„Alle, die es betrifft, müssen versuchen, die Region zu entwickeln“

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Die Stadt Ouarzazate im Süden von Marokko

Der Verein „The Human Touch“ ist aktiv in Ouarzazate, Süd-Marokko, dem Standort eines Solarkraftwerks. Die Arbeitsgebiete der NGO sind Klimawandel, Erneuerbare Energien sowie Maßnahmen, die Frauen und junge Menschen in die Lage versetzen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Im Interview erläutert Fatima Ahouli, die Generalsekretärin des Vereins, welche Folgen der Klimawandel für die örtliche Bevölkerung hat und warum es so wichtig ist, Anwohner bei der Planung von Projekten im Bereich der Erneuerbaren Energien mit einzubeziehen.

Sandra Nenninger: Wie würden Sie Ihren Verein beschreiben?

Fatima Ahouli: Der Verein „The Human Touch“ wurde am 19. Mai 2014 in Ouarzazate gegründet. Zuvor hatte ich mit einigen anderen eine Feldstudie zu den sozialen Folgen des Solarkraftwerks durchgeführt. Während der Studie wurde uns klar, in der Region braucht es viel mehr Aufklärung, und die Menschen müssen dabei unterstützt werden, mit den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten dieser Entwicklungen umzugehen. Es begann als wir bemerkten, dass hier viele Frauen handwerkliche Produkte herstellen, sie jedoch nur schlecht verkaufen können. Zuerst kam uns der Gedanke, ihnen beim Vertrieb zu helfen.

Dann entdeckten wir weitere Wege, die Lebensbedingungen der Menschen rund um Ouarzazate zu verbessern. Wir beschlossen deshalb, uns nicht allein auf die Vermarktung von Produkten zu beschränken, sondern Frauen und junge Menschen in die Lage zu versetzen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, Befähigungen aufzubauen und ein Bewusstsein für Erneuerbare Energien und den Klimawandel zu schaffen – soll heißen, für all jene Dinge, die dazu beitragen, die Gemeinschaften vor Ort zu entwickeln. Das waren unsere Grundziele.

Anfangs waren wir drei Frauen. Heute haben wir 16 Mitglieder, die meisten davon weiblich.

Dann gab es da noch ein Programm namens „Winter Touch“.

Ja. Vergangenen Winter kam es in der Region zu zahlreichen Überschwemmungen, viele Dörfer waren auf Hilfe angewiesen. Deshalb haben wir mit „Winter Touch“ begonnen (der Name lehnt sich an den unseres Vereins an). Wir haben so Geld gesammelt, Nahrung, Kleidung und andere Dinge, und dies in den betroffenen Dörfern verteilt. Das Programm haben wir in drei Phasen unterteilt, und in jeder Phase drei Dörfer abgedeckt, die von Überschwemmungen betroffen waren.

Glauben Sie, der Klimawandel war Ursache der Überschwemmungen?

Ja, die Überschwemmungen sind eine der Folgen des Klimawandels. In der Gegend kam es für gewöhnlich zu anhaltenden Dürreperioden und etwas wie die Überschwemmungen des vergangenen Jahres hatte es noch nie gegeben. Die Folgen waren beträchtlich und betrafen alle. Ich denke, es handelt sich dabei um die Folgen des Klimawandels im Süden.

War die Flutkatastrophe für Sie der Hauptgrund, sich für mehr Bürgerbeteiligung bei dem Solarkraftwerk in Ouarzazate einzusetzten? Oder gab es andere Gründe?

Es ist nicht lange her, da hatte ich keine Ahnung von Erneuerbaren Energien. Gehört habe ich davon erst durch die Arbeit mit Germanwatch. Als mir klar wurde, dass unsere Gegend unter dem Klimawandel zu leiden hat, begann ich mich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen.

Gibt es andere Beispiele für die Folgen des Klimawandels in der Region?

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Wir haben ein Video über die Folgen des Klimawandels für traditionelle Tätigkeiten produziert. Ein Beispiel sind Anbau und Verarbeitung von Bambus, eine Branche, in der viele Männer arbeiten, ein anderes das Brotbacken, durch das viele Frauen Geld verdienen. Beide Bereiche sind stark abhängig von Wasser: Bambus muss bewässert werden und zum Backen braucht es Brennholz. Wir haben untersucht, wie sich Dürren auf diese Bereiche auswirken und dokumentiert, dass Wassermangel Rohstoffe verknappt, teurer macht und sich so die Lebensbedingungen verschlechtern. Dies ist eine der Folgen des Klimawandels in unserer Region.

Was halten die Anwohner von dem Solarprojekt, bzw. von Erneuerbaren Energien im Allgemeinen?

Wie gesagt, ich bin eine einfache Bürgerin, das heißt, jemand, der nicht viel weiß über Klimawandel und Erneuerbare Energien. Um diese beiden Phänomene besser zu begreifen, muss man sich weiterbilden – oder man studiert an der Uni, nur dass dort der Zugang eher akademisch und wenig praxisnah ist.

Die Menschen in der Region haben vom Klimawandel noch nie gehört und auch Erneuerbare Energien sind ihnen kein Begriff. Als man sie über das Solarprojekt informierte, hat deshalb auch niemand etwas von Klimawandel gesagt oder dass das gut für die Umwelt wäre. Das Projekt, so sagte man, würde Arbeit schaffen und sei gut für die Wirtschaft.

Die Regionalbehörden haben den Leuten allerhand Zahlen vorgelegt, mit denen sie meist nichts anfangen konnten. Für die Anwohner war das ein Projekt, durch das junge Menschen Arbeit bekommen, das die Wirtschaft ankurbelt und das gut ist für die Infrastruktur. Im Großen und Ganzen waren die Informationen für die Menschen, die wenig gebildet sind, unverständlich. Es entstand so eine Erwartungshaltung, und man versäumte, den Menschen das Projekt auf sinnvolle Art nahezubringen. Von Anfang an waren die Erwartungen sehr hoch. Dann, nach einiger Zeit, merkten die Leute, dass Stellen nur an Facharbeiter und Menschen mit Uniabschluss gingen. Die jungen Menschen aus der Gegend hingegen bekamen nur Jobs als Bauhelfer – auch das oft nur für zwei, drei Monate.

Dennoch, das haben wir bei der Studie, die wir zusammen mit Germanwatch durchgeführt haben, festgestellt, sind die meisten Menschen sehr stolz, dass ein solches Projekt in ihrer Heimatregion angesiedelt ist.

Warum sind die Menschen so stolz auf das Solarkraftwerk?

Die Erwartungen waren übertrieben – und dennoch sind die Leute stolz, eben weil das Kraftwerk hier und nicht anderswo steht. Das Projekt schafft Hoffnung in der Region und es könnte langfristig die Wirtschaft ankurbeln.

Sie sagten, dass die Menschen kaum etwas über Klimawandel und Erneuerbare Energien wissen. Was sollten sie denn darüber wissen?

Der erste Schritt ist, die Menschen gut auszubilden. Menschen brauchen Bildung und Schulen. In vielen Dörfern gibt es keine Schule – und keine Möglichkeit, andernorts eine zu besuchen. Viele Menschen habe sehr große Wissenslücken – nicht etwa, weil sie faul und träge sind, sondern weil sie nicht lesen und schreiben können. Unser Bildungssystem ist nicht gut; es muss verbessert werden. Wir brauchen Zugang zu Informationen – kostenlos und für alle. Und die regional vorhandenen Ressourcen müssen gerecht verteilt werden.

Wie, glauben Sie, könnte man am besten aufklären?

Zuerst einmal geht es darum, wer die Leute informiert. Die Menschen oder Organisationen, die dies tun, müssen sich mit dem Thema aber auch mit den soziokulturellen Gegebenheiten ihrer Zielgruppen auskennen. Zu Beginn müssen die Leute vor Ort befähigt werden. Wir müssen vor Ort geeignete Menschen finden und ihnen die nötigen Werkzeuge, Methoden, Unterlagen, Netzwerke und Budgets an die Hand geben. Haben wir erst einmal fähige Leute vor Ort und stimmt die Logistik, dann können wir die Leute auf eine Art informieren, die sie verstehen. Die linguistischen und sozio-ökonomischen Voraussetzungen sowie der Bildungshintergrund der Leute müssen unbedingt berücksichtigt werden.

Wer sollte dafür zuständig sein: MASEN (der Betreiber des Solarprojekts), die Regierung oder NGOs wie Ihre?

Alle sollten mit im Boot sein, denn alle stehen in der Verantwortung: MASEN als Projektentwickler muss die Dörfer in der Umgebung entwickeln. Die Behörden und die Regierung sind zuständig für das Bildungs- und Gesundheitssystem sowie für andere öffentliche Dienste. Und die Zivilgesellschaft vor Ort muss sämtliche Akteure zusammenbringen, denn nur so können sich die Gemeinschaften hier weiterentwickeln.

Es handelt sich um eine Art Dreieck, in dessen Zentrum das öffentliche Interesse steht. Alle, die es betrifft, müssen versuchen, die Region zu entwickeln.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview führte Sandra Nenninger.
Übersetzung aus dem Englischen von Bernd Herrmann
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