Pavel übernimmt: Der neu gewählte Präsident ist nicht nur für Tschechien eine gute Nachricht

Analyse

Die Tschechinnen und Tschechen haben Ende Januar den ehemaligen NATO-Militärstabschef Petr Pavel zum neuen Präsidenten gewählt. Im Gegensatz zum Populisten und Russland- und Chinafreund Zeman steht das neue Staatsoberhaupt für einen klaren pro-europäischen und -transatlantischen Kurs. Was heißt das für das mittel- und osteuropäische Land, seine europäischen Partner und die Ukraine? Und kann der Sieg Pavels als Blaupause für andere Länder mit Populisten an der Spitze dienen?

Porträt von Tschechiens neuem Präsidenten: Petr Pavel
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Der neue Präsident Tschechiens Petr Pavel - hier bei einem Treffen im Jahr 2015.

Die Mehrheit der tschechischen Gesellschaft konnte am letzten Samstag im Januar erleichtert durchatmen, als bei der Stimmauszählung der Balken von Peter Pavel immer weiterwuchs und ihre Hoffnung im Laufe des Nachmittags zur Gewissheit wurde: der neue Staatspräsident wird nicht Andrej Babiš heißen. Die Präsidentschaft des mehrfach strafrechtlich verfolgten Oligarchen, Gründers und Vorsitzenden der populistischen Partei ANO und ehemaligen Premierministers Babiš zu verhindern, sei auch eine wichtige Motivation für den ehemaligen NATO-General gewesen, sich für das Amt zu bewerben. Das ist Pavel eindeutig gelungen: Mit über 58 Prozent der Stimmen besiegte er Babiš in der Stichwahl deutlich.

Mit dem Ende des Präsidentschaftswahlkampfs konnte das ganze Land aufatmen – schon deshalb, weil die schmutzige Kampagne vorbei war, die wochenlang mit Lügen und Drohkulissen den öffentlichen Raum vergiftete: von der Falschmeldung, Pavel sei verstorben, über eine Patrone, die Babišs Ehefrau im Briefumschlag zugestellt bekommen haben soll, bis zur Verbreitung von gefälschten SMS, in denen Pavel seine Wähler:innen dazu aufrief, sich bei der tschechischen Armee als Einrücker in den Ukraine-Krieg zu melden. Um die Behauptung, Pavel wolle das Land in den Krieg hineinziehen, drehte sich auch Babišs Kampagne vor der Stichwahl und nutzte somit die Ängste vieler Bürger:innen aus.

Von Orbán siegen lernen – und verlieren

Eine Stimme für Babiš als Garantie für den Frieden, sein Konkurrent als gefährlicher Kriegstreiber: Diese Wahlkampfrethorik dürfte jedem bekannt vorkommen, der die Parlamentswahlen in Ungarn 2022 verfolgte. Nicht nur der ungarische Hintergrund von Babišs Wahlkampfmanagerin Tünde Bartha lässt vermuten, dass er sich bei seiner Kampagne von Viktor Orban inspirieren ließ. Im Gegensatz zum ungarischen Premierminister stellte sich jedoch kein Erfolg ein – nur 6 Prozent von Babiš Wähler:innen erklärten, ihm seine Stimme gegeben zu haben, weil sie ihn als Garantie für den Frieden sehen würden. Der Misserfolg einer agressiv-populistischen Kampagne, die auf das Schüren von Kriegsängsten setzt, ist eine gute Nachricht und zugleich ein Warnzeichen für alle, die in Zukunft Strategien aus Orbans Playbook kopieren wollten. Tschechische Wähler:innen schätzten im Gegenteil den nicht-konfrontativen, ruhigen und sachlichen Kommunikationsstil Pavels und gaben ihm laut Umfragen ihre Stimme, weil er das Land gut nach außen repräsentieren werde, anständig und intelligent sei und Erfahrungen mit Außenpolitik habe.

Auch Babišs schockierende Ansage in einer Wahldebatte, im Falle eines Überfalls auf ein NATO-Mitgliedsland würde er keine Soldaten zur Hilfe schicken, wird ihm eher Kritik als Punkte eingebracht haben – schließlich hat er damit die NATO-Partner vor den Kopf gestoßen und potenziell ihre Bereitschaft geschwächt, Tschechien im Notfall militärisch unter die Arme zu greifen. Die Schlussfolgerung, dass weder das Budget noch die Aggressivität einer Wahlkampagne ihren Erfolg garantieren, muss aber nicht unbedingt für andere Länder der Region, nicht einmal für andere Wahlen in Tschechien gelten. In einer direkten Präsidentschaftswahl spielt die Persönlichkeit des Kandidaten oder der Kandidatin eine entscheidende Rolle und die meisten Wähler:innen wissen, dass der Präsident vor allem eine repräsentative Figur ist, die nicht über die Höhe der Renten, Steuer- oder Gesundheitspolitik entscheidet. Eine gewisse staatsmännische Ruhe und Besonnenheit kommt dabei gut an – alles Qualitäten, mit denen Babiš nicht gerade gut ausgestattet ist.

Wenn eine Lehre aus der Präsidentschaftswahl gezogen werden kann, wie man Populisten besiegen kann, wäre es wohl diese: mit einer reinen Anti-Kampagne kommt man gegen sie nicht an. Die Menschen wollen nicht nur gegen, sondern für etwas ihre Stimme abgeben: wenn schon nicht für eine positive Vision für ihr Land, dann wenigstens für eine sympatische Persönlichkeit, die mit ihren Qualitäten und Kompetenz überzeugt. Das erstere hat in dieser Wahl leider weitgehend gefehlt – die Vergangenheit und Reputation der ursprünglich neun Kandidat:innen standen lange im Vordergund der Debatten, bei wichtigen Zukunftsthemen wie dem Klimawandel oder der sozialen Gerechtigkeit blieb es eher bei wagen Statements. Trotzdem gaben über 66 Prozent der Pavel-Wähler:innen nach der Wahl an, ihre Stimme eher für ihn als gegen Babiš abgegeben zu haben. Der Wunsch, ihren Kandidaten zu unterstützen, dürfte auch dazu beigetragen haben, dass über 70 Prozent der Menschen zur Wahlurne gekommen sind – eine der höchsten Wahlbeteiligungen in der Geschichte des Landes. Anders vor fünf Jahren: Als der eher blasse Universitätsprofessor Jiří Drahoš gegen den amtierenden Präsidenten Miloš Zeman antrat, gaben ihm seine meisten Wähler:innen ihre Stimme, um die Wiederwahl von Zeman zu verhindern. Das Ergebnis: Zeman holte einen weiteren Sieg.

Außenpolitik von der Prager Burg: Eine 180-Grad-Wende

Die Kontraste zwischen Staatspräsident Zeman und dem neu gewählten Präsidenten Pavel könnten kaum größer sein: Auf der einen Seite der ehemalige Premierminister und Vorsitzende der Sozialdemokraten, der selbsternannte Volkstribun, der Journalisten beleidigt, chauvinistische Sprüche von sich lässt und gegen Geflüchtete hetzt. Auf der anderen ein Ex-Militär, der nie ein politisches Amt innehatte, für seine Kandidatur Unterschriften sammeln musste und den bis dahin viele nicht kannten, ein stets höflich, elegant und fast bescheiden wirkender Mann.

Doch in kaum einem Politikbereich fallen die Unterschiede zwischen dem scheidenden und dem neu gewählten Präsidenten jedoch so stark ins Auge wie in der Außenpolitik. Zeman umgab sich in seinem Amtssitz auf der Prager Burg mit einer Lobby-Clique, die enge Beziehungen nach Russland und China pflegte und stellte diese Länder als wichtige Partner Tschechiens dar. Damit hat er nicht nur in vielen Situationen die außenpolitische Linie Tschechiens konterkariert, die vor allem die Regierung vorgeben soll, sondern hat das Land für seine Partner als schwer lesbar und bedingt verlässlich erscheinen lassen. Davon setzt sich Pavel nun deutlich ab: Eine seiner ersten Amtshandlungen als gewählter Präsident war es, mit der Premierministerin von Taiwan zu telefonieren und sich in einem Interview für die Financial Times kritisch über China zu äußern. Damit ist er nicht nur auf Regierungslinie, sondern es könnte sogar sein, dass er sie in der Deutlichkeit seiner Positionierung künftig noch etwas vor sich hertreibt. Bisher deutet alles darauf hin, dass er das Kriegsbeil zwischen Regierung und Prager Burg vergraben will – die Stimmung in der Pressekonferenz nach dem ersten Zusammentreffen Pavels mit Premierminister Fiala, der Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses Pekarová-Adamová und dem Senatsvorsitzenden Vystrčil war ausgesprochen harmonisch. Keine Zweifel bestehen daran, dass der ehemalige NATO-General für eine enge europäische und transatlantische Partnerschaft steht.

Nach der als erfolgreich wahrgenommenen tschechischen EU-Ratspräsidentschaft dürfte eine klar ausgerichtete und verständliche Außenpolitik die Zusammenarbeit des Landes mit seinen westlichen Partnern erleichtern und sein außenpolitisches Gewicht vergrößern. Für die Ukraine bedeutet dies eine Aussicht auf weitere Unterstützung – sei es politisch, mit Waffenlieferungen oder bei der Versorgung der Geflüchteten. Nicht ohne Grund gehörte Wolodymyr Selenskyj zu den ersten Staatsoberhäuptern, die Pavel in den sozialen Medien gratulierten.

Babiš: der Anfang vom Ende, oder nur Verschnaufpause?

„Es sieht so aus, als würden wir den Anfang vom Ende der politischen Ära von Andrej Babiš erleben“, kommentierte Premierminister Petr Fiala den Ausgang der Präsidentschaftswahlen. Pavels Konkurrent selbst sieht das anders: In seiner Pressekonferenz nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse erkannte Babiš zwar seine Niederlage an, sprach jedoch von einem „herausragenden Erfolg“ für sich und seine ANO-Partei. So habe er weit mehr Wählerstimmen erhalten, als alle Parteien der aktuellen Regierungskoalition zusammen. Nur ein rhetorisches Manöver, um seinen Misserfolg zu verschleiern? Einige Analysten haben bereits vor der Wahl vermutet, dass Babiš gar nicht Präsident werden will, sondern bereits die nächsten Parlamentswahlen 2025 im Blick hat, aus denen er wieder als Premierminister hervorgehen will. Zwar ist seine Rechnung zweifelhaft – eine Stimme für ihn bedeutet alles andere als automatisch eine Stimme für ANO, außerdem kann sich in den zwei Jahren bis zu den Wahlen sehr viel ändern. Trotzdem könnte vor allem bei früheren Nichtwähler:innen, die Babiš nun ihre Stimme gaben, die Hürde kleiner geworden sein, nächstes Mal seine Partei zu unterstützen. Die Rückkehr von Babiš an die Spitze der tschechischen Politik ist also noch lange nicht ausgeschlossen.

Was können Pavel und die aktuelle Regierung tun, um Babiš endgültig in die politische Rente zu schicken? Pavels Rede nach der Verkündung seines Siegs deutet darauf hin, dass er es verstanden hat, dass er nicht nur der Präsident seiner Wähler:innen, sondern auch der Babiš-Unterstützer:innen und all derer werden muss, die nicht zur Wahlurne erschienen sind. Wenn er von Zeman etwas übernehmen sollte, sind es gewiss die vielen Reisen in verschiedene, auch entlegene und sozial abgehängte Regionen des Landes und Gespräche mit den dort lebenden Bürger:innen. Ihren Sorgen sollte er nicht nur ein offenes Ohr schenken, sondern sie auch mit nach Prag nehmen und auf die politische Agenda setzen: in Medieninterviews, in Gesprächen mit Regierung und Parlament, in seinem eigenen Haus. Die stärkste politische Karte von Babiš war, dass es ihm teilweise gelungen ist, sich als Repräsentant der ökonomisch schwächeren, vulnerablen Bevölkerungsgruppen von den äußeren und inneren Peripherien des Landes zu verkaufen, die sich von den Prager Eliten übersehen und nicht vertreten fühlen.

Die gegenwärtige politische Führung des Landes darf nicht vergessen, dass Politik nicht nur ein „Kampf zwischen Gut und Böse“ ist, wo sie sich selbst eindeutig auf der ersteren und Babiš auf zweiten Seite verorten, sondern auch Repräsentation und Interessensvertretung. Während ein Großteil der Tschech:innen stark unter steigenden Preisen für Lebensmittel, Energie und Wohnen bei gleichzeitig stagnierenden Gehältern leidet, sind im Parlament keine linken Parteien vertreten: eine Riesenchance für Babiš, der auf die Wähler:innen von dieser Seite des politischen Spektrums zielt. Für eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den Peripherien sollte die Regierung mit gezielter Wirtschafts- und Sozialpolitik sorgen, Pavel hingegen sollte sich für das Überwinden der Gräben zwischen Stadt und Land einsetzen. Immerhin unterstützte ihn auch in kleinen Gemeinden und Dörfern mehr als die Hälfte der Menschen – im Gegensatz zur Vermutung eines Teils seiner urbanen Unterstützer:innen, die abfällig über die „Bauern“ herzogen, die bestimmt alle Babiš wählen und das Land ins Unglück stürzen würden. Sollte es Pavel gelingen, zur Überwindung der Fragmentierung und Polarisierung der tschechischen Gesellschaft beizutragen, könnte man über seine Präsidentschaft als großen Erfolg sprechen.