«Ich bin nicht dafür ­gewählt, dass ich mich persönlich wohl fühle»

Die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop über Verantwortungspolitik in Corona-Zeiten und ihre politische Biografie.

Ramona Pop, seit 2016 Wirtschaftssenatorin und Bürgermeisterin des Bundeslandes Berlin

Interview: Peter Unfried

Es wird gern und oft gesagt, aus der Corona-Krise könne man lernen. Stimmt das tatsächlich? Was haben Sie in den letzten Monaten gelernt, Frau Pop?

Man lernt tatsächlich viel, zum Beispiel über Menschen. Der Spruch bewahrheitet sich: Charakter zeigt sich in der Krise. Außerdem legt die Krise schonungslos offen, was funktioniert und was nicht. Auf einmal ge­hen Dinge ganz schnell, für die man davor Wochen, Monate oder Jahre gebraucht hätte. Wer hätte es etwa Berlin zugetraut, ein Online-Programm zur Unterstützung der Berliner Wirtschaft innerhalb von vier Tagen zu bauen, so dass eine Woche später etwa 190.000 Antragsteller und Antragstellerinnen knapp 1,6 Milliarden Euro auf ihren Konten haben? Es wurde Schlag auf Schlag überwiesen, so dass eine Bank sogar dachte, es handle sich um Hacker-Angriffe.

Es gab auch Klagen: Erst sagt Frau Pop, es sei genügend Geld für alle da, und dann war es ruckzuck aus.

Es fließt weiter Geld. Wir haben gesagt, wir gehen mit dem Berliner Zuschuss voran und leisten die Nothilfe, weil der Bund noch nicht da ist, und mit den Bundesmitteln zieht sich das Land zurück. Dennoch tragen wir weiter Verantwortung – für kleine und mittlere Unternehmen ergänzend zum Bundesprogramm, für die Kultur, weil diese überragend wichtig für Berlins Wirtschaft ist. Diese Krise kann nur durch die gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und Ländern gemeistert werden.

Was sehen Sie über Berlin hinaus jetzt anders?

Die große Frage ist: Werden wir eine Gesellschaft, die aufmerksamer für Krisen wird,  damit wir Krisen früher erkennen und eindämmen können, oder macht die Mehrheit weiter wie davor? Dies ist die erste globale Krise, nahezu alles passiert auf einen Schlag in allen Ländern der Erde. Die Krise zeigt uns, was Europa leisten könnte – oder eben leisten müsste. Sie zeigt denen, die in der neoliberalen Zeit geprägt worden sind, wie leistungsfähig der Staat ist. Wir erleben aber auch, in welcher Schnelligkeit persönliche Freiheitsrechte von Bürgerinnen und Bürgern eingeschränkt werden können.

Da die persönliche Angst der Treiber war, haben es die meisten zunächst als unausweichlich akzeptiert.

Kontaktbeschränkung und Distanzbewahrung sind staatliche Maßnahmen, die epidemiologisch notwendig sind. Was mich persönlich erschreckt, wie schnell Menschen, die sonst jede staatliche Regulation sofort als Freiheitsbeschränkung anprangern, in diesem Fall über Nacht bereit waren, nicht nur ihre Freiheitsrechte über Bord zu werfen, sondern sogar nach mehr Einschränkungen riefen. Gerade mit meiner Biografie ...

… der Kindheit in der neostalinistischen Diktatur Rumäniens …

… habe ich damit gehadert. Aber es ist auch im finanziellen Bereich auf einmal möglich, was vorher nicht annähernd auch nur angedacht wurde. Der Bundeshaushalt hat sich, meine ich, verdoppelt, unser Berliner Haushalt ist auch gewaltig gewachsen.

Es gab Glückseligkeit und auch Hohn bei der politischen Konkurrenz, als mit der Corona-Krise die Bundesgrünen in den Umfragen zurückfielen. Der Tenor: Schönwetterpartei! Wenn es ernst wird, sind doch die guten alten Volksparteien gefragt. Was setzen Sie argumentativ dagegen?

Unsere Parteiführung verhält sich klug. Es ist eine gute Mischung aus Unterstützung der Regierung in der Krise und die richtigen ­Fragen über den Tag hinaus zu stellen. In einer solchen Krisen­situation dominieren existenzielle Fragen und der Fokus richtet sich natürlich zuerst auf die Exekutive. Da, wo wir regieren, richtet sich die Aufmerksamkeit also auch auf uns. Diese aktuelle Aufgabe müssen wir verantwortlich und umsichtig lösen.

Positiv gesehen hat sich der behutsame Reform- und auch Realitätswille in Teilen der neuen Mittelschicht manifestiert im Aufstieg der Grünen in Umfragen. Die Frage ist, ob der Reformwille zurückkommt oder perdu ist?

Die Theorie der beiden ehemaligen Volksparteien lautet doch: Die Leute gucken jetzt auf das «Brot und Butter»-Geschäft. Alles andere sind Schönwetterthemen, wenn Menschen ihre eigene Existenz sichern müssen. Und das wird nach Corona so bleiben. Ich denke jedoch, dass durch die Krise das Bewusstsein dafür wächst, dass unsere Gesellschaft krisenfester werden muss. Wir stellen fest, dass wir diese Krise nicht national lösen können. Es gibt eine höhere Aufmerksamkeit dafür, auf Frühwarnsysteme zu hören. Es gibt Staaten, die schnell gehandelt haben, während andere die Krise aussitzen wollten und damit jetzt hadern. Diese Erfahrungen werden unser Verhältnis zur Klimakrise verändern, wenn wir darauf hören.

Das ist eine politische Entscheidung.

Richtig. Wenn wir in eine drohende Rezession rutschen und der Staat Konjunkturprogramme auflegen wird, stellt sich doch die Frage: Gibt es wieder eine Abwrackprämie für den fünften Diesel oder stellen wir auf Green Economy um, schaffen wir die Wende in der Energiepolitik? Trauen wir uns, in neue Strukturen zu investieren? Sorgen wir für Krisen-Resilienz? Schaffen wir Investitionen in unsere digitale Infrastruktur, der Bereich der Wirtschaft, der mehr denn je gefragt ist? Und da wird es einen großen Teil der Bevölkerung geben, der sagen wird : Jetzt müssen wir das richtig und deutlich zukunftsorientierter machen als bisher.

«Wenn wir in eine drohende Rezession rutschen und der Staat Konjunkturprogramme auflegen wird, stellt sich doch die Frage: Gibt es wieder eine Abwrackprämie für den fün&en Diesel oder stellen wir auf Green Economy um, schaffen wir die Wende in der Energiepolitik?»

Manche denken, das Zurückfahren von Wirtschaft und Mobilität in der Corona-Krise sei auch die Antwort auf die Klimakrise. Ralf Fücks, Vordenker des Green New Deal, widerspricht vehement. Die sozialökologische Transformation brauche das Gegenteil, nämlich wirtschaftliche Dynamik.

Das teile ich. Auch wenn wir jetzt kurzfristig CO2 einsparen, dadurch dass niemand mehr fliegt, halte ich es für einen Trugschluss, dass eine globalisierte Gesellschaft das auf Dauer durchhält. Was nicht heißt, dass es nach der Krise keine Veränderungen im Tourismusverhalten und auch in der Arbeitswelt bezüglich des Vielfliegens geben wird. Doch der Shutdown als Methode zur Bekämpfung der Klimakrise führt zu so hohen sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgekosten, dass ich dies weder empfehlen noch vertreten kann. Ich habe nie zu denen gehört, die gesagt haben, dass Wachstum per se schädlich ist. Auf die alte Art, ja. Es braucht zur Bekämpfung der Klimakrise einen klaren ordnungspolitischen Rahmen. Dann kann grünes Wirtschaften sogar einen Schub fürs Wachstum geben. Was wir nicht vergessen dürfen: Wachstum schafft Einnahmen, die im nächsten Schritt gesellschaftlich umverteilt werden können.

Das Problem ist, dass Politik und Mediengesellschaft sich immer nur auf eine Sache konzentrieren können, und das meist auch noch eindimensional. Bisher sind wir nicht in der Lage, die sich entwickelnden Krisen zusammenzudenken.

Wir lernen gerade viel über Krisen. Auch wenn wir uns nur auf diese Krise konzentrieren, werden wir verändert aus ihr rausgehen und einen anderen und neuen Blick für das bekommen, was wichtig ist.

Glauben Sie wirklich?

Ja. Es kristallisiert sich zum Beispiel ein neues Verständnis des Staates und dessen strategischer Rolle heraus. Wir haben jetzt gemerkt, wie sehr man von einzelnen Ländern abhängig ist, wenn aus betriebswirtschaftlichen Gründen die gesamte Produktion nach Indien und China verlagert wird. Die Diskussion hat coronabedingt für die Pharmaindustrie begonnen, sie betrifft aber auch die Energie- und die digitale Infrastruktur.

Ex-Außenminister Joschka Fischer hat gesagt, der Staat werde nun zum Vorsorgestaat werden. Das höre ich bei Ihnen auch heraus.

Also, ich will Ihnen gar nicht erzählen, wer jetzt plötzlich alles vor unserer Tür steht und sagt, ihr müsst das jetzt richten als Staat. Der Begriff Vorsorgestaat trifft es für mich jedoch nicht, weil das zu sehr die alten ideologischen Diskussionen atmet. Ich bin da eher bei der – strategischen – Sicherung von Infrastrukturen. Die Frage ist, inwiefern wir in dieser neuen Welt in der Lage sind, unsere eigenen Infrastrukturen aufzubauen, zu betreiben und unsere Daten zu schützen? Die Diskussionen haben wir rund um Energienetze, rund um die neue Mobilfunkaufstellung 5G. Das ist nicht trivial, denn die Dateninfrastruktur wird noch relevanter werden, Homeoffice, Videokonferenzen und mehr Datenübertragung werden sich vermutlich nach der Krise noch verstärken. Wenn jemand in Berlin arbeitet, wird er künftig weniger nach Frankfurt für eine kurze Besprechung fliegen.

Was den Vorsorgestaat angeht, hat Westberlin eine echte Tradition. Was die Wirtschaftsdynamik angeht, steht es noch nicht so ideal. Beides müsste durch eine sozialökologische Krisenresilienzpolitik verknüpft werden. Das ist Ihr Job.

Es gab Zeiten, in denen die Grünen für Berlin wirtschaftliche Dynamik eingefordert haben,  und die Antwort lautete unisono: Wozu? Das Geld fließt doch bloß in den Länderfinanzausgleich zurück. ­Diese Haltung hat sich überlebt, Berlin wächst seit Jahren. Wir haben das Jahr 2019 in Berlin mit drei Prozent Wirtschaftswachstum abgeschlossen. Andere, die mit Häme und Spott auf Berlin schauen, sollen mir mal zeigen, welche andere Stadt in Europa mit so einer Geschichte von Krieg und Teilung heute so erfolgreich ist.

In der Öffentlichkeit bleibt häufig hängen, dass gerade die Berliner Grünen alte Wirtschaftsskepsis pflegen. Zuletzt im Fall der Automobilmesse IAA. Sie wollten sie haben, die Grünen aber nicht.

Die knappe Mehrheit meiner Partei, 52 Prozent, vermutete, dass die Automobilindustrie nicht in der Lage sei, sich so zu verändern, wie sie das angesichts der Klimakrise und neuer Mobilitätsanforderungen müsse. Ich gehöre zu denjenigen, die die Herausforderungen formulieren und sagen: Wir müssen darüber reden und Pflöcke einschlagen, was mit der Automobilindustrie und einer neuen IAA für die Mobilitätswende und Klimaschutz erreicht werden kann. Es ist auch immer die Frage, ob man die Regierungsverantwortung verinnerlicht hat, oder nicht. Tut man es, kann man nicht von der Seitenlinie meckern.

Man ist dafür mehr von dieser Welt, weil man sich täglich mit ihrer Realität auseinandersetzen muss. Warum lachen Sie?

Alle leben in ihren eigenen Diskurs-Bubbles, vor allem über die sozialen Medien. Als Regierungsmitglied trifft man jeden Tag ganz unterschiedliche Menschen und ihre sehr unterschiedlichen Meinungen, das ist ganz hilfreich und weitet den Blick. Selbstvergewisserung ist eine gute Sache. Fortschritt wird aber erreicht, indem man mit Andersdenkenden einen Aushandlungsprozess eingeht und sich in eine Richtung bewegt, die man gemeinsam vertreten kann.

Die Grünen sind in Baden-Württemberg hegemonial geworden, weil sie auch als Wirtschaftspartei wahrgenommen werden. Sie haben die Zuständigkeit der CDU und FDP weggenommen. Das wird durch die Corona-Krise noch wichtiger. Ich habe nicht das Gefühl, dass alle Grünen verstanden haben, dass der Schritt zur Wirtschaftspartei die Voraussetzung für sozialökologische Politik ist.

Ja und nein. Das erste Grüne Grundsatzprogramm hatte beim Wirtschaftsprogramm den lapidaren Satz stehen: Wird nachgereicht. Heute gibt es einen grünen Wirtschaftsminister und eine Wirtschaftsministerin. Und zwar genau aus dem Gedanken heraus, dass die ökologische Transformation der Marktwirtschaft ohne die Wirtschaft eben nicht geht. Wie will man denn die Klimakrise bewältigen, wenn man sich von der Wirtschaftspolitik fernhält? Wenn ich die Wirtschaft dauerhaft nur aus der Umweltperspektive kritisiere, passiert wenig. Wer die Wirtschaft ökologisch transformieren will, muss ihre Funktionsbedingungen kennen. Steuereinnahmen fallen übrigens auch nicht vom Himmel.

Haben Sie das Wirtschaftsministerium auch besetzt, um in diese Richtung Symbolpolitik zu machen?

Würde ich Symbolpolitik betreiben, würde ich einen falschen Job machen.

Gibt es interne Gesprächskreise, wo die grünen Wirtschaftsminister sich strategisch abstimmen ... Sie lachen schon wieder?

Tarek Al-Wazir und ich sind zu zweit und haben Handys.

Haben Sie das schon 2006 ausgeklügelt, als junge Grüne – darunter neben dem heutigen stellvertretenden hessischen Ministerpräsidenten Al-Wazir auch Sie – die Grünen mit dem «Realismus und Substanz»-Programm neu formatierten?

Sie meinen so, wie die Jungs sich in der CDU den Andenpakt gestrickt haben? Wir haben damals nicht verabredet, dass wir Wirtschaftsminister werden. Unser Thema war, das grüne Spektrum zu erweitern. Nicht nur um Wählerstimmen zu gewinnen, sondern weil es folgerichtig war.

Die rot-grünen Jahre hatten 2005 mit einem bösen Kater geendet. Die Milieus, die 1998 mit großem Hurra rot-grün wollten, hatten nicht begriffen, wie sehr die globalisierte Welt sich schon verändert hatte, was sich dann in Kriegen und in der Arbeitsmarktreform ausdrückte. Danach fiel man erstmal in Starre.

Ich komme aus der Generation, für die Bundeskanzler-Helmut-Kohl ein Wort gewesen ist.

Ich bin 1997 in die Partei eingetreten. Es stimmt, 1998 kam bei vielen der Realitätsschock. Ja, man wollte rot-grün, aber dass man damit dann als erstes den Kosovo-Krieg führt, stand nicht im Programm. Der Realitätsschock hat uns aber weder aus der Regierung rausgefeuert noch in die Schockstarre versetzt und in die Handlungsunfähigkeit gebracht. Rückblickend ist damals das Fundament für viele bis heute wichtige Themen und Errungenschaften gelegt worden, etwa die eingetragene Lebenspartnerschaft oder das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Auch wurde damals der Grundstein für den lang-anhaltenden wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands gelegt. Und das Ende von Rot-Grün war eine Krise, aus der wir lernen konnten.

Sie sahen Mitte der Nullerjahre die Lage nicht so kritisch?

Wir wollten damals aus der Regierungszeit lernen. Es ist nicht alles gut gelaufen, wir haben schnell gemerkt, wie man Dinge umsetzen kann und wie besser nicht. Aber die Veränderungen dieser sieben Jahre sind bis heute deutlich sichtbar. Rot-Grün hat die Republik verändert, modernisiert. Ich hätte dennoch nicht gedacht, dass wir im Bund so lange auf eine nächste Regierungsbeteiligung warten müssten. Das zeigt, dass man die Chancen, die sich danach boten, konsequenter hätte nutzen müssen.

In Berlin hat es auch lange gedauert.

Stimmt. Wir dachten, wir würden früher an den Punkt kommen, wo wir in der Regierung das Gelernte anwenden können.

Der grüne Stratege Reinhard Bütikofer sieht die Geschichte der Grünen in drei Phasen: Erstmal Vollopposition und Dagegen-Partei. Dann Dafür-und-Dagegen-Partei, mit ersten Landeskoalitionen ab 1985 und Rot-Grün im Bund. Und nun die dritte Phase als Verantwortungspartei für das große Ganze, in die die Grünen durch die Wahl von Winfried Kretschmann zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg sichtbar katapultiert wurden. Gleichzeitig gab es aber eben auch die Generation von Ihnen, Habeck, Heinold, Fegebank, Al-Wazir, die in den Ländern regieren wollten?

Wenn es diese Phasen gibt – und es klingt plausibel, was Reinhard da skizziert – dann ist diese dritte Phase tatsächlich nicht vom ­Himmel gefallen. Bei der ersten Wahl von Winfried Kretschmann dachte man natürlich: Wow, da passiert jetzt etwas Neues. Die Wahl erfolgte überraschend, doch nicht unvorbereitet. Wir, jetzt mal als Generation gesprochen, sind oft dafür gescholten worden, dass wir in den Ländern Politik machen wollten und nicht in den Bund gegangen sind. Das entsprang keiner bewussten Absprache. Ich fand Berlin immer spannend, hier gibt es so viel zu tun. Ich regiere gerne hier, statt im Bund auf der Oppositionsbank zu sitzen und den ganzen Tag lang Anfragen zu schreiben. Über die Länder hat sich dann in der ganzen Partei etwas verändert, was in dieser neuen Phase sichtbar geworden ist.

Warum wollte diese Generation in den Ländern regieren? Hat man der Bundestagsfraktion das Regieren nach 2005 nicht mehr zugetraut?

In den Ländern gab es Gestaltungsmöglichkeiten, die es im Bund nicht gab und bis heute nicht gibt. Opposition kann ich, das weiß ich, das habe ich hier in Berlin lange genug gemacht, dafür muss ich nicht in den Bund wechseln.

Sie sind 1988 aus Rumänien eingewandert, Frau Pop, waren aber nie auf diesem Karriereticket bei den Grünen, warum nicht?

Ich bin auf gar keinem Ticket und ich fühle mich zwischen allen Stühlen ganz bequem.

Ich habe vielleicht mehr Migrationserfahrung als jemand, der in zweiter oder dritter Generation in Kreuzberg geboren ist. Ich weiß, was es heißt, die Zelte abzubrechen und mit 20 Kilogramm Gepäck pro Nase in ein fremdes Land zu gehen. Ich weiß, was Grenzen sind, vor denen man Angst hat, weil man vielleicht doch den Pass weggenommen kriegt und zurückgehen muss. Ich war aber insofern privilegiert, weil ich bei meiner Ankunft die Sprache sprechen konnte ...

... sie gehörten zu der von Ceaușescu diskriminierten deutschsprachigen Minderheit ...

... und aus einem gutbürgerlichen Haushalt stammte und gut in der Schule war. Trotzdem war ich dort, wo ich ankam, anders. Diese Erfahrung, als seltsam angesehen zu werden, weil man anders ist, die habe ich erlebt. Und ich teile mit vielen die osteuropäische Erfahrung eines von Grenzen durchzogenen Europas. Die Bewegungsfreiheit einzuschränken, das ist für mich ein persönlich schwerer Schritt, aber ich bin nicht dafür gewählt, dass ich mich persönlich wohl fühle.

Würden Sie sich als Verfassungspatriotin bezeichnen?

Ja, eindeutig. Es ist ein Spannungsfeld, dass die Grünen heute Institutionen verteidigen müssen, die sie traditionell eher kritisch hinterfragt haben.


Ramona Pop ist seit 2016 Wirtschaftssenatorin und Bürgermeisterin des Bundeslandes Berlin. Sie wanderte 1988 aus Rumänien ein, kam 1997 zu den Grünen und gehörte zur neuen politischen Generation, die nach dem Ende von Rot-Grün die Grünen neu in der Realität positionieren wollte.

Peter Unfried ist Chefreporter und Kolumnist der taz.


«Ich habe vielleicht mehr Migrationserfahrung als jemand, der in zweiter oder dri(er Generation in Kreuzberg geboren ist. Ich weiß, was es heißt, die Zelte abzubrechen und mit 20 Kilogramm Gepäck pro Nase in ein fremdes Land zu gehen.»

Ramona Pop

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