Kurzanalyse Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2021

Analyse

Kurzanalyse der Wahlergebnisse und des individuellen Wahlverhaltens in Sachsen-Anhalt 2021 aus Perspektive der Heinrich-Böll-Stiftung.

Blick in den Plenarsaal des Landtags Sachsen-Anhalt

Knapp 1,8 Millionen Wahlberechtigte konnten im Flächenland Sachsen-Anhalt über die Zusammensetzung des künftigen Landtags entscheiden. Die Wahlen standen unter bundespolitischer Beobachtung, wurden aber landespolitisch entschieden. Reiner Haseloff (CDU) profitierte nicht nur vom Amtsinhaberbonus, sondern stellte zudem unter Beweis, dass im bürgerlich-konservativen Lager Wahlen mit einer klaren Haltung gegen rechtsautoritäre Positionen gewonnen werden können. Dieser Wahlerfolg war nicht zuletzt durch eine besonders hohe Mobilisierung von Wählerinnen möglich. Bündnis 90/Die Grünen gingen als kleinster Koalitionspartner mit leichten Zugewinnen aus der Wahl, blieben aber klar hinter den Erwartungen zurück. Unsere Kurzanalyse präsentiert erste Ergebnisse. Eine umfassendere, empirische Analyse folgt in den nächsten Tagen.

Das Wahlergebnis

Mit einem vorläufigen Ergebnis von 37,1 Prozent konnte die CDU als amtierende Regierungspartei ihr bisheriges Ergebnis massiv ausbauen (+7,4 Prozentpunkte). Für die CDU in Sachsen-Anhalt bedeutet das einen ersten Zugewinn bei Landtagswahlen seit der Jahrtausendwende. Die CDU konnte 40 der 41 Direktmandate gewinnen. Das verbleibende Direktmandat ging an die AfD.

Gewinne verzeichnen konnten zwei weitere Parteien: Die Grünen und die FDP. Mit einem Ergebnis von 5,9 Prozent verzeichneten die Grünen einen leichten Zuwachs um 0,8 Prozentpunkte zur letzten Landtagswahl. Das ist ein solides Ergebnis für die Grünen in Sachsen-Anhalt, die bei den Landtagswahlen seit 1990 immer um jeden Prozentpunkt kämpfen mussten. In den drei kreisfreien Städten konnten die Grünen hinzugewinnen, besonderes deutlich in Halle (Saale) mit 3,2 Prozentpunkten und in Magdeburg (+2,7 Prozentpunkte). In neun der zwölf Landkreise sind leichte Stimmenzuwächse zu verzeichnen. Mit diesem Ergebnis bleiben die Grünen hinter den eigenen Erwartungen zurück.

Die FDP erreichte 6,4 Prozent. Ein Stimmenzuwachs um 1,6 Prozentpunkte ermöglicht den Wiedereinzug in den Landtag, dem die FDP die vergangenen zwei Legislaturperioden nicht angehörte.

Die Wählerinnen und Wähler bescherten der Linken massive Stimmenverluste (-5,3 Prozentpunkte). Im Ergebnis erreichten sie nur noch 11 Prozent. Dies ist die dritte Wahl in Folge, in der die Linken Wählerstimmen verlieren. Das erreichte Ergebnis von 11 Prozent ist ein sehr niedriges Niveau für eine Partei, die seit Mitte der 1990er Jahre meist ein Fünftel der Wählerschaft in Sachsen-Anhalt erreichte.

Auch die SPD muss Stimmenverluste verkraften (-2,2 Prozentpunkte) und kommt nur noch auf ein einstelliges Wahlergebnis in Höhe von 8,4 Prozent. Damit sind zwar die Verluste keinesfalls so hoch wie bei der vergangenen Landtagswahl, zeigen jedoch deutlich die Schwierigkeiten für die SPD auf, Wählerinnen und Wähler zu gewinnen.

Die AfD ist mit 20,8 Prozent erneut zweitstärkste Kraft in Sachsen-Anhalt geworden. Sie konnte jedoch nicht an den Erfolg der letzten Landtagswahl anschließen, da sie zum einen erhebliche Stimmenverluste verzeichnet (- 3,4 Prozentpunkte) und zum anderen nur einen ihrer Direktmandate mit einem knappen Vorsprung von einem Prozentpunkt wiedergewonnen konnte (Wahlkreis Zeitz).

Insgesamt geht das bürgerlich-konservative Lager, bestehend aus CDU und FDP, gestärkt aus den Wahlen hervor. Das linke Lager, bestehend aus SPD, Linken und die Grünen in Sachsen-Anhalt, steht schwächer da als zuvor und kann nicht mehr an seine Ergebnisse anknüpfen, die es in den letzten 30 Jahren bei den Landtagwahlen immer wieder erreichen konnte. Mit dem zweistelligen Ergebnis der AfD wird ferner deutlich, dass sich in der sachsen-anhaltinischen Parteienlandschaft eine nationalistische Werteordnung fest etabliert.

Vergleich Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2021 zu 2016
Abbildung 1: Vorläufiges Wahlergebnis Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2021. Quelle: eigene Darstellung basierend auf den Daten des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt (Halle). Stand des vorläufigen Ergebnisses: 07.06.2021​​​

Leicht gesunkene Wahlbeteiligung

An dieser Landtagswahl beteiligten sich 60,3 Prozent der Wahlberechtigten. Die Wahlbeteiligung ist leicht gesunken im Vergleich zur letzten Landtagswahl. Verglichen zu allen Wahlen im Bundesland seit 1990 liegt die Wahlbeteiligung auf einem mittleren Niveau.

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ist die Bedeutung der Briefwahl in Sachsen-Anhalt deutlich gestiegen. 29,1 Prozent der Wählenden entschieden sich für diesen Weg der Stimmabgabe. Dieser Wert liegt deutlich unter den Briefwähleranteilen in den vergangenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg (50 Prozent) oder Rheinland-Pfalz (65,9 Prozent). Für Sachsen-Anhalt ist der Anteil ein sehr hohes Niveau, denn in der Vergangenheit wurde dieser Weg der Stimmabgabe vergleichsweise selten eingeschlagen.

Insgesamt kann bei dieser Wahl nicht von einer übermäßigen Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt gesprochen werden.

Ein erster Blick auf die einzelnen Ergebnisse

Das sehr gute Abschneiden der CDU lässt sich auf ihren Spitzenkandidaten und ihre Rolle in der Landesregierung zurückführen: Mit Reiner Haselhoff stand ein Spitzenkandidat zur Wahl, der sich als amtierender Ministerpräsident auf eine hohe Zufriedenheit von Wählenden in nahezu allen Parteien stützen kann. Wie bei den vorangegangenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeigt sich erneut deutlich, dass der Amtsbonus bei Landtagswahlen eine gewichtige Rolle spielt. Auch kann die CDU von der Regierungsarbeit deutlich stärker profitieren als die kleineren Koalitionspartnerinnen SPD und Grüne. Bei den wahlentscheidenden Themen wie soziale Sicherheit, Wirtschaft und Arbeit sowie Bildung und Schule weist die CDU Sachkompetenz auf und auch das als gut wahrgenommene Corona-Management im Land kommt vor allem der Regierungspartei zu gute.

Ferner scheint eine deutliche Mobilisierungskraft für die CDU in den Entwicklungen unmittelbar vor den Wahlen zu liegen. Basierend auf der Interpretation einiger Umfragedaten wurde ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der CDU und der AfD nahegelegt. Der daraus folgende Aufruf ein demokratisches Bollwerk gegen die AfD zu schaffen und diese als stärkste Kraft zu verhindern, scheint ebenso zum Erfolg der CDU beigetragen zu haben.

Vorwahlumfragen und vorläufiges Endergebnisse Landtagswahl Sachsen-Anhalt 2021
Abbildung 2: Dynamik kurz vor der Wahl - Vorwahlumfragen und vorläufiges Endergebnisse. Quelle: eigene Darstellung basierend auf den Daten des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt (Halle) und Infratest-Dimap.

Die Grünen werden in Sachsen-Anhalt insbesondere für ihre Kernkompetenz im Umwelt- und Klimaschutz wahrgenommen. Anders als in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird dieses Thema jedoch von den Wählerinnen und Wählern nicht als wahlentscheidend angegeben. Vielmehr wird dem Umwelt- und Klimaschutz laut der Wahlumfragen eine geringe Notwendigkeit für die Problemlösung vor anderen Problemen eingeräumt. Die Grünen sind mit einem Team aus Claudia Dalbert, Conny Lüddemann (als Spitzenkandidatin) und Sebastian Striegel angetreten.  Auch wenn die grünen Politiker/innen aufgrund ihrer Regierungsarbeit klar mit bestimmten grünen Themen verbunden werden können, bleibt ihre Bekanntheit weit hinter der des Ministerpräsidenten zurück – ein Nachteil im politischen Wettbewerb, den übrigens die Spitzenkandidat/innen aller Parteien haben.

Kräfteverschiebungen im Landtag und neue Koalitionsmöglichkeiten

Mit nun sechs Parteien im neuen Landtag ergeben sich in Sachsen-Anhalt neue Koalitionsmöglichkeiten. Sachsen-Anhalt hat bereits in der Vergangenheit verschiedene Koalitionsmodelle erprobt, die Parteien aus verschiedenen Lagern zu einer Zusammenarbeit zusammenführte. Zuletzt wurde die Koalition von der Verpflichtung demokratischer Parteien getragen, keine Regierung mit der AfD zu bilden.

Politisch denkbar sind die folgenden Koalitionsoptionen:

Die bisherige Koalition von CDU, SPD und Grüne wird weitergeführt oder es werden Koalitionsmodelle gewählt, die die FDP einbeziehen. Das kann einerseits in der Zusammenarbeit zwischen CDU, SPD und FDP geschehen oder in der Konstellation CDU, Grüne und FDP. Auch eine „große“ Koalition aus CDU und SPD scheint möglich, da die beiden Parteien die absolute Mehrheit von 49 Sitzen erreichen.

Die CDU wird in den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen sämtliche Spielräume nutzen, ihre politischen Inhalte so gut wie möglich in einer neuen Regierung umsetzen zu können. Ginge es nach den Wählenden, dann scheinen die Fortführung der bisherigen Koalition (30 Prozent) oder die Zusammenarbeit von CDU, SPD und FDP (38 Prozent) favorisierte Koalitionsmodelle zu sein. Eine klare Mehrheit der Wählerinnen und Wähler lehnt eine Regierungsbeteiligung der AfD ab.

Unterschiedliches Wahlverhalten zwischen den Generationen

Die Grünen mobilisierten auch in Sachsen-Anhalt besonders die jüngeren Wählenden von 18 bis 34 Jahren und gewinnen insbesondere Frauen. Auch der FDP gelingt es, viele jüngere Wählende für sich zu gewinnen.

Der Erfolg der CDU basiert auf der Unterstützung von Wählenden aller Altersgruppen. Die Umfragen verdeutlichen jedoch, dass die Zugewinne insbesondere von Wählenden getragen sind, die älter als 45 Jahre sind. Ferner ist der CDU eine hohe Mobilisierung von Frauen gelungen (+7 Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Landtagswahl), sodass erstmal mehr Frauen (40 Prozent) als Männer (32 Prozent) der Partei ihre Stimme gegeben haben.

Bei der Linken lässt sich kein Alterseffekt feststellen; sie verlieren in allen Altersgruppen. Auffällig ist, dass die einstigen Volksparteien CDU und SPD in Sachsen-Anhalt nur noch bei Wählenden über 60 Jahre eine gemeinsame Mehrheit haben. Bei den Altersgruppen unter 45 ist die AfD die stärkste Kraft.

Individuelle Wahlmotive

Aus der klassischen Trias der Wahlmotive „Kandierende, Programmatik und Verbundenheit zu einer Partei“ sowie unter Einbezug einer ergänzenden emotionalen Dimension lässt sich gut erfassen, warum sich Wählende für bestimmte Parteien entscheiden. Aus den Nachwahlbefragungen geht hervor, dass der Effekt des Spitzenkandidaten am deutlichsten für CDU-Wählende im Vergleich zu den anderen Parteien wog, als Motiv für ihre Wahlentscheidungen jedoch nicht mehr Gewicht bekommt als etwa das programmatische Angebot der Partei.

Das programmatische Angebot spielt eine besondere entscheidende Rolle für Wählerinnen und Wähler, die sich für die Grünen entschieden haben. Gleiches trifft auf die AfD-Wählerschaft zu. Die langfristige Verbundenheit zu einer Partei ist als Wahlmotiv bei Wählerinnen und Wähler der Linken und der SPD deutlicher ausgeprägt als bei Wählerinnen und Wähler anderer Parteien.

Die meisten Wählenden entscheiden sich für ihre Partei aus Überzeugung und weniger aus Enttäuschung über andere Parteien. Insbesondere bei den AfD-Wählenden nimmt der Anteil der Protestwählerschaft im Vergleich zur letzten Landtagswahl signifikant ab. D.h. wie bereits schon in den jüngsten Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verfestigt sich die Wählerschaft, die die AfD aus Überzeugung wählt.


Quellen: Diese ersten Auswertungen beruhen auf Daten des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt (Halle), Daten von Infratest dimap sowie der Forschungsgruppe Wahlen.