Von Kohle, schwarzem Schnee und Umweltschutz in Russland

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Der Kusbass ist Sibiriens Vorratskammer für Kohle. Die Steinkohle aus dem Revier im

Kusnezker Becken heizt Russland ein und versorgt Europa und Asien mit Brennstoff. Und Russlands Regierung setzt auf wirtschaftliche Expansion und steigende Kohleexporte.

Die Luftverschmutzung, bräunliches Leitungswasser und schwarzer Schnee, zahlreiche Krankheits- und Sterbefälle haben jedoch den Zorn der Anwohner und Anwohnerinnen geschürt und lokale Proteste erzeugt. Deutsche Energieversorger importieren die teils subventionierte Kohle zur Stromgewinnung und sind an dem Verkauf und der Weiterentwicklung von Förder-, Filter- und Reinigungstechnologien beteiligt.

Die Umweltprobleme im Kusbass gehen daher auch Deutschland unmittelbar an und standen im Mittelpunkt einer Diskussionsveranstaltung, zu der die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde und die Heinrich-Böll-Stiftung einluden.

Wettbewerb gilt mehr als Schutz der Arbeiter und Umwelt

Zur Einführung illustrierte der Umweltaktivist Anton LEMENTUEV die Folgen des großflächigen Tagebaus für die Umwelt und die Bevölkerung im Kusbass. Durch die Sprengung von Festgesteinen entstehen u.a. Fein- und Schwefelstaub, die auch ins Trinkwasser gelangen. Es sei offensichtlich, dass die beteiligten Unternehmen die internationale Wettbewerbsfähigkeit zuungunsten von Umwelt- und Arbeitsschutzstandards priorisierten.

Aber auch das massive Heizen mit Kohle in den Privathaushalten im Winter und unterirdische Kohlebrände tragen zur Verschmutzung bei. Unverhältnismäßige Enteignungen zugunsten des Tagebaus und forcierte Umsiedlungen sind weitere Probleme, die unmittelbar aus der Kohleproduktion resultieren.

Die zunehmende Belastung für die Bevölkerung entlädt sich in wachsenden Protesten: Diese Proteste werden allerdings vorwiegend von Menschen im Ruhestand getragen, die – im Gegensatz zu den in der Kohlebranche Beschäftigten – nicht von den privaten Kohleunternehmen abhängig sind. Die Moskauer Juristin Anna FOMINA hat die Bewohnerinnen und Bewohner eines Dorfes, deren Land enteignet werden sollte, erfolgreich vor Gericht verteidigt. Dies sei aber eine Ausnahme.

Die Protestierenden benötigten den professionellen Rückhalt, insbesondere von im Umweltrecht spezialisierten Personen mit juristischer Ausbildung. Dies sei umso wichtiger, da die politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger kein Verantwortungsbewusstsein für Umweltfragen zeigten.

Während deutsche Energieunternehmen die Abhängigkeit von russischer Kohle zementieren, bleiben deutsche Verbraucher machtlos  

Tobias MÜNCHMEYER, Mitarbeiter von Greenpeace, sieht Deutschland als größten Kohleimporteur innerhalb der EU in der Verantwortung: Die russische Exportquote nach Deutschland habe sich in den letzten Jahren verdreifacht. Dabei würden die höheren Förderkontingente aufgrund der Konzentration der finanziellen Gewinne bei den beteiligten  Unternehmen und aufgrund der laschen Arbeitsschutzregelungen weder zur Wohlstandssicherung noch zur allgemeinen Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort führen.

Darüber hinaus, so Münchmeyer, zementieren große deutsche Energieunternehmen, ungeachtet des vereinbarten Kohleausstiegs bis 2038 in Deutschland, die Abhängigkeit Deutschlands von der Kohle und von möglichen Machtkalkülen der russischen Regierung.

Münchmeyer sieht kaum Chancen für KonsumentInnen in Deutschland, die Einhaltung von Umwelt- und Arbeitsschutzstandards in der Kusbass-Region zu fordern und zu unterstützen. Im Gegensatz zum selbstreflektierten Konsum von Kleidung oder bestimmten Lebensmittelprodukten gestalte sich der bewusste Umgang mit Kohle schwieriger.

Ausschlaggebend dafür sei die Tatsache, dass der Verbrauch von Kohle nur als Endprodukt in Form von Elektrizität wahrnehmbar ist. Notwendig seien gut organisierte Verbraucherkampagnen. Ein weiteres Steuerungsinstrument seien längerfristige Verträge (an Stelle temporärer Aufträge) zwischen deutschen Energieunternehmen und den privaten russischen Kohlekraftbetreibern. Diese könnten als rechtliches Mittel zur Einhaltung umwelt- sowie arbeitsschutzrechtlicher Standards genutzt werden. Ein Importverbot für russische Kohle in die EU, so Anna Fomina, sei auch mittelfristig nicht realistisch.

Auf ansteigende Proteste reagiert der Staat mit Repressionen

Über die Entwicklung von Umweltprotesten hin zu einer Umweltbewegung und den Ansätzen für eine internationale Zusammenarbeit diskutierten Vladimir SLIVYAK, Co-Vorsitzender der russischen Umweltorganisation Ecodefense, Ivan BLOKOV, Vorsitzender von Greenpeace Russland, und Elena SOLOVEVA, Bloggerin und Journalistin. Unstrittig sei der wachsende Einfluss der unterschiedlichen Umweltproteste auf die russische Gesellschaft.

Während russische Umweltorganisationen in den 2000er Jahren die gesellschaftlichen Diskurse kaum beeinflussten, erreichten Umweltproteste in Russland 2019 eine historische Rekordzahl. Über lokale Proteste hinaus formierten sich aber auch neue Wertediskurse, in denen die Gefährdung der Umwelt grundsätzlich in den Vordergrund rücke. Der diskursive Wandel führe dazu, dass Menschen, die in der Umweltpolitik engagiert seien, gesellschaftlich kaum noch marginalisiert werden könnten.

Gleichzeitig nehmen die staatlichen Repressionen auf zivilgesellschaftlichen Organisationen, die die die Proteste unterstützen, zu. Ein drastisches aktuelles Beispiel dafür ist die Flucht der Ecodefense-Direktorin Alexandra Korolewa nach Deutschland. Allerdings sei diese Regierungsstrategie kaum erfolgreich.

Die Organisationen seien in der Gesellschaft relativ gut verankert und gleichzeitig in ihren Strukturen und Aktivitäten sehr flexibel. Während ältere Menschen sich vornehmlich an bereits bestehende Oppositionsparteien wie die Kommunistische Partei wendeten, stünden insbesondere die Jüngeren auch neuen gesellschaftlichen und parteipolitischen Akteurinnen und Akteuren offen gegenüber.

Auf nationaler und internationaler Ebene zeigten sich bei den Umweltprotesten zunehmend Solidarisierungseffekte. Elena Soloveva verwies beispielhaft auf das Komitee zur Rettung des Flusses Petschora. Dem Komitee ist es innerhalb kurzer Zeit gelungen, erfolgreiche Fundraising-Kampagnen zusammen mit Moskauer Umweltgruppen durchzuführen und so sein finanzielles Überleben sicherzustellen. Ivan Blokov sieht allerdings einen Trend zur stärkeren Individualisierung und Ausdifferenzierung der russischen Umweltaktivitäten.

Auch die internationale Solidarität mit  russischen Umweltorganisationen wird sichtbarer. Jüngstes Beispiel dafür sind die Proteste deutscher Umweltaktivistinnen und -aktivisten gegen den Transport von Atomabfall aus Nordrhein-Westfalen nach St. Petersburg. Die internationale Bewegung Fridays for Future konnte sich dagegen wegen einer weit verbreiteten Skepsis gegenüber der Klimadebatte in Russland bisher nicht etablieren.

Den Podcast zur Veranstaltung finden Sie hier.