Queere Community in Nigeria: "Mein Feminismus ist queerer Feminismus"

Interview

Dem patriarchalen System muss Widerstand entgegengesetzt werden. Aber so lange es sich hartnäckig hält und weiterhin besteht suchen queere Menschen in Nigeria Wege gleichzeitig Widerstand zu leisten und dabei das eigene Leben, Freude und Glück nicht zu vergessen.  Queerer Feminismus ermöglicht es, neue Existenzformen zu entwickeln und zu erproben - neue Lebensweisen in der Gemeinschaft mit anderen, neue Wege des Organisierens und des Verteilens von Ressourcen und neue Perspektiven auf die Erfüllung von Bedürfnissen. Im Gespräch mit OluTimehin Adegbeye, zu Bedeutung und Chancen des queeren Feminismus.

Grafik/Portrait: OluTimehin Adegbeye

Das Interview führte Claudia Simons, Referentin für Afrika in der Heinrich-Böll-Stiftung.

Wie bist du zum Feminismus gekommen?

OluTimehin: Meine Einführung in den Feminismus erfolgte über den ‚Womanism‘, eine Schwarze, afroamerikanische feministische Ideologie. Ich habe den Womanism eine Weile lang für mich ausprobiert, bin dann aber zum Feminismus im weiteren Sinne übergegangen. Nicht, weil er mir nicht gepasst hätte, sondern weil ich nicht das Gefühl hatte, ihn für mich beanspruchen zu dürfen, da er aus einem spezifisch afroamerikanischen Kontext entstammt. Je mehr sich mein feministisches Bewusstsein vertieft hat, ich mehr gelesen und die Funktionsweisen des kapitalistischen Patriarchats genauer studiert habe, ist mir klar geworden, dass es nicht ausreicht, Feminismus als Kampf für die Rechte der Frau zu verstehen. Das war mein Einstiegspunkt. Es ist wichtig, den Feminismus als einen Kampf gegen alle Formen und Spielarten des Patriarchats zu betrachten, zu denen auch Homophobie und Queer-Phobie gehören, und sich insbesondere dem kapitalistischen Patriarchat zu widersetzen, der Diskriminierung von Behinderten, der Transphobie und der Feindlichkeit gegenüber Schwarzen Frauen (Mysoginoir) sowie all diesen sich überschneidenden Formen der Unterdrückung. Mein Feminismus ist für mich deswegen definitiv queerer Feminismus.

Also ist deine Sichtweise auf Feminismus zwangsläufig intersektional?

Als ich auf Kimberlé Crenshaws Konzept der Intersektionalität stieß, wurde mir klar, dass Unterdrückung nicht additiv ist. Es geht nicht darum, zu deinem Schwarzsein noch deine Queerness oder deine Weiblichkeit hinzuzufügen. In der individuellen Erfahrung erlebst du eine jeweils eigene Art der Unterdrückung. Mir wurde wirklich klar, dass es nicht ausreicht, Feminismus einzig als Kampf für die Rechte der Frau zu betrachten. Der queere Feminismus bietet am ehesten Raum für die  Beschreibung des kapitalistischen Cisheteropatriarchats und die Instrumente zu seiner Bekämpfung. Im Grunde bedeutet es nichts anderes, als sich mit sich überschneidenden Formen der Unterdrückung zu befassen, die dazu führen, dass bestimmten Menschen Rechte und Ressourcen verweigert, während sie anderen ungerechtfertigt zugestanden werden.

In welchem Verhältnis steht dein feministischer Kampf mit deinem eigenen Leben als queere Person?

Queerer Feminismus ist für mich eine Politik der Befreiung. Ich will nicht nur Rechte. Ich will frei sein. Wir werden zu meiner Lebzeit keine grundlegende Transformation der Welt mehr erreichen. Was macht es für mich also dennoch erstrebenswert, diesen Kampf fortzusetzen? Dass der queere Feminismus mir die Instrumente an die Hand gibt, die es mir ermöglichen, mich innerhalb meiner Community frei zu bewegen, unabhängig davon, ob sich die Welt radikal verändert oder nicht. Queerer Feminismus ermöglicht es mir, neue Existenzformen zu entwickeln und zu erproben - neue Lebensweisen in der Gemeinschaft mit anderen, neue Wege des Organisierens und des Verteilens von Ressourcen und neue Perspektiven auf die Erfüllung von Bedürfnissen – und zwar unabhängig davon, was das System vorhat. Das System wird auch weiterhin bestehen und sich hartnäckig halten. Wir befinden uns in einer Phase, in der das System äußerst aggressiv gegen Widerstand vorgeht. Im Kern meiner Existenz kann es also nicht um Widerstand gehen. Ich lebe nicht nur für den Widerstand, ich lebe auch für die Freude, für Ganzheit, für die Liebe. Und der queere Feminismus ermöglicht es mir, Widerstand zu leisten und gleichzeitig zu leben. Dem System muss Widerstand entgegengesetzt werden. Doch zugleich ist mein Leben äußerst kostbar; beides darf koexistieren. Das bedeutet queerer Feminismus für mich. Es ist ein Raum, in dem sich Freiheit gestaltet lässt.

Auf welche queere feministische Community beziehst du dich? Auf eine globale Bewegung oder eher auf eine konkrete familiäre Ebene von Community?

Sowohl als auch. Ich beziehe meine Energie, mein Wissen, meine Inspiration und Hoffnung aus dieser riesigen Bewegung von Menschen, die dieselben politischen Strategien verfolgen – manche davon leben noch, andere sind schon gestorben. Ich kann also Menschen, denen ich nie persönlich begegnen werde als meine Community betrachten, weil deren Verständnis von der Welt, ihre Visionen und ihre radikale Vorstellungskraft, mein Leben mitbestimmen. Aber wenn ich von meiner ‚Community‘ spreche, meine ich damit auch ganz spezifisch diejenigen, mit denen ich zusammen kämpfe und mit denen ich mein Leben teile. Menschen, deren Werte, politische Ausrichtung und Zielsetzung, aber auch deren persönliches Verständnis von Beziehungen und Lebensstil mit meinem übereinstimmt. Community ist für mich also einerseits diese breitere globale Erbe des queeren feministischen Denkens und Handelns, auf das ich mich beziehe. Und dann gibt es noch die eigene Community vor Ort, in erster Linie junge afrikanische queere Feministinnen, mit denen ich die Dinge durchdenke und meine Arbeit mache. Und zudem noch diejenigen, die ich als meine Familie betrachte, diejenigen, mit denen ich durchs Leben gehe.

Erzähl mir ein wenig über den politischen Kontext, in dem du dich bewegst. Beziehst du dich eher auf das globale patriarchale System oder auf die alltägliche Variante davon, wie du sie in Nigeria in Lagos erlebst?

OluTimehin: Ich beschäftige mich mehr mit Systemen als mit Einzelschicksalen oder Beliebigkeiten. Es ist unmöglich, die Funktionsweise des globalen Cisheteropatriarchats, wie es bell hooks beschreibt, von Lagos zu trennen. Es gibt einen Grund, warum private Bauvorhaben wie Eko Atlantic in Lagos existieren können: Dies ist eine typisch lokale Erscheinungsform eines typisch globalen Problems. Die Art und Weise, wie  Polizei und Überwachung hier funktioniert, findet sich in ziemlich jeder Demokratie auf der Welt. Das Lokale ist nicht vom Globalen zu trennen. Und so wichtig es auch sein mag, die Besonderheiten im Einzelnen zu betrachten, müssen wir zugleich auch unser Augenmerk auf die Quellen dieser Systeme legen und darüber nachdenken, was sie über das Besondere hinaus gemeinsam speist. Dafür ist es wiederum entscheidend, dass du weißt, wie sich das System in deinem spezifischen Kontext zeigt -- nicht nur in deinem lokalen Umfeld, sondern auch in deinem gesamten Leben. Als queere Frau in Nigeria, ist mir bewusst, dass meine Queerness mich strukturell benachteiligt. Dagegen wiegt meine Klassenzugehörigkeit diesen Nachteil materiell wieder auf. Ich kenne die Ursachen für diese Benachteiligung auf globaler und systemischer Ebene, doch ich weiß auch, wie sie sich direkt auf mein Leben auswirken. Das gibt mir die Mittel an die Hand, mir eine alternative Wirklichkeit vorstellen zu können, für mich und die Menschen, die unmittelbar von meinem Leben beeinflusst werden.

Du hast erwähnt, dass deine Klassenprivilegien andere Nachteile ausgleichen. Wenn man sich die transnationale intellektuelle und finanzielle Elite ansieht, scheint es oft so, als ob man alles sein könnte, sogar offen queer, solange es dein Klassenstatus erlaubt. Würdest du sagen, dass die Klassenzugehörigkeit über race, Geschlecht, Sexualität und anderen sich überlappenden Kategorien steht?

Klasse ist ein äußerst wichtiger Faktor in Bezug auf queere Menschen. Wenn wir zum Beispiel über die queere Community in Nigeria sprechen, meinen wir fast immer Menschen aus den unteren Gesellschaftsschichten. Weil Menschen aus der Elite, mit finanziellem und akademischem Status keine Gemeinschaft in diesem Sinne brauchen. Sie sind mobil, müssen also nicht zusammenkommen und Ressourcen und Wissen bündeln, um überleben zu können. Auch kommen z.B. in den Gesprächen queerer Menschen Dinge wie Ableismus/Behinderung oder mentale Schwierigkeiten häufig nicht zur Sprache, was auch mit Klasse zu tun hat. Ich denke, dass wir in Nigeria erst einen umfassenderen Diskurs über Themen wie Ableismus  führen können, wenn Klasse und Armut nicht mehr relevant sind. Erst wenn der Überlebensmodus nicht mehr das beherrschende Thema ist, kann so etwas wie psychische Erkrankungen zum Thema werden. Klasse ist also etwas absolut Entscheidendes. Sie wirkt sich auf alles aus.

Von daher ist ökonomische Sicherheit für viele innerhalb der queeren Community Nigerias das oberste Ziel. Dies zeigt sich auch in der Arbeit der Organisationen, die LGBT-Rechte verteidigen. Ein Großteil der Arbeit, wie Workshops, Vermittlung von Fertigkeiten und Berufsausbildung, ist darauf ausgerichtet, den Menschen Zugang zu ökonomischen Möglichkeiten zu verschaffen, da darüber so viele andere Möglichkeiten eröffnet werden.

Klasse hat aber auch etwas mit Begehren zu tun. Wenn du einer höheren Schicht angehörst, wirst du als begehrenswerter wahrgenommen und zugleich hast du diese Attraktivität gar nicht so sehr nötig. Wenn du jedoch aus ärmeren Schichten kommst, bist du darauf angewiesen begehrenswert zu sein, um aus bestimmten Situationen herauszukommen. Viele queere Leute wollen Nigeria verlassen, sie wollen woanders hin. Wenn du jedoch nicht über die nötigen Mittel verfügst, um auf eigene Faust loszugehen, musst du es über den Status deiner Attraktivität versuchen. Wenn zum Beispiel sichtbar ist, dass du queer bist, kannst du Asyl beantragen und woanders hingehen. Oder du triffst vielleicht bei Facebook jemanden aus Kanada, der/die dir Papiere besorgen kann. Menschen, die weder reich sind, noch als begehrenswert angesehen haben, sind dadurch extrem benachteiligt. Diese Themen finden nicht so häufig Eingang in unsere Diskurse, weil wir nach wie vor mit Problemen des wirtschaftlichen Überlebens konfrontiert sind.

Apropos Attraktivität ... Eine bestimmte Form des ‚Lookismus‘ innerhalb der Queeren Szene – zumindest in vielen europäischen Ländern -  reproduziert eine Vielzahl von Ausschlüssen und Unterdrückungen, gegen die wir kämpfen. Jemand ist begehrenswert oder attraktiv, wenn er*sie weiß, schlank, androgyn ist ...

Das ist wirklich interessant. Ich habe gerade mit jemandem ein Gespräch über genau dieses Thema geführt, über die Bedeutung von Androgynität in der nigerianischen Queeren Szene. Zu Beginn der Unterhaltung war ich noch davon überzeugt, dass Männlichkeit für queere Frauen in diesem Teil der Welt absolut erstrebenswert ist. Die Person, mit der ich mich unterhalten habe, hat mich daran erinnert, dass Männlichkeit möglicherweise sehr hoch geschätzt wird, aber auf entwürdigende Art und Weise, weil es niemand wirklich ernst meint mit dir. Aufgrund von Homophobie, bist du als queere maskuline Frau ja immer nur eine Zwischenstation auf dem Weg zur Ehe mit einem Mann, sodass alles, was du da erleben magst, zeitlich begrenzt ist. Jede Beziehung hat ein Ablaufdatum. Es gibt diese Spannung zwischen extremer Sichtbarkeit und kompletter Auslöschung. Wer androgyn ist, ist begehrenswert, darf aber gleichzeitig nicht wirklich existieren.

Siehst du dich selbst als queere feministische Aktivistin?

Ich bezeichne mich nicht mehr als Aktivistin. Ein Grund, warum ich dem Aktivistinnen-Label skeptisch gegenüberstehe, ist, dass eine Aktivistin leicht von der Unterdrückung, gegen die sie sich eigentlich auflehnt, abhängig werden kann. Wenn du deine Existenz, deine Karriere, dein Lebensunterhalt in dem Moment verlierst, in dem das, wogegen du kämpfst beendet ist - kannst du dann wirklich dagegen angehen? Wenn die Unterdrückung deine Lebensgrundlage ist, kannst du dann wirklich dagegen ankämpfen? Deshalb habe ich ein ernsthaftes Problem damit, wie sich Aktivismus darstellt.

Einer der Hauptgründe für meinen Rückzug von dieser Einordnung als Aktivistin war, dass mir nach meinem TED-Vortrag von allen Seiten dieses Aktivistinnen-Label aufgedrückt wurde. (In dem Vortrag beschreibt Olu Timehin, wie die Landaneignung der Regierung das Leben Tausender Menschen zerstört, die in den Küstengemeinden von Lagos, leben, um eine hochmoderne Glitzerstadt, zu errichten, die nur für reiche Nigerianer*innen vorgesehen ist.) Aber was mir diese Rede überhaupt erst möglich gemacht hat, war all das auf Klassenzugehörigkeit beruhende soziale Kapital, das ich mitgebracht habe. Dieses Kapital und die Politik der Attraktivität haben überhaupt erst dazu geführt, dass dieser Vortrag stattgefunden hat, und das hat mir wiederum als Aktivistin mehr Möglichkeiten eröffnet, weil dadurch andere auf meine intellektuellen Fähigkeiten erst aufmerksam geworden sind usw.

Aber das, wogegen ich eigentlich gekämpft habe – die Vertreibung von Menschen aus der Stadt- , wird seit drei Jahren vor Gericht verhandelt. Die Entscheidung ist gefallen. Die Landesregierung hat Berufung eingelegt und sie reichen ständig irgendwelche fadenscheinige Akten nach, damit das Gericht den Fall nicht abschließend beurteilen kann. Ich bin also eine Aktivistin, und als Aktivistin war ich erfolgreich, doch ich war nicht erfolgreich bezogen auf das, worum es mir ging. Tag für Tag werden Menschen vertrieben. Was bedeutet es dann also, Aktivistin zu sein?

Ich kann mich nicht weiter als eine Aktivistin betrachten, wenn ich selbst die eigentliche Nutznießerin meiner Arbeit bin. Deshalb bin ich jetzt ... Schriftstellerin. Wenn ich eine Art Label verwenden müsste, würde ich sagen, dass ich advocacy mache, dass ich eine Fürsprecherin bin.

Ist die Bezeichnung ‚Aktivistin‘ oder ‚Aktivismus‘ für junge Menschen wichtig, die sich Ungerechtigkeiten bewusst werden und diese bekämpfen? Viele kämpfen gegen das System noch bevor sie sich selbst als Aktivistinnen bezeichnen würden oder von anderen so genannt werden.

Ich denke, dieses Label kann dir Bestätigung geben und dich auch in deiner Arbeit antreiben,  denn wenn einem dieses Label anhängt, muss man in gewisser Weise auch danach leben. Auf viele wirkt die Einordnung als ‚Aktivistin‘ anspornend. Insbesondere für junge Menschen, die meist an sich schon sehr viel Energie haben und mit Feuereifer nach Veränderung streben, ermöglicht das Label als Aktivistin, Communitys aufzubauen, die sich für dieselbe Sache einsetzen.  Ich sage das so, als wäre ich selbst nicht mehr jung! (lacht) Aber ich persönlich fühle mich tatsächlich, als wäre ich dieser Identität entwachsen.

Betrachtest du das Schreiben auch als eine Form der Mobilisierung?

Ja, das ist es. Meine schriftstellerische Tätigkeit ist sehr darauf ausgelegt, andere zu motivieren. Ich bin also selbst nicht mehr Aktivistin, aber andere, die meine Sachen lesen, werden hoffentlich zu Aktivist*innen.  Einer der Gründe, warum ich mich in der Rolle als Fürsprecherin zuhause fühle, ist, dass sie mir erlaubt, als Einzelgängerin aufzutreten. Meine Ideen sind zu komplex und zu sehr miteinander verwoben, als dass sie sich in feministische oder queere oder andere spezielle Bereiche einordnen ließen. Und das macht es mir schwer, innerhalb einer Community ganz ich selbst zu sein. Ich bevorzuge es also, Einzelgängerin zu bleiben, was bedeutet, dass mir die Funktion als Autorin und Fürsprecherin sehr entspricht.

Welche Autorinnen haben dich bei deinem persönlichen Feminismus inspiriert?

Professorin Oyeronke Oyewumi, die „The Invention of Women” und „What Gender is Motherhood?” („Die Erfindung der Frau“ und „Welches Geschlecht ist Mutterschaft?“) geschrieben hat. Ihre Art zu denken ist faszinierend. Ich habe sie schon vor Jahren kennengelernt, doch jedes Mal, wenn ich ihr begegne, benehme ich mich wie jemand, der zum ersten Mal Beyoncé trifft (lacht). Ihre Arbeit hat mich sehr inspiriert. Dann ist da noch bell hooks, mit der ich mich erst in letzter Zeit beschäftigt habe. Ob du es glaubst oder nicht, bis vor kurzem war ich keine Feministin, die feministische Theorien im klassischen Sinne las. Der größte Teil der feministischen Lehren, die ich gelesen habe, waren Thesen zum Womanism, die eine Frau namens Trudy auf ihrer Website, Gradient Lair, verfasst hatte. Sie hat mehrere Essays geschrieben, in denen sie die Feindlichkeit gegenüber Schwarzen Frauen beleuchtete, ‚mysogynoir‘, ein Begriff, den Professorin Moya Bailey geprägt hat. Es war sehr erhellend. Ihre Arbeit hat mich zu Intersektionalität und dem Werk von Kimberlé Crenshaw geführt, zu Audre Lorde und dem Gedankengut vieler anderer Schwarzer Feministinnen und afroamerikanischer feministischer Ideologien.

Darüber hinaus war es mir wichtig, von transfemininen Menschen zu lernen - zum Beispiel von Tourmaline, die den Film „Happy Birthday, Marsha!“ gedreht hat, in dem es um Marsha P. Johnson geht, deren Arbeit ebenso äußerst prägend auf mich gewirkt hat. Ich lese gerade „Male Daughters, Female Husbands” von Ifi Amadiume. Oh, und ich kann es kaum erwarten, ein Exemplar von Minna Salamis Buch „Sensuous Knowledge“ in die Hände zu bekommen, weil ich ihre Theorie von „Exousiance“ so köstlich finde.

Und dann ist da noch Toni Morrison. Sie ist vielleicht nicht unbedingt als feministische Gelehrte zu bezeichnen. Aber ihr Werk gründet tief in ihrer Existenz als Schwarze Frau in einer Welt von weißen Rassisten, und sie rückt ihre eigene Erfahrung in den Mittelpunkt. Man könnte meinen, das geht nicht, bis man es selbst gesehen hat – der Mittelpunkt muss nicht das (weiße, männliche) Subjekt sein, das mir immer als Mittelpunkt verkauft wurde. Ich kann meinen Mittelpunkt überall setzen. Und diese Kühnheit -- wenn man es mal so nennen will -- ist von zentraler Bedeutung für meine Arbeit.

Hast du als offen queer lebende Autorin viele Hürden oder sogar Bedrohungen bei deiner Arbeit überwinden müssen? Oder steht auch hier dein Klassenstatus über allem anderen?

Klassenzugehörigkeit steht definitiv über allem andern. Und auch die Tatsache, dass ich gebildet bin.  Wie du schon gesagt hast, ich bin Teil einer finanziellen und einer intellektuellen Elite. Und das schützt mich gewissermaßen vor den direkten Auswirkungen meiner Arbeit.

Aber ich weiß, dass ich als heterosexueller weißer Cisgender-Mann wesentlich erfolgreicher wäre, aber dann wäre ich auch nicht ich selbst (lacht). Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein heterosexueller weißer Cisgender-Mann auch nur annähernd an meine Denkweise und meine Logik herankäme. Ich bin mir bewusst, dass meine Position als queere Frau Auswirkungen auf meinen Wirkungsbereich hat, auch darauf, wieviel ich mit meiner Arbeit verdiene.  Aber diese Dinge sind nicht entscheidend für mein Wohlbefinden oder meine Entfaltung. Wenn ich ein Buch veröffentliche, bekomme ich aufgrund meiner gesellschaftlichen Position einen geringeren Vorschuss und mache weniger Umsatz, aber was soll's? Ich bin nicht auf der Welt, um Reichtum anzuhäufen. Das ist nicht der Grund, warum ich hier bin, und das könnte niemals meine Motivation sein. Und was die direkte Bedrohung oder den unmittelbaren Schaden angeht - das habe ich so direkt noch nicht erlebt.

Was würdest du jungen queeren Feminist*innen mitgeben wollen, unabhängig davon ob sie sich als Aktivist*innen bezeichnen oder nicht?

Ich würde ihnen sagen:  Diese Welt, die nicht für dich geschaffen wurde, ist nicht die einzige Welt, die es gibt. Du kannst dir deine eigene Welt aufbauen, in der du im Mittelpunkt stehst. Und ich glaube, wenn ich das früher gewusst hätte ... Ach was, … ich habe es gelernt, als es dran war. Du kannst dir eine Welt aufbauen, bei der du im Zentrum stehst, und das ändert alles, sobald du dich dafür entschieden hast und danach lebst. Es wird dir nicht immer möglich sein, danach zu leben, aber du kannst immer wieder darauf zurückkommen. So werden wir frei.