Klimapragmatismus oder Faustischer Pakt? Was das neue US-Klimagesetz leistet - und wo es versagt

Analyse

Die US-Klimapolitik beschert Beobachter*innen derzeit ein Wechselbad der Gefühle: Erst vor wenigen Wochen hat der Oberste Gerichtshof die Befugnis der amerikanischen Umweltbehörde, weitreichende Klimaverordnungen zu erlassen, eingeschränkt. Jetzt hat der amerikanische Kongress mit hauchdünner Mehrheit nach Jahrzehnten erfolgloser legislativer Versuche die umfassendste amerikanische Klimagesetzgebung aller Zeiten verabschiedet. Das 369 Milliarden Dollar Paket ist mit der Unterschrift Präsident Bidens nun geltendes Recht. Was steckt drin im Paket?

Plakat mit dem Text 'Fossil Fuel Fantasy = Carbon Capture Storage'
Teaser Bild Untertitel
Klimaaktivist*nnen demonstrieren gegen fossile Energien.

Das umfangreiche Klimapaket, das neben Gesundheitssystem- und Steuerreformen in den überraschend verabschiedeten, mehr als 700 Seiten langen Inflation Reduction Act eingebettet ist, stellt den bislang größten amerikanischen Finanzschub zur Verringerung amerikanischer Treibhausgase und zur Förderung klimafreundlicher “grüner” Technologien dar. Es ist rund das Vierfache dessen, was unter Präsident Bidens demokratischem Amtsvorgänger Obama 2009 für Klimaschutzaktionen im damaligen  American Recovery and Reinvestment Act bewilligt wurde. Diese Ausgaben sind zusätzlich zu den mehr als 200 Milliarden Dollar in Investitionen für saubere Energien und Klimamaßnahmen, die ein mehrheitlich Demokratischer Kongress bereits im letzten Jahr in einem massiven Infrastrukturförderungsgesetz bewilligt hat. Die Verabschiedung des Gesetzes ist ein dringend notwendiger Erfolg für die Biden-Regierung, deren Zustimmungswerte angesichts der Auswirkungen der Inflation auf die amerikanischen Haushalte extrem niedrig sind. Sie kommt nur wenige Monate vor den Zwischenwahlen im November, bei denen ein Wahlsieg der Republikaner erwartet wird.

Zuckerbrot statt Peitsche: Finanzspritzen statt Verbote

Das Gesetz beinhaltet weder einen Kohlenstoffpreis noch eine CO2-Begrenzung im Rahmen eines bundesweiten Emissionshandelssystems. Es versäumt auch die Hauptursache für den Klimawandel, nämlich die Förderung und Verbrennung fossiler Treibstoffe, radikal zu adressieren. Damit setzt der Maßnahmenkatalog eindeutig auf Zuckerbrot statt Peitsche, auch weil der Versuch, ein Klimagesetz durch den Kongress zu bringen, das auf eine Kohlenstoffbesteuerung setzt, im Verlauf der letzten Jahrzehnte wiederholt schmerzhaft gescheitert ist. Der Vorstoß des damaligen Vizepräsidenten Al Gore konnte sich 1993 ebenso wenig durchsetzen, wie der Markey-Waxman Emissionshandelsplan von 2010.

Statt Strafmaßnahmen und Einschränkungen priorisiert das Paket also Finanzspritzen als Anreiz und betont, wie sehr die Investitionen die amerikanische Wirtschaft stützen, Arbeitsplätze schaffen und den Verbraucher*innen nützen werden. Das sicherte den Gesetzesvorschlägen bereits im Vorfeld auch die fast euphorische Zustimmung des amerikanischen Wirtschaftssektors mit Unterstützungbriefen von mehr als 1000 Unternehmen, Investoren und Handelsgruppen, inklusive von großen Ölfirmen, aber auch von Gewerkschaften.

Von Seiten der Biden-Regierung war dieser Ansatz, der Klimaschutz mit grünen Jobs und Wirtschaftswachstum begründet, seit Beginn seiner Amtszeit zielgerichtet verfolgt worden als Teil seiner Wiederaufbaustrategie  Build Back Better nach der pandemiebedingten Wirtschaftskrise. Entsprechend war aus dem Weißen Haus zu hören,  der Inflation Reduction Act, sichere “Amerikas Position als Weltmarktführer in der heimischen Produktion und in Lieferketten für saubere Energie,” schaffe und erhalte, “gut bezahlte Gewerkschaftsjobs im Baugewerbe und in der Produktion, auch in ländlichen Gemeinden” und senke die jährlichen Energiekosten für Amerikaner, nach Schätzungen von Expert*innen im Durchschnitt um bis zu 1840 Dollar.

Ausbau des US-Markts für erneuerbare Energien und E-Mobilität

Um den Ausbau des US-Markts für erneuerbare Energien voranzutreiben und den Preis fossiler Brennstoffe auszubremsen, sieht das Gesetz rund 260 Milliarden Dollar in Steuergutschriften über die nächsten zehn Jahre vor. Sie sollen an Privatunternehmen und öffentliche Energieversorger für die Energieproduktion durch Wind, Solar, Erdwärme oder Wasserkraft gehen, aber auch die einheimische industrielle Fertigung von Windturbinen oder Solarzellen ankurbeln, und damit klar die Konkurrenz mit China anheizen, das derzeit im Ausbau der Erneuerbaren global dominiert.

Privatpersonen können rund 30 Prozent Steuerschenkungen für die Installation von Haussolaranlagen sowie bis zu 14.000 Dollar pro Haushalt für Energieeffizienzmaßnahmen bekommen, inklusive bis zu 8000 Dollar für die Installierung von Wärmeaustauschpumpen. Schon spekulieren manche Analysten, das diese Steuergeschenke die Nachfrage derart fördern werden, dass es kurzfristig in den USA zu einer “greenflation” hauptsächlich aufgrund von steigenden Kosten und Facharbeitermangel für die Installation solcher Anlagen kommen könnte. Mittel- bis langfristig könnte die erhoffte Amerikanisierung der Lieferketten dies jedoch ausgleichen. 

Neben der Energieproduktion will das Paket auch die Dekarbonisierung des Transportbereichs beschleunigen. Zum Wachstum der E-Mobilität sollen rund 23 Milliarden Dollar an Steuerbegünstigungen für Elektrofahrzeuge beitragen, mit bis zu 7500 Dollar für den Kauf eines neuen, und immerhin noch 4000 Dollar für ein gebrauchtes E-Auto – allerding nur wenn die Fahrzeughersteller Batterien mit einem hohen Prozentsatz von Komponenten “Made in USA” nutzen oder in Nordamerika zusammengebaut wurden. Rund 3 Milliarden Dollar werden zudem für die Elektrifizierung der gesamten Fahrzeugflotte des amerikanischen Postdiensts eingestellt. So wichtig diese Investitionen in grüneren Transport sind (die auch massive Steuervergünstigungen für Biodiesel vorsehen und Wasserstoff und Brennstoffzellen-Technologien fördern wollen), sie bleiben auf das Automobil fokussiert. Bedeutsame Mittelzuwendungen für öffentliche Transportsysteme sucht man im Gesetzwerk vergebens.  Und kurioserweise sind auch Elektrofahrräder von einer Förderung ausgeschlossen.

 (Fauler) Kompromiss

Der Inflation Reduction Act mit seinem Sammelsurium an Klimamaßnahmen ist das, was von der Multi-Billionen-Dollar-Agenda progressiver Demokraten für einen Green New Deal von 2019 und der 2-Billonen-Dollar-Build-Back-Better-Rahmengesetzgebung,  die Präsident Biden im Herbst letzten Jahres forciert hat, übriggeblieben ist.  Das Build-Back-Better-Paket, das mit 550 Milliarden Dollar für Energie und Klimaaktionen rund ein Drittel mehr als das jetzt verabschiedete Gesetzespack auszugeben versprach, scheiterte damals an der Opposition konservativer Demokraten, vor allem von Senator Joe Manchin aus dem Kohlestaat West Virginia, einem Verfechter fossiler Brennstoffe, denen er auch seinen persönlichen Reichtum zu verdanken hat.

In einem 50:50-Senat nutzte Senator Manchin so seine de facto Vetomacht. Dass das verschlankte Klimamaßnahmenpaket entgegen aller Befürchtungen und nach eineinhalbjährigem Tauziehen unter den Demokraten jetzt Anfang August überraschend durchgedrückt werden konnte, gelang dank eines komplexen Deals unter Ausschluss der Öffentlichkeit, der zwischen dem Senatsführer der Demokraten, Charles Schumer, und Senator Manchin ausgehandelt wurde. Die Senatsabstimmung, bei der Vizepräsidentin Kamala Harris die entscheidende 51. Senatsstimme abgab, war überhaupt nur möglich geworden, weil das Gesetz im Rahmen eines Haushaltsabstimmungsverfahrens verhandelt wurde, für das die Demokraten nur eine einfache Mehrheit brauchten, nicht die 60 Stimmen, um einen Filibuster der das Paket geschlossen ablehnenden Republikaner zu überstimmen.

Die Mehrheit der Demokrat*innen und Klimaexpert*innen feiert das Paket als historischen Erfolg einer pragmatischen Klimapolitik, in dem eine gute Gesetzgebung nicht zugunsten eines noch besseren Idealfalls ausgesetzt wurde – auch angesichts des erwarteten Gewinns der Republikaner in den Zwischenwahlen, die eine US-Klimagesetzgebung für den Rest der so kritischen Dekade blockieren könnten. Bespielhaft für viele andere Stimmen unterstrich Al Gore, ehemaliger Vizepräsident und für seinen Klimaschutzbemühungen mit den Friedensnobelpreis ausgezeichnet, die Bedeutung der Verabschiedung für die Welt angesichts der planetaren Klimakrise und betonte, dass in der Implementierung des Gesetzes ja nachgebessert werden könne.  

Bestandssicherung für fossile Brennstoffindustrie

Der vielstimmige Chorus derer, die dem legislativen Coup huldigen, übertönen die kritischen Stimmen aus der progressiven US-Klimabewegung, die den aus ihrer Sicht eher faulen Kompromiss als Faustischen Pakt geißeln. Denn um Manchins Zustimmung zu gewinnen wurden zahlreiche Zusagen gemacht, die den Würgegriff der fossilen Brennstoffindustrie auf die amerikanische Wirtschaft verfestigen anstatt deren Einfluss zu verringern. Dazu gehört vor allem die Bestimmung, die das US-Innenministerium verpflichtet, über die nächsten zehn Jahre als Vorrausetzung für Pachtverträge für Offshore-Windanlagen und Solar- und Windparks auf bundeseigenen Landflächen neuen Öl- und Gasförderkonzessionen auf Millionen von Hektaren zuzustimmen, darunter im Golf von Mexiko und in Alaskas Cook Inlet. Pro Jahr könnte beispielsweise eine Meeresfläche von der Größe des US-Bundesstaats Wyoming, rund 24 Millionen Hektar, für Offshore-Bohrungen freigegeben werden. Auch wenn solche Förderkonzessionen nicht zwingend zur Ausweitung der Produktion von fossilen Brennstoffen führen muss, so könnte ihre erzwungene Verknüpfung mit Genehmigungen für neue erneuerbare Energieprojekte solche Investitionen verlangsamen.

Zudem erhielt Manchin vom Weißen Haus und von Kongress-Demokraten grünes Licht für eine Beschleunigung der seit Jahren stockenden kontroversen Mountain Valley Pipeline, die Erdgas aus West Virginia zu Märkten an der Ostküste transportierten soll und jährlich laut Oil Change International so viel zusätzliche Treibhausgase ausstoßen könnte wie 19 Millionen Autos. Dieses Zugeständnis ist Teil einer weitreichenden Nebenabsprache, nach der Manchin die baldige Abstimmung über eine zusätzliche Gesetzesvorlage versprochen wurde, die die Genehmigungsverfahren für neue fossile Energieinfrastrukturprojekte wie Pipelines oder Gasterminals aber auch für erneuerbare Energievorhaben reformieren und wesentlich durch strikte Zeitvorgaben und die Reduzierung juristischer Einwände zum Beispiel von Umweltschützern erleichtern könnte. Für dieses Vorhaben wären mindestens 60 Senatsstimmen, und damit die Unterstützung der Republikaner, nötig, die aber als möglich gilt. Damit würde der Einfluss der fossilen Brennstoffindustrie in den USA auf die Legislative weiter konsolidiert werden.

Zur langfristigen Bestandssicherung fossiler Brennstoffinfrastruktur in den USA (statt einer Abkehr von fossilen Brennstoffen) trägt auch die Ausweitung der Steuergeschenke für die Technologieförderung für Kohlenstoffabscheidung und –abspeicherung (carbon capture and storage, CCS) bei, die dank des Klimapakets nun mit 180 Dollar pro Tonne für direct air capture durch die Erhöhung des bestehenden 45Q Steuerrabatts um das Dreifache honoriert wird, und damit einen Boom auslösen könnte. Die amerikanische Carbon Capture Coalition, die in einer Pressemitteilung bejubelt, dass der Inflation Reduction Act “alle legislativen Prioritäten der Koalition für den laufenden 117. Kongress” aufgreift, hält dank des Gesetzes eine dreizehnfache Ausweitung des Einsatzes solcher Technologien bis 2035 für möglich. Unternehmen wie Alphabet und Meta, aber auch Teslas Elon Musk stehen bereits in den Startlöchern.

US-Emissionsverringerung: gut, aber nicht gut genug

Befürworter*innen des Gesetzeskompromisses weisen darauf hin, dass jede zusätzliche Tonne an Emissionen, die durch die Provisionen zur Förderung fossiler Brennstoffe im Klimapaket entstehen, durch die Einsparung von 24 Tonnen von Treibhausgasen mehr als aufgewogen werden. Sie führen als Beispiel die 1.5 Billion Dollar für ein neues Methanreduktionsprogramm an, mit denen Öl- und Gasfirmen belohnt werden, die ihre Methanemissionen reduzieren. 

Tatsächlich ist der verabschiedete Klimamaßnahmenkatalog technologie-agnostisch, und sieht beispielsweise auch die steuerliche Unterstützung für eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken vor. Laut Schätzungen der Rhodium Group müssten ohne die Finanzierungszusagen des Gesetzes rund ein Drittel der US-Atomkraftanlagen bis 2030 aus Kostengründen abgeschaltet werden. Auch die Forschung zur Kernfusion wird mit hunderten Millionen Dollar unterstützt.

Insgesamt sollen durch Klimamaßnahmen des Inflation Reduction Act die US-Treibhaus-Emissionen laut der REPEAT Analyse der Princeton Universität bis 2030 um rund 40 Prozent im Vergleich zu 2005 reduziert werden, gegenüber geschätzten 30 Prozent Verringerung ohne das Gesetzespaket. Einige Kritiker*innen sehen diese Annahmen aber als überzogen, weil sie Treibhausgasbelastungen durch neue fossile Bauvorhaben, wie beispielsweise tausende Kilometer an Pipelines oder Lagertanks für CCS-Infrastrukturen nicht einkalkulieren. Allerdings liegen selbst im besten Fall die Emissionsreduzierungen immer noch deutlich unter dem, was nötig wäre, um das Klimaversprechen, das Präsident Biden der Weltengemeinschaft gegeben hat, zu erfüllen, wonach die USA ihre Emissionen bis 2030 um 50 bis 52 Prozent gegenüber dem Niveau von 2005 reduzieren wollen. Zusätzliche Anstrengungen durch Verordnungen des Präsidenten, die aber durch das jüngste EPA-Urteil des Obersten Gerichtshofs an Umsetzungsschärfe verloren haben, oder Programme, die die Bundesstaaten aufsetzen, wären also notwendig, damit die USA ihren national-festgelegten Beitrag zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens leisten können.

Klimagerechtigkeitsdefizite

Viele US-Klimaaktivist*innen sehen die Verabschiedung des Gesetzespakets mit gemischten Gefühlen und einiger Enttäuschung, auch angesichts entscheidender Gerechtigkeitsdefizite in seiner Ausgestaltung und vorhergesehenen Umsetzung. Sie haben durch ihren politischen Druck auf die Demokraten, ihre Mobilisierung von Wählerstimmen und ihre Umsetzungsvorschläge in den letzten Jahren den Inflation Reduction Act erst möglich gemacht. Die Realität, dass das Maßnahmenpaket die Grenze des Machbaren in einem polarisierten politischen Zweiparteiensystem darstellt, in dem sich die Republikaner weitreichenderen Reformen verweigern, tröstet sie nicht darüber hinweg, dass marginalisierte und einkommensschwache Bevölkerungsgruppen, überwiegend People of Colour (POC), dessen möglichen negativen Auswirkungen am meisten zu spüren bekommen werden.

Sie leiden nämlich am schwersten unter der Verschmutzung und Belästigung durch die Infrastruktur, Förderanlagen und Kraftwerke für fossile Brennstoffe, die primär in ihren Nachbarschaften zu finden sind, und die durch das Gesetz noch Auftrieb bekommen, wie zum Beispiel in der sogenannten “Cancer Alley” in Louisana.  “Das Gesetz ist nicht genug. Es grenzt viele Menschen aus und lässt viele  Nachbarschaften im Status Quo”, sagte beispielsweise Varshini Prakash, Mitbegründerin der Sunrise Bewegung, die wie viele liberale Umweltgruppen im Verlauf der letzten zwei Jahre die Billionenschwere Vision eines US-Programmes für umfassende soziale und Umweltgerechtigkeit mehr und mehr zusammenschrumpfen sah, in der Washington Post

Im Klimapaket gibt es zwar Initiativen, die gezielt den von Klima- und Umweltverschmutzung am meisten betroffenen Gemeinden und Bevölkerungsgruppen zugutekommen und für mehr Umweltgerechtigkeit sorgen sollen. Dazu gehört beispielsweise ein 3 Milliarden Dollar Programm bei der US-Umweltbehörde EPA mit Blockzuschüssen für Klimaschutzaktionen auf lokaler Ebene für  einkommensschwache Gemeinden und Gemeinden mit einem hohen Anteil an POC.  Auch indigene Gruppen sollen Finanzunterstützung für die Elektrifizierung in Reservaten und für Klimaresilienzplanung und –aktivitäten bekommen. Und ein 27 Milliarden Dollar schwerer neuer Fonds zur Reduzierung von Treibhausgasen, der saubere Energieinfrastrukturprojekte innerhalb der USA finanzieren soll, verlangt, dass mindestens 40 Prozent dieser Investitionen benachteiligten Gemeinden zugutekommen sollen.

Diese Finanzzuwendungen sind nach Ansicht von Beobachter*innen aber nicht genug, um den systematischen Umweltrassismus in den USA auszugleichen, der durch den Inflation Reduction Act fortgesetzt wird. Das umso mehr, weil das Gesetz neben Gesundheitsreformen keine nennenswerten weiteren Sozialunterstützungsmaßnahmen – die ein wesentlicher Bestandteil der ursprünglichen Vision eines Green New Deals waren – enthält.

Internationale (Aus-)Wirkungen

Auch die Wahrnehmung der jüngst beschlossenen US-Klimamaßnahmen auf internationaler Ebene schwankt zwischen neuerwachtem Optimismus und Enttäuschung, und ist im besten Fall eine Mischung aus beiden. Als historisch mit weitem Abstand größter Klimasünder und angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise haben die USA in der Vergangenheit bei weitem nicht genug zu kollektiven Emissionsbegrenzungsbemühungen beigetragen, weshalb die Verabschiedung des Inflation Reduction Acts ein hoffnungsvolles Zeichen setzt, dass die Biden-Regierung es mit dem Klimaschutz ernst meint. Das erhöht die Glaubwürdigkeit amerikanischer Klimadiplomatiebemühungen in den internationalen Klimaverhandlungen im Vorfeld des COP27 Klimagipfels in Ägypten im November. Allerdings bleibt selbst mit einer erfolgreichen Implementierung aller Maßnahmen des Klimapakets das amerikanische Klimaversprechen des NDC, bis 2030 US-Emissionen um 50 bis 52 Prozent gegenüber 2005 zu reduzieren unerfüllt. Ob die fehlenden 10 Prozent Emissionsminderung durch zusätzliche Bemühungen vor allem auf Bundesstaatenebene erreicht werden können, ist ungewiss. Und die US-Zusagen selbst sind nach Ansicht vieler Klimaexpert*innen weit unter dem, was für einen fairen Beitrag der USA zur Bewältigung der globalen Klimakrise notwendig wäre.

Zur Enttäuschung von Entwicklungsländern und internationaler Klimagerechtigkeitsgruppen beinhaltet das Klimapaket zudem kein Geld für die internationale Klimafinanzierung, zum Beispiel für die Unterstützung des Grünen Klimafonds, dem die USA noch immer von der Obama-Regierung versprochene 2 Milliarden Dollar schulden, und der gerade die Verhandlungen für seine Wiederauffüllungsperiode gestartet hat. Letztlich schwingt bei internationalen Beobachter*innen auch immer die Sorge um die Dauerhaftigkeit der amerikanischen Klimaschutzversprechen mit, vor allem falls bei den Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren die Republikaner wieder ins Weiße Haus einziehen sollten.

Jetzt beginnt US-Klimapolitik erst richtig

Auch deshalb stellt sich jetzt die Frage nach den nächsten Schritten. Der Inflation Reduction Act bedeutet nicht das Ende der US-Klimapolitik, sondern vielmehr ihren ernstzunehmenden Beginn.  Die Biden-Regierung muss sich jetzt mit Nachdruck um die Ausarbeitung von Rechtsvorschriften bemühen, damit die Klimagesetzgebung schnell umgesetzt werden kann. Beispielsweise muss die EPA jetzt ihre Methanregulierungsvorschriften, die seit November letzten Jahres als Entwurf vorliegen, fertigstellen. Auch die Regulierung des Schadstoffausstoß von Autos muss bis spätestens Mitte 2024, und damit Monate vor der nächsten Präsidentschaftswahl, finalisiert werden, denn sonst könnten solche Verwaltungsvorschriften unter dem Congressional Review Act bei einem Wahlsieg der Republikaner storniert werden.

Von Seiten zahlreicher progressiver Klimagruppen in den USA wird die Verabschiedung des Klimapakets trotz, oder genauer, wegen, all seiner Mängel als Ansporn verstanden, im Vorfeld der Zwischenwahlen ihren Klimaaktivismus hochzufahren und den Druck auf Demokraten nicht nachzulassen, um weitere progressive Gesetzgebungsziele umzusetzen, falls mehr progressive Klimaschützer in den Kongress gewählt werden. Sie haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Präsident Biden, wie von ihnen verlangt, noch einen nationalen Klimanotstand ausrufen könnte, der es ihm über Präsidentendekrete beispielsweise erlauben würde, amerikanische Rohölexporte zu stoppen, Privatinvestitionen in fossile Brennstoffprojekte im Ausland zu begrenzen oder Gelder aus dem Verteidigungshaushalt für erneuerbare Energien auszugeben. Und sie setzen darüber hinaus darauf, dass sich gerade auch junge Klimaaktivst*innen in den nächsten Jahren verstärkt auf lokaler Ebene engagieren, um ihre Vision von weit umfassenderen klimagerechten Sozial- und Umweltschutzregeln in allen Bundesstaaten in den Städten und Kommunen politisch durchzusetzen.