Ein ausgeglichener Haushalt ist nicht genug

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Prof. Dr. Gustav A. Horn

Der Bericht „Nachhaltig aus der Schuldenkrise – für eine finanzpolitische Zeitenwende“ sucht nach Vorschlägen zur nachhaltigen Überwindung der Verschuldungskrise. Doch anstatt sich auf Defizitziele beim Sparen zu fokusieren, wäre es sinnvoller, Investitionsziele des Staates zu definieren.

1. Analyse der Schuldenkrise

Ausgangspunkt der Studie ist die Analyse, dass die gegenwärtige ökonomische Lage vor allem als Staatschuldenkrise verstanden werden muss (S.9). Zwar wird gesagt, dass es sich sowohl um eine Krise des Euroraums als auch eine Staatschuldenkrise handele. Es wird aber nicht deutlich, inwiefern die Eurokrise ein von der Staatschuldenkrise unabhängiges Phänomen darstellen könnte. Tatsächlich wird auch im weiteren Verlauf die Eurokrise als Staatschuldenkrise interpretiert. Auch die Banken- und Finanzmarktkrise ist nach der Studie zumindest in ihrem derzeitigen Stadium nicht mehr von der Staatsschuldenkrise zu trennen (S.10). Neben dem allgemein europäischen Argumentationsstrang wird noch angeführt, dass selbst die deutsche Wirtschaft trotz ihrer vergleichsweise niedrigen Staatsdefizite und des relativ niedrigen Schuldenstandes unter einer zu hohen, weil auf Dauer nicht tragfähigen Staatsverschuldung leide, wenn man die Effekte des demographischen Wandels berücksichtigen würde (S.10). Vor diesem Hintergrund ist es logisch, dringend nach Vorschlägen zur nachhaltigen Überwindung der Verschuldungskrise zu suchen. Dies ist denn auch das Hauptziel der Studie.

Bevor ich mich den wesentlichen Vorschlägen im Einzelnen widme, ist zu fragen, ob denn die Ausgangsanalyse überhaupt richtig ist. Und wenn nein, was dies für die Herangehensweise bedeutet.

In der Tat bezweifle ich die Richtigkeit der Ausgangsanalyse. Ohne Zweifel ist die Staatsverschuldung im gesamten Euroraum, aber auch in Deutschland hoch, wahrscheinlich auf Dauer sogar zu hoch. Richtig ist auch, dass sie im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte teilweise dramatisch angestiegen ist. In Deutschland vollzog sich dies jedoch nicht als stetig wirkender Trend, sondern in Schüben, die mit konkreten Ereignissen verbunden werden können. Primär sind hier der Ölpreisschock in den siebziger Jahren, die deutsche Vereinigung nach 1990 und zuletzt die Finanzmarktkrise ab 2008 zu nennen. In all diesen Fällen wurden für kurze Zeit die Staatsausgaben kurzfristig deutlich gesteigert. Finanziert wurden die höheren Ausgaben über eine vermehrte Kreditaufnahme, die zu einem spürbar höheren Schuldenstand führte. Dieser wurde jedoch in der Folgenzeit nicht oder nur unzureichend zurückgeführt.

Diese Überlegungen machen schon deutlich, dass der höheren Staatsverschuldung immer etwas vorausgeht, auf das die Regierungen dann mit höheren Staatsausgaben reagieren. Am Anfang steht eben nicht die Staatsschuldenkrise. So war es auch in jüngster Zeit. Vor Beginn der Finanzmarktkrise und der nachfolgenden Krise des Euroraums war die Staatschuldenquote im Euroraum insgesamt relativ niedrig und sogar rückläufig. In Spanien und Irland lag sie sogar weit unter dem Niveau Deutschlands, das sich in diesen Jahren von oben langsam wieder der von der EU vorgesehenen Höchstgrenze von 60 % annäherte. Man kann also nicht behaupten, dass der Ursprung der jüngsten Krisen – abgesehen von Griechenland - eine zu hohe Staatsverschuldung gewesen sei. Man kann darüber streiten, ob die private Verschuldung in manchen Ländern aufgrund überzogener Renditeerwartungen im Finanzsektor oder bei Immobilien nicht zu hoch gewesen sind, aber insgesamt gesehen kann man den Ausbruch der Krisen nicht mit überhöhten Staatsschulden erklären. Sie sind lediglich eine Folge oder ein Symptom dieser Krisen, nicht deren Wurzel. Diese sind an anderer Stelle z. B. in der mangelhaften Regulierung des Finanzsektors und in den außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten als Folge unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeit einzelner Volkswirtschaften innerhalb des Euroraums zu suchen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es einerseits überzogen, die Staatsverschuldung zu dem prägenden ökonomischen Phänomen zu erklären. Andererseits bleibt richtig, dass die Staatsverschuldung sehr stark gestiegen ist. Es bleibt somit die berechtigte Frage, wie man damit umgeht.

Die Studie fordert eine umgehende Reduzierung, nicht zuletzt um künftige Generationen zu entlasten. Dahinter steht die Befürchtung, dass kommende Generationen eine Bürde hoher Steuerlasten tragen müsste, um die Schulden bedienen oder sogar zurückzahlen zu können. Diese Vorstellung ist jedoch nur halbrichtig. Künftige Generationen erben schließlich nicht nur die Schuldenlast, sondern auch die dazu gehörigen Vermögenstitel in Gestalt von Staatsanleihen, auf die Zinserträge anfallen. Mit anderen Worten, bei hoher Staatsverschuldung entsteht kein Generationenproblem, sondern ein Verteilungsproblem zwischen Steuerzahlern und den Besitzern von Staatsanleihen. Aber auch dies wäre ja ein Grund, eine hohe Staatsverschuldung zu vermeiden.

2. Die Reduzierung der Staatschulden

Die Forderung nach Reduzierung der Staatsschulden ist angesichts der hohen Staatschuldenquote weit verbreitet. Die Studie liegt insofern im Trend. Dass die Staatsschulden reduziert werden sollen, ist aber keinesfalls völlig unumstritten. So argumentiert C.C. v. Weizsäcker, dass derzeit sehr viel Anlage suchendes Kapital vergeblich nach rentablen Investitionsmöglichkeiten Ausschau halte. Die Zahl der hinreichend profitablen Investments sei begrenzt und bleibe derzeit hinter dem Angebot an Kapital zurück. Das führt zu entsprechend niedrigen Zinsen, die auch von Larry Summers als Ausdruck einer säkularen Stagnation verstanden werden. Unter dieser Prämisse wäre die Reduzierung der Staatsschulden sehr schädlich, da dann die Stagnation anhält.

Also sollte, da der Markt keine renditeträchtigen Investitionsmöglichkeiten bietet, der Staat sie anbieten. Dies kann geschehen, indem der Staat seine Investitionen, z.B. in eine Modernisierung der Infrastruktur, erhöht. Finanziert werden die höheren Ausgaben über eine höhere Verschuldung, die im Rahmen dieser Überlegungen zu einem Zinsanstieg führt und daher privaten Investoren in diese Schuldtitel eine höhere Rendite bietet. Über die verbesserte Infrastruktur steigen auch insgesamt die Rendite Chancen.

Neben dieser Argumentation, die bemerkenswerterweise auf Modellen basiert, die unter üblichen Bedingungen eher eine zurückhaltende Staatsaktivität als sinnvoll erachten lassen, besteht die übliche keynesianische Argumentation, dass angesichts der insgesamt eher verhaltenen Konjunktur eine Rückführung der Staatsschulden die Gefahr einer Stagnation, wenn nicht gar Rezession hervorruft. Gleichwohl würde auch aus keynesianischer Sicht auf Dauer eine niedrige Staatsverschuldung anzustreben sein, da bei einer niedrigen Staatsverschuldung die Glaubwürdigkeit stimulierender Maßnahmen während einer Rezession und damit ihre Wirkung erhöht wird. Allerdings sollte diese Konsolidierung nur bei guter Konjunktur erfolgen.

Unabhängig davon, wie triftig diese Argumente sind, erfordern die Schuldenbremse wie auch der europäische Fiskalpakt, die Staatsverschuldung deutlich, um etwa 20 Prozentpunkte vom BIP, zu reduzieren, und die Haushaltsdefizite strukturell auf 1 % bzw. 0,35 % zu begrenzen. Insofern besteht derzeit sogar eine rechtliche Verpflichtung zur Konsolidierung.

Die Studie geht über diese Verpflichtung hinaus und schlägt vor, strukturelle Überschüsse in Höhe von 1 % bis 2 % für 20 Jahre anzustreben (S.73). Grundlage der Argumentation ist die implizite Verschuldung im Rahmen einer Tragfähigkeitsberechnung. Diese Überschüsse sollen als Rücklage verwendet werden, um die Kosten des demographischen Wandels zu bestreiten, die in der Zukunft anfallen könnten.

Diese Argumentation basiert auf der Vorstellung, dass über Sparen von heute Kosten von morgen bestritten werden können, also durch Sparen ein Werttransfer in die Zukunft stattfindet. Diese Vorstellung ist in dieser Schlichtheit aber falsch. Im Folgenden soll daher das Phänomen des Sparens näher beleuchtet werden.

3. Was ist eigentlich Sparen?

Man unterscheidet zwischen einzelwirtschaftlichem Sparen und gesamtwirtschaftlichem Sparen. Ersteres ist in aller Munde, entspricht dem allgemeinen Verständnis von Sparen und beherrscht in der rhetorischen Figur der schwäbischen Hausfrau auch die politische Debatte. Einzelwirtschaftliches Sparen heißt, in einer bestimmten Periode weniger auszugeben als Einkommen erzielt wird. Sofern man diesen Betrag nicht über einen längeren Zeitraum anlegt, kann man dieses Geld dann je nach vereinbarter Dauer der Anlage in den nachfolgenden Perioden für einen dann entsprechend höheren Konsum verwenden. Das ist genau die in der Studie propagierte Vorstellung. Generell ist einzelwirtschaftliches Sparen somit eine Möglichkeit, finanzielle Werte von der Gegenwart in die Zukunft zu verlagern. Das begründet die Empfehlung für Sparen als finanzielle Altersvorsorge für den Einzelnen.

Das gesamtwirtschaftliche Sparen hat einen völlig anderen Charakter, der der alltäglichen Intuition nicht entspricht, und der in der politischen Debatte kaum eine Rolle spielt. In einer gesamtwirtschaftlichen Analyse müssen immer alle relevanten Akteure, also private Haushalte, Unternehmen und Staat, zugleich bedacht werden. Hinzu kommen noch die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Ausland.

Nun läge es nahe zu behaupten: Wenn alle diese Akteure sparen, dann ist die Summe dieser einzelwirtschaftlichen Ersparnis immer die gesamtwirtschaftliche Ersparnis. Und genau dies stimmt nicht.

Der Grund ist, dass in dem Beispiel eine grundlegende gesamtwirtschaftliche Konsistenzbedingung verletzt ist. Die gesamten Einnahmen müssen nämlich gleich den gesamten Ausgaben sein. Ansonsten würde ja Geld schlicht verschwinden. Es gibt einen und nur einen richtigen Ausweg, um diese Inkonsistenz zu beheben. Dies ist, die gesamte angesparte Summe auf Null zu setzen. Dann ist die Konsistenz zwar gewahrt, es gibt aber keine gesamtwirtschaftliche Ersparnis mehr. Mit anderen Worten, unter den genannten Bedingungen kann es keine gesamtwirtschaftliche Ersparnis geben. Sie muss immer Null sein. Da in der Argumentation einfach der Rahmen einzelwirtschaftlichen Sparens auf die Gesamtwirtschaft übertragen wurde, kann die gesamtwirtschaftliche Ersparnis folglich nicht einfach die Übertragung einzelwirtschaftlichen Sparens sein.

Nun ist aber unbestreitbar, dass gespart wird. Daher sollte es in der Ökonomie einen analytischen Rahmen geben, der diese Realität erfasst. Dies geht nur, wenn man eine weitere Handlungsmöglichkeit zulässt: die Verschuldung. Eine erste Schlussfolgerung hieraus ist, dass gesamtwirtschaftliche Ersparnis nur möglich ist, wenn es auch eine gesamtwirtschaftliche Verschuldung gibt. Daher ist die politische Forderung, dass alle sparen müssen, aus gesamtwirtschaftlicher Sicht unlogisch, jedenfalls wenn man die Ersparnis erhöhen will. Irgendjemand muss sich verschulden, sonst gibt es - siehe oben - keine Ersparnis.

Die Frage ist nur, wer verschuldet sich und warum. Die privaten Haushalte sind der ungeeignetste Kandidat, da hier eine dauerhafte Verschuldung Zweifel an der Kreditwürdigkeit und folglich eine Schuldenkrise auslösen könnte. Ähnliches gilt mit Abstrichen auch für das Ausland, denn es macht für die Gläubiger prinzipiell keinen Unterschied, ob die Haushalte im Inland oder Ausland sind. Unter Umständen kommt außerhalb des eigenen Währungsraums allerdings noch ein Wechselkursrisiko hinzu.

Wenn sich jedoch Unternehmen verschulden, kann dies sinnvoll sein. Denn sie werden einen Kredit bedienen können, wenn sie ihn für renditeträchtige Investitionen verwenden. Das gilt auch für ausländische Unternehmen, insofern kann auch Auslandsverschuldung bis zu einem gewissen Grad sinnvoll sein. Sicherster Schuldner ist aber der Staat. Hinter ihm stehen letztlich die Steuerzahler, also die gesamte Volkswirtschaft.

Im Ergebnis wird sich eine Kombination aus staatlicher, unternehmerischer und ausländischer Verschuldung ergeben, deren konkrete Ausprägung von den jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten abhängt.

Entscheidend ist nun, wofür die Verschuldung verwendet wird. Hat die Verwendung des Kredits keine oder eine unterhalb der Verzinsung liegende Rendite erbracht, schmälert dies künftige finanzielle Möglichkeiten. Liegt die Rendite jedoch darüber und waren die Investitionen erfolgreich, erweitern jedoch alle Akteure ihre finanziellen Möglichkeiten in der Zukunft. Die sparsamen in- und ausländischen Haushalte erhalten zusätzlich zu ihrem bisherigen Einkommen noch Zinsen. Die in- und ausländischen Unternehmen erhöhen selbst nach Abzug der Zinsen ihre Gewinne und der Staat erhält aufgrund der so erhöhten Einkommen mehr Steuereinnahmen.

Ersparnis und Verschuldung können somit die wirtschaftlichen Möglichkeiten einer Volkswirtschaft erweitern. Sie erhöhen dann den Wohlstand. Entgegen der Alltagsintuition geschieht dies auf gesamtwirtschaftlicher Ebene jedoch nicht, in dem einfach mehr gespart wird, sondern in dem sowohl die Bereitschaft sich zu verschulden als auch die zu sparen gleichzeitig zunehmen.

4. Wirtschaftspolitische Schlussfolgerung

Vor diesem Hintergrund erhebt sich die Frage, ob gesamtwirtschaftliches Sparen denn nun dazu taugt, Werte in die Zukunft zu verschieben und damit tatsächlich einen Beitrag zur Finanzierung der Kosten des demographischen Wandels zu leisten. Die Antwort lautet: Ja, aber in völlig anderer Form als beim einzelwirtschaftlichen Sparen. Letzteres geschieht durch den Kauf von Finanzwerten, z.B. Wertpapieren, deren Rendite in der Zukunft ausgezahlt wird. Da auf gesamtwirtschaftlicher Ebene die Summe aus Ersparnis und Verschuldung immer Null ist, gibt es hier per Saldo keine Erträge.

Stattdessen findet die Wertverschiebung in die Zukunft auf realwirtschaftlicher Ebene, also durch Güter- und Dienstleistungsproduktion, statt. Es sind eben z.B. jene durch die Investitionen der Unternehmen erweiterten Produktionsmöglichkeiten. Sie schaffen die erhöhten Einkommen der Zukunft, mit denen die Kredite, die die Sparer durch ihr Erspartes ermöglicht haben, bedient werden können. Anders formuliert, erst Investitionen erzeugen den Wertetransfer, auf den die Sparer gehofft haben.

Das gilt nicht nur für private Investitionen, sondern auch für öffentliche, die die Produktivität der Infrastruktur verbessern oder über ein besseres Bildungssystem die Fähigkeiten der Beschäftigten erweitern.

Wenn also in der Wirtschaftspolitik mehr gesamtwirtschaftliche Ersparnis gefordert wird, dann darf gerade nicht die schwäbische Hausfrau rhetorische Leitfigur sein, sondern innovations- und risikofreudige Unternehmen, investierende Staaten und lernwillige Beschäftigte. Sie ermöglichen erst, dass sich das Sparen der schwäbischen Hausfrau überhaupt lohnt und die Werte, die zur Begleichung der Kosten des demographischen Wandels erforderlich sind, überhaupt entstehen.

Ein ausgeglichener Haushalt oder sogar mit Überschüssen erzeugt in einem wirtschaftlichen Umfeld mit geringen Investitionen eben nicht genügend Werte hierfür.

Vor diesem Hintergrund ist die Fokussierung auf Defizitziele beim Sparen sinnlos. Adäquater wäre es, Investitionsziele des Staates zu definieren, um die Erzeugung von Werten überhaupt zu ermöglichen. Welches Defizit sich dann ergibt, ist zweitrangig. Insofern ist die Forderung nach Überschüssen im öffentlichen Haushalt in dieser Grundsätzlichkeit nicht zielführend.