Spanien erwartet konkrete Vorschläge

Hintergrund

Europa und die europäische Politik spielen im Moment keine zentrale Rolle in der gesellschaftlichen Debatte in Spanien. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Europa mit klaren Vorschlägen zur Überwindung der Krise auftritt. 

Spanien erwartet konkrete Vorschläge: Europaflagge in Straßburg

Anforderungen an die EU und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Die Zahlen und Bilder, die in den letzten Wochen und Monaten aus Spanien zu sehen waren, sprachen für sich. Nach Italien war Spanien lange Zeit das zweitmeist gebeutelte Land durch Covid-19. Mittlerweile nimmt es gemessen an den Todeszahlen EU-weit die vierte Stelle ein, nach Großbritannien, Italien und Frankreich.

Das Gesundheitssystem ist als Folge der durch die Wirtschaftskrise 2008 bedingten Kürzungen der letzten Jahre personell und infrastrukturell kollabiert. Das unterbezahlte und unterbesetzte Pflege- und Gesundheitspersonal hat in den letzten Wochen und Monaten teilweise übermenschliches geleistet.  

Vor allem Madrid und Barcelona, die großen Metropolen, gehören zu den Städten, in denen das Virus am deutlichsten Spuren hinterlassen hat. Knapp 60 Prozent der Toten in Spanien wurden in Barcelona/Katalonien und Madrid registriert. Hier vor allem in den - oftmals privaten, aber auch öffentlichen - Seniorenresidenzen und Pflegeeinrichtungen.

Sicherlich hat die enge Bebauung und die Stadtarchitektur maßgeblich zu der schnellen Ausbreitung beigetragen, aber nicht von der Hand zu weisen war ebenfalls der Einfluss der bis zum Schluss vor allem in diesen beiden Städten nicht untersagten Großveranstaltungen (Fußball, Frauendemonstrationen 8. März, etc.). 

Beide Städte gehören im Moment zu denjenigen, die am langsamsten in die Deeskalationsphasen eintreten. Die spanische Regierung hat nach einem totalen Lockdown bereits in verschiedenen Regionen und Inseln begonnen, die ersten Öffnungen einzuleiten. Insgesamt soll dies in vier Phasen im 14tägigen Rhythmus geschehen. Die Kanarischen Inseln und die Balearen sind die ersten, die in die jeweils nächste Phase wechseln.

Die Mehrheit ist unzufrieden mit dem Krisenmanagement

Gleichzeitig sind Madrid und Barcelona/Katalonien die Städte, in denen sich der größte Widerstand gegen die Politik der Regierung regt. Mittlerweile sind 66 Prozent der Spanier*innen unzufrieden mit der Art wie ihre Regierung die Krise managt (@Dalia Research 2020). Konnte die erste Phase des Lockdowns noch mit einem einheitlichen politischen Einverständnis erlangt werden, so ist nun der politische Machtkampf auf allen Ebenen, inklusive der Katalonien-Frage, zurückgekehrt. 

In kaum einem Land sind die politischen Machtspiele zwischen Regierung und Opposition so deutlich hervorgetreten wie in Spanien. Die rechtspopulistische Vox Partei führt dabei eine Kritik an der Regierung an, der sich auf verheerende Weise die rechte Volkspartei PP aber auch verschiedene Nationalistische Parteien anschließen.

Immer wieder werden in den Zeitungen Deutschland und Portugal angeführt, als die Länder, in denen der Zusammenhalt und die zurückhaltende Kritik der Opposition klar gelobt wird. Im Gegensatz zu Deutschland kennt Spanien keine Konsens- und Streitkultur, hier dominieren vielmehr Polarisierung und Konfrontation.

Klima der Polarisierung

Wie in anderen Ländern ist die De-eskalierung des Lockdowns schwieriger zu organisieren als die Einleitung des strikten Lockdowns selbst. Jetzt stehen politische Diskrepanzen und Machtspiele abermals über der einheitlichen politischen Linie und verkomplizieren eine gemeinsame Herangehensweise. Der staatliche Alarmzustand, die zweithöchste Einmischung des Staates in die wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zuständigkeiten, soll noch bis zum 1. Juli andauern. 

Im Moment wirbt Regierungschef Sanchez für eine parlamentarische Mehrheit und wird dafür so manches Zugeständnis gegenüber der Opposition machen müssen. Wird es keine Zustimmung der Verlängerung des Alarmzustandes durch das Parlament geben, so geht die Zuständigkeit für den Gesundheitsbereich wieder an die Regionen zurück und die Zentralregierung verliert ihren Handlungsspielraum zur Krisenintervention.

Die spanische Regierung hat mit verschiedenen Maßnahmen versucht während des Lockdowns die Selbstständigen, Unternehmen und Familien im Land zu unterstützen. Wie lange die Hilfen, wie z.B. das Kurzarbeitergeld ausreichen und vor allem, ob sie ausreichen und wie sie über einen längeren Zeitraum finanziert werden können, ist fraglich.

Wie auch in anderen Ländern ist das Thema der direkten und indirekten Folgen der Corona Krise vor allem auch ein Genderthema: 76 Prozent des Personals im Gesundheitsbereich sind Frauen.

Ob im Supermarkt zu Niedriglöhnen, im sozialen Bereich oder im Gesundheitswesen, es sind die Frauen, die die größte Last tragen, die von Arbeitsplatzverlust und Armut bedroht sind, die bereits jetzt in prekären Arbeitsbereichen arbeiten, die von Einsamkeit und häuslicher Gewalt bedroht sind und durch die Doppelbelastung mit Familie und Job weit über ihre Grenzen gehen.

Spanische Ökonomen fordern mehr finanzielle Unterstützung und konjunkturpolitische Maßnahmen

Anton Costas, ein renommierter Ökonom, der auch auf Regierungsseite Beachtung findet, ist sich sicher, dass die finanziellen Unterstützungen in allen Bereichen, die im europäischen Vergleich niedrig sind, dringend ausgeweitet werden müssten. Ansonsten drohe ein massiver Anstieg von Armut und soziale Unruhen. Doch wie sollen diese Hilfen langfristig finanziert werden?

Die begonnen Innovationen unter der Mitte-Links-Regierung müssen, seiner Meinung nach, wieder weitergeführt werden.[1] Nach langem wirtschaftlichen Stillstand hat sich Spanien langsam wieder aus der schwierigen wirtschaftlichen Situation nach der Krise 2008 herausgearbeitet und war gerade dabei seinen Reformstau anzugehen und neue soziale und wirtschaftspolitisch belebende Maßnahmen zu initiieren.

Was wäre also einem Ökonomen wie Costas zufolge nötig, damit Spanien wieder auf die Beine kommt:

  • ein gemeinsamer politischer Pakt zwischen Unternehmen, Staat und Zivilgesellschaft
  • neue Maßnahmen wie das bedingungslose Grundeinkommen zur Bekämpfung der Armut
  • ein öffentlicher Pakt für Arbeit: jeder der arbeiten will, soll auch Arbeit finden, sei es im öffentlichen, privaten oder nichtstaatlichen Sektor
  • eine baldige Öffnung der Schulen
  • ein deutliches besser ausgestattetes und vorbereitetes Gesundheitssystem
  • ein verbessertes Konkursrecht zum Schutz der Firmen vor Konkursen
  • Verstaatlichung oder staatliche Beteiligung an staatstragenden Firmen nach klaren Vorgaben (wie z.B. in Deutschland bei Lufthansa )
  • Vereinbarungen zwischen Regierung, Firmen und Investitionszentren zur Stärkung von Innovationen und Modernisierung der Gesellschaft[2]

Spanien erwartet von der EU konkrete Vorschläge 

Um es gleich vorweg zu sagen: Europa und die europäische Politik spielen im Moment keine zentrale Rolle in der gesellschaftlichen Debatte. Zu präsent und zu schmerzhaft sind noch die Folgen der Austeritätspolitik, für die vor allem die deutsche Regierung steht, nach der Krise 2008. Doch die Situation in und nach Covid 19 ist nicht die gleiche wie nach der Krise 2008. 

Die Austeritätspolitik Deutschlands hat damals unbenommen viel Schaden angerichtet und das Ansehen der EU und Deutschlands in Spanien deutlich geschmälert. Diesmal ist es jedoch eine globale Krise, von der alle betroffen sind, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Daher ist auch aus spanischer Sicht keine Solidarität des Norden Europas mit dem Süden gefordert, sondern eine Europäische Politik der Solidarität. 

“Aus dieser Krise kommen wir nur gemeinsam heraus”, so das Motto der EU. Doch wird im Land gezweifelt, ob Europa in der Lage ist, dies zu organisieren. Klare Aussagen und eine strukturierte Linie wurden während der Corona Pandemie bisher vermisst. Ein gemeinsames Vorgehen auf vielen Ebenen wird gewünscht und doch bezweifelt. Das Gefühl in der spanischen Bevölkerung ist schwer zu beschreiben, nach anfänglicher Schockstarre, war es wohl eher das “da müssen wir jetzt alleine durch”. 

Je länger die geschlossenen Grenzen anhalten, je länger Spanien als eines der Epizentren gesehen wird, umso wichtiger wird es sein, dass Europa mit klaren Vorschlägen zur Überwindung der Situation auftritt, um nicht eine Abkehr von europäischen Ideen und dem europäischen Zusammenhalt zu erzeugen.

Spaniens Einnahmequelle Nummer 1 ist der internationale Tourismus, noch vor der Baubranche und der Agrarproduktion. Hier ist das Vertrauen langfristig gestört. Die Angst vor einem katastrophalen Ausbleiben des Sommertourismus ist gewaltig. Der langanhaltende Schaden wäre nicht abzusehen. Hier ist Europa gefragt.

Europäische Maßnahmen zur Belebung des Tourismus

Im wirtschaftlichen Bereich ist es die Forderung nach groß aufgelegten Fonds, Bonds und Hilfspaketen, um damit den langfristigen Schock für die Europäische Wirtschaft, speziell die Spanische, so gering wie möglich zu halten. Im Moment wird die Gefahr gesehen, dass vor allem Deutschland von den europäischen Hilfen profitiert. 

Ein Land wie Spanien, dass größtenteils vom Tourismus abhängig ist und im Bereich der Automobilzuliefererindustrie von der Krise des gesamten Sektors betroffen ist, gehört zu denjenigen Staaten innerhalb Europas, die sich nur langsam erholen werden. Die Arbeitslosigkeit, vor allem die der jungen Generation, war bereits vor Corona eine der höchsten in Europa, die Abbruchrate der Schulabgänger/innen ebenfalls.

Erst wenn der Alarmzustand aufgehoben wird, werden wir sehen, wie viele Firmen tatsächlich in Konkurs gehen, wie viele Multis, wie Nissan, ihre Werke schließen, wie lange es dauern wird, bis Tourist/innen wieder Vertrauen fassen und ihren Urlaub in Spanien verbringen werden.

Das Klima der Polarisierung überwinden: Die Stimmung im Land steht auf der Kippe und kann sich jederzeit wirklich gegen die Regierung wenden. Auch dies passiert in vielen Ländern, doch zeigt sich hier wieder einmal, dass Spanien noch eine relativ junge Demokratie ist.

Für Spanien wäre die Einführung eines europäischen Grundeinkommens eine gute Möglichkeit, um auch den immer lauteren pessimistischen Europa-Stimmen entgegenzutreten und zu zeigen, dass Nationalismus nicht weiterhilft und es sich lohnt gemeinsam in Europa für soziale Veränderungen anzutreten. So könnten zu mindestens teilweise die sozialen Folgen abgefedert werden. 

Eine europäische Antwort für den Gesundheitssektor 

Es bedarf einer Europäischen Antwort für den Gesundheitssektor. Covid 19 hat gezeigt, dass nicht nur das Virus nicht an den Grenzen Halt macht, sondern dass die Probleme in fast allen europäischen Ländern ähnlich gelagert sind. In Spanien und besonders in Katalonien hat der Abbau und die Privatisierung im Gesundheitssektor, die Privatisierung in den Alten- und Pflegeheimen, tatsächlich zu viele Menschenleben gekostet. 

Die Produktion der notwendigen Reserven und Materialien für den Gesundheitsbereich muss zurückgewonnen werden in Europa. Dies wäre für ein Land wie Spanien eine große Hilfe, ist hier doch viel Wissen im Bereich der Biotechnology vorhanden.

Ein Ausbau des europäischen Forschungs- und Wissenschaftsbereich für den Gesundheitssektor, die gemeinsame Definition für die Einführung eines Impfstoffes, all dies könnte eine gemeinsame europäische Aufgabe werden, hier ist Europa gefragt. Spanische Forschungskräfte könnten hier eingebunden werden und eine wichtige Rolle spielen.

Die langjährige klare und deutliche Unterstützung und Europa freundliche Ausrichtung in der Gesellschaft ist schon seit langem nicht mehr vorhanden. Kritik und Unzufriedenheit haben sich gegenüber der europäischen Sparpolitik durchgesetzt. Dennoch vertritt die Regierung von Pedro Sanchez eine eindeutig pro europäische Ausrichtung, allerdings mit einem kritischen Blickwinkel. 

Jetzt ist die Möglichkeit für Europa zu zeigen, dass eine gemeinsame Neuausrichtung, die Umsetzung des Green Deals für alle Staaten Europas einen wirtschaftlichen Aufschwung bedeuten kann. Hier wäre für Spanien ein Zukunftsmarkt möglich, die spanischen Grünen stehen dabei, ebenso wie die katalanischen Grünen, auf der Seite der Regierung und unterstützen die Richtung.

Die im Juli 2020 beginnende deutsche Ratspräsidentschaft ist eindeutig nicht das Hauptthema im Land. Zu sehr ist man mit sich selbst beschäftigt, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Langfristiges strategisches Planen ist generell schon schwierig, unter der gegebenen aktuellen Situation auch verständlich. Und doch sind wahrscheinlich die makro-ökonomischen Veränderungen Europas, die vor allem einem Land wie Deutschland zugetraut werden anzugehen und zu meistern. 

Kanzlerin Merkel hat die große Koalition und Deutschland aus Sicht der Spanier/innen bisher gut durch diese Krise geführt. Für die aktuelle europäische Situation bedarf es der Übernahme der Gesamtverantwortung in Europa mit einer starken sozialen und nachhaltigen Wirtschaftspolitik, um den Zusammenhalt in Europa voranzubringen.

Wirtschaftliche Veränderungen zu organisieren, die tatsächlich nicht direkt wieder in die gleichen Muster wie vor der Pandemie verfallen, jedoch schnell und zielführend zu einem neuen Wirtschaftswachstum führen können, dies wäre sicherlich im Sinne der Spanier/innen.

Zu den konkreten Aufgaben gehören hierbei eine veränderte Steuerpolitik, die Einleitung der demokratischen Reform der EU und die Rückgewinnung des demokratischen, europäischen Diskurses. Themen wie Mobilitätskonzepte, Tourismus, nachhaltige Energieversorgung sollten dabei Berücksichtigung finden, ebenso wie die Aufarbeitung der Europäischen Gesundheitspolitik, eine gemeinsame, europäische Asylpolitik und nicht zuletzt die Einführung eines europäischen Grundeinkommens.


[1] Spanien hatte nach einem Jahr einer kommissarischen Regierung, eine erneute Rechtsregierung unter dem konservativen Rajoy. Diese war maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass in den letzten Jahren im Gesundheits- und sozialen Bereich massive Einsparungen und Privatisierungen stattfanden. Durch das Misstrauensvotum, ausgelöst durch den Korruptionsverdacht gegen den amtierenden Präsidenten Rajoy, formierte sich nach langen Verhandlungen die jetzige vielversprechende Mitte-Links-Regierung, bestehend aus der sozialdemokratischen Partei PSOE und der linken Partei PODEMOS, einer Protestpartei, ohne Regierungserfahrung, mit Pedro Sanchez an der Spitze.

[2]Spanien ist immer noch am unteren Ende der Digitalisierung in Europa.