Lex CEU – Orbán hat der Wissenschaft den Krieg erklärt

Demonstration für die Freiheit der Bildung in Budapest
Teaser Bild Untertitel
Demonstration für die Freiheit der Bildung in Budapest

Die ungarische Regierung will eine Universität von Weltklasse schließen. Die „Lex CEU“ ist Teil von Orbáns orchestrierten Angriffen auf George Soros und die offene Gesellschaft. Doch es regt sich Widerstand.

Als die renommierte Wochenzeitung Népszabadság von einem regierungsnahen Unternehmer aufgekauft und von einem Tag auf den anderen geschlossen wurde, sagte man seitens der ungarischen Regierung, die Schließung sei aus wirtschaftlichen Gründen nötig gewesen. Die Zeitung habe nicht genügend Einnahmen, um nachhaltig arbeiten zu können. Allerdings ist heutzutage kaum eine ungarische Zeitung nachhaltig, die keine staatlichen Anzeigen abdruckt (eine gängige Praxis, wenn es um die verdeckte Unterstützung der regierungsnahen Medien geht).

Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Népszabadság wurde noch einige Tage vor der Schließung mitgeteilt, dass die Redaktion in ein anderes Gebäude umziehen würde. Die Journalistinnen und Journalisten standen also vor der Eingangstür des Bürohauses, und konnten nicht verstehen, warum ihre Schlüssel nicht funktionierten, bis ihnen klar wurde: Es ist aus mit der Zeitung – eine der letzten Bastionen des kritischen Journalismus ist gefallen.

Ähnlich verhält es sich  im Falle der Central European University (CEU), einer 1991 von dem Finanzier George Soros gegründeten, englischsprachigen Universität, die zu den besten Universitäten in der Region gehört. Die Regierung wirft der Universität Gesetzesverletzung vor, die gegen sie gerichteten Maßnahmen werden als administratives Verfahren präsentiert.

Die "Lex CEU": ein staatlicher Angriff auf die akademische Freiheit

Ende März schrieben regierungsnahe Zeitungen, dass in einer ihnen vorliegenden Studie Unregelmäßigkeiten der in Ungarn tätigen ausländischen Universitäten beschrieben werden – darunter auch die „Soros-Universität”, wie die CEU in Fidesz-Kreisen oft genannt wird. Obwohl es im Fall der CEU nur um kleinere administrative Probleme ging (deren Beseitigung schon davor von der Universität in die Wege geleitet wurde), sagte Ministerpräsident Viktor Orbán drei Tage nach der Meldung regierungsnaher Zeitungen in einem Radio-Interview, sein Land würde Betrug nicht dulden, und die CEU sollte nicht glauben, dass sie sich über das Gesetz stellen könne. Unter „Gesetz” verstand Orbán in diesem Fall einen Gesetzesentwurf, der zu dieser Zeit noch gar nicht bekannt war.

Eine Woche nach diesen ersten Vorwürfen gegen die CEU wurde dem Parlament eine Gesetzesänderung vorgelegt, die in einem beschleunigten Verfahren verabschiedet wurde. In Ungarn wird diese Änderung kurz „Lex CEU“ genannt. Das angebliche Ziel dieser Gesetzesänderung, so die Regierung, sei es, die Qualität des ungarischen Bildungssystems zu sichern. In der Praxis aber schreibt es der CEU vor, dass sie auch in den Vereinigten Staaten einen Campus betreiben und dass der Status der Universität durch ein Regierungsabkommen zwischen den USA und Ungarn geregelt werden muss – auch wenn Hochschulbildung in den USA Angelegenheit der Bundesstaaten und nicht der Bundesregierung ist, und letztere in diesem Zusammenhang gar keine Abkommen schließen kann.

Sollte die CEU diese Kriterien nicht erfüllen, kann die Universität ab dem 1. Januar 2018 keine neuen Jahrgänge mehr eröffnen (zumindest keine, die Studierende mit einem amerikanischen Diplom abschließen würden). Nebenbei wird auch die Beschäftigung von Lehrkräften, die von außerhalb der EU kommen, erschwert – was auch zahlreiche Professorinnen und Professoren der Universität betreffen wird, denn die Studierenden und die Belegschaft der multikulturellen Universität kommen aus insgesamt 130 Ländern.

Welches Problem hat Orbán mit der CEU?

Die CEU ist eine Privatuniversität mit großzügigen Stipendien, unter anderen auch für Roma und Flüchtlinge. Sie ist weltweit unter den Top 100 Universitäten im Bereich der Sozialwissenschaften, Politikwissenschaft und Psychologie, auch weitere Programme der Universität werden sehr hoch geschätzt. Es ergibt also eigentlich keinen Sinn, einer so guten Universität das Leben schwerer zu machen. Es gibt aber viele Leute im Umfeld von Orbán, die es nicht gern sehen, dass die CEU in fast allen Bereichen ihre ungarische Konkurrenz übertrifft. Hier geht es nicht nur um Rankings, sondern auch um EU-Gelder: Die Universität berichtet auf ihrer Website, dass sie im letzten Förderzyklus, also zwischen 2011 und 2016 vom Europäischen Forschungsrat (ERC) sieben Millionen Euro für ihre Forschungsprojekte erhalten hat. Für den nächsten Zyklus, zwischen 2017-2022, sind es schon rund 15 Millionen Euro.

In Regierungskreisen ist man wohl der Meinung, diese Gelder könnten auch an Universitäten gehen, die auf Regierungskurs sind: wo Gender Studies nicht Teil des Curriculum ist und wo keine linken und liberalen Denkerinnen und Denker im Hörsaal stehen.

Péter Harrach, ein Parlamentsmitglied der Christlich-Demokratischen Volkspartei (dem Koalitionspartner von Fidesz) sagte, dass die Universität eine „Offiziersschule” wäre, und deren Armee „an harten Kämpfen innerhalb der ungarischen Gesellschaft” teilnehme. Zoltán Balog, Minister für Humanressourcen gab an, Diplomaten mehrerer Länder hätten sich bei ihm darüber beschwert, dass sich ehemalige Studierende der CEU nach ihrer Heimkehr kritisch engagierten.

Die konservative, aber gelegentlich auch regierungskritische Wochenzeitung Heti Válasz findet dieses Argument nicht überzeugend: Sie hat nachgezählt, wie viele der regierungskritischen, ungarischen Demonstrierenden der letzten sieben Jahren an der CEU studierten. Sie fand heraus, dass dies nur bei drei von den 31 prominentesten Aktivistinnen und Aktivisten zutrifft.

Die Universität selbst war nie in die ungarische Politik involviert. Man war immer sehr bemüht, Konfrontationen zu vermeiden. Es war lange kein Problem, dass auch einige Regierungsmitglieder und Fidesz-Politiker an der „Soros-Universität” studiert hatten, so zum Beispiel Ferenc Kumin, Ungarns Konsul in New York, Zoltán Kovács, der Sprecher des Ministerpräsidenten, und Ákos Berzétei, ein Vize-Staatssekretär des Außenministeriums. Letzterer ist immer noch Student an der CEU – seine Studiengebühren werden vom Außenministerium bezahlt.

Der Kampf gegen Soros ist ein Anliegen Orbáns

Für Viktor Orbán ist es wichtig, Feinde zu (er)finden, vor denen er sein Volk retten kann. Manchmal sind das die Bürokraten aus Brüssel, ein anderes Mal die Flüchtlinge, und nun George Soros, der in Budapest geborene amerikanische Milliardär, der mit seiner Open Society Stiftung zahlreiche ungarische Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGO) am Leben hält, und auch die Central European University gründete. In regierungsnahen Zeitungen wird Soros öfters beschuldigt, die sogenannte Flüchtlingskrise zu organisieren.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von NGOs, wie zum Beispiel die sich für Bürgerrechte einsetzende TASZ oder die gegen Korruption kämpfende NGO Transparency International, werden als „Soros-Agenten” bezeichnet. Außerdem kann man des Öfteren lesen, dass Ungarns internationale Reputation deshalb so schlecht sei, weil Soros den westlichen Politikern fortlaufend seine Orban-feindlichen Tiraden ins Ohr flüstere. „Der Mund gehört (Bill) Clinton, aber die Stimme ist die von George Soros“, sagte der ungarische Ministerpräsident letztes Jahr.

Vor einigen Monaten kündigte Orbán an, dass sich das Jahr 2017 in Ungarn um Soros drehen würde und er plane, die Arbeit der von Soros finanzierten zivilgesellschaftlichen Organisationen strenger zu regulieren. Am 7. April legte die Regierung dem Parlament daraufhin einen weiteren Gesetzesentwurf vor, wonach sich NGOs, die von ausländischen Sponsoren mehr als rund 23.000 Euro erhalten, als „aus dem Ausland finanzierte Organisationen” registrieren müssen. Wie auch in Russland muss nach diesem Gesetz auf den Websites, wie auch in allen Veröffentlichungen der jeweiligen Organisation ein sichtbarer Vermerk darüber zu finden sein, dass diese aus dem Ausland finanziert wird. Orbán will die Arbeit dieser NGOs diskreditieren, indem er ihnen unterstellt, sie seien von „ausländischen Interessengruppen” beeinflusst. Der wichtigste Unterstützer unabhängiger NGOs ist zurzeit George Soros.

Im Fall der NGOs ist es natürlich einfach nachvollziehen, warum Orbán handelt, wie er handelt: Die von Soros geförderten Organisationen sind nicht gerade hilfreich, wenn man wie Orbán versucht, die enorme Korruption und den Abbau der Gewaltenteilung zu verheimlichen. Aber im Fall der CEU geht es um eine Universität, die nicht nur unabhängig und überparteilich ist, sondern auch Einnahmen für das Land bringt: die Universität zahlt laut eigenen Angaben jährlich mehr als 30 Millionen Euro an Gehältern und Steuern und zieht westliche Studierende an, die ihr Geld dann in Budapest ausgeben. Ein Pragmatiker wie Orbán würde so eine Einnahmequelle nicht aufgeben, nur um seine Gefolgschaft glücklich zu machen.

Es kann also sein, dass er damit Druck auf Soros ausüben will. Vielleicht will er den Philanthropen zwingen, sein Geld in weniger kontroverse Projekte zu investieren, nicht in Demokratie und Menschenrechte. Es gibt auch Meinungen, nach denen die Regierung hinter den wertvollen Immobilien der Universität her ist. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass die von Orbán angestrebte Schließung der CEU Teil seiner illiberalen Staatsvision ist, durch die er das Land von der „Last“ des Liberalismus und des kritischen Denkens zu befreien versucht. Denn auch in Russland – eine der Vorbilder Orbáns – entzogen Behörden vor nicht so langer Zeit der Europäischen Universität Sankt Petersburg ihre Lizenz.

Es regt sich Widerstand

Studierende der Universität und Menschen, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzen, wollen aber nicht abwarten, bis sich herausstellt, was die ungarische Regierung mit der Lex CEU vorhat. Seit Tagen gibt es Demonstrationen in der Hauptstadt, die  Petition für die Universität „Save Central European University“ wurde von mehr als 50.000 Leuten unterschrieben, zahlreiche in- und ausländische Universitäten erklärten sich mit der CEU solidarisch, und mehrere Professorinnen und Professoren erklärten sich bereit zu streiken, um damit der Regierung klarzumachen, welche Verluste das Schließen der Universität für Studierende und die Wissenschaft bringen würde.

Und hier geht es nicht nur um Ungarn. Von den Kursen der CEU haben bislang Studierende aus ganz Mitteleuropa profitiert – ihnen wird jetzt versucht, den Zugang zu einer erstklassigen Universität zu versperren. Das ist schlicht und ergreifend inakzeptabel.