Grüner Nachwuchs in der Kommunalpolitik

Info-Stand von Bündnis 90/Die Grünen bei einer Demo gegen Gentechnik
Teaser Bild Untertitel
Nur die Art von Engagement, die zum eigenen Leben passt, wird auf Dauer Bestand haben

Wie kommen eigentlich neue Mitstreiter/innen in die (grüne) Kommunalpolitik? Und wann bleiben sie dabei? Unser Policy Paper gibt Empfehlungen für die Aktiven vor Ort, für die Landes- und Bundesebene von Parteien und für die Anbieter/innen von Weiterbildung.

In drei Diskussionsrunden und mehreren Interviews beschäftigte sich GreenCampus zusammen mit der Zeitschrift "Alternative Kommunalpolitik" mit den Fragen der Mitgliedergewinnung und -betreuung. Die Ergebnisse finden Sie in unserem Policy Paper „Grüner Nachwuchs in der Kommunalpolitik“ (PDF, 500 KB).

Für Engagement herrschen schwierige Rahmenbedingungen

Kommunalpolitisches Engagement, zumal im Rahmen eines Mandats, fordert viel: Meist findet es ehrenamtlich statt und muss mit beruflichen wie familiären Verpflichtungen ausbalanciert werden. Eine breite Palette an Themen will bearbeitet sein, doch wichtiger als Fachkenntnisse ist für den Erfolg, sich gut zu vernetzen. Sitzungszeiten der Fraktion oder des Rates sind häufig nicht familienfreundlich – gut, wenn zu Hause jemand den Rücken freihält. Und dass moderne Studien- und Jobkonzepte häufig eine hohe Mobilität fordern, stärkt auch nicht gerade die Bereitschaft, sich örtlich zu engagieren und zu verankern.

Gefragt sind also Ideen, die die Kommunalpolitik attraktiv machen, auf geänderte Lebenslagen und Ansprüche eingehen und Verschiedenheit in vielerlei Hinsicht besser berücksichtigen. Gefragt ist ein neugieriger, unvoreingenommener Blick – auf die Neuankömmlinge und ebenso auf die eigene Gruppe, ihre Gewohnheiten und ihre Kultur.

Oft hilft der Blick auf die Organisationskultur ...

Der „worst case“, der hoffentlich nirgendwo in Reinform anzutreffen ist, sieht so aus: Da treffen sich immer dieselben Menschen an immer demselben Ort, an den sich niemand aus Versehen verirrt, um für Außenstehende kaum nachvollziehbare Diskussionen zu führen, am besten noch zu Zeiten, die für Menschen mit Kindern oder mit wechselnden Arbeitszeiten gar nicht machbar sind. Doch die gute Nachricht ist: Jeder einzelne dieser Aspekte lässt sich überprüfen und – wenn notwendig – verändern. Schwierig ist dies natürlich dann, wenn eine Gruppe sich gegen Neue so wirksam abschirmt, dass Impulse von außen weitgehend ausbleiben.

Es gilt also, den Blick auf die eigene Organisationskultur zu richten: Sind wir attraktiv, zugänglich, offen für Anregungen von außen? Dabei lohnt es sich auch mal zu fragen: Macht es uns selbst, die wir lange dabei sind, eigentlich noch Spaß? Wenn nicht – wie wollen wir Außenstehenden die Freude an der Politik vermitteln? Hilfreich ist immer der Blick von außen – wenn also jemand Unbekanntes dabei ist, am Schluss immer ein Feedback einholen!

… und auf die Neuen

Ohnehin gilt es, mit echtem Interesse auf die Neuen zu schauen. Schließlich differenzieren sich Lebenslagen, Kompetenzen, Zeitressourcen und Vorstellungen vom eigenen Beitrag zur Politik immer weiter aus. Und nur die Art von Engagement, die zum eigenen Leben passt, wird auf Dauer Bestand haben. Gefragt ist also die Fähigkeit und Bereitschaft, sich auf Neue wirklich einzulassen mit ihren Bedürfnissen, Kompetenzen und Ideen und auch zuzulassen, dass sie die eigene Organisation verändern.

Dabei lohnt es, sich die besonderen Voraussetzungen einzelner Zielgruppen vor Augen zu führen, beispielsweise:

  • Jüngere haben oft einen stark auf Mobilität angelegten Lebensentwurf. Mehr als die Hälfte eines Jahrgangs studiert heutzutage. Oft finden sie z. B. Urban Gardening spannender als die Zusammenkünfte der Kleingärtner – unterschiedliche Politikstile zwischen den Generationen können wie fast jede Form der Vielfalt ebenso viel Potenzial für Konflikte wie für Chancen bieten. Sind Ortsverein und Fraktion in den sozialen Netzwerken präsent, halten Studierende im Auslandssemester eher den Kontakt zur heimatlichen Kommunalpolitik.
  • Frauen haben oft andere Wünsche an Politikstile und Themen als Männer; da Frauen auch bei den Grünen in der Minderheit sind, sollten sie notfalls über Quotenregelungen oder andere Regeln besonders einbezogen werden. Für Engagement sind sie eher durch Frauen als durch Männer ansprechbar. Immer noch ist die häusliche Arbeitsteilung nicht immer gerecht, so dass Frauen in der Phase der Kindererziehung besonders selten in kommunalpolitischen Ämtern zu finden sind.
  • Migrant/innen der zweiten oder dritten Generation sind meist Bildungsaufsteiger/innen und als solche nicht mit den Netzwerken ausgestattet, die in der Mittelschicht oft selbstverständlich und eine wichtige Ressource für das Politikmachen sind. Und sie sollten nicht automatisch in den Integrationsbeirat geschickt werden, nur weil sie einen Migrationshintergrund haben – ebenso wenig wie Frauen automatisch für Gleichstellungspolitik oder junge Menschen für den Jugendbeirat prädestiniert sind.

Und, nicht zu vergessen; Immer mehr Menschen beginnen erst in der Lebensphase nach der Kindererziehung oder dem Beruf sich zu engagieren. Der „Nachwuchs“ ist nicht immer jung; auch dies erfordert, die eigenen Aktivitäten und Angebote zu differenzieren.

Am wichtigsten aber ist, sich mit den Neuen zu beschäftigen, ihnen nicht nur ein Begrüßungs-Infopäckchen zu schicken, sondern sie persönlich zu fragen: Welche Interessen und Wünsche, welches Zeitbudget und welche Fähigkeiten bringen sie mit? Wofür, wie und wann wollen sie sich engagieren? Wichtig ist, dass zu den Neuen, aber gelegentlich auch zu den berühmten „Karteileichen“ immer mal wieder Kontakt aufgenommen wird. Wer nicht am Infostand stehen kann oder mag, kann vielleicht die Facebook-Seite am Leben halten, kennt sich in einem Thema oder einem Stadtteil besonders aus oder könnte die handgeschriebene Kartei in eine Datenbank überführen. Dumm, wenn das niemand in der Kreisgeschäftsstelle weiß. Und natürlich gilt immer: Mitgliedschaft ohne aktives Mitmachen ist auch OK. Es muss ja nicht auf ewig dabei bleiben.

Empfehlungen für verschiedene Akteur/innen

Das Policy Paper formuliert Vorschläge für verschiedene Zielgruppen:

Vor Ort kommt es darauf an, sich aktiv und interessiert mit den Neuankömmlingen zu beschäftigen. Wichtig ist, dass es dafür eine klare Verantwortlichkeit gibt, sonst bleibt diese langfristig so wichtige Aufgabe im Wust der alltäglichen Anforderungen stecken. Je vielfältiger die eigenen Angebote, Aktionsformen, Netzwerke und Orte sind, desto leichter fällt es, auf unterschiedliche Wünsche einzugehen: Auch zeitlich oder thematisch begrenztes Engagement oder Mitarbeit ohne Mitgliedschaft ist wichtig, kann den eigenen Wirkungskreis erweitern und Kontakte schaffen, die später mal sehr nützlich sind. Um für Neue attraktiv zu sein, sollten Angebote niedrigschwellig, themenspezifisch und ergebnisorientiert sein Wichtig ist die Bereitschaft der „Alten“, Neuerungen zuzulassen, Wissen zu teilen und die Übergabe von Ämtern und Rollen aktiv zu gestalten – nicht immer selbstverständlich, hängt doch die Bedeutung der eigenen Person oft stark an diesen Dingen. Wichtig ist auch, Neue nicht bloß anzuwerben, sondern gerade in der Phase des Einstiegs gut zu begleiten.

Die Bundes- und Landesebene braucht eine neue Strategie zur Mitgliedergewinnung, die die lokale Ebene bei diesen Aufgaben unterstützt – mit Materialien, Bildungsangeboten und nicht zuletzt finanziell. Für die Partei als Ganze kann es auf Dauer entscheidend wichtig sein, dass vor Ort die Ressourcen vorhanden sind, um neue Mitglieder zu werben und bei der Stange zu halten.

Und auch die Weiterbildung sollte das Thema der Nachwuchsgewinnung stärker in den Blick nehmen. Eine Bildungsveranstaltung vor Ort kann eine gute Gelegenheit sein, sich als Organisation neu aufzustellen und eine Strategie zu formulieren, die auf die örtlichen Gegebenheiten passt. Doch auch für Neue ist es wichtig, über Weiterbildung einen Einstieg in die Themen und die Handlungskompetenzen zu finden und quasi nebenbei auch die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Die Chance auf Bildungsangebote kann ein zusätzlicher Anreiz sein, sich in der lokalen Politik zu engagieren.

Ausblick

Vieles ist offen geblieben und muss weiter diskutiert werden: Was ist eigentlich aus den Mentoring-Programmen früherer Jahre geworden, taugen sie für die Gewinnung und Einbindung Interessierter? Wie müssen die Empfehlungen und Strategien ausdifferenziert werden auf die besonderen Bedingungen in Großstädten, in kleineren Orten, in schrumpfenden Regionen? Was lässt sich bei der immer zu dünnen Personaldecke überhaupt umsetzen? Wie wirkt sich die Digitalisierung aller Lebensbereiche auf Engagementformen, aber auch Formen der Ansprache politisch Interessierter aus? Wie kann Weiterbildung auf den augenscheinlich verstärkten Bedarf an Analyse- und Strategiekompetenz reagieren? Auch wenn mit dem Policy Paper jetzt erst einmal gearbeitet werden soll, es wird sich ebenso verändern wie die politische Wirklichkeit.

Quellen

Der vorstehende Text wurde zuerst veröffentlicht in Alternative Kommunalpolitik, Heft 5/2016, S. 41-43, im Rahmen des Schwerpunkts "Kommunalpolitik als Ehrenamt". Er ist Teil unseres Dossiers zum Kommunalpolitischen Bundeskongress 2017.