SARS-CoV-2 in Albanien: Drohgebärden und Verräter-Rhetorik

Kommentar

Auf das neuartige Coronavirus reagiert Premier Edi Rama mit Militärfahrzeugen, Kriegsrhetorik und einem der weitreichendsten Lockdowns in Europa. Insbesondere die Bewegungsrechte sind eingeschränkt. Dennoch tragen viele seinen Kurs mit, denn das Gesundheitssystem wäre einer massiven Krankheitswelle keineswegs gewachsen.

Ed Rama, Premierminister von Albanien vor einem Rednerpult, dahinter die Fahne Albaniens

Es glich eher einer Reaktion auf eine militärische Invasion denn auf eine pandemische Herausforderung: Nachdem am 8. März in Albanien der erste Corona-Fall bestätigt worden war, schickte die Regierung Militärfahrzeuge auf die Straßen der Hauptstadt - ein bizarres Bild, das eindrücklich versinnbildlichte, wie Premier Edi Rama mit der aufziehenden Bedrohung umzugehen gedachte. Auch rhetorisch rüstete der Sozialist auf, von Krieg war in seinen Äußerungen fortan die Rede, gar von Verrätern und Verbrechern. Damit meinte er all jene, die sich nicht an die strengen Restriktionen zur Eindämmung des Virus hielten, die seitdem auf den Weg gebracht wurden.

Kohärent indes erscheint die staatliche SARS-CoV-2-Strategie der Regierung keineswegs: Im Februar war eine Schule in Tirana, die vorsorglich auf Online-Betrieb umgestellt hatte, noch mit harten Strafen belegt worden, weil sie, so der Vorwurf, durch ihre Maßnahme Panik geschürt habe. Wenig später setzte die Regierung ihrerseits auf eine harte Linie.

Albanien hat sehr rigide Einschränkungen verhängt

Ohnehin ist Rama für rigide Maßnahmen bekannt. Mit der heranwachsenden Corona-Krise setzt sich Ramas Hang zum Durchgreifen fort. Mitte März verkündete das Ministerium für Gesundheit einen der weitreichendsten Lockdowns in Europa: Schulen, Fitnessclubs, öffentliche Bäder, Gerichte, Parks - alles wurde geschlossen, Cafés und Restaurants durften nur noch im Lieferbetrieb weiter arbeiten. Auch der Verkehr wurde massiv eingeschränkt: Mopeds, Autos durften erst tageweise nicht fahren, der Notstand wurde ausgerufen.

Die wohl weitreichendsten Einschränkungen beziehen sich auf die täglichen Bewegungsrechte der Bürger/innen: In Familien darf nur eine Person am Tag das Haus verlassen – und das auch nur für kurze Zeit. Dazu ist eine besondere Erlaubnis erforderlich, die auf der Internetadresse der Regierung beantragt werden muss. Einwohner Tiranas berichten, dass die Bestätigung für den Antrag sofort ergehe, die Administration hat das bürokratische Prozedere augenscheinlich im Griff. Der gewährte Ausgang dauert freilich nicht lange – nur ein eineinhalb Stunden, und man muss wieder in den eigenen vier Wänden sein.

Pandemie-Bekämpfung ist Chefsache

Die neuesten Pandemie-Nachrichten postet Rama seit Wochen höchst selbst auf seiner Facebook-Seite – mal wird dort medizinisches Personal gezeigt, mal Menschen mit Masken im Park, versehen mit der Message: „Respekt“. Rama, der in den vergangenen Monaten immer wieder durch Europas Hauptstädte tourte, um für die EU-Integration seines Landes zu werben, lässt keine Zweifel aufkommen, dass die Bekämpfung der Pandemie Chefsache ist, nichts wird dem Zufall überlassen.

Während anderswo die Zeit von Gesundheitsminister/innen und Epidemiolog/innen ist, pflegt in Albanien der Premier eine mediale Omnipräsenz. Rama nutzt die Gunst der Stunde, um sich als oberster Viren-Kämpfer zu generieren. Dies führt mitunter zu eher befremdlichen Interventionen: Bei einem Telefonanbieter wurden die Gespräche der Kunden zeitweise geblockt, dann war Ramas Stimme zu hören und eine Botschaft an die Bevölkerung ertönte: Die Mitbürger sollten sich selber schützen – vor Corona und vor den Medien.

Der Druck auf freie Medien bleibt hoch

Ohnehin hat der Tiraner Regierungschef ein eher gespaltenes Verhältnis zum freien Wort: Zwei Mediengesetze, die seine Regierung auf den Weg bringen will, würden die freien Internetportale durch eine neu zu formierende Agentur stark unter Kontrolle der Politik bringen. Eben jene Portale sind es aber, die in einer ansonsten weitgehend durch Parteiinteressen gekaperten Medienlandschaft bislang noch die Fahne einer unabhängigen Presse hochhalten.

Nur durch internationalen Druck, insbesondere der EU und den USA, wurden die angedachten Medien-Gesetze blockiert. Hier wird Rama in Zukunft beweisen müssen, wie ernst er es mit dem Bekenntnis zu Europa meint. Ende März hatte die EU grünes Licht gegeben und offiziell die Aufnahme von Verhandlungsgesprächen mit Albanien und Nord-Mazedonien verkündet – eine historische Entscheidung für jenes Land, das unter dem ehemaligen Diktator Enver Hoxha jahrzehntelang von der Außenwelt abgeschottet war und lange als „Nordkorea Europas“ galt.

Rama regiert mit harter Hand

Doch auch ohne Pandemie regiert Rama mit harter Hand: Schon nach den schweren Erdbeben im November 2019 setzte der Premier auf robuste Drohgebärden, im Falle einer unliebsamen Berichterstattung kündigte er Schließungen von Medienhäusern an. Bürgernahe, partizipative Kommunikation seitens der Regierung ist eher selten: Während des nun ausgerufenen Ausnahmezustandes wurden die Maßnahmen häufig ohne zeitlichen Rahmen festgesetzt. Sie erscheinen mitunter willkürlich, mehrfach wurden die Regeln für die Ausgangssperren geändert. Einwohner berichten, sie müssten kontinuierlich auf die Neuregelungen achten, damit sie die gesetzten Zeitfenster einhalten könnten.

Insbesondere die Lage von Frauen hat sich mit dem totalen Lockdown drastisch verschlechtert – ein Problem, das für die gesamte Balkanregion gilt. Berichten zufolge stiegen die Anfragen bei einer Frauenunterkunft in Tirana in den vergangenen Wochen um mehr als 30 Prozent an.

Eine Gruppe von zivilen Organisationen kritisierte in einem offenen Brief die Regierung anlässlich der verschärften Maßnahmen, insbesondere die Unverhältnismäßigkeit der in Aussicht gestellten Strafen – zuvor hatte Ramas Regierung Haftstrafen bis zu 15 Jahren für jene angekündigt, die den Lockdown brechen würden.

Die Wahlen 2021 fest im Blick

Schon länger befindet sich Albanien in einer schweren politischen und institutionalisierten Krise: Nachdem das Parlament von der größten Oppositionspartei PD boykottiert wurde und diese auch an den Lokalwahlen im Herbst 2019 nicht teilnahm, regieren Ramas Sozialisten das Land nahezu alleine. Offensichtlich ist, dass Rama die allgemeinen Wahlen 2021 bereits fest im Blick hat: Mit seinem heroisch intonierten Hashtag (#Du wirst niemals allein sein) will er den Menschen Sicherheit suggerieren. Der Garant für diese Sicherheit ist – wer sonst – Rama selber.

Mit bislang 750 Corona-Fällen und 30 Toten (Stand 21.4.) hat das Land in der Tat eine der niedrigsten Infektionsraten in Europa, die Maßnahmen erscheinen denn auch vielen angemessen. Eine Mehrheit der Albaner/innen spricht der Regierung in Umfragen das Vertrauen aus – viele wissen, dass das schlecht ausgestattete Gesundheitssystem einer massiven Krankheitswelle keineswegs gewachsen wäre.