Blumen für Beate Klarsfeld

Hintergrund

Vor fünfundfünfzig Jahren, am 7. November 1968, schlug die französische Journalistin Beate Klarsfeld auf dem CDU-Bundesparteitag den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und beschimpfte ihn als „Nazi“. Als Heinrich Böll von dieser Aktion hörte, schickte er der Journalistin Blumen. Über die Hintergründe und die Folgen berichtet dieser Beitrag.

Ein Mann hält einen Blumenstrauß

Am 7. November 1968 kam es zu einem Eklat, als die französische Journalistin Beate Klarsfeld auf einem CDU-Parteitag in Berlin den Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ohrfeigte und dabei mehrmals „Nazi!“ rief. Zu ihrer Tat gab Frau Klarsfeld folgende Stellungnahme ab:

„Ich habe den Bundeskanzler Kiesinger geohrfeigt, um zu beweisen, daß ein Teil des deutschen Volkes, ganz besonders seine Jugend, darüber empört ist, daß ein Nazi, der stellvertretender Abteilungsleiter der Hitlerschen Auslandspropaganda war, heute Bundeskanzler ist. Das III. Reich stützte sich auf eine dumme und grausame Ideologie, bedeutete Krieg, Millionen von Opfern, Rassenhaß, Konzentrationslager, Gaskammern, Krematorien, Schuld und Schande für Deutschland. Wir lehnen ein solches Deutschland ab, und wir gestehen Deutschen, die im III. Reich eine führende Rolle gespielt haben, nicht das Recht zu, am deutschen politischen Leben teilzunehmen.“

Beate Klarsfeld wurde noch am gleichen Tag zu einem Jahr Haft ohne Bewährung verurteilt; die Haftstrafe wurde im späteren Revisionsverfahren auf vier Monate reduziert und zur Bewährung ausgesetzt.

Als Heinrich Böll von der Aktion auf dem Parteitag hörte, schickte er Beate Klarsfeld einen Strauß Blumen, weil er ihr, wie er später in dem Artikel „Blumen für Beate Klarsfeld“ schrieb, diese Blumen schuldig war – u.a. seiner Mutter wegen, „in Erinnerung an sie, die im November 1944 während eines Tieffliegerangriffs starb“ und „meiner ‚Generation‘ wegen: den Toten und den Überlebenden, die es sich nicht leisten können, Frau Klarsfeld via ‚flower power‘ ihre Sympathie auszudrücken“.

Obwohl Kurt Georg Kiesinger (1904-88) NSDAP-Mitglied gewesen war, hatte er doch im Nachkriegsdeutschland eine Karriere als Bundestagsabgeordneter von 1949 bis 1958, als Ministerpräsident von Baden-Württemberg von 1958 bis 1966 und als Bundeskanzler einer Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD bis 1969 machen können. Aber es hatte Proteste gegen die Wahl eines ehemaligen Nationalsozialisten zum Bundeskanzler gegeben; auch Heinrich Böll missbilligte die Wahl in mehreren Texten.

In einer Rede kritisierte der Schriftsteller Günter Grass Bölls Blumen-Geschenk jedoch und ordnete sie zu den „hysterischen Begleiterscheinungen“ der Klarsfeld‘schen Ohrfeige gegen Kiesinger. Dadurch wiederum sah sich Böll zum genannten Artikel für Die Zeit bemüßigt; er schrieb: „Ich tat’s bewußt und spontan, und ich bin bereit, vor sämtlichen Höhen-und Tiefenpsychologen diese Tatsache zu bekennen. Als ich von Frau Klarsfelds ‚Tat‘ hörte, war’s elf Uhr abends: eine relativ ungünstige Zeit, Blumen auf den Weg nach Paris zu schicken. Ich hatte also Zeit, mit meiner Familie zu diskutieren, darüber zu schlafen, beim Frühstück noch einmal zu diskutieren, nachzudenken, und ließ dann doch – gemischt rational-irrational – drei Stunden vergehen, bevor ich meinen zweitältesten Sohn zum nächsten Blumenladen schickte, den Auftrag aufzugeben.“

Auch vor der Erfindung der sozialen Medien gab es also schon eine zuweilen sehr lebendige, wenn nicht gereizte öffentliche Auseinandersetzung über angemessenes Handeln.

Zitate aus: Heinrich Böll Werke, Kölner Ausgabe, Band 16, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008