Südafrika: Regierungspartei ANC für Austritt aus Weltstrafgericht

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Südafrika setzt mit einem Austritt das falsche Zeichen. Sollte der ANC seine Dominanz im Parlament nutzen, um die Entscheidung auch gegen breiten Protest durchzupeitschen, wird dies die Kluft zwischen Regierung und progressiver Zivilgesellschaft weiter vergrößern.

Im Jahr 2002, als der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag seine Türen öffnete, gehörte Südafrika zu den Ländern, die emphatisch ihre Unterstützung kund taten. Akteure aus der südafrikanischen  Zivilgesellschaftlich betrieben im Vorfeld sogar besonders aktiv Lobbyarbeit für seine Einrichtung. Umso schockierender mag es erscheinen, dass der regierende African National Congress (ANC) am vergangenen Sonntag als Ergebnis seiner nationalen Parteiratssitzung eine Resolution verabschiedete, die nicht nur vorsieht, dass sich das Land unilateral aus dem Strafgerichtshof verabschiedet. Die Partei will sogar einen afrikaweiten Austritt anführen. Laut Präsident Jacob Zuma sei man nicht mehr einverstanden mit der "Doppelmoral“ des Strafgerichtshofs.

Wie ist dieser Kurswechsel des ehemaligen Menschenrechts-Champions zu erklären?

Unter Nelson Mandela verschrieb sich die südafrikanische Regierung in ihrer außenpolitischen Orientierung einem Ansatz, der auf menschenrechtlichen Prinzipien und friedlicher Konfliktlösung basiert. Auch aufgrund der eigenen historischen Erfahrung  befürwortete Südafrika die Einrichtung einer internationalen Institution, die schwere Menschenrechtsverletzungen in Abwesenheit lokaler Rechtstaatlichkeit ahnden kann. Trotzdem war das Verhältnis bald von Unsicherheiten geprägt.  

Dies ist verständlich, schaut man sich die Entwicklung Südafrikas verschiedentlicher und teilweise konfligierender Zugehörigkeiten an. Zum einen wollte sich die junge Demokratie als Teil der internationalen Gemeinschaft etablieren und die Prinzipien seiner weitestgehend friedlichen Transition und vorbildlichen Verfassung beispielhaft nach außen tragen. Zum anderen identifizierte sich Südafrika  in der post-Apartheid Ära jedoch auch stärker als afrikanisches Land, und sah sich aufgrund seiner regionalen Einflussmacht als Vertreter des Kontinents auf internationalem Parkett. Hinzu kommt die Stellung Südafrikas als „emerging power“ und  seine Rolle in relativ neuen internationalen Gruppierungen wie dem BRICS Forum, die die mit der Nachkriegsordnung verfestigte globale Machverteilung herausfordern.

Spagat zwischen Demokratie, Menschenrecht und "Gewaltherrschaft"

Diese verschiedenen Allianzen stellen südafrikanische politische Entscheidungsträger vor die schwierige Aufgabe, zwischen demokratisch-menschenrechtsorientierten Werten und der Nähe zu afrikanischen Despoten und undemokratischen internationalen Partnern zu navigieren. Der Wunsch, Unvereinbarliches zu vereinbaren und auf allen Bühnen gleichzeitig zu tanzen, resultierte in einer Außenpolitik die von Inkonsistenzen durchsetzt ist. In einem Interview mit der Heinrich-Böll-Stiftung argumentierte die Rechtsexpertin Nicole Fritz daher, dass Südafrikas ambivalente Haltung gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof ein Spiegel für diese komplexen außenpolitischen Verflechtungen ist [1] .

Pretoria steht noch zu Den Haag

So stimmte Südafrika beispielsweise im Jahr 2011 im Laufe des blutigen Konflikts in Libyen für Resolution 1973 des UN Sicherheitsrats, die alle notwendigen Maßnahmen autorisierte, um libysche Zivilisten zu schützen, sowie für die Mandatisierung des Internationalen Strafgerichtshofs.  Die Ja-Stimme zur Resolution verwunderte zahlreiche Beobachter, da Südafrika als kritisch  gegenüber der Einmischung in die internen Angelegenheiten afrikanischer Staaten und internationalen Militärinterventionen eingeschätzt wurde. Nach der Tötung Muammar Gaddafis tat Südafrika jedoch kund, dass es die eigene Zustimmung zur UN-Resolution bereue und erklärte, dass Gaddafi vor den Strafgerichtshof hätte verurteilt werden sollen. Diese Position galt als Bestätigung der Rolle des Strafgerichtshofs. Im Falle des Sudans war die Regierung jedoch weitaus zögerlicher. Da der damalige Präsident Thabo Mbeki die Vermittlungsbemühungen der Afrikanischen Union leitete, schien Pretoria der Meinung zu sein, dass Verurteilungen durch den Strafgerichtshof Friedensbemühungen gefährden und Hardliner-Positionen stärken könnten. Dennoch versicherte Südafrika, nachdem der Strafgerichtshof im Jahr 2009 einen Haftbefehl gegen Sudans Präsident Omar al-Bashir erließ, diesen zu verhaften, sollte er einen Fuß auf südafrikanischen Boden setzen. So stand al-Bashir auch nicht auf der internationalen Gästeliste für  die Amtseinweihung von Präsident Jacob Zuma im gleichen Jahr. Ebenso hatte sich Südafrika noch im Oktober 2013 dem Vorstoß Kenias entgegengestellt, die Afrikanische Union solle gesammelt aus dem internationalen Strafgerichtshof austreten oder dies zumindest androhen. Pretoria zeigte sich zwar öffentlich kritisch gegenüber Den Haag, machte jedoch auch deutlich, dass man sehr weit von der Position entfernt sei, sich aus dem Strafgerichtshof zurückziehen zu wollen.
 

Distanzierung vom Strafgerichtshof

Wie und warum genau es zu dem Sinneswandel der Regierung kam, der dazu geführt hat, al-Bashir im Juni 2015 zum 25. Gipfeltreffen der Afrikanischen Union nach Johannesburg einzuladen, ist schwer nachzuvollziehen. Dass die südafrikanische Zivilgesellschaft alles daran setzen würde, al-Bashir verhaften zu lassen, war absehbar. Die rechtlichen Verpflichtungen des Landes sind ebenso eindeutig. Effektiv hatte sich Pretoria mit der Einladung al-Bashirs selbst mit dem Rücken an die Wand gestellt und sich in die Situation gebracht, entweder den unsagbaren Schritt zu tun ein besuchendes Staatsoberhaupt zu verhaften oder eben, und nicht weniger unsagbar, sich über die eigenen Gesetze hinwegzusetzen.

Wie für den ANC nicht unüblich, wurde Angriff schnell zur besten Verteidigung. Nachdem ein südafrikanischer Richter, die Verhaftung von al-Bashir angeordnet hatte, ließ der ANC in den Medien verlauten, dass der Strafgerichtshof als Instrument mächtiger Nicht-Mitgliedsstaaten missbraucht werde, um gezielt Regierungswechsel in Afrika anzustreben. Angesichts jüngerer Entwicklungen müsse die Mitgliedschaft Südafrikas im Strafgerichtshof überprüft werden.

Fehlendes Bekenntnis zu Menschenrechten

Bewusst oder unbewusst hat so das al-Bashir Debakel die Vorlage für  die Entscheidung der vergangenen Parteiratssitzung geschaffen, die daher nicht ganz überraschen sollte. Auch lässt sich die Entscheidung in einen breiteren Trend in der jüngeren Außenpolitik des Landes einordnen, der als eine Emanzipierung von den traditionellen Partnern im Westen und eine Annäherung an China  gewertet werden kann. So fallen Entscheidungen in den vergangenen Jahren, wie dem Dalai Lama mehrmals die Einreise zu verwehren oder Zumas Boykott des Afrika-Gipfels der Europäischen Union an der Seite des simbabwischen Despoten Robert Mugabe, wie auch das intensive Engagement des Landes im BRICS Forum in dasselbe Muster. Sollte die Regierung dem Beschluss ihrer Partei tatsächlich folgen, würde der Schritt aus dem Strafgerichtshof auszutreten diesem Trend eine neue Dimension verleihen.

Dennoch stellt sich die Frage, was Südafrika mit diesem außenpolitischen Kurswechsel bezwecken will. Natürlich ist China politisch und  wirtschaftlich wichtig, Europa ist aber nach wie vor der größte Handelspartner des Landes. Die USA, die dem Land zollfreien Zugang für viele seiner Produkte verschaffen, stehen an dritter Stelle.

Ebenso entspricht die Annahme, dass Afrika geschlossen dem internationalen Strafgerichtshof gegenübersteht und Südafrikas Vorstoß befürwortet nicht unbedingt der Realität. So hatten sich etwa Nigeria, Tansania, Sambia und Botswana reserviert gegenüber den Vorschlägen von Kenia im Jahr 2013 gezeigt. Auch innerhalb des ANC gibt es durchaus Kritiker. Ehemaliger Vizeaußenminister Aziz Pahad, der in der Vergangenheit wiederholt die „Arroganz“ des Strafgerichtshofs bemängelt hatte, warnte während der nationalen Parteiratssitzung, dass eine Austrittserklärung mit einer gewichtigen Aussage zu Menschenrechten gekoppelt sein müsse. Diese blieb jedoch aus: Der ANC ließ weder verlauten, dass man afrikanische Länder im Aufbau ihrer rechtstaatlichen Strukturen helfen, noch dass man alternativ den Afrikanischen Strafgerichtshof stärken wolle. Zuma erklärte nur halbherzig, dass die Prinzipien die zur Einrichtung des Strafgerichtshofs geführt hatten  -  von denen er allerdings abgedriftet sei - relevant blieben.  Eine Verabschiedung aus dem Strafgerichtshof kann nur umgesetzt werden, wenn das Parlament ihr zustimmt. Sollte der ANC seine Dominanz im Parlament nutzen um die Entscheidung auch gegen breiten Protest durchzupeitschen, wird dies die Kluft zwischen Regierung und  progressiver Zivilgesellschaft weiter vergrößern.

Tragende Rolle der Haltung Südafrikas

Gleichzeitig steht der ANC mit seinem Standpunkt, dass der Strafgerichtshof es insbesondere auf Afrika abgesehen habe nicht alleine in der Öffentlichkeit da. Ob dies der Realität entspricht, ist eine andere Frage und wird auf Südafrikas Talk Radio Stationen kontrovers von den Zuhörern diskutiert. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Mitglieder des UN Sicherheitsrats selbst nicht dem Strafgerichtshof beigetreten sind, nährt natürlich solche Wahrnehmungen. Sollte jedoch gerade Südafrika, das bisher trotz aller Ambivalenz an der Wichtigkeit internationaler Institutionen festhielt und auf dem Kontinent die Messlatte für Demokratie und Menschenrechte setzte, die Glaubwürdigkeit des Strafgerichtshofs in Afrika gänzlich diskreditieren und damit womöglich der Institution den Todesstoß versetzen, werden afrikanische Diktatoren dies willkommen heißen und als Bestätigung für sich nutzen. Das bedeutet mehr negative Schlagzeilen für Südafrika und schlechte Nachrichten für die Afrikaner, die unter diesen leiden und hart dafür gekämpft haben, dass Verbrechen wie ethnische „Säuberungen“, Massenvergewaltigungen und Folter nicht mehr straflos bleiben weil sie  als „interne Angelegenheiten“ abgetan werden können.


[1] Interview “South Africa and the ICC: A Testy Long-Term Partnership”, Perspectives #1.12 “A Fractious Relationship: Africa and the International Criminal Court”.