Wahlen in Polen: Ein Sieg, aber kein Triumph für die PiS-Partei

Analyse

Am 13. Oktober wurde in Polen das neue Parlament gewählt. Wie erwartet gewann die nationalkonservative Partei PiS deutlich mit über 40 Prozent der Stimmen. Doch auch die Oppositionsparteien konnten durch Bündnisse Erfolge erzielen. Wie geht es nun weiter?

Die Partei der polnischen Grünen (Zieloni) ist zum 1. Mal im polnischen Sejm mit drei Abgeordneten vertreten. Darunter auch Malgorzata Tracz (mit Mikro), die Vorsitzende der Partei.

Polen hat am 13. Oktober das neue Parlament gewählt. Der Kurs der regierenden nationalkonservativen Partei PiS (Prawo i Sprawiedliwosc, Recht und Gerechtigkeit) wurde bestätigt, die Stimmzahl ausgebaut. PiS gewann die Wahl mit 43,59 Prozent der Stimmen (2015: 37,6). So viel hat nach 1989 keine Partei im Land bekommen.

Dennoch hat der Sieg der PiS einen bittersüßen Nachgeschmack für die Machthaber. Nicht nur weil mehrere Oppositionsparteien – dank Bündnissen –  mit bedeutendem Stimmanteil in den Sejm einziehen und im Senat für neue Mehrheitsverhältnisse sorgen, sondern auch weil die PiS unter ihren Erwartungen zurückblieb. Der Parteichef Jarosław Kaczynski zeigte sich enttäuscht am Wahlabend und sprach davon, dass die Partei ein noch besseres Ergebnis verdient hätte und kündigte weitere „vier Jahre harter Arbeit“ an, sowie dass die Regierenden „ihr Wort“ halten werden.

Im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, fielen der PiS 235 von 460 Sitzen zu. Es ist keine Verfassungsmehrheit, und auch nicht die nötige 3/5 Mehrheit um das Veto des Präsidenten umzustimmen. Trotzdem ist es ein starkes Mandat, um die bisherige Politik weiter zu verfolgen. Im Senat, dem Oberhaus, verlor die PiS allerdings ihr Mehrheitsverhältnis der bisher 61 von 100 Sitzen und hat nur noch 49 Sitze. Die Opposition – die Bürgerplattform, die Linke, die Bauernpartei (PSL) und einige unabhängige Mandatsträger  – 51. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass die PiS versuchen wird, so wie in der Vergangenheit nach der Kommunalwahl in der Wojwodschaft Schlesien, einen oder mehrere Abgeordnete der anderen Fraktionen zu einem Wechsel bzw. Transfer zu bewegen.

Der Senat, das Oberhaus, hat kein Vetorecht, kann aber Gesetzesentwürfe einbringen oder welche des Sejms mit aufschiebender Wirkung zurückweisen. Zudem steht ihm das Mitspracherecht bei der Besetzung von hohen Ämtern, wie etwa dem des Chefs der Obersten Kontrollkammer, dem des Leiters des Instituts fürs Nationale Gedenken und dem des Ombudsmannes, zu. Der Sejm kann ohne die Mehrheit im Senat Gesetze nicht in einer Nacht durchbringen, wie es zuweilen in der vorhergegangenen Legislaturperiode geschah, zumal der Senat, der nicht mehr von der PiS kontrolliert wird, 30 Tage Zeit hat, um zu einem Gesetzesentwurf Stellung zu nehmen. Er wird die Verfahren verlangsamen. Die PiS verliere dadurch den Komfort durchregieren zu können, das System PiS beginne zu wackeln, lautet der Tenor in zahlreichen polnischen Medien. Es stehe der PiS ine unruhige Amtszeit bevor, was die Unzufriedenheit des Parteichefs am Wahlabend erklärt.

Aufteilung im Parlament

Die PiS-Partei hat bei der Parlamentswahl zwar einen Erfolg erzielt – gleichzeitig hat zum ersten Mal eine Partei mit Sejm-Mehrheit nicht die Mehrheit im Senat. Für die Opposition hat das eine enorme symbolische Bedeutung, vor allem angesichts der Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2020. Die Wiederwahl des Amtsinhabers Andrzej Duda ist auch für die PiS-Regierung die nächste große Aufgabe. Zwei Szenarien sind nun möglich: Die Machthaber werden kontroverse Entscheidungen meiden, um die gemäßigte Wählerschaft nicht an die Opposition zu verlieren. Oder aber sie fühlen sich durch das starke Mandat ermutig, die geplanten Vorhaben zum Staatsumbau, wie die Vollendung des umstrittenen Justizumbaus und die angedachte Reform des Medienmarktes (Ziel: Repolonisierung) auszuführen. Auch weil sie noch den Präsidenten auf ihrer Seite haben.

Die PiS ist klarer Sieger der Parlamentswahl, aber es gibt mehrere Gewinner. Hier die Ergebnisse und Stimmanteile im Einzelnen:

  • PiS - 43,59 Prozent (8 051 935 Stimmen)
  • Bürgerkoalition - 27,40 Prozent (5 060 355 Stimmen)
  • Vereinte Linke (zusammen mit Frühling und Gemeinsam)-  12,56 Prozent (2 319 946 Stimmen)
  • Bauernpartei (zusammen mit Kukiz15)  - 8, 55 Prozent (1 578 523 Stimmen)
  • Konföderation - 6,981 Prozent (1 256 953 Stimmen)

Mandatsverteilung im Sejm:

  • PiS – 235
  • Bürgerkoalition -134
  • Vereinte Linke – 49
  • Bauernpartei - 30
  • Konföderation – 11
  • Deutsche Minderheit - 1

Die überraschend hohe Wahlbeteiligung von 61,74 Prozent - vor vier Jahren waren es nur 50,9 Prozent – zeigt das hohe Potenzial der gesellschaftlichen Mobilisierung im Bereich des ganzen Parteispektrums. Auch weil die Wahl als eine Schicksalswahl von allen Beteiligten ausgerufen wurde. Die Literaturnobelpreis-Trägerin Olga Tokarczuk, die die Auszeichnung einige Tage vor der Wahl erhielt, sprach zum Beispiel davon, dass die Wählerentscheidung eine zwischen der Demokratie und dem Weg in den autoritären Staat sei. Sie rief ihre Landsleute dazu auf, von ihrem demokratischen Recht Gebrauch zu machen und wählen zu gehen.

Warum siegt die PiS?

Die regierende PiS-Partei gab in der aggressiv geführten Wahlkampagne den Ton und die Themen vor. Die größte Oppositionspartei, die Bürgerplattform (PO), reagierte lediglich darauf, ohne eigene Inhalte zu präsentieren. Die neue Spitzenkandidatin, die frühere Parlamentspräsidentin Małgorzata Kidawa-Blońska, wurde erst fünf Wochen vor der Wahl vorgestellt, um das Image um den Parteiführer Grzegorz Schetyna etwas aufzubessern. Sein schlechtes Ergebnis– er verlor gegen eine unbekannte PiS-Kandidatin in seinem Wahlkreis in Breslau - beweist, dass die Plattform eine Erneuerung braucht. Gewählt wird sie von vielen nicht wegen ihres Programms, sondern als das kleinere Übel im Vergleich mit der PiS-Partei. Diesmal gab es allerdings auch andere Alternativen, wie etwa die Vereinte Linke oder die Bauernpartei, was auch die Stimmverteilung beweist.

Die PiS gewann die Wahl mit einer Mischung aus großzügiger Sozialpolitik, die mit direkten Geldtransfers verbunden ist; der Rückbesinnung auf konservative Werte; mit niederträchtigen Kampagnen gegen sexuelle Minderheiten und Migranten, mit Nationalismus und Patriotismus und dementsprechender Geschichts- und Kulturpolitik. Das hohe Wahlergebnis ist die Belohnung dafür.

Die Partei, die in einem rechten Bündnis regiert, realisierte in ihrer Regierungszeit ihre Wahlversprechen von 2015 weitgehend und verpackte das in eine patriotische Rhetorik. Sie nannte ihr Programm "den guten Wandel", auf Polnisch: "Dobra zmiana". Es gelang ihr, sich als die Partei der kleinen Leute zu etablieren und als „Kümmererstaat“ aufzutreten. Das kam nicht nur bei den Verlierern der Transformation von 1989 an, sondern auch bei breiten Teilen der Bevölkerung vor allem in kleinen Städten und auf dem Land, die sich von der liberalkonservativen Vorgängerregierung übergangen gefühlt hatten.

Versprechen von einem besseren Leben

Das großzügige Sozialprogramm der PiS umfasste die Einführung von Kindergeld (500+), von etwa 120 Euro ab dem 2. Kind (im Juli wurde es auf das erste Kind ausgeweitet), Schulgeld zum Anfang des Schuljahres, die Senkung des Rentenalters, 13. Rente, Verbesserungen bei Mindestlohn, Förderung des Wohnungsbaus, aber auch eine Reform des Steuersystems etc. Im Wahlkampf wurden weitere Vergünstigungen in der neuen Legislaturperiode versprochen wie etwa Steuerbefreiung für junge Menschen bis zu ihrem 26. Lebensjahr, Mütterrente, der Mindestlohn soll bis zum Jahr 2023 schrittweise auf knappe 910 Euro verdoppelt werden (4000 Zloty), die einmalige Zahlung für Rentner dauerhaft eingeführt werden und weiteres.

Warnungen, die PiS könne die Sozialpolitik nicht finanzieren, liefen ins Leere. Die Wirtschaft wächst dynamisch, 2018 um fünf Prozent. Die Arbeitslosenquote liegt bei 3,3 Prozent. Parteichef Kaczyński spricht davon, die polnische Version des Wohlstandstaates zu schaffen, und eine inklusive Wirtschaft zu betreiben, an dessen Erfolgen große Teile der Bevölkerung teilhaben sollen – mit dem Ziel in absehbarer Zeit Deutschland wirtschaftlich einzuholen.

Die PiS-Partei setzte zudem darauf, das Selbstwertgefühl vieler ihrer Wähler zu stärken oder es ihnen gar zurück zu geben. Dieser auf Geschichtsthemen aufgebauter Patriotismus fiel bei vielen auf fruchtbaren Boden, zumal nach 1989 eher die liberale und europäische Identitätsbildung im Vordergrund stand und weniger die nationale. Das erkannte die PiS, brachte unter anderem staatliche Museen und andere Kulturinstitutionen unter ihre Kontrolle, wo gemäß der Erinnerungspolitik die Opferbereitschaft der polnischen Nation, ihr Leiden und ihr Heldentum dargestellt werden. Auch die inszenierten Konflikte mit den angeblich übermächtigen Nachbarn Deutschland und Russland, denen man sich nicht beugen darf, dienen dem Zweck und dem Kampf für Polen als patriotische Nation und ein stolzes Volk. Dazu zählt ebenfalls die Reparationsdebatte, gemäß dem Slogan: „Wir stehen von den Knien auf und fordern unser Recht ein“. Dass diese Debatte seit Jahren auf den Bereich der Untersuchungskommissionen beschränkt bleibt und nicht formell die Regierungsebene erreicht hat, zeigt, dass es sich um ein innenpolitisches medienwirksames Säbelrasseln handelt - und auch den steten Wunsch, das Leiden des polnischen Volkes symbolisch und würdig anzuerkennen.

"Schreckgepenst" Homosexualität

Unter dem Deckmantel der Hinwendung zum Konservativen verspricht die PiS Schutz der traditionellen polnischen Familie - vor Migranten, vor der EU und vor dem von ihr kreierten „Schreckgespenst“ der Homosexualität und LGBT. Ihren größten Verbündeten hat sie dabei in der katholischen Kirche, die nach wie vor stark identitätsstiftend für die Mehrheit der Polen ist. Etwa 87 Prozent deklarieren sich als katholisch. Zusammen mit den Oberhäuptern der katholischen Kirche führte die PiS-Regierung eine Hetzkampagne gegen Homosexuelle, die zum Teil mit Pädophilen gleichgesetzt wurden. Die sexuelle Orientierung wurde als Weltsicht – Ideologie – umgedeutet und als Kampfbegriff ins Polnische eingeführt. Die sog. „kulturelle Revolution“, die von der Opposition den Mustern aus dem Westen folgend forciert werde, würde die traditionelle polnische Familie und die christliche Zivilisation und ihre Werte bedrohen, hieß es bei der PiS. Kurz nach der Wahl wurde bei der Sitzung des alten Sejms darüber debattiert ob es Gefängnisstrafen für Sexualerziehung geben sollte. Angeblich würde diese Kinder sexualisieren und moralisch verderben.

Auch wenn die PiS Erfolge – vor allem mit ihrer Sozialpolitik - verbucht, gibt es einige Probleme. Etwa bei der Umsetzung ihrer eigenen Ziele hinsichtlich Justizreform. Zwar gelang es der PiS wichtige Kontrollmechanismen für Legislative und Executive auszuschalten, und die Schlüsselämter mit den eigenen Funktionären zu besetzen. Den Apparat effektiver zu machen, gelang es nicht. Die Justiz arbeitet eher langsamer als schneller, z.B. ist in den letzten vier Jahren die Zahl der von der Staatsanwaltschaft geführten Langzeitverfahren sprunghaft von 604 auf 2159 (länger als 2 Jahre) bzw. von 106 auf 344 (mehr als 5 Jahre) angestiegen. Auch die Bildungspolitik erwies sich als Sorgenkind. Es gab ein dramatisches Chaos und überfüllte Klassen bei der Schulstrukturreform. Keine der Investitions-Ziele des Morawiecki-Plans wie z.B. der soziale Wohnungsbau wurden bisher auch nur annähernd erreicht, es dominiert eine Spatenstich-PR bei Großprojekten und auch die Verteidigungspolitik dümpelt mit einer maroden Armee dahin. 

Betrug und Amtsmissbrauch schaden der Partei nicht

All das und die große Zahl an Betrugs-, Korruptions- und Amtsmissbrauchsaffären in den vergangenen zwölf Monaten (z.B. in der Nationalbank, der Obersten Kontrollkammer, beim privaten Bauprojekt von Jarosław Kaczyński) und der ständig wachsende Druck aus Brüssel und Luxemburg von Seiten der Kommission und des EuGH in der Rechtsstaatsfrage scheinen auf breitere Wählerschichten keinen Eindruck zu machen. Die PiS-Wählerschaft ist stark mit der Partei verbunden.Was zählt, ist der gefühlte, nicht reale Bedeutungszuwachs des polnischen Staates sowie wachsende Haushaltseinkommen, trotz der gestiegenen Inflation.

Wie steht es um die Opposition?

Die Bürgerplattform trat als Bürgerkoalition mit der liberalen Modernen (Nowoczesna) und den Grünen (Zieloni) an. Die Linke, die wieder den Einzug ins Parlament geschafft hat, vereinte die postkommunistische SLD, die linksalternative Partei „Zusammen“ (Razem) und den „Frühling“ (Wiosna) von Robert Biedroń. Diese zwei Bündnisse konkurrieren de facto weitestgehend um dieselbe Wählerschaft. Zwar heben sie sich mit ihren ökologischen und progressiven weltanschaulichen Positionen deutlich von der politischen Konkurrenz ab, zum Teil fehlt es ihnen hierbei aber noch erheblich an Glaubwürdigkeit. Demgegenüber reagieren Sie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik weitestgehend auf die Vorgaben der PiS oder versuchen diese gar zu überbieten. Zudem fehlt es ihnen an eigenständigen Projekten, die ein Alleinstellungsmerkmal für zukünftiges Agendasetting darstellen könnten. 

Das Potential der prodemokratischen Protestbewegungen der letzten vier Jahre – sei es der schwarze Protest für die reproduktive Selbstbestimmung der Frau oder die Demonstrationen für freie Gerichte - wurde nicht genutzt, sondern eher von der Bürgerkoalition aufgesogen, ohne sich in Mobilisierung an der Basis zu übertragen.  Die bisher massiv zerstrittene Linke hat sich zu spät vereint und in so kurzer Zeit keine klare Erzählung präsentieren können, die über den Wiedereinzug ins Parlament und ein sozialeres Gesicht des Staates hinausgehen würde. Allerdings präsentierte sich das Linke Bündnis als eine starke Alternative zur PiS-Partei und zur Bürgerkoalition. Sie sprach vor allem Gebildete und Großstädter an und ermöglichte vor allem jüngeren Abgeordneten – darunter etlichen Frauen - den Einzug ins Parlament.

Das bessere Ergebnis der Linken und der Bauernpartei (um ca. 3-4 Prozent besser als Ergebnisse vergleichbarer Gruppierungen in 2015) ist sicher auch ein Nebenergebnis der allgemeinen Politik der PiS, die soziale Themen in den Mittelpunkt der politischen Kommunikation gerückt hat und sich zum anderen auf der Suche nach neuen Wählerschichten auch weiter in die politische Mitte bewegt. Dadurch hat sie am rechten Rand Platz freigemacht. Dies nutzte die ultrarechte Vereinigung „Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit“, die mit knapp 7 Prozent nun im Parlament vertreten ist. Sie vereinigt verschiedene extreme Positionen, u.a. Ultranationalisten, religiöse Fanatiker und Monarchisten. Am Wahlabend in Warschau feierte ein Bundestagsabgeordneter der AfD den Ersteinzug der umstrittenen Partei in den Sejm mit, was auch ein Symbol dessen ist, wofür die Konföderation steht.

Ein breites politisches Spektrum

Dass die jungen Wähler (bis 29 Jahren) vor allem für die Ultranationalisten gestimmt hätten, hat sich angesichts der vorliegenden Statistiken als unwahr erwiesen. Sie wählten zwar vorwiegend konservativ, aber nicht nur: zu einem Fünftel (20 Prozent) gab es Stimmen für die ultrarechte Konföderation (Konfederacja), die PiS (26 Prozent) und die liberalkonservative Bürgerplattform KO (24 Prozent). Auf das linke Bündnis Lewica entfielen 18 Prozent der Stimmen und auf die Bauernpartei PSL 10 Prozent.

Die Bauernpartei mit ihrem charismatischen Leader Władysław Kosiniak-Kamysz überraschte mit einem überzeugenden Ergebnis von 8,55 Prozent. Dabei hieß es in den Vorwahlprognosen, sie werde die 5-Prozent-Hürde nicht schaffen und nicht im Parlament vertreten sein. Im Bündnis mit der Anti-System-Partei des Rockmusikers Paweł Kukiz „Kukiz15“ zog die Partei aber in den Sejm ein. Sie macht der regierenden PiS-Partei zunehmend Konkurrenz auf dem Land. Traditionell schon entscheiden sich die Einwohner der Städte unter 100 000 Einwohnern und kleinere Orte für die nationalkonservative Variante. Das macht aus der PiS eine Volkspartei. Dieses Argument nutzt oft die Führungsriege, wenn sie von dem Willen des Souveräns, also des Volkes spricht, wenn sie etwa ihre umstrittenen Justiz-Reformen durchbringt. Nun scheint es, dass die Bauernpartei ihre alte Wählerschaft auf dem Land teilweise zurückgewonnen hat, auch weil sie in ihrem Programm auf Soziales setzte und das Kader deutlich verjüngte.

Klimaschutz war ein wichtiges Thema - Erfolg für die Grünen

Insgesamt zeigt das neue Parlament eine ganze Palette an politischen Richtungen: von ganz rechts bis ganz links über die konservative und liberale Mitte. Mit knapp 28 Prozent ist der Frauenanteil deutlich gestiegen. Die soziale Thematik und die Probleme mit dem maroden Gesundheitssystem wurden von fast allen Gruppierungen aufgegriffen. Aber auch das Thema Klimawandel spielt zunehmend eine große Rolle. Nicht zuletzt weil die Klimaschutz-Bewegung in Polen immer mehr Anhänger hat und die Bevölkerung unter der Umweltverschmutzung, vor allem sichtbar in den Wintermonaten in den versmogten Städten und Ortschaften, leidet.

Symbolisch fast schon zu bewerten ist deshalb, dass zum ersten Mal in der parlamentarischen Geschichte Polens drei Abgeordnete der Grünen im Sejm vertreten sind. Sie traten auf den Listen der Bürgerkoalition auf. Den Einzug ins Parlament schafften:

  • Małgorzata Tracz (Wahlbezirk 3, Wrocław: insg. 14 Mandate) 27 533 Stimmen, 3. Platz (Mandat)
  • Tomasz Aniśko (Wahlbezirk Nr. 8 Zielona Góra, insg. 12 Mandate), 23788 Stimmen  2. Platz (Mandat)
  • Urszula Zielińska (Wahlzirk nr. 19 Warszawa: insg. 20 Mandate): 6169 Stimmen, 7. Platz (Mandat)

Dies bedeutet nicht nur, dass der neue Sejm direkt gewählte grüne Abgeordnete enthalten wird, sondern auch das selbst gesteckte Ziel der Parteiführung unter Małgorzata Tracz und Marek Kossakowski – die Eröffnung eines eigenen parlamentarischen Kreises (Koło – 3 Abgeordnete, mit bestimmten Rechten gemäß Parlamentsordnung) – höchstwahrscheinlich erreicht wurde.

Fazit und Ausblick

Die PiS-Partei hat zwar die absolute Mehrheit der Sitze im Sejm verteidigen können, aber sie hat mit ihrer polarisierenden Politik auch ihre Gegner mobilisiert und so die Mehrheit im Senat, dem Oberhaus, verloren. Das verändert das Regieren. Denn die Partei um Jaroslaw Kaczynski muss sich einer echten Debatte stellen und kann nicht einfach ihre politische Agenda, wie etwa den autoritär anmutenden Umbau des polnischen Staats weiter vorantreiben. Dieser Bereich ihrer Politik ist außerdem nicht so populär wie ihre Sozialpolitik. Viele der PiS-Wähler wählten die Nationalkonservativen nicht wegen, sondern trotz ihrer ideologischen Agenda. Die Partei kann sich nicht leisten, diese Wählerschicht zu verlieren. Für die begann nun „der Kampf um alles“, wie die Parteispitze selber betont. Die nächste große Herausforderung für die regierende PiS-Partei wird die Wahl des Präsidenten im Frühjahr 2020 sein. Für die Opposition ist es wiederum eine Chance die politische Landschaft in Polen zu verändern.

Es ist schwer abzusehen, ob das Wahlergebnis nun eine Mäßigung der PiS zufolge hat oder ob ihr politischer Kurs in der Innen- wie in der Außenpolitik dadurch noch härter werden wird. Sicher ist, Polen wird sowohl für die EU als auch für Deutschland ein schwieriger Partner bleiben.