Moskau: DFB überreicht Memorial Mannschafts-Trikot mit Spieler-Unterschriften

Kommentar

Eine Delegation des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und des Fanclubs Nationalmannschaft besuchte in Moskau Memorial, die Partner-Organisation der Heinrich-Böll-Stiftung. Der Besuch sollte laut DFB-Präsident Grindel bezeugen, dass das Interesse und Engagement des deutschen Fußballverbandes weit „über die vier Eckfahnen“ hinausgehe.

Es war ein ungewöhnliches Gastgeschenk, das die Organisation Memorial am Dienstag in Moskau entgegennehmen durfte: ein Trikot der deutschen Fußballmannschaft mit den Unterschriften der Spieler. Normalerweise hat Memorial wenig mit Sport zu tun. Die Organisation, Hauptpartner der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau, tritt für die Menschenrechte und eine offene Beschäftigung mit Geschichtsthemen ein. Gäste sind oft Historiker oder Botschafter aus anderen Ländern. Aber dieses Mal kam eine Delegation des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und des Fanclubs Nationalmannschaft zu Memorial. Die Weltmeisterschaft in Russland machte es möglich.

DFB-Präsident Grindel: „Menschenrechte als universelle Güter auf der Welt“

Der Besuch der Delegation, in der sich dunkelblaue Anzüge und deutsche Trikots bunt vermischten, ist ein Zeichen der Anerkennung für die gesellschaftliche Arbeit Memorials. Er sollte bezeugen, dass das Interesse und Engagement des deutschen Fußballverbandes weit „über die vier Eckfahnen“ hinausgehe, wie es DFB-Präsident Reinhard Grindel in seinem Grußwort ausdrückte. „Wir treten für die Menschenrechte als universelle Güter auf der Welt ein“, fuhr Grindel fort und nannte die Weltmeisterschaft eine Chance: „Viele Fans reisen nach Russland und kommen mit den Menschen hier ins Gespräch. So entstehen Kontakte über das Turnier hinaus und führen zu einem verstärkten zivilgesellschaftlichen Austausch.“

11 Millionen Opfer

Die Geschäftsführerin von Memorial, Jelena Schemkowa, führte die deutschen Besucher dann in den Keller zum sorgsam gepflegten Archiv der Organisation zwischen alten Koffern, vergilbten Karteikarten und Miniaturgemälden aus dem Gulag, gemalt mit Grassaft, Arzneimitteln und Tierblut als Farben. Das Archiv von Memorial ist eine unersetzliche Sammlung von Erinnerungsstücken aus totalitären Zeiten, in denen Menschenleben nichts zählten. Als Memorial vor 30 Jahren gegründet wurde, wussten die Aktiven noch nicht, welches Ausmaß der Terror gegen die eigene Bevölkerung vor allem unter Stalins Herrschaft gehabt hat. Heute ist von einer Zahl von 11 Millionen Opfern, Erschossenen, Verhafteten, Eingesperrten, die Rede. „Klar war damals nur: Wenn dies nicht noch einmal passieren soll, müssen wir alle Spuren aufbewahren“, sagte Schemkowa.

Memorials Gedächtnis

Das Archiv von Memorial macht das Elend der Betroffenen erst anschaulich: Da steht ein Fetzen Papier für ein ausgelöschtes Leben. Bei manchen ist es ein Haftbefehl, bei anderen eine Liste konfiszierter Gegenstände oder eine aus der Zelle geschmuggelte Nachricht an die Familie, die oft monatelang nicht wusste, wo der verschwundene Ehemann oder Vater verblieben war. Es sind letzte, verzweifelte Botschaften, aus dem Eisenbahnwaggon geworfen beim Transport ins Lager oder winzig klein in die Knöpfe des eigenen Hemdes eingeklemmt, das die Ehefrau zum Waschen bekam. Insgesamt drei Millionen Opfern konnte die Nichtregierungsorganisation Memorial bisher mit Hilfe von Spenden in der eigenen Datenbank ihren Namen und ein Stück ihrer Würde wiedergeben. Eine Aufgabe, die eigentlich der Staat auf sich nehmen müsste.

Geheimhaltung existiert noch heute

Doch der russische Staat behindert Memorial noch in der historischen Arbeit. Viele Organisationen des Memorial-Netzwerks sind mittlerweile als „ausländische Agenten“ stigmatisiert worden, was potentielle Spender abschreckt und behördliche Kontakte meist unmöglich macht. Zudem bleiben viele Archive verschlossen. „Die Geheimhaltung von einst existiert noch heute“, kommentierte dies der Vorsitzende von Memorial International, Jan Ratschinskij, und beklagte den Mangel an zugänglicher historischer Information, aber auch das Fehlen freier und öffentlicher Diskussionen, die Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit und Inhaftierungen aus politischen Gründen in Russland.

„Ausgrenzung hat auf dem Platz nichts zu suchen“

DFB-Präsident Grindel bekannte sich zur „wertebasierten gesellschaftspolitischen Verantwortung“ seines Verbandes. Der Besuch bei Memorial sollte ein Zeichen setzen, und weitere Treffen mit Aktiven der Zivilgesellschaft stehen in Russland noch an. Es gelte aber auch an der Fußballbasis zu Hause deutlich zu machen, dass Ausgrenzung aufgrund der Rasse, Religion, sexuellen Orientierung auf dem Platz und im Verein nichts zu suchen hätten. Der DFB lege darauf gerade in seiner Ausbildung der Schiedsrichter und Trainer besonderen Wert. Zum Abschied dann zog Grindel das Mannschaftstrikot hervor. Die interne Diskussion darüber, wo es an den Wänden von Memorial seinen Ehrenplatz findet, ist noch nicht abgeschlossen.

Gruppenbild: Memorialmitarbeiter/innen und Fans des Fanclubs der deutschen Nationalmannschaft vor dem Memorial-Gebäude