Medienstaatsvertrag: Rundfunk- & Fernsehräte vor neuen Herausforderungen

Interview

Im aktuellen Medienstaatsvertrag sind mehrere Änderungen vorgesehen, die die Rundfunk- und Fernsehräte vor neue Herausforderungen stellen. Welche das sind und wie die Gremien damit umgehen, damit haben sich Expertinnen und Experten bei einem Online-Fachgespräch der Heinrich-Böll-Stiftung am 26. April 2022 beschäftigt.

Ein Blatt Papier, auf dem "Öffentlich-Rechtliche Medien" steht, steckt in einer Schreibmaschine.
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Welche Medieninhalte werden künftig komplett online gestellt?

Im folgenden Interview fassen wir die wichtigsten Fragen und Antworten aus dem einführenden Podiumsgespräch zusammen.

Unsere Gäste waren:

  • Philipp Franke – Referatsleiter Medienpolitik im Staatsministerium Baden Württemberg
  • Sanne Kurz, MdL – Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag, Rundfunkrätin BR
  • Dr. Hermann Kuhn – Vorsitz ARD-Programmbeirat, Bremen
  • Moderation Vera Linß - Medienjournalistin

 

Ein umstrittener Punkt im Medienstaatsvertrag ist die sogenannte Flexibilisierung. Das bedeutet, dass die ARD-Landesrundfunkanstalten und das ZDF Fernsehprogramme ganz oder teilweise einstellen oder deren Inhalte in Angebote im Internet überführen können. Wie kam es zu diesem Punkt?

Philipp Franke: Ein Ziel des Medienstaatsvertrages war, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch in der Plattform-Gesellschaft weiterhin relevant zu halten. Und da sehen wir, dass die Wahrnehmung von Inhalten immer stärker im Onlinebereich stattfindet. Im Auftrag soll noch einmal verstärkt dargestellt werden, dass wirklich alle Menschen von den Angeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erreicht werden sollen. Dabei sind auch ausdrücklich nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch junge Erwachsene adressiert.

Welche Medieninhalte komplett online zur Verfügung gestellt werden sollen, darüber sollen die Fernseh- und Rundfunkräte entscheiden. Wie finden die das?

Sanne Kurz: Es ist natürlich eine inhaltliche Stärkung der Gremien. Aber das große Problem ist, dass die strukturelle Stärkung der inhaltlichen Stärkung eigentlich vorausgehen müsste. Wir brauchen unabhängige Büros, die uns helfen und die uns zuarbeiten, damit wir diese Aufgaben erfüllen können. Und das ist etwas, was erst einmal irgendwo verankert sein muss, weil das ja gebührenfinanziert ist. Und wenn dann daran gespart wird, wie man die Gremien ausstattet, da beißt sich die Katze in den Schwanz.

Hermann Kuhn: Ich glaube, das ist ein noch ungelöstes Problem. Es gibt ja senderübergreifende Inhalte: Inhalte von Kika sind entweder vom MDR oder WDR. Wie das dann gemeinsam diskutiert wird und nicht nur die Entscheidung eines Senders ist, sondern im Grunde aller Rundfunkräte, die dann ja auch in der Vorsitzenden-Konferenz zusammen sind, und des Programm-Beirates, das halte ich für eine noch komplett ungeklärte Sache.

Umstritten ist auch die Frage nach der Schwerpunktsetzung im öffentlich-rechtlichen Auftrag. Nach bisherigem Entwurf des Medienstaatsvertrags gehört die Unterhaltung nicht mehr zum Schwerpunkt des Auftrags. Beziehungsweise soll die Unterhaltung dem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen.

Philipp Franke: Aus manchen Ländern gab es den Wunsch, das öffentlich-rechtliche Programmprofil zu schärfen. Dass man, wenn man das Erste oder Zweite anschaltet, um 20 Uhr nicht nur Krimis aus Göteborg oder Donna Leon oder ähnliches sieht. Sondern das, was wir eigentlich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor allen Dingen verbinden. Zu jeder Tageszeit und nicht nur versteckt in arte, 3Sat oder nachts um zwölf, sondern tatsächlich über den Tag hinweg.

Was öffentlich-rechtliches Programmprofil ist, legt der Gesetzgeber nicht weiter fest, sondern es legen weiterhin die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten fest. Also ich würde es jetzt mal so benennen, dass es sich dabei eher um eine Reflexionsnorm handelt, die noch mal klarstellt: Insgesamt muss da schon auch die Unterhaltung öffentlich-rechtliches Programmprofil sein. Das heißt, dass im Einzelnen sehr wohl auch noch seichte Unterhaltung oder auch ein Blockbuster gezeigt werden könnte, aber dass in der Gesamtheit ein öffentlich rechtliches Programmprofil auch in der Unterhaltung Anspruch des öffentlich rechtlichen Rundfunks sein muss.

Worin besteht bei der Kontrolle die Herausforderung für die Gremien?

Sanne Kurz: Generell ist die Herausforderung: Wer legt denn fest, was Unterhaltung mit einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil ist? Wer setzt da die Kriterien fest? Wir sind ja sowohl als Menschen als auch als Rundfunkratsmitglieder keine Jury in irgendeiner Form. Es ist so ein bisschen wie mit der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Da gibt's keinen Maßstab, wo man sagt, wenn zwei Kühe da sind, ist es klein, ab 20 Kühen ist es schon groß. Und das ist natürlich beim öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil ganz ähnlich.

Hermann Kuhn: Die Frage, ob Unterhaltung noch irgendwie im Profil des Öffentlich-Rechtlichen ist, das ist doch nichts, was die Gremien entscheiden können, sondern das ist doch eine klassische Aufgabe der Programmmacher, das auszuloten. Es ist ja auch ein Angriff auf die Vielfalt, finde ich, wenn das durch irgendjemand festgelegt würde von Anfang an. Ich verstehe ja all die Schwierigkeiten in der Verhandlungsführung zwischen den Ländern, aber ich würde ganz dringend dafür plädieren, dass Unterhaltung wirklich gleichberechtigt im Auftrag vorkommt. Alles andere könnte zu ganz großen Schwierigkeiten führen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat ja gerade vor kurzem wieder gesagt: Unterhaltung, das können die Privaten doch viel besser als die Öffentlich-rechtlichen. Das ist eigentlich der Kern der Sache.

Im Medienstaatsvertrag heißt es: Die Rundfunk- und Fernsehräte sollen nicht nur kontrollieren, ob die Sender mit ihrem öffentlich-rechtlichen Programm die Zielsetzung erfüllen. Sie sollen selbst Zielvorgaben setzen. Bei der Erstellung und Kontrolle dieser Zielvorgaben können die Gremien externe unabhängige Sachverständige einbeziehen, heißt es im Vertrag. Dreht dieser Punkt der Zielvorgabe die Programm-Verantwortung nicht um? Müssten das nicht eigentlich die Intendanten oder die Programmverantwortlichen machen?

Philipp Franke: Absolut. Deswegen gibt es an der Stelle auch noch mal eine gewisse Diskussion, weil tatsächlich durch die Festlegung von Standards nur durch die Gremien so ein bisschen die bisherige Intendanten-Verfassung in Frage gestellt war und teilweise auch eine Überforderung der Gremien gesehen wurde. Und da wird es wahrscheinlich jetzt eine Änderung geben, dass eben diese Festlegung der Standards durch die Intendanten im Einvernehmen mit den Gremien erfolgen soll. Denn die Gremien sollen ja tatsächlich eine Aufsichtsfunktion haben und kein operatives Geschäft übernehmen müssen.

Hermann Kuhn: Ich glaube, zu Recht würden wir zu dem Schluss kommen, wenn das so stehen bleibt, dass auch die Pressefreiheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingeschränkt würde. Ich sehe das sehr kritisch, auch in der Umsetzung. Wir als Programm-Beirat für "Das Erste" können das quasi überhaupt nicht, vielleicht können das die Rundfunkräte. Aber ich glaube auch, sie könnten es nicht und ich glaube auch, sie sollten das nicht machen. Kontrolle: ja. Kontrolle der Umsetzung der vereinbarten Ziele: auch ja. Aber das, was ihnen da jetzt auferlegt wird, nicht.

Können die Gremien das überhaupt leisten, rein praktisch?

Sanne Kurz: Bei uns sitzen lauter Ehrenamtliche. Ich habe den Eindruck, die Kolleginnen und Kollegen sind sehr gut vorbereitet. Immer. Aber was da an Aufgaben zukommt auf die Kolleginnen und Kollegen – da ist oft gar nicht die Expertise da. Es gibt da so ein bisschen Workshop zu Beginn der neuen Legislatur – aber jetzt sozusagen Zielvorgaben für einen Sender zu erarbeiten, das ist eine ganz große Aufgabe. Und diese Gremien bekommen keine professionelle Betreuung, sondern das kommt tatsächlich alles weitgehend aus den Sendern und das ist natürlich nicht sinnvoll. Also es gibt keine übergeordnete bundesweite Organisation, die den Gremien Know how zur Verfügung stellt. Und da frage ich mich dann, wie die Gremien das leisten sollen.