Warum die deutsch-türkische Annäherung nicht von Dauer sein wird

Kommentar

Deutschland und die Türkei nähern sich wieder an. Aufgrund der innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei muss ein gutes deutsch-türkisches Verhältnis aber an handfeste Bedingungen geknüpft sein.

Fatih-Sultan-Mehmet-Brücke in Istanbul vor einem Sonnenuntergang
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Zwischen Deutschland und der Türkei gibt es vielfältige Verknüpfungen

Anfang Januar empfing Außenminister Sigmar Gabriel seinen türkischen Amtskollegen Çavuşoğlu in Goslar. Das Treffen war Teil einer sich schon seit einiger Zeit abzeichnenden Widerannäherung im deutsch-türkischen Verhältnis. Zwar gibt es auf dem Weg zur Normalisierung der Beziehung noch einige Stolpersteine zu bewältigen. Gabriel stellte klar, dass solange Welt-Korrespondent Deniz Yücel, sowie weitere deutsche Staatsbürger/Innen nicht aus türkischer Haft entlassen seien, mit einer Rückkehr zu einem guten Verhältnis nicht zu rechnen sei. Doch die Richtung ist klar.

Deutschland braucht die Türkei

Sowohl die Bundesregierung, als auch die türkische Seite haben ein großes Interesse daran, dass diese Hürden schnell aus dem Weg geschafft werden. Für Berlin ist das Zerwürfnis mit Ankara ohnehin ein Ärgernis; zwar ist niemand glücklich über Erdoğans autoritären Kurs, aber es wäre nicht die erste undemokratische Regierung mit der man zwangsläufig stabile Beziehungen pflegt. Wichtiger als die dabei immer wieder beschworene Flüchtlingsfrage sind die vielfältigen deutsch-türkischen Verknüpfungen in Wirtschaft, Kultur und auf der interpersonellen Ebene. Nicht zuletzt die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden beider Länder ist für die Deutschen und viele EU-Nachbarländer wichtig, jetzt da vermehrt IS-Kämpfer aus dem Irak und Syrien zurückkehren.

Und Deutschland steht mit seiner harten Haltung zur Türkei unter den EU Mitgliedsstaaten relativ allein da. Zwar haben viele Länder wie Holland, das ebenso von den undiplomatischen Ausfällen des türkischen Präsidenten betroffen war, die deutsche Haltung bezüglich des Zurückfahrens von Kreditlinien der Europäischen Investitionsbank an die Türkei unterstützt, niemand außer Österreich fordert aber den Abbruch der Beitrittsverhandlungen. Das der Türkei in Aussicht gestellte Upgrade des EU-Zollunionsabkommens, das Deutschland bisher blockiert, wird grundsätzlich von den meisten Mitgliedsstaaten befürwortet und hat vermutlich auch im Europaparlament eine Mehrheit.

Die Hoffnung ist, dass man die Türkei so zumindest wirtschaftlich an sich binden kann. Der Traum von einer „privilegierten Partnerschaft“ zeigt sich hier im neuen Gewand. Das CDU und SPD in Sondierungsgesprächen ein solches Upgrade an menschenrechtliche Fortschritte gebunden haben, wurde von der türkischen Seite prompt als inakzeptabel bezeichnet.

Der Türkei gehen die Partner aus

Für die Türkei hingegen wird es außen- und wirtschaftspolitisch eng. Nach dem Prozess gegen vier türkische Banken wegen Unterlaufens der amerikanischen Iran-Sanktionen in New York steht zu erwarten, dass was sich jetzt schon maximal als halbwegs funktionierende Arbeitsbeziehungen bezeichnen lässt, weiter verschlechtern könnte. Neben Strafen für die beteiligten Personen könnten ebenfalls Geldstrafen in Milliardenhöhe für die türkischen Banken, von denen sich einige in Staatsbesitz befinden, verhängt werden. Sollten diese die Strafzahlungen ablehnen, etwas, das zumindest Präsident Erdoğan schon angedeutet hat, könnte das amerikanische Finanzministerium die Türkei oder zumindest die beteiligten Banken vom internationalen Zahlungsverkehr ausschließen.

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Ähnliche Maßnahmen gegen den Iran und den Sudan hatten in der Vergangenheit verheerende Auswirkungen, da aufgrund der Wichtigkeit des amerikanischen Marktes auch Banken und Unternehmen anderer Länder die sanktionierten Länder aus Angst vor Strafen meiden. Auch wenn es sehr unwahrscheinlich ist, dass die türkische Regierung wirklich zu dieser Eskalation bereit sein wird, so ist klar, dass man versucht auf Seite der Europäer Boden wiedergutzumachen, um zumindest einen stabilen Wirtschaftspartner zu erhalten.

Die Diskussion über die Auslieferung Fetullah Gülens und die Ankündigung der USA eine 30.000 Personen starke Grenzschutztruppe, die zur Hälfte aus kurdischen Kämpfer/innen des PKK-Ablegers YPG/J bestehen soll an der syrischen Nordgrenze stationieren, trägt ebenfalls nicht zur Entspannung bei. Es gibt dazu Gerüchte, dass die USA erwägen verschiedene türkische Politiker und Staatsbedienstete mit einem Einreisebann zu belegen, wenn nicht inhaftierte Mitarbeiter der amerikanischen Konsulate freikommen.

Die noch vor Kurzem immer wieder beschworene Allianz mit Russland hingegen bekommt in Syrien die ersten Risse. Der Friedensprozess im kasachischen Astana hat für die Türkei bisher wenig befriedigende Ergebnisse produziert. Die von der Armee des syrischen Regimes begonnene Offensive gegen die Rebellenenklave in Idlib bedroht das türkische Projekt in der dort befindlichen Eskalationszone den türkischen Einflussbereich auszubauen und mittelfristig eine Zone zu schaffen, in die Flüchtlinge aus der Türkei zurückgeschoben werden könnten. Auch bezüglich des von der YPG/J gehaltenen Kantons Afrin in Nordsyrien - in dem es eine russische Truppenpräsenz gibt - und der Frage, ob die türkische Armee eine Militäroffensive starten darf, sind die türkische und die russische Seite sich weiterhin uneinig. Nicht nur für den Einsatz der Luftwaffe in Syrien benötigt Ankara die Zustimmung Moskaus.

Eine Rückkehr zum deutsch-türkischen Verhältnis vor 2015 wird es nicht geben

Gründe für die Annäherung gibt es also genug. Und beide Seiten haben auch schon deutlich gemacht, dass es ihnen mit der Entspannung ernst ist. Gabriel verkündete in Goslar eine Wiederaufnahme der Konsultationsprozesse der Wirtschafts- und Außenminister anregen zu wollen. Schon seit einiger Zeit hat die Bundesregierung auf Druck der türkischen Seite ihr Vorgehen gegen die PKK und ihre Anhänger in Deutschland verstärkt, ein Schritt den einige andere EU-Regierungen ebenfalls erwägen. Die türkische Seite hat hingegen eine Reihe von in der Türkei unter fadenscheinigen Argumenten angeklagten deutschen Staatsbürgern aus der Untersuchungshaft entlassen und manchen eine Ausreise ermöglicht. Auch deutsche Journalist/innen in der Türkei berichten, dass es anders als in den Vorjahren keine Probleme bei der Akkreditierung gab.

Fraglich ist allerdings, ob dieses Tauwetter von Dauer sein wird. Denn eine Rückkehr zum deutsch-türkischen Verhältnis vor 2015 wird es nicht geben. Das hat in erster Linie mit den innenpolitischen Entwicklungen in der Türkei zu tun. Der Staatsumbau in der Türkei schreitet mit hoher Geschwindigkeit voran. Auch wenn die Opposition noch Hoffnung in einen Gegenkandidaten für 2019 setzt, der genügend Stimmen auf sich vereinen könnte, um Erdoğan gefährlich zu werden, so ist es sehr unwahrscheinlich, dass dieser so einfach von der Macht weichen wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass jedes Szenario, in dem Erdoğan nicht mehr die Präsidentschaft innehat zur weiteren Destabilisierung der Türkei führen wird ist hoch. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich unter Erdoğan die Lage beruhigen könnte ist aber mindestens ebenso gering.

Was immer aber in der Türkei innenpolitisch passiert hat direkte Auswirkungen in Deutschland. Sollte die Türkei etwa eine Offensive gegen die kurdischen Gebiete in Syrien starten, dürfte es auch in Deutschland zu vermehrten Auseinandersetzungen zwischen Kurd/innen und Türk/innen kommen. Anders als bei anderen autoritär geführten Staaten, die Partner der deutschen Außenpolitik sind, werden innenpolitische Entwicklungen in der Türkei auch hierzulande stark rezipiert. Allein die vielen persönlichen Beziehungen, die viele zur Türkei haben und nicht zuletzt die große Anzahl von oppositionellen Türk/innen, die sich in Deutschland aufhalten sorgt dafür, dass das Thema nicht aus der medialen Berichterstattung verschwinden wird.

Während die türkische Führung bestrebt ist, den Druck auf deutsche Staatsbürger/innen in der Türkei abzumildern, so setzt sie den autoritären, nationalistischen Kurs im Inneren ungebremst fort. Selbst die Deutschen, die aus türkischer Untersuchungshaft entlassen wurden, wurden nicht freigesprochen. Sie durften zum Teil ausreisen, zum Teil sind sie in der Türkei auf freiem Fuß. Ihre Prozesse aber laufen weiter. Die Blöße, einen Fehler der Justiz zuzugestehen, gibt sich der türkische Staat nicht.

Im Fall des Berliner Menschenrechtstrainers Peter Steudtner etwa, hängt das Damoklesschwert einer möglichen Verurteilung weiterhin über seinen türkischen Mitangeklagten. Osman Kavala, der wichtigste Doyen der türkischen Zivilgesellschaft oder Ahmet Şık, der kritische Investigativjournalist sitzen weiterhin genau wie Tausende andere Personen in der Türkei in Haft und können nicht auf ein rechtsstaatliches Verfahren hoffen. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass diese Entwicklungen in der innerdeutschen Debatte einfach unter den Tisch gekehrt werden können. Dazu stehen spätestens 2019 neue Wahlen in der Türkei an. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein bedrängter Erdoğan wieder die „deutsche Karte“ als Wahlkampfmittel entdeckt, bleibt hoch.

Die Beziehungen zur Türkei müssen an Bedinungen geknüpft werden

Das bedeutet nicht, dass ein transaktionales Verhältnis, wie es sich die türkische Führung zu wünschen scheint nicht generell erstrebenswert ist. Schließlich ist es vermutlich die einzige Form der Beziehung zur Türkei, die mittelfristig gangbar erscheint. Die Bundesregierung und die EU sollten sich aber ganz genau überlegen, welchen realistischen Preis man von der Türkei dafür fordern kann.

Den Staatsumbau in der Türkei wird man damit nicht zurückdrehen können, zu sehr steht für Präsident Erdoğan die eigene Machtsicherung im Vordergrund seines Handelns. Es gibt aber durchaus Konzessionen im Bereich der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, die man erwirken könnte, wenn man den Preis dafür nur ausreichend in die Höhe treibt. Wer die EU-Zollunion also als Anker für die Türkei nutzen möchte, sollte sich genau anschauen, ob nicht andere Handelsabkommen, wie es sie mit EU-Nachbarstaaten zum Teil gibt und die eine Konditionalität erlauben, vielleicht der sinnvollere Weg wären.

Es wird dabei darauf ankommen, eine Balance zu finden, zwischen Forderungen, die die türkische Führung erfüllen kann, und denen, die die Meinung von ideologischen Hardlinern bestärken, dass ein Bruch mit dem Westen unabdingbar ist. Alles spricht für gute Beziehungen mit der Türkei, aber sehr wenig dafür, diese unter Wert zu verkaufen.