Neue Rechte, Alte Freiheiten

Gedichte

Poesie ist in Kambodscha wichtige Ausdrucksform für Alltags- und Gesellschaftsthemen, die in enger werdenen Räumen eine wichtige Stimme darstellt. Das preisgekrönte Gedicht von Chhoy Phanith gibt Einblicke zu Wünsche und Hoffnungen junger Kambodschaner*innen.

cambodian children

Gedichte für den gesellschaftlichen Wandel: ein Poesie-Wettbewerb zum Thema “Meine Rechte, meine Freiheit” von YRDP

Das Youth Resource Development Program (YRDP) ist eine der größten Jugend-NROs in Kambodscha. Seit 1992 macht das YRDP politische Bildungsarbeit mit dem Ziel, Jugendliche für nachhaltigen Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie zu sensibilisieren und als Multiplikator*innen zu aktivieren. Künstlerische Ausdrucksformen wie Zeichnen, Musik und Forumtheater sind seit 2012 Teil der Projekte von YRDP. 2020 wurde außerdem der Bereich "Gesellschaftspoesie" eingeführt; dabei lernen Jugendliche, ihre Sorgen und Gedanken über gesellschaftsrelevante Themen in Gedichten auszudrücken. Sie werden zu einem Workshop eingeladen und können ihre Werke danach bei einem Poesie-Wettbewerb einreichen.

Im Workshop steht Poesie als wichtige Ausdrucksform für Alltags- und Gesellschaftsthemen im Fokus. Spezifischer befassen sich die Teilnehmende mit Gedichten zu sozialen Themen oder Rechten, Poesie mit gesellschaftlicher Breitenwirkung, Poesie für einen positiven sozialen Wandel, sowie Strategien für das Schreiben von Gedichten. Fünf Gedichte, die politische Themen ansprechen und sich mit der Rolle von Jugendlichen und ihren Rechten in einer Demokratie auseinandersetzen, werden für den Wettbewerb ausgewählt. Am Ende werden drei Gedichte als Preisträger gekürt.

Im ersten Halbjahr 2021 stand der Wettbewerb unter dem Motto "Meine Rechte, meine Freiheit". 25 Jugendliche (darunter 12 weibliche) nahmen am Workshop teil, und 13 von ihnen reichten daraufhin ihre Gedichte ein. Davon wurden fünf Gedichte für den Wettbewerb ausgewählt, und die externe Jury kürte die drei überzeugendsten Jungpoeten.

Das Gedicht “Neue Rechte, alte Freiheiten” von Chhoy Phanith bekam die Auszeichnung für das beste Gedicht.

Kurzgedicht

Cambodian poetry

“Neue Rechte, Alte Freiheiten”

2021

Phase 1

Vers nach dem Peak Pram Pir Stil (sieben Worte Vers)

  1. Heute Abend erinnerte sich mein Vater an seine Kindheit; wie es war, in einem skrupellosen Regime unter der Kontrolle der Killing Field Organisation (Angkar) zu leben; In einer Gesellschaft ohne Klassen, ohne Geld, ohne Besitz, ohne Verwandte. Es gab nichts außer Angkar, dem einzigen Cäsar, der Kampuchea aufzubauen versuchte.
  2. Die Menschen erlebten niemals Freude, es gab kein Grund zum Lachen, keine Diskussionen oder Gespräche über irgendetwas, denn das war gegen das Gesetz der Angkar. Die Menschen wurden ihrer Rechte und ihrer Freiheit beraubt - kein Recht auf Meinungsäußerung, kein Recht auf Glauben, kein Recht auf Leben, kein Recht auf Bildung, kein Recht auf Liebe und kein Recht auf Familie.
  3. Heute, mein lieber Sohn, hast du Rechte. Aber alles, was du tust, musst du sorgfältig tun und meinen Rat befolgen, damit du auf dem richtigen Weg bleibst. Wenn du dich nicht an meinen Rat hältst, wird es riskant für dich. Nimm mich beim Wort: du wirst immer in Frieden leben, denn ich habe dir den Weg dafür geebnet.
  4. Mein lieber Sohn, sieh dir unser luxuriöses Haus, die teuren Materialien und unseren üppigen Wohlstand an - uns geht es so gut, weil ich Geschäfte mit dem Kauf und Verkauf von Land mache. Deshalb, mein lieber Sohn, sollst du nicht ungehorsam sein. Mein lieber Sohn, du sollst hart arbeiten und fleißig sein, Geld sparen, Land kaufen und reich werden, damit ich, dein Vater, in Wohlstand leben kann.
  5. Es lohnt sich nicht, für ein Studium zu ackern - darin wirst du keine Zukunft haben. Es wird dich nicht weit bringen - wenn du Wissen hast, wirst du nur arbeiten. Heutzutage kann man nicht so zivilisiert sein. Die Gesellschaft entwickelt sich schnell; also musst du schnell handeln. Landflächen in Seen-, Fluss- oder Waldgebieten sollten nicht unentwickelt bleiben.
  6. Heutzutage arbeitet niemand mehr auf dem Acker.  Such’ nach vergessenen Orten, erweitere deinen Besitzt stetig, je nachdem, wie du es brauchst. Verkauf das Land und investier das Geld. Gründe dann eine Firma für deinen Vater. Gib das Geld, das du zur Verfügung hast, bedacht aus.
  7. Verbünde dich mit Leuten, die wohlhabend sind, die Macht besitzen. Leute, die uns beschützen, damit wir reich werden und glücklich leben können.

Nachdem er seinem Vater zugehört hatte, wurde der Sohn sehr traurig und erklärte seinem unwissenden Vater warum.

  1. Lieber Vater, bitte hör mir zu. Bitte hab Nachsicht. Bitte sei nicht wütend und wehre dich nicht gegen mich. Bitte höre mir einmal geduldig zu. Lieber Vater, "Rechte" sind nicht mehr wie früher, als die Menschen noch unter betrügerischen Übeltätern leiden mussten.
  2. Sie schufen Gesetze, um diejenigen zu unterdrücken und zu foltern, die Rechte und Freiheit forderten. Sie verbreiteten falsche Informationen, um den Menschen Angst zu machen und sie vom Denken abzuhalten. Für die Menschen waren Rechte und Freiheit nicht mehr so wichtig wie das Leben, denn das Gesetz diente der Unterdrückung, um die Menschen zu verwirren und sie verängstigen.
  3. Die Gesellschaft wandelt sich schnell; wir müssen daher schnell und vernünftig sein. Wir müssen wissen, was unsere Rechte sind, sodass wir uns vor Unterdrückung schützen können. Daher, lieber Vater, vergib mir und hör mir gut zu, denn die Rechte, die zu deiner Zeit galten, gelten nicht mehr.
  4. Jetzt bin ich erwachsen und reif. Dieses Jahrzehnt braucht Wissen, Kompetenzen, Mut und die Denkkraft der Jugend, sodass wir zusammen unser Land aufbauen können und mehr erreichen, als es uns in der Vergangenheit möglich war, als Menschen gequält und getötet wurden, weil sie sich ausdrückten und Kritik ausübten.
  5. Ich muss von meinen Rechten gebrauch machen, mir Wissen und Fähigkeiten aneignen und an Erfahrung wachsen damit ich unsere neue Gesellschaft zum Erfolg bringen kann. Oh, lieber Vater, das ist alles, worum ich bitte. Bitte sei nicht enttäuscht. Bitte unterstütze und ermutige mich, damit ich in meiner Entschlossenheit gestärkt bin. Wir werden dafür Ruhm ernten.
  6. Unsere Familie wird gut angesehen sein, wir werden einen guten Namen haben und in Ruhm leben. Unsere Gesellschaft wird frei sein von Unglück, weil wir alle gemeinsam unser Land aufbauen. Lieber Vater, bitte vergib mir, falls ich mich irre, denn ehrliche Worte zeigen Haltung. Wenn wir uns nicht um unser Land bemühen, wird es auch kein anderes Land tun.

Phase 2

Vers im Pumnaul Kak Stil

  1. Nachdem er meiner klaren und durchdachten Erklärung zugehört hatte, schwieg mein Vater. Jedoch dachte er nach und verglich das, was ich gesagt hatte, mit dem was er erlebt hatte.
  2. “Als ich den Angkar gehorchte, lebte ich in Angst - und wollte nur überleben”, sagte mein Vater. “Jetzt bin ich zwar dem Tod entkommen aber ich bin trotzdem nicht in der Lage zu verstehen, was Freiheit ist.”
  3. Als ich in Angst lebte, verstand ich nie, was Rechte und Freiheit bedeuten - wie ein Frosch, der immer umgeben ist von einer Lotusblüte, aber ihren süßen Geruch nie erleben kann.
  4. Vom Brunnen aus kann der Frosch den Himmel bloß mit einem kleinen Loch vergleichen. Ist es falsch von mir, wenn ich meinem Sohn, der in der friedlichen Welt lebt, nicht zuhöre?
  5. Es ist die Welt der Menschenrechte, der Freiheit, der Gesetze und Regeln. Anstatt mit meinem Sohn zu streiten, sollte ich ihm helfen, damit er in seinem seinem Studium erfolgreich ist.”
  6. Nachdem er mir zugehört hatte, verstand mein Vater den Wert von Wissen und Klugheit. Er änderte seine Meinung, überlegte nochmal und sagte mir Folgendes.

Phase 3

im Brahma Keete Stil

  1. Da ich immer älter werde, mein Sohn, hör’ bitte zu und denke daran, dass du alles geben musst, um dir das Wissen aus deinen Studien frei anzueignen.
  2. Da ich mein hartes Leben unter den skrupellosen Angkar erleben musste, war ich gezwungen, ein Leben ohne Bildung, ohne Religion, ohne Verwandte, ohne Rechte und ohne Freiheit zu leben.
  3. Außer mir hatte keine*r meiner Verwandten das Regime überlebt, daher dachte ich nur daran, immer mehr und immer mehr Geld zu verdienen.
  4. Ich war überzeugt, dass uns Geld vieles erleichtern würde und uns vor Gefahren schützen würde. Aber du, mein Sohn, hast mich wider Erwarten davon überzeugt, was für Menschen wirklich wertvoll ist - die Freiheit.
  5. Daher, mein Sohn, sei bitte nicht wütend auf mich. Jetzt lasse ich dir die Freiheit, die Dinge überlegt anzugehen, so wie du es wünschst.
  6. Von jetzt an stehe ich dir zur Seite um dich zu unterstützen und dir dabei zu helfen, deine Ziele zu erreichen.

Ende.


Übersetzt von Caroline Bertram