„Die EU verliert langsam die Geduld mit chinesischen Hinhaltetaktiken“

Interview

Am 9. April 2019 findet das nächste Gipfeltreffen EU-China in Brüssel statt. Unsere Büroleiterin in Brüssel Eva van de Rakt sprach mit dem Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer (Die Grünen/EFA) über seine Erwartungen an die anstehenden Gespräche und Verhandlungen.

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Reinhard Bütikofer

Morgen findet in Brüssel das 21. Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und China statt. Wie ist die aktuelle Stimmung in den EU-Institutionen?

Der Gipfel wird spannend, weil ein neuer Wind zu wehen anfängt in den EU-China-Beziehungen. In einer Mitteilung, welche die Europäische Kommission und der Auswärtige Dienst der EU zum Gipfel publiziert haben, wird China zum ersten Mal als „systemic rival“ der EU bezeichnet. Zudem signalisiert die Mitteilung, dass die EU langsam die Geduld verliert mit chinesischen Hinhaltetaktiken bei schwierigen Themen. Statt Kompromisse zu erarbeiten, hat es sich die chinesische Führung zur Übung gemacht, Dinge wiederholt zu versprechen und nie zu liefern. So sind etliche Zugeständnisse, die beim letztjährigen Gipfel auf dem Papier erreicht worden waren, bis heute nicht umgesetzt worden. Ein Beispiel: Bis zum vergangenen Oktober sollte eine Vereinbarung zwischen der EU und China über den Schutz geographischer Herkunftsbezeichnungen – also Parmaschinken oder Schwarzwälder Kirschtorte oder Champagner – abgeschlossen sein. China hat das aber mit der zweifelhaften Begründung verweigert, man wolle es sich mit den USA nicht verderben, die solche EU-Herkunftsbezeichnungen nicht anerkannt haben. Tatsächlich haben aber Kanada und Mexiko diesbezügliche Verabredungen mit der EU geschlossen, ohne dafür mit Washington Probleme zu ernten. In Brüssel sagen derzeit alle Institutionen, also Kommission, Auswärtiger Dienst, Rat und Parlament gemeinsam, man sei nicht bereit zu einem bloßen Wohlfühlgipfel, wie ihn die chinesische Seite anstrebe, sondern man verlange handfeste Ergebnisse. Diese Position kann sich auf eine ausführliche China-Debatte im Europäischen Rat stützen, wo angeblich zuletzt nach dem Tiananmen Zwischenfall 1989 so ernsthaft über die China-Beziehungen diskutiert worden war. Dabei sei wesentlich mehr Gemeinsamkeit unter den Mitgliedsländern deutlich geworden, als öffentlich erkennbar ist.

Welche Themen werden im Mittelpunkt stehen?

Thematisch stehen Fragen der Wirtschafts- und Handelspolitik im Zentrum, so also etwa das seit vielen, vielen Jahren ohne Ergebnis behandelte Investitionsabkommen. Auch Fragen der multilateralen Ordnung stehen auf der Tagesordnung, die EU will zum Beispiel Druck machen für ernsthafte Bemühungen für eine WTO-Reform. Ohne eine solche droht dem Handelsmultilateralismus die Luft auszugehen. Die chinesische Seite steht aber trotz Lippenbekenntnissen zu einer WTO-Reform mit beiden Beinen auf der Bremse. Und drittens wird es um Menschenrechte gehen und um regionale Fragen der internationalen Politik, wie die Korea-Frage, die Lage im südchinesischen Meer oder auch die Lage in der Ukraine.

Was sind Ihre Erwartungen an den Gipfel?

Meine Erwartung an den Gipfel ist eine dreifache: Die EU darf sich nicht scheuen, Realitäten klar anzusprechen. Dass China in Xinjiang den schlimmsten Polizeistaat errichtet hat, den es heute auf der Welt gibt, darf nicht unerwähnt bleiben. Zweitens sollte die europäische Seite sehr strikt sein bei der Klarstellung, dass die EU eine Ein-Europa-Politik von China erwartet und Verstöße dagegen nicht hinnimmt. Drittens geht es in der Tat um praktische Ergebnisse. Wenn solche nicht zu erzielen sind, ist es besser, man spart sich ein lyrisches Abschlusscommuniqué und demonstriert dabei die Entschlossenheit, Gerede nicht länger mit Fortschritt zu verwechseln.

Die italienische Regierung unterzeichnete Ende März eine Absichtserklärung im Rahmen der gigantischen Infrastrukturpläne Chinas zum Ausbau von Luft-, Straßen-, Schienen- und Seewegen, auch „One Belt, One Road“ (OBOR) oder „Belt and Road Initiative“ (BRI) genannt. International hat das Bedenken ausgelöst. Wie bewerten Sie diesen Schritt?

Ich bedaure den italienischen Schritt, aber die Kritik daran sollte auch im Rahmen bleiben. Substantiell haben die Italiener der chinesischen Seite keine besonderen Zugeständnisse gemacht. Negativ fällt ins Gewicht, dass Italien es durch diesen Alleingang schwerer gemacht hat, gegenüber China mit einer Stimme zu sprechen. Eine solche Kritik müssen sich aber, wenn man genau hinschaut, auch andere Länder gefallen lassen, insbesondere die großen, Frankreich und Deutschland, die in der Vergangenheit keineswegs immer eine europäische Chinapolitik befördert haben, sondern vor allem eigensüchtig auf vermeintlich nationale Interessen achteten. Wenn man da mit dem Finger auf Italien zeigt, weisen drei Finger auf den Kritiker zurück.

In offiziellen Erklärungen wiederholte die chinesische Regierung, sie wolle durch OBOR die Kooperation zwischen den teilnehmenden Ländern fördern, die Infrastruktur ausbauen sowie den Handel, Investitionen und den Austausch von Technologie und Know-how unterstützen. Was sind Ihrer Meinung nach die Absichten von OBOR?

Insgesamt ist die „One Belt, One Road“-Initiative vieles zugleich. Sie ist ein Rahmen für den Export chinesischer industrieller Überkapazitäten. Sie ist ein Instrument, um regionale Nachbarn enger an China zu binden. Sie ist die geschickte Nutzung von Infrastrukturentwicklungsbedarfen für eine strategisch denkende Politik zur Vermehrung des chinesischen Einflusses. Sie ist im Einzelnen, in dem sie zur Überschuldung der angeblich beglückten Länder führt, ein Ausdruck von Neokolonialismus. Sie ist geostrategisch betrachtet der Versuch, den Rest der Welt unter chinesischer Führung gegen die USA zusammenzufassen; Nordamerika ist der einzige Kontinent, den die OBOR-Initiative nicht umfasst. Die maritime Seite hat auch eine militärische Dimension zur Machtprojektion vor allem im Indischen Ozean. Und OBOR stellt den Versuch dar, den Handelsmultilateralismus zu ersetzen durch eine neue Ordnung, die Peking-zentriert ist. Für Handelsstreitigkeiten entlang der sogenannten „Neuen Seidenstraßenroute“ errichtet China gerade einseitig und ausschließlich unter chinesischem Recht sogenannte Gerichtshöfe. Das Versprechen, von OBOR würden alle profitieren, ist bis heute offenkundig nicht so. Etwa 90 % aller Verträge für Entwicklungsprojekte, die in diesem Zusammenhang abgeschlossen worden, gingen an chinesische Unternehmen. Und unter dem Nachhaltigkeitsgesichtspunkt ist interessant, dass OBOR sprichwörtlich Hunderte von neuen Kohlekraftwerken finanzieren soll. Während man in China das eine oder andere Kohlekraftwerk schließt, weil die Luft zum Schneiden ist, exportiert man die dreckige Technologie in abhängige Länder. Zum kommenden OBOR-Gipfel wollte die chinesische Seite gerne eine Studie publizieren, die demonstriert hätte, wie grandios OBOR mit den Sustainable Development Goals zusammenpasse. Als die ersten Ergebnisse der angefragten europäischen Wissenschaftler nicht so ausfielen wie gewünscht war, wurde die Studie einfach abgesagt.

Italien ist nicht das einzige Land, das eine Absichtserklärung mit China unterzeichnet hat. Zahlreiche mittel- und osteuropäischen Länder werden im Rahmen des 16+1-Formats von China umworben, unter ihnen 11 EU-Mitgliedsstaaten. Wie schätzen Sie das CEE-China-Format ein?

Das ist offenkundig ein Spalterformat. Wenn ein chinesischer Diplomat ganz besonders keck ist, dann sagt er auch schon mal, man müsse doch den Ungarn helfen, ihre Souveränität gegenüber Brüssel zu verteidigen. Und bei einer Diskussionsrunde in Brüssel beantwortete ein chinesischer Professor von der Beida meine Kritik an 16+1 mit der wütenden Replik, diese Kritik zeige doch nur die deutsche Herrschsucht in der EU. Allerdings muss man auch sehen, dass wir leider, gerade auch wir Deutschen, China zu solchem Spaltungsversuch geradezu eingeladen haben, weil wir eben keine gemeinsame europäische Chinapolitik betrieben haben, von der auch unsere Nachbarn profitieren würden, sondern damit zufrieden waren, wenn nur für unsere Unternehmen der Weizen blüht. Dann kommt China, wedelt mit 10 Milliarden Investitionsversprechen und mit der Gelegenheit, dass auch die Chefs kleinerer Mitgliedsländer einen chinesischen Staats- oder Parteiführer treffen können. Letzthin allerdings ist bei manchen 16+1 Ländern wie Polen viel Frust entstanden, weil China auch in dem Rahmen nicht tatsächlich liefert. Ich ärgere seit längerer Zeit manchen chinesischen Gesprächspartner mit der Forderung nach einer chinesischen Ein-Europa-Politik. Durchsetzen können wir diese Forderung aber nur, wenn wir selbst gemeinsam als Europäer handeln.

Sollten sich EU-Mitgliedsstaaten weiterhin an von China dominierten Institutionen wie der AIIB (Asian Infrastructure Investment Bank) beteiligen oder sich zurückziehen?

Zahlreiche EU-Mitgliedsstaaten beteiligen sich bereits. Sie haben zusammen ein Stimmgewicht von etwa 22% und damit für sich alleine keine Veto-Möglichkeit, die China allerdings mit seinem Stimmenanteil hat. Ich halte diese Beteiligung für richtig, aber man muss sie dann auch richtig machen. Nachdem die AIIB bei ihrer Gründung als multilaterale Finanzinstitution verkauft worden war, wird sie jetzt durch ihren chinesischen Präsidenten Stück für Stück „sinisiert“. Sie hat geringere Transparenzstandards und weniger verlässliche Standards zum Schutz von Umwelt sowie Arbeitnehmern als andere multilaterale Entwicklungsbanken. Sie redet von Accountability, macht die aber zu einem solchen bürokratischen Hürdenlauf, dass sie nicht funktioniert. Und der Präsident der AIIB redet inzwischen offen darüber, diese Bank sei ein Instrument der chinesischen OBOR-Politik. Die Bank hat drei europäische Vize-Präsidenten, die aber dort nicht ihre Länder vertreten und auch nicht die EU, sondern nur ihre eigenen Karriereinteressen. Zwischen den beteiligten europäischen Ländern findet bisher keinerlei Koordinierung statt. Die EU selbst, die gerne auch beigetreten wäre, wurde daran von Mitgliedsländern gehindert. Alle diese Fragen kann man wunderbar im Detail studieren in der neuen, von der Heinrich-Böll-Stiftung publizierten Studie zur AIIB von Korinna Horta. Öffentlichkeit und Politik müssen der AIIB wieder mehr Aufmerksamkeit schenken, sonst wird sie irgendwann tatsächlich nur ein chinesisches Machtinstrument in multilateraler Verkleidung sein.