Autoritäre Wende und Menschenrechtskrise auf den Philippinen

Hintergrund

Seit dem Amtsantritt Rodrigo Dutertes im Jahr 2016 hat sein Regime eine Politik der Angst und der Repression etabliert. Die demokratischen Normen werden untergraben, sowie Verletzungen von Grundrechten gebilligt. Das Ergebnis? Die Rückkehr zur Tyrannei und Tausende von Toten.

Vor einer Gruppe von Menschen stehen vier Personen, die sich weiße Tücher, mit weinenden Gesichtern bemalt, vor den Kopf gebunden haben.
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Zwischen tausenden von Menschen hören sich Familien von Opfern der außer-Gerichtlichen Tötungen die verlesenen Namen der Ermordeten unter der Duterteregierung an. Die Angehörigen verbergen während dieses Protests auf der Commonwealth Avenue in Quezon City gegen Dutertes Rede zur Lage der Nation ihre Gesichter, um anonym zu bleiben.

Der populistische Autoritarismus gewinnt weltweit an Macht. Der Aufstieg von Machthabern mit einer explizit feindseligen Haltung gegenüber Menschenrechten, sowohl aus dem Globalen Norden als auch aus dem Globalen Süden, erfordert eine umfassende Selbstreflexion unter Menschenrechtsverteidiger/innen und politischen Aktivist/innen. Besonders, wenn es um die Entwicklung innovativer Strategien gegen die regressiven Bewegungen und ihre Herausforderungen geht.

Dies ist mehr denn je erforderlich, in einem Jahr, in dem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) 70 Jahre alt wird. Die UN-Menschenrechtscharta ist eines der wichtigsten Dokumente des 20. Jahrhunderts, welches die Würde und Rechte jedes und jeder Einzelnen schützt. Als einer der wichtigsten Befürworter spielten die Philippinen bei ihrer Erarbeitung eine wesentliche Rolle. Als Gründungsmitglied der Vereinten Nationen und als einer der wichtigsten Unterstützer der AEMR war das Land schon immer an vorderster Front, wenn es darum ging, grundlegende Menschenrechtsprinzipien zu verteidigen.

Historische Rolle der Philippinen für die Menschenrechte

Einer der bekanntesten Diplomaten des Landes zu dieser Zeit war Carlos Romulo. Er wurde als eine der führenden Stimmen aus der „Dritten Welt“ bezeichnet, die auf die Umsetzung der Erklärung drängte. Er bewies, dass die Etablierung des internationalen Menschenrechtssystems kein westliches Projekt war, sondern ein pluralistisches, das den entschlossenen Einsatz von ehemals kolonialisierten Staaten involvierte.

Trotz seines Einsatzes ist Romulos Vermächtnis umstritten, denn er wurde später zu einem der Verteidiger des Diktaturregimes von Ferdinand Marcos. Die 21-jährige Amtszeit von Marcos war eine der dunkelsten Epochen der Geschichte der Philippinen – eine Ära, die der derzeitige Präsident Rodrigo Duterte wiederbeleben will.

Die Nostalgie für die diktatorische Vergangenheit

Die Militärdiktatur von Marcos war von massiver Korruption und Repression geprägt, die zu tausenden außergerichtlichen Hinrichtungen, Folter, Verschwindenlassen und illegalen Inhaftierungen geführt haben. Mehr als dreißig Jahre nach seinem Sturz und der Wiederherstellung der liberalen Demokratie im Land erleben die Filipinos und Filipinas nun eine Rückkehr zur Tyrannei.

Duterte hat in seiner bisherigen Amtszeit schamlos gezeigt, wie er die repressive Politik seines Vorbilds nachahmt. Seine Rhetorik während des Wahlkampfs zog ein breites Spektrum von Bürger/innen an, obwohl es offensichtlich war, dass sein wesentliches Versprechen als Präsidentschaftskandidat, nämlich der „Krieg“ gegen Drogen, eine klare Politik des Massenmords war.

Mimi Garcia, 55, hält Bilder ihres Sohns Richard und ihrer Schwiegertochter Robilyn, die am 7. Oktober 2016 vor ihrer Hütte in Camarin, Caloocan, von maskierten Mitgliedern der Bürgerwehr auf einem Motorrad getötet wurden. Mimi Garcia ist nun allein für ihre zwei Enkelkinder verantwortlich, obwohl sie kein Einkommen hat.
Über 20.000 Menschen fielen seiner Strategie bisher zum Opfer. Sein Vorgehen animiert die Polizei und Selbstjustizgruppen dazu, außergerichtliche Hinrichtungen gegen mutmaßliche Verbrecher/innen zu vollstrecken. Die meisten der Opfer stammen aus den ärmsten und marginalisierten Bereichen der Gesellschaft.[1] Doch diese Kampagne dient auch als Vorwand, um Jagd auf Regimekritiker/innen zu machen.

Ein Beispiel dafür ist die Bedrohungskampagne gegen Aktivist/innen und Studierendenbewegungen, die auf fehlerhaften Geheimdienstberichten basiert.[2] Dutertes Militär beschuldigt die Betroffenen, Teil einer von der Opposition angeführten Verschwörung zu sein, wobei progressive Gruppen mit bewaffneten Rebellen gleichgesetzt wurden. Dies führt zu deren Stigmatisierung als „Terrorist/innen,“ die effektiv kritischen Stimmen werden so zum Schweigen gebracht.

Vor kurzem wurde außerdem ein Rechtsanwalt ermordet, der für seine Verteidigung und Arbeit für bedürftige Klient/innen bekannt war. Der Mord zog bisher keine Konsequenzen nach sich, was die gravierende „Kultur“ der Straflosigkeit im Land verdeutlicht. Seitdem Duterte die Präsidentschaft gewonnen hat, wurden 34 Anwälte getötet.[3] Kurz nach seiner Wahl stellte Duterte eine Art „Hit List“ mit Namen von Richter/innen und Anwält/innen zusammen, die angeblich mit Drogen und Verbrechen in Verbindung waren.

Tatsächlich hat sich die Menschenrechtslage unter dem derzeitigen Regime insgesamt verschlechtert. Aber schon vor Duterte war der Zustand im Land katastrophal. Sein Vorgänger Benigno Aquino beaufsichtigte eine Regierung, die es nicht geschafft hatte, die Tötungen von mindestens 140 Menschenrechtsverteidiger/innen und 20 Journalist/innen aufzuklären. Außerdem gab und gibt es zunehmende Berichte über Rechtsverletzungen und Tötungen, die durch das philippinische Militär gegen die indigenen Gemeinschaften begangen wurden. Dies entspricht einem Bericht des Aktionsbündnisses Menschenrechte – Philippinen (AMP) aus dem Jahr 2017, der das Land für diese Gruppen als eines der gefährlichsten der Welt bezeichnet.[4]

Menschenrechte in der Ära des populistischen Autoritarismus

In einem Artikel im Journal of Human Rights Practice von Philip Alston, dem UN-Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte, wurden einige wichtige Punkte in Bezug auf die Menschenrechtsverletzungen in Zeiten des populistischen Autoritarismus dargelegt.[5] Die Bedrohung der Demokratie ist darin ein grundlegender Punkt. Die Dämonisierung bestimmter Menschengruppen führt zu einer Politik der Entfremdung, die den demokratischen Normen zuwiderläuft. Im Fall der Philippinen waren die Sündenböcke anfangs Kleinkriminelle. Die Kampagne Dutertes hat diese Menschen ausführlich als Feinde der Gesellschaft gebrandmarkt und sie mit Drogenabhängigen und –händler/innen gleichgesetzt. Außerdem wurde eine Rhetorik der Angst eingesetzt, um Wahlstimmen zu erhalten. Wie die Welt gesehen hat, war dies ein Erfolg.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die offene Feindschaft gegenüber Institutionen – national und international. Ein Paradebeispiel dafür ist das aggressive Vorgehen gegen den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Mehrere autokratische afrikanische Regierungschefs haben beantragt, sich aus dem globalen Tribunal zurückzuziehen, und die Philippinen unter Duterte könnten im Frühjahr nächsten Jahres ihren Rückzug beschließen.

Was diese Machthaber gemeinsam haben, ist die Tendenz, die „Neokolonialismus“-Karte auszuspielen, wenn es um die möglichen Interventionen des IStGH geht. Jedoch geht es dabei nicht wirklich um Neokolonialismus oder ein „Tauziehen zwischen kolonialistischen Mächten und der philippinischen Souveränität,“ wie Senator Leila de Lima vor kurzem argumentierte.[6] De Lima, Dutertes heftigste Kritikerin, ist derzeit aufgrund politisch motivierter Anklagen inhaftiert.

So wie sie eine der wichtigsten Stimmen bei der Umsetzung der UN-Charta und der UN-Menschenrechtscharta waren, waren die Philippinen auch ein wichtiger Befürworter des Römischen Statuts des IStGH. Ihre Delegierten und die zivilgesellschaftliche Koalition, die an der Ausarbeitung des Dokuments mitgewirkt haben, haben gezeigt, dass sich das Land in hohem Maße für die Menschenrechte und internationale Rechtsstaatlichkeit einsetzte.

Der Sarg des 17-jährigen Kian delos Santos wird von hunderten Freunden, Verwandten und Sympathisanten während seiner Beerdigung auf dem La Loma Friedhof in Caloocan getragen. Kians Tot führte zur Verurteilung des brutalen “Drogenkriegs” der Regierung im ganzen Land. In der selben Woche wie Kian wurden vom 15. Bis 18. August 2017 81 Menschen in Polizeioperationen und von Bürgerwehren umgebracht. Der Polizei zu Folge war Kian ein Drogenkurier und wurde in einem Einsatz getötet, nachdem er angeblich eine Waffe benutzt hatte. Allerdings zeigten Filmaufnahmen einer Überwachungskamera, wie Kian in Alltagskleidung zu einer dunklen, verlassenen Ecke in Caloocan Stadt gezerrt wurde. Im November 2018 wurden drei Polizisten des Mordes an Kian schuldig gesprochen

Neoimperialismusanklage ein Täuschungsmanöver

Während der Neoimperialismus ein Thema ist, das nicht leichtfertig abgetan werden sollte, ist es in diesem Fall folglich ein Täuschungsmanöver. Denn der Hauptgrund für den Rückzug von Duterte ist in erster Linie das Ausweichen der Verantwortlichkeit: „Um der Gerechtigkeit zu entgehen,“ argumentierte De Lima. Sie betonte weiterhin die Tatsache, dass „ein ganzer Vertrag außer Kraft gesetzt wird, um den persönlichen Interessen eines Einzelnen zu dienen.“

Die philippinische Regierung reagierte auf die Entscheidung der Chefanklägerin des IStGH[7] mit der Ablehnung von Ermittlungen gegen das Land. Sie verurteilten die Entscheidung und verstand es stattdessen als Angriff auf das nationale Justizsystem. Tatsächlich verfügen die Philippinen über den notwendigen rechtlichen Rahmen, um innerhalb der eignen Institutionen auf die Menschenrechtsverletzungen zu reagieren. Dies setzt jedoch voraus, dass die Rechtsinstitutionen des Landes in erster Linie stark, handlungsfähig und unabhängig sind.

Leider ist dies nicht der Fall und diejenigen, die die internationalen Ermittlungen verhindern möchten, leugnen die Tatsache, dass das System immer fehlerhaft gewesen ist.[8] Es stimmt, dass eine mögliche Anklage vom IStGH ein eklatanter Schlag gegen das Land sein würde, denn es würde die Unzulänglichkeiten des Rechtssystems aufdecken. Aber das ist notwendig, um der Krise der Justiz entgegenzutreten, denn der erste Schritt zur Überwindung der Menschenrechtsverletzungen besteht darin, anzuerkennen, dass es sie gibt und dass das Land es bislang nicht geschafft hat, sie zu ahnden.

Bevor sie zur Senatorin gewählt wurde, leitete Leila De Lima das Justizministerium unter Präsident Aquino. Davor leitete sie die staatliche Menschenrechtskommission (CHR), wo sie 2009 eine Ermittlung zu dem „Davao Death Squad“ (Todesschwadronen von Davao, kurz „DDS“) forderte. Das Todeskommando wurde von Duterte selbst bekräftigt, während er Bürgermeister von Davao war. Davao war der Ort, an dem Duterte mit seiner tödlichen Politik experimentierte.

Familien besuchen die Etagen-Gräber auf dem öffentlichen Navotas Friedhof, in denen viele arme Opfer des Drogenkrieges der Regierung bestattet sind. Manche der hier bestattet sind Tote, deren Leichnam niemand abholen wollte. Sie warden aufeinandergelegt in den untersten Etagen ohne Rituale abgelegt. Auch im Tot sind sie arm, sie haben keine Namen, nur Aliase und Nummern.

Schwache Stellung der Institutionen

Die Bewertung von Dutertes Herrschaft über Davao lässt nachdenken, warum frühere Regierungen eine solche Brutalität nicht gesehen haben und warum sie keine Maßnahmen ergriffen haben, bevor es zu spät war. Dies beweist einfach die Schwäche der Institutionen im Land. Während sie ihre Ermittlungen als Vorsitzende der CHR fortsetzte, bezeichnete De Lima die Gerichte in Davao als „unkooperativ, obstruktionistisch und in der Kultur der Straflosigkeit verwickelt.“ Die CHR musste sich dann auf ein Gericht in Manila verlassen, um die Ermittlungen fortzusetzen.[9]

Mit Duterte in der Exekutive und De Lima im Kongress übte die Senatorin eine starke Oppositionspolitik aus, indem sie einen Untersuchungsausschuss zur Mitschuld Dutertes bei der DDS-Hinrichtungen einreichte. Im Laufe dessen wurde von zwei Whistleblowern, ehemaligen DDS-Agenten, enthüllt, dass der Präsident die Todesschwadronen geschaffen und organisiert hat.

Trotz dieser Entwicklungen bleibt der Machthaber im Präsidentenpalast noch straffrei. Deshalb reicht es nicht aus, sich durch politische oder gerichtliche Institutionen zu kämpfen. Der Kampf und der Widerstand gegen die Tyrannei müssen durch eine starke Bewegung verstärkt werden.

Für die Stärkung der Zivilgesellschaft

Im Widerstand haben soziale Bewegungen eine wichtige Funktion. Die Rolle von Organisationen in der Zivilgesellschaft besteht darin, ein Gegen-Narrativ und fortschrittliche Alternativen zum Status Quo zu schaffen. Es muss eine progressivere Agenda festgelegt werden, die die Vertiefung und Stärkung von Demokratie sowie von Institutionen und deren Verantwortlichkeit umfasst.

Ein Umdenken im Menschenrechtsdiskurs in der Zivilgesellschaft ist längst überfällig. Es muss ein Bestreben geben, die Menschenrechte als Rahmen für die Justiz zu nutzen und Alternativen zur jetzigen Situation aufzuzeigen.[10] Die etablierte und populistische Rhetorik reduziert Grundrechte auf ihre rein legalistischen Aspekte und vergisst dabei, dass diese mehr sind als eine Ansammlung von Verträgen und rechtlichen Normen. Die Wahrnehmung der Menschenrechte als dem Menschen immanente Werte und Moralvorstellungen sollte wieder auf den Fokus gerückt werden.

Es ist zwar wichtig, die Unterstützung durch die Basis zu bekommen. Jedoch sollte es auch ein konsistentes und verstärktes Engagement in Zusammenarbeit mit globalen Institutionen bestehen, insbesondere wenn es um internationale Organisationen geht, die von nationalstaatlicher Politik beeinflusst werden.

Erfordernisse zur Durchsetzung der Menschenrechte

Als die Philippinen dieses Jahr einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat erhalten haben, kam es zum Beispiel zum Widerstand in den eigenen zivilgesellschaftlichen Netzwerken des Landes. In einer Erklärung des In Defense of Human Rights and Dignity Movement (iDEFEND) wurde das Votum verurteilt und betont, dass das Land nicht die geforderten Menschenrechtsstandards eingehalten hat und dass die Duterte-Regierung mehrfach das Menschenrechtssystem der Vereinten Nationen angegriffen hat. [11]

Die internationale Solidarität mit anderen Bewegungen sollte ebenfalls gestärkt werden, um Veränderungen zu bewirken, die über die Staatsgrenzen hinausgehen, insbesondere wenn es um bessere regionale Mechanismen geht. Dies ist in Südostasien mehr denn je gefragt, wo die Regierungen in mehreren gezielte Maßnahmen einführen, um aktivistisches Handeln einzuschränken.[12] Dieser Trend von Beschränkungen von Handlungsspielräumen für die Zivilgesellschaft wird nach und nach intensiviert.

70 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Menschenrechtscharta ist es wichtiger denn je, dass wir Menschenrechte nicht von autoritären Populisten beeinträchtigen lassen. Die Verpflichtungen in diesem historischen Dokument müssen verteidigt werden. Die fortlaufenden Entwicklungen haben gezeigt, dass wir uns dabei nicht nur auf Staaten verlassen können. Die Einbeziehung von Gemeinschaften, Bürger/innen und der organisierten Zivilgesellschaft sollte deshalb verstärkt werden. Nur dann können die Versprechen der Menschenrechtscharta von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt endgültig Realität werden.

 

[1] Summers, Hannah. (2018): The people left behind by Philippines' brutal war on drugs - photo essay. The Guardian. 14 August 2018. [https://www.theguardian.com/global-development/2018/aug/14/death-drugs-…]

[7] International Criminal Court. (February 2018): Statement of the Prosecutor of the International Criminal Court, Mrs Fatou Bensouda, on opening Preliminary Examinations into the situations in the Philippines and in Venezuela [https://www.icc-cpi.int/Pages/item.aspx?name=180208-otp-stat]