Im Spiegel

Spiegel

Mein Name ist Qùynh Nhu oder wie ich damals häufig lächelnd und nett sagte einfach eingedeutscht‘ oder ich könnte auch sagen, gewaltvoll und bis zur unsagbaren Stillosigkeit germanisiert, Winju mit W-i-n-j-u. Ich wollte den Menschen nicht zumuten, zu lernen. So versuchte ich, mit aller Kraft in Momenten der Begegnung, meine vermeintliche Andersartigkeit zu nivellieren, um nicht zu sagen, zu annullieren. Angefangen beim Namen. Aufgehört bei der Frage: Woher kommst du wirklich? Bis ich irgendwann vor der Penetration kapitulierte und mir endlich „Việt Nam über die Lippen gepresst wurde. Auch wenn es mich jedes Mal von mir selbst entfremdete, hat es viele Jahre gebraucht bis ich gelernt habe, selbst zu begehren. Ein Begehren [1] nach Partizipation, als eine essentialistisch und selbstbestimmte, aber auch strategische, kollektive Individualität. Aufzubegehren gegen dominante Normalitätsvorstellungen. Sehnsucht nach Anerkennung und Wertschätzung einer uns auferlegten Andersheit. Nicht weiter das Lied, das seit Jahrhunderten, mit der ein und derselben Vokabel – lediglich mit anderen Klängen unterlegt – gesungen wird, zu singen. Es ist an der Zeit, gemeinsam Harmonien und Klänge jenseits unseres von Unterdrückung formierten Wissens zu komponieren. Es ist an der Zeit gemeinsam nicht nur neue transformative Bilder und Vorstellungen zu zeichnen. Es gilt die alten auch mit unseren widerständigen Augen - oppositional gaze [2] - zu sehen und zu deuten.

Dies ist ein Ausruf. Eine (Widerstands-)Kampfansage. Wir lassen uns nicht über den Spiegel der Andersartigkeit bestimmen. Unsere essenzielle Unangepasstheit, die mir jeden Tag im Spiegel eines normierten weißen ‚Wir‘ vorgehalten wird, möchte ich mit einem Rück-Spiegel beantworten.

Denn im Jahr 2018 begann ich Wörter für all die Verletzungen, die sich je in meine Seele und meinen Körper eingeschrieben haben, zu finden. Ein Jahr, in dem ich lernte, mein eigenes Werden den sozialen und kulturellen Reglementierungen – die uns alle umgeben und bestimmen - zu entziehen. Der Beginn mich selbst und meine Umwelt aktiv einer intellektuellen und sozialen Kritik und Verantwortung zu unterziehen. Das Erwachen aus meinem Sunken Place [3] und damit der Beginn eines asketischen Selbstprozesses, durch den ich lernte, mich selbst in einem kollektiven aufbegehrenden WIR (an-)zu erkennen und Widerstand zu leisten. Dabei reagiere ich nicht nur, ich artikuliere, ich gestalte. Ich besetze. Ich habe die Scham, die mir auferlegt wurde, überwunden und zeige nun im Lichte der weißleuchtenden Abendsonne unseren Widerstand.

 

[1] Mit Hochachtung vor und in tiefster Inspiration durch Mai Anh Boger.

[2] „The gaze has always been political in my life. […] hard intense direct looks […] looks that were seen as confrontional as gestures of resistance, challenges to the authority.” (bell hooks 1992. Black Looks: Race and Representation, S. 115).

[3] Sunken Place bezeichnet eine Phase, in der noch kein vollständiges Bewusstsein über die eigene Identität vorhanden ist und die Tendenz sich an die Mehrheit zu assimilieren im Vordergrund steht. Im Extremfall kann die hergestellte Andersartigkeit und die damit einhergehende Abwertung von Seiten der Mehrheitsgesellschaft und dann auch von sich selbst zu Selbsthass und Selbstablehnung führen.