Protest und wenig Beteiligung: Die Wahlen in Bosnien-Herzegowina

Wahlkampf in Bosnien-Herzegowina
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Die Unzufriedenheit mit der Regierung war bei vielen Bürger/innen in Bosnien-Herzegowina groß

Im vergangen Februar demonstrierten die Bürger/innen Bosnien-Herzegowinas gegen ihre Regierung. Nicht zuletzt wegen dieser Proteste wurden die Parlamentswahlen mit Spannung erwartet. Ein Blick auf die vorläufigen Ergebnisse.

Die Kommentare zu den Wahlen fallen zum Großteil negativ aus – sowohl in den einheimischen als auch in den internationalen Medien spricht man überwiegend von der Rückkehr der nationalistischen Parteien, der Rückkehr in die Vergangenheit und apokalyptischen Szenarien. Aber in Bosnien-Herzegowina gibt es keine einfachen Schlussfolgerungen, was politische Prozesse angeht, und man sollte keine voreiligen Aussagen darüber treffen, wie sich derartige Ergebnisse auf die Lage im Land in den kommenden vier Jahren auswirken werden.

Die vorläufigen Ergebnisse der Allgemeinwahlen in Bosnien-Herzegowina für alle Ebenen wurden 19 Stunden nach Schließung der Wahllokale verkündet. Der Wahlsieg der SDA (Partei der Demokratischen Aktion) und das Debakel der SDP (Sozialdemokratische Partei) sind die wichtigsten Themen in der Föderation. Daneben sind die die Ergebnisse in der Republika Srpska noch immer relativ ausgeglichen zwischen der regierenden SNSD (Union der unabhängigen Sozialdemokraten) und der Koalition der Oppositionsparteien, angeführt von der SDS (Serbische Demokratische Partei).

Geringere Wahlbeteiligung

Aufgrund des sehr schwierigen Jahres, aber auch wegen des äußerst schlechten Mandats 2010 – 2014, sahen die Prognosen für die Wahlen 2014 zwei mögliche Szenarien für Unmutsäußerung der Wähler/innen voraus:  eine geringe Wahlbeteiligung, die vorteilhaft für die regierenden Parteien wäre oder eine hohe Wahlbeteiligung, die das politische Bild im Land stark verändern würde. Grund für diese Annahmen war die Massen-Proteste vom Februar diesen Jahres und die katastrophalen Überschwemmungen, die im vergangenen Mai über das Land hereinbrachen und aufs Schlimmste die Dysfunktionalität und Inkompetenz der aktuellen Regierungen bloßstellten.

Die Wahlbeteiligung ist in der Tat von 56,28 Prozent auf 54,14 Prozent gesunken. Auch bei den Allgemeinwahlen 2002 und 2006 betrug sie über 55 Prozent. Dies bedeutet aber nicht, dass das „Abstinenz-Szenario“ gänzlich durchgesetzt wurde, denn ein Teil der Wählerschaft der Siegerparteien aus 2010 (vor allem die Sozialdemokraten) haben bei diesen Wahlen für andere Parteien gestimmt oder gar nicht gewählt, während die Wählerschaft der SDA konsolidiert blieb und sich sogar vergrößert hatte.

Neben der schwachen Beteiligung an diesen Wahlen war auch eine große Zahl an ungültigen Stimmzetteln zu verzeichnen, wobei zu prüfen ist, ob dies ein Zeichen der Missachtung des Wahlprozesses ist oder die Bürger/innen auf diese Weise ihren Protest über die Wahlen selbst zum Ausdruck brachten. Bis jetzt wurden bereits 431.007 ungültige Stimmzettel gezählt. Wahlabstinenz und/oder die Entwertung der Stimmzettel wurde von Teilen der Zivilgesellschaft als Art des „Kampfes gegen das politische Establishment in Bosnien-Herzegowina“ gepriesen, besonders nach dem Verstummen der Proteste im Februar. Abstinenz und Entwertung der Stimmzettel kam überwiegend bei der jüngeren, progressiveren und mehr linksgerichteten Bevölkerung vor, während sich die konservative Wählerschaft „diszipliniert“ verhielt und somit ihren Parteien letzten Endes die guten Ergebnisse bescherte.

Wahlkampf im Kleid der Opposition

Die  SDA-Partei stellt in Bosnien-Herzegowina fast ununterbrochen eine Konstante in der Regierung dar. Es gelang ihr trotz der großen Unzufriedenheit im Volk mit der Regierung, der sie angehörte, die Wahlen eindeutig für sich zu entscheiden. Die SDA führte ihre Wahlkampagne nicht als Regierungs-, sondern als Oppositionspartei und begründete dies mit Kritik am Koalitionspartner. Die SDA behielt den größten Vorteil, den eine Partei mit der längsten Dienstzeit im Wahlkampf haben kann: eine Stammwählerschaft, überwiegend basierend auf klientellistischen Stimmen in öffentlichen Betrieben und Institutionen; sowie eine riesige und gut organisierte Parteiinfrastruktur. Der zweite bedeutende Faktor für den Wahlsieg der SDA ist das faktische Verschwinden ihres einstigen Rivalen, der Partei für Bosnien-Herzegowina (SBiH), deren Teil der Wählerschaft die SDA sicherlich in ihrem Mandat absorbiert hat. Gleichzeitig zerstreuten sich die Stimmen ihres größten Opponenten, der SDP, die sie bei den letzten Wahlen besiegt hatten, in dem Maße, als dass keine der Parteien, die ebenfalls diese Stimmen erhielten, an das Wahlergebnis der SDA herankam.

Neben der SDA verzeichnete auch die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ BiH) einen Erfolg, überwiegend bei der Wahl des Parteivorsitzenden Dragan Čović zum kroatischen Mitglied des Staatspräsidiums Bosnien-Herzegowinas. Čovićs Sieg könnte allerdings die sowieso schon verfahrene Situation hinsichtlich der Verfassungsreform in Bosnien-Herzegowina zusätzlich verkomplizieren. Die Reform ist im letzten Mandat komplett blockiert worden, insbesondere durch Čovićs Aktivitäten als Vorsitzender der HDZ BiH bezüglich der Lösung der „kroatischen Frage“.

SDP verliert massiv

In der Föderation Bosnien-Herzegowina gibt es nicht den geringsten Zweifel, wer der absolute Verlierer dieser Wahlen ist. Die Sozialdemokratische Partei Bosnien-Herzegowinas (SDP), die bei den Wahlen 2010 mit 337.065 Stimmen für Željko Komšić als bosnisch-herzegowinisches Präsidiumsmitglied, sowie insgesamt 517.076 Stimmen für das Staats- und das föderale Parlament triumphierte, erlebte bei diesen Wahlen seinen Untergang mit nur 69.853 Stimmen für das Amt des Präsidiumsmitglieds und 144.968 Stimmen für die Parlamente. Auch im Rennen um die Plätze in den Parlamenten der Kantone schnitt die SDP nicht besser ab.
Die Ergebnisse der SDP waren nicht wesentlich schlechter als die der anderen regierenden Parteien. Alle Parteien zusammen erfüllten nur 3 Prozent der Versprechen aus den Wahlkampagnen von 2010, und brachten das Land in eine schlechtere Lage, als zu Beginn der Legislaturperiode. Die SDP gewann die Wahlen 2010 als eine Bürger/innen-Partei, die Veränderungen in allen Bereichen erwirken wollte, so dass auch die Erwartungen ihrer Wählerschaft, und somit auch die Verantwortung der SDP viel größer waren. Anstelle der erwarteten Reformen bildete die SDP für den Anfang eine Koalition mit der SDA, ihrem damaligen größten Rivalen, und daraufhin auch mit allen einigermaßen bedeutenden Parteien in Bosnien-Herzegowina. In diesem Prozess verriet diese Partei ein grundlegendes Prinzip nach dem anderen ihres eigenen Programms und passte sich den Koalitionspartnern und ihren Ethno-Politiken an, ohne dabei etwas von dem „abzuliefern“, was sie ihren Wähler/innen einst versprochen hatte. Daher waren weder die Enttäuschung ihrer Wählerschaft, noch die Strafe bei den Wahlen, die deshalb folgte, eine große Überraschung.

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Man kann sich denken, dass der enorme Verlust der Stimmen für die SDP bei diesen Wahlen das Ergebnis sowohl einer Wahl-Abstinenz der Wähler/-innen dieser Partei, als auch der „Abgang“ ihrer Stimmen an neue (und weniger neue) Parteien, wie zum Beispiel die Demokratische Front (DF) und das Bündnis für eine bessere Zukunft (SBB) ist.

Željko Komšić, dessen Wahlergebnis 2010 das Ergebnis seiner Partei übertraf, verließ die SDP in einer Zeit, in der diese Partei eine wahrscheinlich entscheidende Abweichung von seinen proklamierten Zielen machte und der Idee der HDZ für die Einführung von ethnisch definierten „Stimm-Werten“ im Rahmen einer Verfassungsreform zustimmte. Komšić gründete kurz nach dem Verlassen der SDP die Partei Demokratische Front (DF), deren Ziele in der Wahlkampagne ein Abbild des nicht realisierten Programms der SDP aus dem Jahr 2010 waren, und die sich bei diesen Wahlen als zweitstärkste Partei im Rennen für das Staatsparlament und drittstärkste für das Parlament der Föderation Bosnien-Herzegowina positionierten, auch wenn erst eineinhalb Jahre seit ihrer Gründung vergangen sind. Ein ähnliches Ergebnis wie die DF erzielte auch die SBB, die bei diesen Wahlen als Partei antrat, die nur eineinhalb Jahre in der Exekutiv-Regierung auf Staatsebene verbrachte und ihre gesamte Kampagne auf der Kritik der regierenden Parteien aufbaute.

Ergebnisse der Republik Srpska

Interessant ist, dass es in der Republika Srpska zu einer unterschiedlichen Stimmverteilung für die Staats- und Entitätsebene kam, was in der Föderation Bosnien-Herzegowina nicht der Fall war. So erhielt der Kandidat der Opposition, Mladen Ivanić, Partei des Demokratischen Fortschritts (PDP) die Mehrheit der Stimmen für das Amt im Staatspräsidium Bosnien-Herzegowina, während die Union der unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) den Sieg im Rennen für das Entitäts- und Staatsparlament, sowie das Amt des Präsidenten der Republika Srpska (RS) davontrug. Eine größere Wahlbeteiligung in der Republika Srpska (etwa 56 Prozent, im Vergleich zu etwa 52 Prozent in der Föderation) suggerierte, dass die Opposition eventuell auch auf Entitätsebene der Regierung ein besseres Ergebnis erzielen würde. Aber in diesem Augenblick ist es ziemlich sicher, dass die regierende Koalition Union der unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) – Demokratischer Volksbund (DNS) – Sozialistische Partei Republika Srpska (SPRS) auch in diesem Mandat eine Parlamentsmehrheit bilden wird.
Bezeichnend für die Wahlen in der Republika Srpska waren eine weitaus größere Ungewissheit und wesentlich geringere Abstände bei den Stimmzahlen zwischen Position und Opposition. Zur größeren Ungewissheit in der Republika Srpska trug eine viel langsamere Stimmauszählung als in der Föderation bei, aber auch die sehr gegensätzlichen Ergebnisse, die die Parteien der Position und der Opposition aufgrund fehlender offizieller, vorläufiger Ergebnisse verkündeten. Eine Neuerscheinung in der Republika Srpska ist die Koalition „Heimat“, die aus den Aktivitäten der Bürger/innen-Koalition „Erster März“ hervorgegangen ist und die die Prozent-Hürde bewältigte. Das vergangene Mandat war gezeichnet von intensiven Obstruktionen jeglicher kohäsiver Prozesse in Bosnien-Herzegowina seitens der Parteien aus der Republika Srpska, so dass die Erscheinung eines solchen politischen Faktors auf der Bildfläche erstmalig die bisher vorherrschende ethnopolitische Einstimmigkeit, die bisher die Parteien der Republika Srpska charakterisierte, bedrohen, und eventuell die Freischaltung einiger Prozesse beeinflussen könnte.

Schritt nach vorne

Es ist klar, dass wir einige der Personen auch weiterhin in der Regierung sehen werden, die in den vergangenen vier Jahren keinerlei Erfolge vorzuweisen hatten, außer der Sicherung ihrer eigenen Machtpositionen. Aber das vergangene Mandat zeigte auch, dass es in Bosnien-Herzegowina keine unmöglichen Koalitionen gibt – jede Partei war zur Zusammenarbeit mit jeder anderen bereit, solange ihr diese Zusammenarbeit Teilnahme an der Regierung sicherte. Daher wird nach der Bestätigung der endgültigen Wahlergebnisse die wichtigste Frage nach dem Prinzip der Koalitionsbildungen sein. Sollten sie erneut mit dem einzigen Ziel der Machtverteilung gebildet werden, wird eine positive Entwicklung des Landes in den kommenden vier Jahren kaum möglich sein. Sollten sich jedoch selbst minimale Veränderungen, wie der Eintritt der DF in das Föderale und Staatsparlament, oder der PDP in das Staatspräsidium Bosnien-Herzegowinas, die Regierungsbildung in Bosnien-Herzegowina beeinflussen, so besteht für Bosnien-Herzegowina vielleicht doch noch die Chance für einen Schritt nach vorne.