Menschenrechte und ihre Verteidiger in Kambodscha: Politische Beschränkungen, Herausforderungen und Perspektiven

Hintergrund

In Kambodscha werden Räume für Menschenrechte zunehmend kleiner. Markus Karbaum gibt einen Überblick über die aktuelle politische Situation, die Herausforderungen und Perspektiven, die die Arbeit kambodschanischer Zivilgesellschaft beeinflussen.

Collage Fischer und Rohbau eines Hochhauses

Politische Rahmenbedingungen

Kambodscha war einst eine Fassadendemokratie. Ein politisches System mit einer liberalen Verfassung, die Gewaltenteilung, freie Wahlen und das Bekenntnis zu universalen Menschenrechten kannte. Doch hinter diesen formalen Institutionen dominierte schon immer das Patronage-System der regierenden Kambodschanischen Volkspartei (CPP) und ihres seit 1985 amtierenden Premierministers Hun Sen den Staat. Es besteht im Wesentlichen aus einem personalisierten, autokratischen und hochgradig korrupten Regierungsapparat, der die geschriebenen Regeln der liberalen Verfassung von 1993 faktisch außer Kraft setzt. Dennoch war der demokratische Anschein lange Zeit wichtig, um nach innen und außen, insbesondere gegenüber den demokratischen Geberländern, als legitim wahrgenommen zu werden. Dazu gehörte auch eine vitale NGO-Szene, die sich vor allem in der Hauptstadt Phnom Penh gebildet hat.

Spätestens 2018, als die CPP bei den Parlamentswahlen einen Erdrutschsieg errang und seitdem alle Mandate in der Nationalversammlung innehat, verstummten die demokratischen Lippenbekenntnisse, obwohl die Verfassung zumindest auf dem Papier noch gilt. Zuvor war im November 2017 die einzige relevante Oppositionspartei, die Kambodschanische Nationale Rettungspartei (CNRP), per Gerichtsbeschluss aufgelöst worden. Das geschah allein aufgrund der Tatsache, dass sie eine reelle Chance hatte, die Wahlen ein Jahr später zu gewinnen. Dass die Europäische Union als Reaktion darauf Kambodscha gewährte Handelserleichterungen im August 2020 partiell suspendierte, wurde vom Regime mehr oder weniger akzeptiert, da sich Kambodscha seit Jahren in ein fast neokoloniales Abhängigkeitsverhältnis zur Volksrepublik China begeben hat. Und bekanntlich legt Peking keinen Wert auf die Einhaltung demokratischer Regeln.

Menschenrechte

Die kambodschanische Regierung setzt sich nicht bedingungslos für die Einhaltung der allgemeinen Menschenrechte ein. Sie werden eindeutig den Bemühungen um den Machterhalt untergeordnet, während das Land als eines der korruptesten Länder Asiens gilt. NGOs, die im Bereich der Menschenrechte tätig sind, kennen daher tabuisierte politische Bereiche, mit denen sie sich ungeachtet eines tatsächlichen Bedarfs kaum auseinandersetzen können. Das umfasst in erster Linie das öffentliche Ressourcenmanagement, den Umweltschutz, Grand Corruption und politisch-relevante Meinungsfreiheit. Aus diesem Grund haben viele NGOs schon vor Jahren ihren Fokus auf politisch weniger sensible Themenbereiche verlagert und vermeiden harsche Kritik in bestimmten Themenbereichen, was manchmal einer Selbstzensur gleichkommt. Durch ein faktisches Demonstrations- und weitgehendes öffentliches Kundgebungsverbot im ganzen Land werden NGOs darüber hinaus in ihren Freiheiten massiv eingeschränkt.

Darüber hinaus behindern staatliche Ineffizienz, starke und kaum kontrollierte Sicherheitskräfte sowie politisierte Gerichte einen effektiven Schutz der Bevölkerung vor Menschenrechtsverletzungen. Gerade in den rohstoffreichen und dünnbesiedelten Provinzen im Norden und Osten Kambodschas wirken sich diese Defizite besonders stark aus. Auch bei bestimmten Personengruppen ist die Gefahr, Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden, erhöht. Dazu zählen

  • Angehörige indigener Völker
  • Gefängnisinsassen und Personen in Polizeigewahrsam
  • Zivilgesellschaftliche Regimekritiker/innen und Mitglieder der aufgelösten CNRP
  • Opfer von Menschenhändler/innen
  • Frauen und Kinder, deren besonderem Schutzbedarf kaum Rechnung getragen wird.

Zumindest sind schwerwiegende Landkonflikte, die von mächtigen Spitzenpolitikern und einflussreichen Geschäftsleuten vorangetrieben werden, sowie Zwangsräumungen weitgehend verschwunden. Die Religionsfreiheit ist allgemein akzeptiert, und im Vergleich zu anderen Ländern genießen LGBTQI bürgerliche Freiheiten, die in der Region sonst nur von Taiwan übertroffen werden.

Schwere Zeiten für unabhängige politische Akteure

Parallel zur Opposition sind in den letzten Jahren auch viele Akteure des öffentlichen Lebens in Kambodscha, die sich nicht im Machtbereich der CPP befinden, unter erheblichen Druck geraten. Bis auf wenige Ausnahmen ist eine unabhängige Medienberichterstattung nicht mehr möglich, die wenigen unabhängigen Gewerkschaften sind weitgehend in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, andere Parteien sind einfach zu klein, zu unbekannt und damit irrelevant, um ein politisches Gegengewicht zu bilden. Und obwohl sie alle keine Bedrohung für das Regime und seine Spitzenvertreter darstellen, sind sie in ihrer Existenz grundsätzlich gefährdet. Mit einer gleichgeschalteten Justiz und juristischen Spitzfindigkeiten, so absurd sie auch sein mögen, könnte jeder unabhängige Akteur innerhalb kürzester Zeit von der Bildfläche verschwinden.

Unter diesen Bedingungen ist es für viele kambodschanische NGOs immer schwieriger geworden, ihrem Daseinszweck zu entsprechen. Erst 2015, mit der Verabschiedung des Laws on Associations and Non-Governmental Organizations (kurz LANGO), ist die Registrierung von NGOs verbindlich geworden. Dennoch liegen keine verlässlichen Zahlen vor; während einige Quellen von mindestens 3.000 NGOs ausgehen, listet die offizielle NGO-Datenbank derzeit 406 aktive Organisationen auf, darunter 259 ausländische und 147 inländische NGOs. Drei Jahre zuvor waren es noch 579 Organisationen, davon 294 ausländische und 285 inländische.

Viele NGOs sind tatsächlich Sozialunternehmen

Darüber hinaus sind viele kambodschanische NGOs in Wirklichkeit Sozialunternehmen, die aufgrund ihres Status Steuervorteile genießen, aber ansonsten nichts mit dem Verständnis von NGOs gemein haben. Dennoch leisten diese Dienstleistungs-NGOs einen äußerst wertvollen Beitrag im sozialen Bereich, vor allem im Gesundheitssektor, wo es an einem leistungsfähigen Staat mangelt. Damit leisten diese NGOs einen wichtigen Beitrag zu einer funktionierenden Gesellschaft, indem sie die rudimentären sozialstaatlichen Leistungen ergänzen. Für das Regime sind diese sozialen Dienstleister-NGOs daher nahezu unverzichtbar, und ihre Existenz ist politisch grundsätzlich nicht gefährdet.

Während also einige NGOs durchaus einen äußerst positiven Beitrag zur Gewährleistung sozialer Menschenrechte leisten, steht es um die liberalen Menschenrechte nicht so gut. Einige Aktivist/innen haben Kambodscha in den letzten Jahren aufgrund von Einschüchterungen und Drohungen verlassen, darunter der bekannte buddhistische Mönch Loun Souvath, der nach einer entwürdigenden Kampagne aus seinem Orden ausgeschlossen wurde und in der Schweiz Asyl erhielt. Andere Akteure, die nicht geflohen sind, haben für ihre Entscheidung dagegen teuer bezahlt: Der bekannte Gewerkschafter Rong Chhun, der im August 2020 verhaftet wurde, befindet sich seit einem Jahr in Untersuchungshaft und wurde schließlich vom Stadtgericht Phnom Penh wegen angeblicher Anstiftung zu einer Straftat oder sozialen Unruhen nach Artikel 495 des kambodschanischen Strafgesetzbuches zu zwei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe verurteilt. Ebenfalls im Fadenkreuz der Regierung stehen die Graswurzelorganisation Khmer Thavrak und die Umweltschutzorganisation Mother Nature, von denen mehrere Aktivisten seit fast einem Jahr ohne Gerichtsverfahren inhaftiert sind. Vier von ihnen wurden im Juli in Phnom Penh angeklagt, sich gegen den König verschworen zu haben – tatsächlich hatten sie dokumentiert, wie Industrieabfälle in einen Fluss geleitet wurden.

Perspektiven und Herausforderungen

Es mag überraschen, dass sich einige NGOs trotz der schwierigen Bedingungen weiterhin für die Menschenrechte einsetzen. Diese Organisationen haben gemeinsam, dass sie von mutigen und selbstbewussten Persönlichkeiten geführt werden und international gut vernetzt sind. Denn seit den 1990er Jahren hat sich immer wieder gezeigt, dass internationales Interesse eine wirksame Schutzfunktion für Menschenrechtsaktivist/innen bietet. In Kambodscha engagierte westliche Staaten werden daher auch in den kommenden Jahren in politischer und finanzieller Hinsicht die wesentlichen Garanten für NGOs in Kambodscha bleiben.

Thematisch wird in den kommenden Monaten und Jahren die enorme menschenrechtliche Bedeutung der ungelösten Probleme der Mikrokreditschwemme weiter zunehmen. Durch ein fehlendes Privatinsolvenzrecht entstehen bei Zahlungsunfähigkeit prekäre Lebenssituationen, die mit moderner Sklaverei inklusive vererbter Schuldknechtschaft durchaus passend beschrieben werden. In den letzten Jahren wurden zahllose Kredite ungeachtet der tatsächlichen Bonität und mit Zinssätzen jenseits der gesetzlich festgelegten 24 Prozent pro Jahr vergeben, die gerade unter den pandemischen Bedingungen für viele verschuldete Personen kaum noch zu bedienen sind.

Während sich einige NGOs damit schon auseinandersetzen, geht die Regierung dieses gewaltige Problem nur zögerlich an. Da die Ausübung von Druck jedoch kontraproduktiv wäre, bleibt den NGOs nur der sogenannte Advocacy-Ansatz, um politische Prozesse zumindest in gewissem Umfang mitzugestalten. Dabei treten NGOs wie Berater der Regierung auf, die durch letztere bedarfsgerecht hinzugezogen werden oder eben nicht. Natürlich spiegelt dies keine lebendige und respektierte Zivilgesellschaft wider, da es ganz vom Willen der Regierung abhängt, ob NGOs in politische Prozesse einbezogen werden oder nicht. In Anbetracht des autokratischen Charakters des Regimes ist dies jedoch das Maximum, das derzeit möglich ist.


Dr. Markus Karbaum ist ein deutscher Politikwissenschaftler und Berater, der sich auf die Politik Kambodschas und Südostasiens spezialisiert hat.

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten geben die Meinung des Autors wieder und spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Heinrich-Böll-Stiftung wider.