Die Yogyakarta-Allianz: ein postkoloniales Bündnis

Bericht

Für eine ernsthafte und kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte, bedarf es eines Inklusionskonzepts für LSBTIQ in der Entwicklungszusammenarbeit.

Seit Jahren fordert die Zivilgesellschaft eine ernsthafte und kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte. Das Engagement betrifft viele Ebenen: Gruppen, die sich für Straßenumbenennungen engagieren, andere haben die Errichtung von Gedenktafeln bewirkt, wie etwa im Berliner Regierungsviertel. Deutsche Kolonien gab es in den heutigen Ländern Namibia, Kamerun, Togo, Tansania, Ruanda, Burundi, Papua-Neuguinea, Westsamoa, den Föderierten Staaten von Mikronesien u.a. Als Reparationszahlungen mussten die Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg abgegeben werden und wurden anschließend von den anderen europäischen Kolonialmächten weiter ausgebeutet. Die Forderung nach einem Schuldeingeständnis und Entschädigung für die Kolonialverbrechen Deutschlands wird lauter.

Postkoloniale Kritik als theoretisches Fundament

Der theoretische Hintergrund zu dieser Position heißt postkoloniale Kritik. Immer mehr beschäftigt dieser in Universitäten entwickelte Ansatz auch die politischen Aktivist*innen. Mitunter vermittelt postkoloniale Kritik aber gerade auf die, die an Gerechtigkeit orientiert sind, den Eindruck, dass in diesem globalen Kontext ohnehin aus dem Norden heraus nur falsch gehandelt werden kann und daher lieber gar nicht gehandelt werden sollte. Besonders unter denjenigen, die sich für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter* im globalen Süden einsetzen, zeigt sich eine große Vorsicht und Verhaltenheit. Was tun? Dieser Frage widmet sich die Yogyakarta-Allianz.

Die Yogyakarta-Allianz ist ein postkolonial orientiertes Bündnis. Sie hat sich 2012 als Initiative der Zivilgesellschaft in Berlin gegründet. Benannt ist die Allianz nach den Yogyakarta-Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität (SOGI) von 2006. Sie engagiert sich für eine deutsche Entwicklungs- und Außenpolitik, die die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sowie Geschlechtsmerkmale und Geschlechtsausdruck (SOGIESC) inklusiv aufgreift.

Entwicklungsarbeit bedarf postkolonialer Impulse

Die Yogyakarta-Allianz ist in ihrer Ausrichtung einzigartig und sehr klar. Ihr Arbeitsprinzip lautet „Do no harm – but do something.“ Es ist sinnvoll und wichtig, den postkolonialen Impuls auch in die Entwicklungszusammenarbeit aufzunehmen. Dazu muss explizit auch die Geschichte der Verfolgung und Bestrafung von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten berücksichtigt werden. Es ist wichtig zu wissen, dass die Strafgesetze gegen homosexuelle Handlungen in den Ländern des globalen Südens kolonialen Ursprungs sind. Außerdem haben die Kolonialmächte die Geschlechterrollen geprägt und das Spektrum von Geschlechtsidentitäten und Geschlechtsausdruck oft mit Gewalt stark eingeengt. So ist z.B. die Wirkung der Missionsgeschichte für junge Lesben in Namibia bis heute spürbar.

 “No offense, guys, but your countries came to our countries and violently took what wasn´t yours and left gay people outlawed. Isn´t it time to come up with an apology for colonialism and particularly for the homophobic laws that colonial rule introduced here?”

Eine Kampagne zur Entschuldigung für den Kolonialismus - dieser Vorschlag der kenianischen Anwältin und Aktivistin Imani Kimiri begeisterte die Yogyakarta-Allianz bei einem Treffen in Berlin. Imani Kimiri war auf dem Weg nach Großbritannien, um an einer Kampagne für eine solche “Apology” zu arbeiten.

Homophobie als Folge des kolonialen Missionarismus

Die Briten haben ihr homophobes Strafrecht in einen Großteil ihrer Kolonien exportiert. Mit Folgen bis in die Gegenwart. In 36 der 53 Länder, die im Commonwealth zusammengeschlossen sind, stehen homosexuelle Handlungen bis heute unter Strafe. So war section 377 im indischen Strafgesetzbuch das erste Anti-Homosexualitätsgesetz, das die britische Kolonialregierung eingeführt hat.

2008 wurde bei einer Demo in Mumbai am 61. Jahrestag der Unabhängigkeit eine Entschuldigung gefordert für das große Leid, das die Einführung des Gesetzes bewirkt hat: „We call on the Indian government to abandon this abhorrent alien legacy that should have left our shores when the British did.“

Auch Britische NGOs arbeiten an einer Aufarbeitung dieses Teils der Kolonialgeschichte. Jahrelang drängten sie ihre Regierung zu einer Entschuldigung. Mit Erfolg: Ende April 2018 sagte die britische Premierministerin Theresa May: „I deeply regret that such laws were introduced, and the legacy of discrimination, violence and even death that persists today.“ Damit drückte sie erstmals öffentlich ihr „tiefes Bedauern“ für das Leid aus, das die homophobe Kolonialgesetzgebung der Briten angerichtet hat.

Zivilgesellschaftliches Engagement bewirkt Veränderungen

So erfreulich das ist, so spät kam diese Einsicht. Auch ging damit kein Schuldeingeständnis für Kolonialverbrechen einher. Stattdessen ist es eine Aufforderung an die Commonwealth-Staaten, sich für die Abschaffung dieser Gesetze einzusetzen und die Zusage britischer Unterstützung dabei. Selbstkritik war nicht zu hören, auch keine kritische Reflektion der späten Entkriminalisierung in Großbritannien selbst.

Ohne das – in der Haltung geradezu neokoloniale – Hilfsangebot von Theresa May, ging es dann auch in Indien voran: Am 6. September 2018 fiel das einstimmige Urteil des indischen Supreme Court, nach dem das Strafgesetz 377 als verfassungswidrig eingestuft wird. Damit ist die Kriminalisierung einvernehmlicher sexueller Handlungen unter Erwachsenen des gleichen Geschlechts abgeschafft. Das ist vor allem das Ergebnis eines jahrzehntelangen Kampfes aus der indischen Zivilgesellschaft auf gerichtlicher und gesellschaftlicher Ebene.

In seiner Begründung bezieht sich das Urteil auch auf die Yogyakarta-Prinzipien, die Yogyakarta-Prinzipien plus 10 und den letzten Bericht des UN-Experten für SOGI. Richterin Indu Malhotra formulierte: „Den Mitgliedern der LGBTI-Community und ihren Familien schuldet die Gesellschaft eine Entschuldigung, weil ihnen über die Jahre gleiche Rechte verweigert wurden.“ Übrigens erwähnt das Urteil auch die Apology der britischen Premierministerin.

Selbstkritische Reflektion ist unerlässlich

Es ist Zeit für eine postkoloniale Praxis! Wer sich für die Menschenrechte von LSBTIQ einsetzt, darf die Kolonial- und Verfolgungsgeschichte nicht ignorieren, sondern muss sie selbstkritisch reflektieren. Nur dann kann dies glaubwürdig und überzeugend sein. Postkoloniale Theorie stellt sich moralisch klar auf die Seite der Nachkommen kolonisierter Bevölkerungen und nimmt ausdrücklich Partei für verletzliche Gruppen. Sie verlangt eine ernst gemeinte Einbeziehung von People of Color, von migrantischen Gruppen und nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit Rassismus im Nord-Süd-Dialog.

Das heißt auch, die Zusammenarbeit darf niemals auf den Aspekt der Homophobie beschränkt bleiben. Sibongile Ndashe, südafrikanische Menschenrechtsanwältin, beklagt, dass oft die Arbeit der Aktivist*innen vor Ort ignoriert werde, wenn sie nicht zur allseits bekannten Erzählung der Homophobie in Afrika passen: „The single story of African homophobia hinders the work of local activists by ignoring on-the-ground-progress that doesn´t align with the established narrative.“

Aus fast allen afrikanischen Staaten gibt es Berichte über Traditionen von Homosexualitäten. Etwa die YanDoud in der Hausa-Gesellschaft in Nigeria: homosexuelle Männer, deren soziales Geschlecht weiblich ist. Elnathan John, nigerianischer Anwalt und Autor forscht beispielsweise dazu. Die Kolonialisierung und Missionsbewegungen aus Europa unterdrückten diese Lebensformen und Traditionen gewaltsam.

Zentrale Forderung der Yogyakarta-Allianz

Deshalb fordert die Yogyakarta-Allianz, dass das BMZ ein „Sonderprogramm Kulturen und Kolonialismus“ einrichtet. Damit sollen die „Geschichten, Lebensberichte und Traditionen der regionalen Homosexualitäten, Geschlechtlichkeiten und Gendergeschichten“ gesammelt und dokumentiert werden. Dabei müssen ausdrücklich „auch die Missionsgeschichte und die Kolonialverantwortung Deutschlands“ reflektiert werden. Außerdem muss – das ist auch für die Zusammenführung von postkolonialer Theorie und postkolonialer Praxis elementar – „ein entsprechendes Programm mit Forschenden und Universitäten in den Partnerländern“ begonnen werden.

Deutschland setzt sich gemeinsam mit zahlreichen weiteren Staaten für die Menschenrechte von Homosexuellen und Trans*personen ein. Die Yogyakarta-Allianz begrüßt diesen Einsatz und bestärkt die Regierung darin. Ob im UN-Menschenrechtsrat, in der zwischenstaatlichen Diplomatie und neuerdings auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bitten die Yogyakarta-Allianz um Stellungnahmen. Wir sind in Kontakt mit Durchführungsorganisationen wie der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), werden für Workshops angefragt und vernetzen uns international auf Konferenzen.

Die zentrale Forderung der Yogyakarta-Allianz lautet: Die deutsche Regierung und alle Stiftungen, die mit dem Geld der Bundesregierung arbeiten, sollen ein Inklusionskonzept für LSBTIQ für die Auswärtige Politik und Entwicklungszusammenarbeit vorlegen. Mit dem im November 2017 veröffentlichten 13-Punkte-Papier haben wir dafür die konzeptionelle Grundlage geschaffen.

Eine engagierte Kerngruppe der Yogyakarta-Allianz trifft sich regelmäßig in Berlin. Interessierte aus der Entwicklungszusammenarbeit, aus migrantischen Organisationen, kirchlichen oder anderen Hilfsorganisationen sind herzlich willkommen.