Erfahrungen mit Oral History: Zeitzeug/innengespräche in Archiven und zeithistorischer Forschung

Gruppenfoto Workshop "Experiences in Oral History”
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Die Teilnehmer/innen des Workshops "Experiences in Oral History”

Zum Kern der Oral History gehören lebensgeschichtliche Interviews, die von Historiker/innen und Archivar/innen geführt werden. Wie lässt sich der Umgang mit diesen Gesprächen als Quelle verbessern?

Am 8. und 9. September 2016 fand im Archiv Grünes Gedächtnis im Rahmen des internationalen Netzwerks der Ökologie-Archive (IEAN) ein Workshop „Experiences in Oral History” statt. Das Netzwerk IEAN ist 2008 in Berlin gegründet worden. Seitdem haben regelmäßig Tagungen europaweit stattgefunden. Dieses Mal waren neben den Archivaren/innen aus den grünen und Ökologie-Archiven in Frankreich, Belgien, Österreich, Italien und Deutschland auch Historiker/innen und Sozialwissenschaftler/innen anwesend. Der Workshop sollte eine Plattform für den Austausch über den Umgang mit Interviews bieten und die Verbesserung der Nutzung von Interviews als Quelle ausloten.

Oral History ist eine anerkannte und breit angewandte Methode, aber auch nicht unumstritten. Zum Kern der Oral History gehören lebensgeschichtliche Interviews, die von Historiker/innen und Archivar/innen geführt werden. Auch in der Forschung zu den neuen sozialen Bewegung und zur Geschichte der Grünen wird Oral History zunehmend als Methode eingesetzt. Die Produktion der Interviews, ihre Weiterverwertung wie auch die Archivierung sind aktuelle Herausforderungen für Archive.

Im ersten Teil des Workshops wurde die Praxis der Ökologiearchive mit den Interviews vorgestellt. Dabei ist deutlich geworden, wie unterschiedlich die Motive für die Interviewführung jeweils sind.

Das Frauenarchiv in Bozen hat u.a. ein großes historisches Forschungsprojekt mit um die 80 Zeitzeugen/innen-Interviews durchgeführt. Die österreichische grüne Bildungswerkstatt hat die Gründungsgeneration systematisch befragt, während die französische Ökologiestiftung bei der Sommeruniversität in Lille 2015 eine Möglichkeit für die Teilnehmer/innen geboten hat, ihre Erinnerungen im Zusammenhang mit der ökologischen Bewegung frei zu erzählen.

Weitere Projekte gehen auf die gezielte Vervollständigung der archivischen Überlieferung. Dafür steht beispielhaft das Etopia-Archiv in Namur. Die Interviews, die vom Archiv Grünes Gedächtnis geführt wurden, sind im Rahmen der historischen Bildungsarbeit entstanden.

Eine Frage der Methode

Im zweiten Teil stellten die Historiker/innen ihre Arbeit mit Interviews vor. Anhand ihrer Dissertationsthemen wie die Waldsterben-Debatte (Birgit Metzger), die Biografie von August Haußleiter (Annette Lensing), die Beziehung zwischen der polnischen Bürgerbewegung und den deutschen Grünen (Christie Miedema) und Situationistische Internationale (Anna Trespeuch-Berthelot) wurden die Vor- und Nachteile dieser Methode diskutiert. Dabei wurde von allen bestätigt, dass Interviews für ihre Arbeit zwar nicht entscheidend, aber doch eine relevante Quelle der Inspiration und Herausforderung waren.

Ein weiteres Thema dabei war, wie die geführten Interviews aufbewahrt, für andere transparent und zugänglich gemacht werden. Manche der Dateien wurden an Archive übergeben und sind dort zur Nutzung freigegeben, bei anderen liegen die Interviews entweder auf den Rechnern der Hochschule oder noch auf den privaten Rechnern der Historiker/innen.

Im dritten Teil ging es neben einer theoretischen Auseinandersetzung mit der Methode, um eine Vertiefung und Erweiterung der Perspektive der Arbeit mit Interviews. Dabei stand nicht nur eine Arbeit über die Grüne Gründergeneration zur Debatte, bei der sich Silke Mende explizit gegen die Führung von Interviews entschieden hat, sondern auch die langjährige Erfahrung des österreichischen Journalisten Michael Kerbler mit dem Umgang mit Emotionen bei der Interviewführung. Cécile Blatrix und Sophie Barrat stellten das französische Centre interdisciplinaires de recherche sur l’écologie vor, ein Forschungsnetzwerk, in dem schwerpunktmäßig aus sozialwissenschaftlicher Perspektive mit Zeitzeug/inneninterviews gearbeitet wird.

Im Anschluss an den Workshop fand eine Sitzung des Netzwerks IEAN statt. Die Mitglieder des Netzwerks waren erfreut, dass die Beiträge aus den Archiven und von den Historiker/innen im Workshop sich sehr gut ergänzt haben. Die Beiträge des Workshops sollen als Broschüre veröffentlich werden, um die Methode der Oral History voranzubringen. Zugleich soll die Nutzung der Interviews durch die Forschung erleichtert werden, dafür soll in der Broschüre eine Übersicht über in den Archiven des Netzwerks vorhandene Interview-Bestände enthalten sein. Bei dem Kongress der europäischen Grünen 2017 in Liverpool soll die Broschüre und die Arbeit der Archive des Netzwerks vorgestellt werden.