Europa muss mehr für Medien & Demokratie tun

Hintergrund

Die Europäische Kommission unterstützt restriktive Maßnahmen, um die Verbreitung falscher Nachrichten im Internet zu bekämpfen. Aber unabhängige und kritische Medien werden im Kampf gegen Anfeindungen sich selbst überlassen.

Eine Frau hält ein Plakat auf einer Demo, auf dem "Hate" steht und durchgestrichen ist

Angesichts der für Mai 2019 anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament ergreift die EU Maßnahmen, um den realen und imaginären Bedrohungen von Desinformationskampagnen zu begegnen, die die Demokratie untergraben. Die Europäische Kommission unterstützt restriktive und selbstregulierende Maßnahmen, um die Verbreitung falscher und irreführender Nachrichten im Internet zubekämpfen. Aber unabhängige und kritische Medien, einschließlich investigativer JournalistInnen, werden im Kampf gegen Anfeindungen und im Ringen um Einnahmen sich selbst überlassen.

Unabhängige, starke und widerstandsfähige Medien sind wesentlich für die demokratische Zukunft Europas. Die Europäische Kommission hat dies in ihrer Mitteilung über die Bekämpfung von Online-Desinformationen anerkannt. In dem  Strategiepapier wird argumentiert, dass eine pluralistische und vielfältige Medienlandschaft „Desinformationen aufdecken, ausgleichen und abschwächen kann“ und dass es mit dem Aufkommen der digitalen Medien „notwendig ist, in hochwertigen Journalismus zu investieren, das Vertrauen in die zentrale gesellschaftliche und demokratische Rolle des Qualitätsjournalismus sowohl offline als auch online zu stärken, sowie Qualitätsnachrichtenmedien zu ermutigen, innovative Formen des Journalismus zu erkunden“.

Den Mitgliedstaaten überlassen?

Doch wenn es um die Möglichkeiten der EU geht, qualitativ hochwertigen Journalismus zu unterstützen, liegen die bisherigen Lösungsvorschläge der Kommission im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Dabei werden die EU-Länder insbesondere aufgefordert, „horizontale Beihilferegelungen in Betracht zu ziehen, um Beeinträchtigungen der Nachhaltigkeit von Qualitätsjournalismus zu beheben, die durch Marktversagen verursacht wurden”, und Maßnahmen zur Ausbildung von JournalistInnen sowie Service- oder Produktinnovationen zu unterstützen. Doch diese Maßnahmen haben kaum Aussicht auf Erfolg.

Warum? Der globale Anzeigenmarkt  wird von Technologieplattformen wie Google und Facebook dominiert. Bis  zu 80 Prozent der Werbung läuft mittlerweile über diese Kanäle. Es ist kaum anzunehmen, dass Regierungen, die oft nicht bereit sind, kritische Stimmen mit zusätzlichen Mitteln zu unterstützen, diese nun für die Einkommenseinbußen entschädigen, die aus den Anzeigeverlusten resultieren. Und sie wären dazu wohl auch nicht in der Lage. Besonders die Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa sowie jüngst auch in Italien verdeutlichen diese zögerliche Haltung. Wie würde eine horizontale Beihilferegelung in Ungarn aussehen - einem Land, in dem Unternehmen in Staatsbesitz den Anzeigenmarkt zum Vorteil regierungsfreundlicher Medien manipulieren?

Tagung

Auf der Tagung „Öffentlichkeit für Europa!“ am 30.11. und 1.12.2018 in Potsdam reden wir über den Druck, unter dem die öffentlichen Medien heute stehen. Und darüber, wie sie für eine demokratische Öffentlichkeit gesichert und gestärkt werden können. >> Informationen

In einem weiteren Anlauf zur Förderung des Qualitätsjournalismus schreibt die EU Förderungen für „datengesteuerten Journalismus über EU-Angelegenheiten“ aus. Für ausgewählte Projekte stehen insgesamt 1,9 Millionen Euro für eine Laufzeit von bis zu 26 Monaten zur Verfügung. Diese Zahl ist jedoch viel zu gering im Vergleich zu der Unterstützung, die Medien mit geringer Qualität von bestimmten Regierungen in einigen EU-Mitgliedsländern erhalten. Darüber hinaus versperrt der Fokus auf EU-Angelegenheiten den JournalistInnen vor Ort die Möglichkeit, Entwicklungen innerhalb der EU-Mitgliedstaaten zu kritisieren.

Um Vertrauen aufzubauen, muss Hate Speech gestoppt werden

Falls die EU weiterhin zögert, in erheblichem Umfang direkt in Medien zu investieren, wäre ein alternativer Weg, „mehr Vertrauen in Qualitätsjournalismus aufzubauen“, indem sie diesen verteidigt. JournalistInnen - insbesondere investigativ arbeitende - , sind in Europa  oftmals Hassreden ausgesetzt und in jüngster Zeit sogar Opfer tödlicher Angriffe geworden.

Beim Kampf gegen diese Bedrohung und Einschüchterung von JournalistInnen scheint die EU erneut auf die nationalen Regierungen zu setzen. Nach dem Tod von Daphne Caruana Galizia auf Malta, Jan Kuciak in der Slowakei und Viktoria Marinova in Bulgarien rief die EU die nationalen Regierungen wiederholt zum Handeln auf. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte in einer speziellen Stellungnahme, in der die Verhaftung eines Verdächtigen im Fall der Ermordung von Marinova in Bulgarien begrüßt wird, dass „die rasche Reaktion und die gemeinsamen Anstrengungen [der Regierung und der Strafverfolgungsbehörden] die Entschlossenheit zeigen, Gerechtigkeit für solche abscheulichen Taten herzustellen“.

Auch Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans räumte unmissverständlich ein, dass er einen Zusammenhang zwischen der Ermordung von Marinova und ihrer beruflichen Tätigkeit sieht. In einem Tweet schrieb er: „Wieder einmal fällt eine mutige Journalistin im Kampf für Wahrheit und gegen Korruption.“ Anfang 2017 betonte Timmermans in einer offiziellen Erklärung: „Für die Europäische Kommission kann es ohne freie Medien weder echte Demokratie noch Rechtsstaatlichkeit geben“. Doch auf konkrete Maßnahmen der EU über solche Erklärungen hinaus wartet man vergeblich. Die EU verfügt über wenig bis gar keine Instrumente, um InvestigativjournalistInnen zu  unterstützen und zu schützen. Auch hat sie bisher keine Verfahren gegen die vielen - darunter auch hochrangigen PolitikerInnen - eingeleitet, die routinemäßig die freie Presse in ihren Ländern attackieren und damit den Boden für noch mehr Hass und Gewalt gegen diese bereiten.

Erste Zeichen der Veränderung

Es wäre trotzdem falsch zu behaupten, dass die Kommission nichts unternimmt. Im Jahr 2018 startete sie mehrere Initiativen zum Schutz von JournalistInnen und Quellen sowie  zur Stärkung von Investigativ-Projekten.

Europäische Institutionen prüfen derzeit einen Richtlinienentwurf, der den Schutz von Whistleblowern – einer wichtigen Quelle von InvestigativjournalistInnen - stärken soll. Der Schutz von Whistleblowern ist unerlässlich, damit JournalistInnen ihre Arbeit verrichten können. Wenn JournalistInnen gezwungen werden, Quellen preiszugeben - oder wenn Quellen zu viel Angst haben, Mißstände aufzuklären, ist die wesentliche Überwachungsfunktion der Medien gefährdet. Die neue Richtlinie schützt nicht nur die Anonymität der Quellen, sondern stellt auch sicher, dass es keine Vergeltungsmaßnahmen gibt, wenn die Namen der HinweisgeberInnen veröffentlicht werden.

Am 20. November 2018 wurde der Gesetzesentwurf vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments positiv begutachtet. Sollte er in Kraft treten, würde die  Richtlinie die Rechte von JournalistInnen stärken, Informationen aus anonymen Quellen anzufordern und zu veröffentlichen. Diese Rechte stehen derzeit aufgrund der Einführung der Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) im Mai 2018 auf dem Spiel. Die neue Richtlinie würde auch Menschen wie Edouard Perrin schützen, den Informanten, der in Luxemburg wegen der Aufdeckung von Steuerbetrug im Zusammenhang mit den “LuxLeaks” vor Gericht steht. Auch Plattformen wie PubLeaks in den Niederlanden würden durch sie gestärkt werden.

Die Kommission hat auch Projekte zum Schutz von JournalistInnen sowie zur Unterstützung journalistischer Investigativ-Recherchen  finanziert. So betreiben das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) und seine Partnerinstitutionen eine Plattform, auf der Bedrohungen der Pressefreiheit erfasst werden. Sie organisieren auch Schulungen zur digitalen Selbstverteidigung für JournalistInnen.

Im Jahr 2018 bewilligte die EU 450.000 Euro zur Finanzierung von „Investigative Journalism for Europe“ und erhielt dabei Unterstützung vom ECPMF und dem International Press Institute. Der Fonds soll die Zusammenarbeit zwischen in der EU ansässigen JournalistInnen und Redaktionen bei Enthüllungen von besonderem öffentlichem Interesse und grenzüberschreitender Relevanz stärken. Im Juni 2018 wurden 12 Projekte mit insgesamt 315.000 Euro gefördert. Die Zuschüsse deckten jedoch gerade einmal 70 Prozent der Recherchekosten und finanzierten nur 10 Prozent der Gesamtkosten der sechzig  eingereichten Projekte.

Der Media Pluralism Monitor des European University Institute wird ebenfalls  von der EU unterstützt. Der Monitor identifiziert und markiert Risiken für den Medienpluralismus in EU-Mitgliedstaaten. Dabei konzentriert er sich vor allem auf den Schutz von JournalistInnen, Medienpluralität (einschließlich Eigentumsstrukturen), politische Unabhängigkeit und soziale Inklusion. Die Untersuchungsergebnisse werden jedoch nicht in konkrete Politik umgemünzt, der Monitor wird von der Kommission lediglich als „diagnostisches Instrument“ betrachtet.

Mehr Wirkung durch mehr Engagement

Damit der europäische Ansatz zur Wahrung der Medienfreiheit mehr Wirkung zeigt, muss die Kommission mutige und umfassende Entscheidungen treffen. Dazu muss die Kommission jedoch ihren bisherigen Ansatz zum Medienpluralismus umdeuten. Sie muss entscheiden, inwieweit dieser in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder in eine ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt. Die letzten Versuche, eine europäische Richtlinie zum Medienpluralismus einzuführen, wurden in der ersten Hälfte der 90er Jahre unternommen - und sie scheiterten. Doch die Situation hat sich seither erheblich verändert. Mehr Befugnisse der EU in Bereichen wie der audiovisuellen Kommunikation sind gefordert. In einer Zeit, in der die Bedrohungen für die Demokratie und informierte Entscheidungen immer internationaler und grenzüberschreitender werden, werden Medienfreiheit, Pluralismus, Sicherheit und Unabhängigkeit immer noch als Themen der Mitgliedstaaten betrachtet.

Um ihr Engagement für den Schutz von Medien und JournalistInnen zu demonstrieren, sollte die Europäische Kommission mehrere Schritte in Betracht ziehen. Erstens, die Einrichtung einer ständigen Finanzierungsstelle für investigativen Journalismus und die Bereitstellung eines umfangreichen Budgets. In einer von der Europäischen Kommission 2014 veröffentlichten Machbarkeitsstudie wurde der EU empfohlen, bescheiden zu sein angesichts des wenig entwickelten Rechtsrahmens für eine Unterstützung des Investigativjournalismus. Zudem seien Zweifel hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips noch nicht ausgeräumt. Aber die aktuellen Herausforderungen für die Demokratie in der EU zeigen, dass auf diese Idee des EU-Budgets zurückgegriffen werden muss. Im April 2018 beauftragte das Europäische Parlament die Kommission, dieses Instrument einzuführen. In einer Resolution wird die Kommission aufgefordert, „ein dauerhaftes finanzielles Unterstützungssystem mit einem speziellen Budget einzuführen, indem sie die vorhandenen Ressourcen zur Unterstützung des unabhängigen investigativen Journalismus neu zuteilt“.

Das Subsidiaritätsprinzips in Bezug auf die Medien zu überprüfen hat weitreichendere Auswirkungen, weil in einigen EU-Mitgliedstaaten eindeutige Bedrohungen für den Pluralismus zu beobachten sind. Der derzeit für Polen und Ungarn laufende Überprüfungsmechanismus über gemeinsame EU-Werte nach Artikel 7 sieht vor, dass - zumindest im Fall Ungarns – überprüft wird, wo die Meinungsfreiheit verletzt wird und Medien zum Schweigen gebracht werden. Dieses von der EU in den Jahren 2017-2018 eingeleitete Verfahren wird eingeleitet, wenn ein Mitgliedstaat verdächtigt wird, systematische Werte wie „Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Gleichstellung von Frauen und Männern“ zu verletzen. Zurzeit bestehen die meisten Maßnahmen, die der Kommission zur Verfügung stehen, aus Geldbußen oder finanziellen Beschränkungen für die beschuldigte Partei. Die EU könnte jedoch weitergehen und Instrumente entwickeln, die kritische Medien und unabhängigen JournalistInnen in solchen Mitgliedsländern unterstützen, in denen ihre Freiheit und Existenz bedroht werden.

Der im Oktober 2018 veröffentlichte Verhaltenskodex der Kommission für Desinformationen für Online-Plattformen sollte ebenfalls angepasst werden, indem die Verpflichtung aufgenommen wird, dass die Plattformen einen Teil ihrer Einnahmen mit vertrauenswürdigen, hochwertigen und investigativen JournalistInnen und Medien teilen. Dieses Dokument der freiwilligen Selbstregulierung und die dazugehörigen Roadmaps wurden bereits von Twitter, Google, Facebook und Mozilla unterzeichnet. Die Kommission hat sie davon überzeugt, sich dem Kampf gegen Desinformation anzuschließen. Der nächste Schritt ist, sich darauf zu einigen, dass diejenigen, die qualitativ hochwertigen Journalismus produzieren und verbreiten, mehr als nur moralische Unterstützung verdienen.

Übersetzt aus dem Englischen.