Warum ist Meinungsvielfalt in den ÖRM so wichtig? Wenn man die ÖRM abschaffen würde, was dann?

Hintergrund

Die Öffentlich-Rechtlichen Medien müssen Meinungsvielfalt transportieren - auch von und für Minderheiten. Das oder ein voll ausgebautes Nachrichtenangebot könnten kommerzielle Medien nicht finanzieren.

Grafische Darstellung der Meinungsvielfalt

Die Öffentlich-Rechtlichen Medien sollen die Bandbreite an Meinungen im Programm abbilden. Private Angebote könnten die Aufgaben der Öffentlich-Rechtlichen Medien nie vollständig übernehmen, weil viele Bereiche nicht kommerziell finanzierbar sind.

Nach der gängigen Theorie garantiert der Pressemarkt inhaltliche Vielfalt durch eine Vielzahl unterschiedlicher Titel mit unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Ausrichtungen, zwischen denen die Menschen wählen können. Weil es zunächst technisch deutlich weniger Rundfunkangebote als Zeitungstitel geben konnte, setzte man diesem „Außenpluralität“ genannten Konzept bei den Öffentlich-Rechtlichen Medien die „Binnenpluralität“ gegenüber. So sollen die Öffentlich-Rechtlichen die ganze Bandbreite gesellschaftlicher Meinungen im Programm abbilden.

Hierbei sind natürlich nicht einzelne Sendungen, sondern das jeweilige Gesamtangebot einer Anstalt gemeint. Dies heißt auch nicht, dass sich die Journalisten oder Moderatorinnen der Öffentlich-Rechtlichen Medien eigener Meinungen im Programm enthalten müssen. Kommentare sind vielmehr Bestandteil vieler Nachrichtenangebote oder politischer Magazine. Doch auch sie müssen dem Anspruch der Meinungsvielfalt genügen.

Ein Teil des Angebots Öffentlich-Rechtlicher Medien gibt es – wenn auch oft in anderer Form und Aufmachung – schon heute im privaten Sektor: Unterhaltungsshows, fiktionale Formate wie Krimis und Serien, Sportübertragungen, Serviceprogramme. Diese lassen sich zumindest in so großen Teilen durch Werbung und/oder Abos am Markt refinanzieren, dass sich das für die Unternehmen lohnt. Ganz anders sieht es beim Kern der öffentlich-rechtlichen Angebots aus: Für qualitativ hochwertige Nachrichten und journalistische Hintergrundbeiträge oder weite Teile des Bereichs Kultur und Bildung wird sich bei kommerziellen Anbietern kein Ersatz finden, da sich diese Angebote am Markt kaum monetarisieren lassen. Dies gilt erst recht für Bereiche wie Chöre und Orchester oder ein umfassendes Korrespondentennetz im In- und Ausland. Das schließt einzelne vergleichbare Angebote bei privaten Medien, die aus Prestigegründen oder aufgrund medienrechtlicher Auflagen existieren, nicht aus. Aber dass ein privatwirtschaftlich organisiertes Angebot ein öffentlich-rechtliches auch nur annähernd vollständig kompensiert, ist schon durch die marktwirtschaftliche Logik ausgeschlossen.

Zudem bedeutet Werbefinanzierung für die privaten Sender eine Abhängigkeit und Einflussnahme, wie sie die überwiegend werbefreien Öffentlich-Rechtlichen Medien nicht kennen. Daher kommt den Öffentlich-Rechtlichen Medien gerade bei der Garantie von Meinungsvielfalt künftig eine noch wichtigere Rolle zu. Abnehmende Pressevielfalt, gerade bei Regional- und Lokalzeitungen, zeigt, dass das Prinzip „Außenpluralität“ an seine Grenze stößt. Im Netz geht der Trend zudem zu immer mehr Meinungsmacht von Intermediären wie Suchmaschinen und Sozialen Medien. Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben gezeigt, wie schnell Meinungsvielfalt auf der Strecke bleibt und durch gesteuerte Meinungsmache überdeckt wird.

In der aktuellen Reformdebatte wird diskutiert, dass die Öffentlich-Rechtlichen Medien sich mit Blick auf die präsentierten Meinungen breiter aufstellen und stärker die Lebenswirklichkeit der Menschen berücksichtigen müssen. Die Politik hat daher ihren Auftrag um den Punkt „Dialog mit dem Publikum“ ergänzt, der bei vielen Häusern aber noch nicht konsequent umgesetzt ist.

Die zunehmende Lagerbildung seit Beginn der Covid-19-Pandemie hat bei einem Teil der Bevölkerung das Vertrauen in die Medien sinken lassen - zumindest, wenn es um das Reizthema Corona geht. Laut der Studie „Journalismus und Demokratie“ des Instituts für Journalistik an der TU Dortmund sind 41 Prozent der Bevölkerung der Meinung, die „Glaubwürdigkeit des Journalismus habe durch die Corona-Berichterstattung abgenommen“. Dass sich die Glaubwürdigkeit in der Pandemie erhöht habe, sagen dagegen nur 8 Prozent. Dem widersprechen allerdings die Nutzungszahlen. In der Pandemie haben die klassischen Medien wie die Öffentlich-Rechtlichen und die Tageszeitungen hohe Zuwachsraten erzielt.

In der aktuellen Reformdebatte geht es auch darum, durch eine breite gesellschaftliche Diskussion über eine Neuordnung der Öffentlich-Rechtlichen Medien für eine stärkere Akzeptanz zu sorgen. Dazu hat die Politik jetzt einen „Zukunftsrat“ eingesetzt, der Leitplanken für die nächste zehn Jahre entwickeln soll.

 


Von Steffen Grimberg

Cover Öffentlich-Rechtliche Medien

Volker Grassmuck, sehr guter Kenner von Medienlandschaft und -politik, gibt per Frage & Antwort eine Übersicht über Aufgaben und Funktionsweise der Öffentlich-Rechtlichen Medien. Neben den guten Gründen für deren Fortbestand erläutert er auch den Reformbedarf.

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