„Wir versuchen konsequent in Richtung des nachhaltigen Verkehrs zu gehen“

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Kontrovers diskutiert: Die Umgestaltung der Mariahilfer Straße in Wien

Gregory Telepak entwickelt Mobilitätsstrategien für die Stadt Wien. Auf der Konferenz „Grüne Mobilität für Berlin“ sprach er am 3.6.2016 über „Grüne Mobilität und Lebensqualität in der wachsenden Stadt - am Beispiel Wien“. Veronika Felder hat ihn zum Interview getroffen.

Heinrich-Böll-Sitftung: Was ist vorbildlich an den Entwicklungen der letzten Jahre im Bereich Grüne Mobilität in Wien?

Gregory Telepak: Vieles, aber auch wir haben noch große Aufgaben vor uns. In Wien gab es in den letzten Jahren einige Fortschritte im Bereich der öffentlichen Verkehrsmittel. Die U-Bahnlinien wurden erweitert, es gab Projekte in Bezug auf den Straßenbahnverkehr. Damit sich die Attraktivität der Nutzung steigert, ist auch auf der Seite der Anreize etwas gemacht worden: die Jahreskarte wurde auf einen Preis von 365 Euro reduziert, was für viele ein auschlaggebender Punkt für die Beschaffung des Abos war. Dazu kamen Push-Maßnahmen wie etwa die Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung. Für das Parken im öffentlichen Raum sind zwei Euro pro Stunde fällig, verknüpft mit einer Kurzparkregelung. Anrainer sind bei Entrichtung einer Jahrespauschale davon ausgenommen.

 

Gregory Telepak

Auch ein Fahrradwegeausbauprogramm besteht seit Jahren. Die Einrichtungen welche in den 90ern ausgeführt wurden, sind für die steigende Anzahl an Fahrradfahrer/innen heute oft nicht mehr ausreichend. In absoluten Zahlen gibt es einen sehr starken Anstieg der Fahrradnutzung, dies ist auch auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen. Nach einigen Prozentpunkten Modal-Split Verlagerung ist der Anteil der Wege, die mit dem Rad zurückgelegt werden, in den letzten Jahren konstant geblieben.

In der Diskussion um Ressourcen bzw. den Platz auf den Straßen, wird in Wien versucht, die Bedürfnisse aller Verkehrsträger abzuwägen. So wird nicht immer automatisch der eine oder der andere bevorzugt. Zusätzlich wird auf die Multimodalität gesetzt: Anhand von verschiedenen Internetauftritten und Apps wurden Informationen zur Verfügung gestellt, Fahrradabstellplätze wurden gefördert, vor allem an Knotenpunkten der öffentlichen Verkehrsmittel und öffentlichen Einrichtungen, außerdem wurden auch der Radwegeausbau vorangetrieben.

Einige aktuelle Wiener Verkehrsprojekte wie die Umgestaltung der Mariahilfer Straße wurden sehr kontrovers diskutiert. Warum kam es dazu - und wie ist die Stimmung nach der Umsetzung?

Mittlerweile hat sich die Kontroverse beruhigt. Der Vergleich von Befragungen, welche nach ähnlichem Muster vor und nach der Umsetzung durchgeführt wurden, zeigt, dass die Zustimmung eindeutig gestiegen ist. Das liegt sicherlich auch daran, dass jetzt ein schickes Projekt tatsächlich nutzbar ist und viele Leute davon profitieren. Um die intensive Diskussion im Vorfeld zu verstehen, muss man erklären, dass es sich bei der Mariahilfer Straße um die größte Einkaufsstraße in Österreich handelt. Dementsprechend gab es ein sehr breites Interesse an dem Projekt, und viele Menschen hatten das Bedürfnis etwas dazu zu sagen.

Dazu beigetragen hat sicher auch die Tatsache, dass das Projekt am Anfang sehr offen angesetzt war – allerdings sind nicht alle konstruktiv damit umgegangen. Es entwickelten sich unterschiedliche Interessenslagen in Gesellschaft, Politik und Medien, die teilweise auch nicht mehr in erster Linie etwas mit dem Projekt selbst zu tun hatten. Sobald dann ein konkreter Plan erstellt und die Umsetzung beschlossen war, beruhigte sich die erhitzte öffentliche Diskussion und machte Platz für einen sachlichen Diskurs.

Dürfen Politiker/innen bzw. Expert/innen „wir wissen es besser“ sagen?

Das hängt stark von deren Position bzw. Aufgabe ab. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass es natürlich bei den gewählten Politiker/innen liegt, Entscheidungen zu treffen; die Expert/innen müssen dazu beraten und kommunizieren. Dabei ist es auch wichtig, Ausgleiche oder Kompromisse zu schaffen. Alle wird man jedoch nie ins Boot holen können. Dies darf letztlich nicht zum Stillstand führen. Da braucht es dann politischen Willen, vielleicht auch Mut, um für ein Projekt einzutreten, von dem man glaubt, dass es der Allgemeinheit eine Verbesserung bringt.

Vergleich Wien – Berlin: Was kann sich Berlin von Wien abgucken?

Wir hören sehr viele gute Beispiele aus der Verwaltung in Berlin. Ich sehe, dass sich die Stadt in der internationalen Wahrnehmung sehr positiv entwickelt. Dies lässt darauf schließen, dass bereits hervorragende Arbeit geleistet wird. Da macht es kaum Sinn, aus der Ferne gute Ratschläge zu erteilen. Ich möchte mich daher lieber darauf beziehen, was bei uns gut funktioniert. Wir versuchen mit all unseren Maßnahmen konsequent in die Richtung nachhaltigen Verkehrs zu gehen. Das kann ein Großprojekt sein, das kann die Arbeit an Governance-Strukturen sein, die Übernahme von Verantwortung für eine neue Aufgabe. Das kann auch der integrierte Städtebau sein, wo alle Akteur/innen an einen Tisch gebracht werden und sich umfassend allen Themen und Dimensionen eines Projektes widmen. Oder es kann die dezentrale Schaffung von kleinen Aufenthalts- und Qualitätsräumen sein.

Damit man am Ende einen Erfolg verzeichnen kann, sollten möglichst alle diese Faktoren zusammenspielen. Dabei setzen wir auf ein Zusammenwirken von den verschiedenen Ebenen und Institutionen. Wir versuchen alle Beteiligten von Anfang an an Bord zu holen und die gemeinsame Vision, Ziele und den Weg zum Erfolg als Strategie festzuhalten. Umsetzer/innen und Politiker/innen arbeiten dabei Seite an Seite nach dem Motto „Planung als Prozess“