher. NGLHRC allein hat im Februar 117 Fälle im Vergleich zu ca. 70 Fällen vor dem Urteil registriert. Aber das ist nur NGLHRC. Andere Organisationen verzeichnen ähnliche Anstiege, z.B. die Gay and Lesbian Coalition of Kenya (Galck+).

Was genau hat sich in Mombasa ereignet?

Am 17. März fand eine Demonstration statt, zu der Religionsführer, islamische aber auch andere, aufgerufen hatten. Mit Aufrufen zu Gewalt gegen queere Menschen bis hin zu Drohungen von Lynchjustiz in sogenannten Gay Clubs. Demonstranten haben detailliert beschrieben, welche Art von Verletzungen sie LGBTIQ-Menschen zufügen würden. Mombasa and Homa Bay (im Westen des Landes) sind besonders schlimm für queere Menschen.

Auch haben zahlreiche Büros von Menschenrechts- und anderen Initiativen insbesondere in der Küstenregion um Mombasa geschlossen. So haben Anwohner in Mombasa mit einer öffentlichen Petition die Schließung einer Beratungsorganisation für Männer, die Sex mit Männern haben (MSN), erzwungen. Dort gab es schon vor dem Urteil des Obersten Gerichts eine sogenannte „Anti-LGBTIQ-Bewegung“. Die Reaktionen auf das Urteil haben dieser „Bewegung“ Auftrieb gegeben. Alle Büros im gesamten Land sind in einer Art Alarmbereitschaft, viele schließen und arbeiten von zu Hause.

Und im Westen des Landes?

Der Parlamentsabgeordnete aus dem County Homa Bay an der Grenze zu Uganda, Peter Kaluma, ist seit längerem für seine homophobe Hetze bekannt. Er hat angekündigt, ein sogenanntes Anti-LGBTIQ-Gesetz in das Parlament einzubringen.

Wie verhält sich die der Regierung?

Ich bin der Meinung, dass sie nicht genug tut. Der Präsident hat angefangen, über gleichgeschlechtliche Heirat zu sprechen. Darum geht es nicht. Das Gericht hat dieses Urteil nicht zu diesem Thema verfasst. Als Präsident sollte er das natürlich wissen. Er hat am Montag (20. März) den Obersten Gerichtshof aufgerufen, das Urteil zu überarbeiten, beziehungsweise den Generalstaatsanwalt in dieser Hinsicht beauftragt. Das ist ein Fall von gezielter Desinformation. Nochmal, es geht im Moment nicht um gleichgeschlechtliche Ehe, sondern um die Registrierung einer NGO mit den Worten „schwul“ und „lesbisch“ im Titel.

Die Regierung versucht mit dieser Haltung die Unabhängigkeit der Justiz zu beeinträchtigen. Sie belehrt die Justiz öffentlich und versucht ihr vorzuschreiben, wie sie Urteile fällen sollte. Das gefährdet in der Konsequenz andere Klagen und Eingaben, die wir vor den Gerichten haben. Die Politik versucht quasi die Gerichtsbarkeit durch öffentliche Meinung zu ersetzen. Wenn dann unsere Klagen, mit denen wir Verfassungsrechte einfordern, vor die Gerichte kommen, sind die Richter*innen bereits mit einem enormen öffentlichen Druck konfrontiert.

Die Regierung sollte sich stattdessen klar gegen Diskriminierung positionieren, wie es in der Verfassung festgelegt ist.

Welche Rolle spielen die religiösen Vereinigungen?

Besonders die evangelikalen Kirchen, aber auch die anglikanische und die katholische Kirche, haben das Urteil sehr scharf kritisiert. Sie verbreiten in ihren öffentlichen Stellungnahmen gezielte Desinformation. Auch sie haben das Thema der Ehe in den Mittelpunkt gestellt. Einer ihrer Slogans ist: Wie kann Illegalität - gemeint ist Homosexualität - legal sein? Dabei kriminalisiert das Gesetz „homosexuelle Akte“ und nicht homosexuelle Identität. Der Rat der evangelikalen Kirchen hat explizit schärfere Gesetze gefordert, um queere Menschen zu bestrafen. Religiöse Führungspersönlichkeiten und Gruppen sind an vorderster Front, wenn es um Aufrufe zu Gewalt geht und um Diskriminierung und Stigmatisierung von LGBTIQ-Personen. 

Im Moment scheint es Kampagnen zur Diskriminierung und Kriminalisierung in der gesamten Region Ostafrika zu geben. Ist da eine koordinierte Aktion am Werk?

Ich glaube nicht, dass das Zufall ist. In Kenia und Uganda sind auf jeden Fall religiöse Führungspersönlichkeit an vorderster Front. Und in Kenia stellt sich der Präsident als religiöse Person dar. Wir können nicht mit Bestimmtheit sagen, dass hier etwas koordiniert wird, aber es gibt Hinweise, dass so etwas wie christlicher Fundamentalismus eine Rolle spielt.

Was bedeutet diese Situation jetzt für NGLHRC. Können Sie weitere Klagen zur Ächtung von Diskriminierung und Kriminalisierung auf den Weg bringen?

Wir haben bereits eine Klage vor dem Berufungsgericht anhängig. Gegen die Kriminalisierung von einvernehmlichem gleichgeschlechtlichen Kontakt. Wir haben keinerlei Absicht, von dieser Klage in irgendeiner Form zurückzutreten. Aber wir befürchten, dass der Druck der öffentlichen Meinung enorm sein wird und hoffen, dass die Beratungen der Justiz dann in einer etwas ruhigeren gesellschaftlichen Lage stattfinden können.

Die Ende Februar beschiedene Klage auf das Recht der Registrierung war übrigens der erste strategisch-juristische Fall, den wir 2013 vor Gericht gebracht haben. Und 2018 haben wir unsere Klage gegen erzwungene Analtests gewonnen.