Sechs Herausforderungen der Mobilitätswende

Dokumentation

Die Pkw-Maut bleibe auf der Tagesordnung, sagte Christian Hochfeld vom Thinktank Agora Verkehrswende bei der Böll-Konferenz „Baustelle Mobilität“. Welche Rolle soll künftig die Wasserstoff-Technologie spielen?

Baustelle Mobilität: Christian Hochfeld, Geschäftsführer AGORA Verkehrswende
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Baustelle Mobilität: Christian Hochfeld, Geschäftsführer AGORA Verkehrswende

Um Handzeichen bat Christian Hochfeld, Chef von Agora Verkehrswende. Wer im Publikum meine, dass das Ende September 2019 beschlossene Klimapaket der Bundesregierung ausreiche, um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen, möge sich melden. Kaum jemand im vollbesetzten Saal folgte der Anregung.

„Baustelle Mobilität - Leitprojekte der Verkehrswende“ lautete der Titel der Tagung am 6. November 2019. Die Bundesregierung „hat geblinkt, aber die Ausfahrt verpasst“, kommentierte Hochfeld zu Beginn. Er identifizierte sechs große Baustellen. Beim Kohlendioxid-(CO2)-Preis und der Finanzierung der Verkehrswende stellte er der Koalition ein besonders schlechtes Urteil aus. Der zusätzliche Anreiz zur Vermeidung von Autofahrten (zehn Euro pro Tonne CO2) ist demnach zu gering. Außerdem hielt Hochfeld die Verteilungswirkung der Bepreisung für unsozial – Leute mit niedrigen Einkommen würden stärker belastet als solche mit hohen Einkünften. Der von der Regierung vereinbarten Lösung stellte er einen anfänglichen CO2-Preis von 50 Euro pro Tonne, eine progressive Ausgestaltung der Belastung und die soziale Rückverteilung an die Bevölkerung gegenüber. Außerdem betonte Hochfeld, dass auch eine Pkw-Maut – unlängst ist ein Modell der großen Koalition am Europäischen Gerichtshof gescheitert – dazu dienen könne, das Preis- und Finanzierungsproblem zu lösen.

Besser sieht es laut Agora-Chef bei der Elektromobilität aus – viele neue Fahrzeugmodelle der Hersteller, Förderung durch die Regierung. „Das geht jetzt voran“, so Hochfeld. Allerdings mahnte er ein „Bonus-Malus-System“ an, um nicht nur E-Autos zu subventionieren, sondern gleichzeitig Wagen mit hohem CO2-Ausstoß stärker zu belasten. Außerdem müsse man an die „Sektorkopplung“ denken: Ohne den konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Steigerung der Ökostrom-Produktion bringe die Elektrifizierung zu wenig Klimavorteil.

Eine weitere offene Baustelle sah der Verkehrsexperte bei den Kommunen. Die sollten mehr als bisher „Alternativen zum privaten Pkw fördern“. Dazu gehörten beispielsweise höhere Parkgebühren und eine parallele Verbesserung des Nahverkehrsangebotes. Hinsichtlich der Deutschen Bahn AG forderte Christian Hochfeld, den Ausbau nicht nur zu planen und zu finanzieren, sondern auch regelmäßig zu überprüfen, ob die Ziele eingehalten werden. Eine Leerstelle erkannte Hochfeld schließlich beim Thema „Verhaltensänderung“: Quasi gar nichts unternehme die Politik, um die Kultur des Autofahrens in Richtung eines vernetzten Mobilitätsverhaltens umzusteuern, das auch Bahn, Sharing, Rad und Fußweg aufwerte.

In der anschließenden Diskussion über „Schlüsselprojekte der Verkehrswende“ sprach Moderatorin und Journalistin Susanne Landwehr die Möglichkeiten einer Verlagerung vom Auto zum öffentlichen Verkehr an. Holger Lösch, Vize-Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), war da skeptisch. Diese biete augenblicklich den „kleinsten Hebel“, weil die Alternativen noch nicht in ausreichender Qualität zur Verfügung stünden. Oft sei es zum Beispiel schwierig, ohne Auto den Bahnhof zu erreichen und am Zielort bequem den letzten Kilometer zum Büro zurückzulegen. Bisher fehle „das vernetzte System“, so Lösch.

Deshalb ist aus seiner Sicht der „Antriebswechsel“ wichtiger. Wobei er den technologischen Wandel nicht darauf beschränken wollte, Benzin und Diesel durch Strom für Elektromotoren zu ersetzen. „CO2-freie flüssige und gasförmige Treibstoffe“ dürften nicht vernachlässigt werden. Ein wesentlicher Bestandteil dieser „technologieoffenen“ Strategie ist Wasserstoff als Energieträger für Brennstoffzellen. Vor allem im Lastentransport mit schweren Lkw, im Schiff- und Flugverkehr, aber auch in der energieintensiven Industrie (Zement, Aluminium) gehe daran kaum ein Weg vorbei, so Lösch. Er plädierte dafür, die weltweite Nachfrage nach dieser Technik im Blick zu haben, die aus Deutschland befriedigt werden könne. Hochfeld widersprach: Im Pkw-Bereich sei die Entscheidung der Politik und Hersteller für Elektromotoren, gegen Brennstoffzelle und Wasserstoff, längst gefallen.

Susanne Henckel, Geschäftsführerin des Verkehrsverbundes Berlin Brandenburg, betonte ebenfalls, dass „die Elektrifizierung der Weg“ sei. Im Zugverkehr weise Wasserstoff als Antrieb gravierende Nachteile auf. Ein Blick ins Ausland bestätige das: Etwa Österreich verfolge den Plan, in den kommenden Jahren den kompletten Schienenverkehr von Diesel auf Strom umzustellen. Allerdings äußerte auch Henckel sich leicht skeptisch, was die schnelle Verlagerung der Verkehrsleistung vom Auto auf die Schiene betrifft. Der erstaunliche Geldsegen, für den die Politik neuerdings sorge, könne nicht so schnell verbaut werden. Es werde einige Jahre dauern, bis neue Fahrzeuge beschafft und mehr Personal eingestellt sei. Und um den Herausforderungen langfristig gewachsen zu sein, brauche der öffentliche Verkehr „eine dritte Finanzierungssäule“ neben Steuermitteln und Ticketpreisen. Henckel zufolge kommen da etwa zusätzliche Einnahmen durch eine Pkw-Maut oder höhere Parkgebühren in den Städten in Frage.