Ostdeutschland: Foto-Collage von jungen Menschen, die in Ostdeutschland leben

Was machst du hier?

Ja, es gibt Probleme im Osten, und viele junge Leute ziehen weg. Andere aber bleiben – oder ziehen hin, um ihr Glück zu finden. Wir haben sieben von ihnen gefragt, warum es dort, wo sie sind, besser ist als anderswo.

Protokolle: Paul Wrusch | Fotografie: Johannes Ernst

Max Reschke (Apolda/Jena)

Bei meiner Ausbildung als Imker war ich mal im Kreis Höxter, da habe ich mich unwohl gefühlt. Meine Heimat ist das Thüringer Land, ich kann hier nicht weg – ich kenne die Leute, das Land, die Natur. Hier ist es am schönsten. In Jena habe ich meinen Zweitwohnsitz und ein Stück Stadt gefunden. Aber auch dort läuft man 15 Minuten und ist im Grünen. Und nach einer Weile kennt man sein Viertel, die Menschen dort. Ich mag die Anonymität der Großstadt nicht.

Ich habe das Gefühl, dass es hier jungen Menschen, die innovativ sind und etwas gründen wollen, nicht leicht gemacht wird. Der Fokus liegt darauf, große Wirtschaftsunternehmen ins Land zu holen. Und natürlich haben wir hier ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit. Viele kommen nicht raus aus ihrer Kleinstadt, ihnen fehlt der Weitblick. Und auch die Schule hilft da wenig. Die Lehrer versuchen neutral zu sein, aber wo soll die politische Bildung denn herkommen? Politische Meinungsbildung in der Schule ist ein Muss. Gerade hier haben wir mit Buchenwald ja ein wichtiges Mahnmal, aber letztlich ist es für viele doch nur ein Turm, der da steht.

Max Reschke, 23, ist Bioland-Imker im thüringischen Apolda, wo er auch geboren wurde. Seit er 12 ist, imkert er, mittlerweile als Nebenerwerb. In Jena studiert er Wirtschaftswissenschaften. Er engagiert sich bei der Grünen Jugend für Umweltschutz und gegen Rechtsextremismus.


Henriette Schubert-Zunker (Erfurt)

 

Meinen Studiengang gibt es nicht an vielen Unis, da kam mir Erfurt sinnvoll vor. Ich hatte mir die Stadt vorher ein paar Tage angesehen und habe mich hier gleich wohl gefühlt. Erfurt ist überschaubar, hat eine schöne Altstadt, und die Leute sind sehr offen. Das Studentische, das Alternative muss man hier nicht suchen, wie es etwa in Frankfurt am Main der Fall ist. Bevor ich nach Erfurt kam, habe ich mich allerdings nicht als Wessi gefühlt, man beschäftigt sich erst damit, wenn es einem selbst zugeschrieben wird. Vor allem in Gesprächen mit Erwachsenen ist das schon noch Thema.

Wenn ich mit den Jugendlichen hier arbeite, merke ich kaum einen Unterschied. Sie interessieren sich für die Themen, die auch mir wichtig waren, als ich jung war. Mobilität ist ihnen wichtig, Umgang mit Mobbing und Diskriminierung. Und Internet. Wir kommen manchmal in Schulen, die noch nie Internet gesehen haben. Diese Barcamps, eine Art offener Workshop, bei dem die Jugendlichen die Themen selbst bestimmen, laufen ja vor allem online. Zuletzt war ich in Schweina, da hatte uns die örtliche Jugendkunstschule eingeladen, weil dort gerade ein AfD-Büro eröffnet hatte und sie was dagegenhalten wollten. Unsere Themen waren dann Demokratie und Meinungsfreiheit. Da merke ich schon, dass es Sinn macht, was ich da mache.

Henriette Schubert-Zunker, 25, ist in Offenbach groß geworden, studiert seit zwei Jahren in Erfurt Staatswissenschaften und arbeitet nebenberuflich für das Demokratieprojekt «Vorsicht Demokratie». Dort organisiert sie Barcamps für Jugendliche.


Rosa Koppelmann (Leipzig)

Ich komme aus Flensburg, wollte aber unbedingt in Leipzig studieren. Mein großer Bruder lebte hier, und als ich ihn besuchte, habe ich mich in die Stadt verliebt. Leipzig ist lebendig, kreativ, es gibt ständig Fortschritt. Wir hatten schon immer gesagt: Wenn wir gründen, dann hier. Denn nicht nur der Spirit ist groß, die Lebenshaltungskosten sind gering, ich muss eben keine 800 Euro Miete zahlen. Mittlerweile ist selbst meine Mutter von der Ostsee hierher gezogen. Und für Gründer ist die Stadt ohnehin ideal, auch weil es viele Möglichkeiten gibt, sich zu vernetzen.

Inzwischen haben wir eine dreieinhalbjährige Tochter, aber noch immer keinen Kindergartenplatz. Das ist ärgerlich. Wir wollten mit einer Eltern-Initiative selbst einen gründen, aber nach fünf Jahren Kampf sind wir gescheitert. Vielleicht müssen wir deshalb bald wegziehen. Und klar, das Thema Rechtsextremismus ist ein Thema. Wenn ich neue Leute kennenlerne, frage ich mich ständig, welche Gesinnung sie haben. Das Gefühl hatte ich früher im Westen nie. Und jetzt habe ich Angst, dass mein Gegenüber vielleicht AfD wählt. Diese Unsicherheit nervt, und man merkt sie in der Stadt.

Rosa Koppelmann, 30, ist Unternehmerin in Leipzig. 2016 hat sie mit ihrem Mann Whole Food Box gegründet. Ihren Kunden schickt sie monatlich eine Überraschungsbox mit vollwertigen pflanzlichen Produkten als «Inspirationsquelle» für eine gesündere Ernährung.


Tobias Steenweg (Magdeburg)

Ich komme eigentlich aus Göttingen, aber mich hat es gereizt, fürs Studium der Wirtschaftsinformatik in den Osten zu gehen, das Unbekannte hat mich schon immer gereizt. Und die Stadt hat mir gefallen. Die Idee zu UniNow kam schon im Studium auf, es war ein Uniprojekt, das wir dann ausgegründet haben. Hier gibt es viele Mittel für den Strukturaufbau Ost. Das Land hat in unsere Firma investiert, zum Glück, denn die Erkenntnis, dass man nicht nur in Großunternehmen investiert, hat sich erst in den vergangenen fünf Jahren durchgesetzt. Insofern ist Magdeburg ein guter Standort für Start-ups, aber natürlich anders als Berlin oder München. Es gibt hier weniger qualifiziertes Fachpersonal, viele wandern nach dem Studium ab. Aber dafür gibt es auch weniger Konkurrenz. Die, die hier bleiben, wechseln nicht so schnell die Jobs. Wir sind gewissermaßen ein großer Fisch in einem kleinen Teich. Ich bereue den Schritt der Gründung jedenfalls nicht, es haben sich im Nachhinein viele Vorteile aufgezeigt, mit denen ich nicht gerechnet habe.

Tobias Steenweg, 29, ist Unternehmer aus Magdeburg. Er hat nach dem Studium gemeinsam mit Stefan Wegener UniNow gegründet, eine App, die den Hochschulalltag digitalisieren soll. Er beschäftigt 25 Mitarbeiter/innen, über eine Million Euro wurden bereits in UniNow investiert.


Georg Lesser (Leutenberg)

Thüringen ist das grüne Herz Deutschlands, warum soll ich da weg? Wir sind zwar die einzigen jungen Leute hier im Ort, aber allein in diesem Sommer kamen 100 junge Menschen aus aller Welt und haben bei uns mitgeholfen gegen Kost und Logis. Das, was andere in der Großstadt suchen, Kontakt zu netten Menschen, interkulturellen Austausch, haben wir also auch bei uns. Außerdem sind die Grundstückspreise günstig, für uns ist das eine gute Grundlage, weil wir ja Land kaufen und es dem Naturschutz zufügen wollen. Leicht war es nicht, hier etwas zu gründen. Es gibt zwar genug Fördermittel, aber es ist schwer, da ranzukommen, weil man es kaum schafft, den bürokratischen Wahnsinn zu überstehen. Da sollte der Staat jungen Gründerinnen und Gründern helfen. Was uns außerdem fehlt, sind Lebensmittelläden, die Bioprodukte anbieten. Dass wir bei uns auf dem Hof in dem kleinen Ortsteil von Leutenberg keinen Handyempfang haben, stört uns dagegen gar nicht. Wir sind froh, dass wir dort mal abschalten können.

Georg Lesser, 28, hat im thüringischen Leutenberg das gemeinnützige Naturschutzprojekt «Save Nature Group» gegründet. Er kümmert sich um regionale und internationale Naturschutzprojekte, bewirtschaftet sechs Hektar mit Obstbäumen, verkauft Saft und unterrichtet an Schulen.


Jessica Züchner (Görlitz)

Ich komme aus Hoyerswerda und war dort schon im soziokulturellen Zentrum aktiv. Ich wollte Kulturmanagement studieren und habe mich schnell entschieden, dafür nach Görlitz zu gehen. Mir war klar, dass ich in der Region, in Ostsachsen, bleiben will. Hier werden Leute, die sich engagieren, die auf politischer Ebene was machen wollen, dringend gebraucht. Ich verspüre da eine Art Pflichtgefühl. Wenn hier alle jungen Leute weggehen würden, ginge alles zugrunde. Görlitz ist außerdem eine wunderbare Stadt fürs Studium und auch für später. Es gibt traumhafte Wohnverhältnisse, Polen und Tschechien sind nah. Es ist ein super Ort, um eine Familie zu gründen. Auch wenn die Einkommensunterschiede zum Westen schon deutlich sind.

Unser Verein versteht sich auch als Plattform für Projekte, die sich am Stadtgeschehen beteiligen. Es gibt Workshops, Kreativwerkstätten, einen Stadtteilgarten. Wir sind generationsübergreifend, machen Quartiersmanagement. Und bald gibt es das neue Jugendzentrum. Uns ist wichtig, dass die Leute, die hier wohnen, selbst aktiv werden. Dass wir sie ermutigen, selbst was zu machen, damit sie sich wohl fühlen. Das klappt ganz gut, es gibt schon eine Art Macherszene hier und viel Vernetzung.

Jessica Züchner, 24, arbeitet in Görlitz beim Verein Second Attempt zur Förderung und Vernetzung von Jugendkultur. Dort ist sie für kulturelle Bildung zuständig.


Benjamin Gruner (Chemnitz)

Chemnitz war eigentlich nur ein Zwischenschritt, um in die nächste Großstadt zu ziehen. Aber es gibt hier noch zahlreiche Möglichkeiten, Dinge auszuprobieren, es gibt Räume, Lücken, interessierte junge Menschen. Chemnitz ist noch nicht so fertig wie andere Städte, wo es oft ein kulturelles Überangebot gibt. Außerdem passieren hier gerade sehr viele spannende Dinge, musikalisch, avantgardistisch. Man muss hier mehr selbst machen, weil das Budget oft nicht so hoch ist. Kollegen aus dem Westen bewundern und beneiden uns oft deshalb. Sie sind häufig pragmatisch, wir müssen kreativer sein.

Die aktuellen Probleme mit Rechtsextremen sind furchtbar. Das nimmt ein Stück Lebensqualität, wenn man bemerkt, wie beschränkt bei manchen die Horizonte sind. In der Stadt gibt es viel Spannung, man guckt sich befremdlich an: Zu welchem Lager gehörst du eigentlich? Viele Probleme wurden von der Landesregierung lange totgeschwiegen. Gut, dass jetzt erkannt wird, dass man mehr in politische Bildung investieren muss.

Benjamin Gruner, 29, ist Sozialarbeiter und Kulturveranstalter in Chemnitz. Seit März leitet er gemeinsam mit Timo Stocker den Club Transit, wo neben Partys auch Kulturprogramme angeboten werden. Zudem arbeitet er Vollzeit als Sozialarbeiter.

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