Grabbing: Die große Landgier

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Ein Netz der Gier: Riesige Flächen wechseln den Besitzer. Die meisten „Grabber“ kommen aus den Industrie- und Ölländern (Ausschnitt aus der Grafik unten)

Äcker sind ein gutes Anlageobjekt geworden. Ausländische Investoren kaufen riesige Landflächen auf und bedrohen dadurch die Rechte der einheimischen Bevölkerung - ein Kapitel aus dem Bodenatlas.

Seit den Jahren des Rohstoffbooms und der darauf folgenden Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2007 und 2008 ist fruchtbares Ackerland in den Fokus internationaler Investoren gerückt. Sowohl Staaten als auch Konzerne versuchen, Land zu kaufen oder zu pachten – zu Lasten der ansässigen Bevölkerung. Laut einer Schätzung des Weltbank-Ökonomen Klaus Deininger sind weltweit zwischen 10 und 30 Prozent des Ackerlandes von Landgrabbing betroffen.

Die meisten Farmen der Welt sind winzig.Dennoch unterstützen Regierungen zu wenig die Interessen der Kleinbauern

Die Gründe dafür liegen sowohl in den betroffenen Regionen selbst als auch in den Industrie- und Schwellenländern. Weil die Preise für Agrarrohstoffe gestiegen sind, sehen Investoren im Ackerland ein lohnendes Anlageobjekt. Faktoren wie Wassermangel (etwa in Saudi-Arabien), veränderte Ernährungsgewohnheiten (etwa in China) oder die Biospritpolitik (wie in der EU) verstärken den Landhunger von Staaten und Unternehmen. Auch die Absicht von Regierungen des globalen Südens, Investitionen in ihre Landwirtschaft anzuregen, die sie lange vernachlässigt haben, und damit die Erträge und die Ernährung der Bevölkerung zu verbessern, führen zu Landübernahmen. Schließlich verkaufen autoritäre Regierungen auch Land, um die eigene oder die Staatskasse aufzubessern.

Gewöhnlich wird China für seine viele Milliarden Dollar schweren Investitionen in Afrika gescholten. Aber Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea und die Vereinigten Staaten sind in Afrika genauso aktiv, ebenso wie einheimische Unternehmen, die in ihrem eigenen Heimatstaat in Land investieren. Das große Geschäft beschränkt sich zudem nicht auf Afrika: Auch Europa, Südamerika sowie Süd- und Südostasien sind begehrte Investitionsziele. In Rumänien stieg der Wert von Grund und Boden in den vergangenen Jahren um jährlich 40 Prozent – also um 1.817 Prozent in nur einem Jahrzehnt.

Landgeschäfte sind meist undurchsichtig. Dadurch ist es für die Betroffenen – Indigene, Kleinbauern, Frauen, Nomaden – schwierig, an Informationen zu kommen, und wenn, haben sie oft wenig Möglichkeiten der Gegenwehr. Frauen sind hierbei besonders benachteiligt, denn ihre Stimme zählt in ihren Gemeinschaften oft wenig. Und viele Beamte ignorieren bewusst die Tatsache, dass die Frauen in der betreffenden Gegend Wasser holen und Feuerholz oder Heilpflanzen sammeln. Doch selbst wenn die Landbevölkerung ihre Rechte nachweisen kann, hat sie oft keine Möglichkeit, diese auch durchzusetzen. Dann bleibt nur der Umzug in die Stadt. Die Urbanisierung vor allem in den armen Ländern beruht auch auf dem Vertreibungsdruck, unter dem die Landbevölkerung steht.

Ein Netz der Gier: Riesige Flächen wechseln den Besitzer. Die meisten „Grabber“ kommen aus den Industrie- und Ölländern. (Große Ansicht der Grafik unten als Download verfügbar)

Wie viel Land überhaupt gehandelt wird, ist nicht klar. Das Projekt Land Matrix Global Observatory versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Es hat Landkäufe in Ländern mit geringem bis mittlerem Einkommen bis ins Jahr 2000 zurückverfolgt. Die Datenbank enthält Informationen zu mehr als 1.300 Geschäften, an denen ausländische Investoren beteiligt sind. Über 1.000 Geschäfte wurden abgeschlossen, in denen es um insgesamt 39 Millionen Hektar Land geht – eine Fläche, die größer ist als Deutschland. Zu rund 200 weiteren Projekten im Umfang von insgesamt 16 Millionen Hektar laufen aktuell noch Verhandlungen.

Andere Organisationen wie GRAIN oder Oxfam berichten von Geschäften mit Kauf oder langfristiger Pacht in weit größerem Umfang. Oxfam zufolge wechselten von 2001 bis 2010 rund 230 Millionen Hektar Ackerland in Entwicklungsländern den Besitzer – eine Fläche so groß wie Westeuropa. Zwischen 50 und 100 Milliarden Dollar sollen inzwischen schon geflossen sein.

Land Matrix verfügt über detailliertere Daten zu 877 von über 1.000 Vertragsabschlüssen seit dem Jahr 2000. Davon sind 570 (65 Prozent) bereits umgesetzt, während sich 144 noch in der Anlaufphase befinden. Die Umsetzung geht eher schleppend voran. Längst wird noch nicht die ganze Fläche tatsächlich bewirtschaftet: Belegbar sind bisher nur 24 Prozent der vertraglich übertragenen Landflächen zur Produktion genutzt. Teils haben die Investoren die Risiken unterschätzt, teils fehlen aktuelle Daten. Landspekulation ist vermutlich kein gewichtiger Grund, denn bei den meisten Projekten ist die Produktion immerhin angelaufen.

Der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO zufolge deckt die arme Landbevölkerung in Hungerzeiten ihren Nahrungsmittelbedarf zu 80 Prozent durch das Sammeln von Wildpflanzen, ohne dazu ein formelles Recht zu besitzen. Und die Weltbank beschreibt in einem Bericht über Tansania von 2009, dass der überwiegende Teil aller Baumaterialien, Energieträger und der traditionellen Medizin der bäuerlichen Bevölkerung aus gemeinhin als „ungenutzt“ bezeichneten Wäldern stammt. Dieser Begriff selbst ist also bereits hochpolitisch, weil er einige Nutzungsformen, oft die der Ärmsten, schlicht ignoriert.

Die Auswirkungen der Landnahmen zeigen sich weltweit unterschiedlich. In Äthiopien etwa wurde das Volk der Anuak mit Massakern aus der fruchtbaren, aber auch ölreichen Region Gambella vertrieben und musste auf unfruchtbares Land ausweichen. Seitdem hat sich ihre Ernährungssituation deutlich verschlechtert. Den blutigen Auseinandersetzungen nach den letzten Wahlen in Kenia waren Landkonflikte vorausgegangen. Und in Madagaskar hat die Regierung versucht, 1,3 Millionen Hektar Ackerland an den koreanischen Konzern Daewoo zu verkaufen, was 2009 zu Unruhen geführt hat – und schließlich zum Umsturz.

 

Quellen und weitere Informationen: