Marktwirtschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung

Bundespräsident a.D. Horst Köhler mit seiner Ehefrau Eva Köhler
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Der damalige Bundespräsident Horst Köhler mit seiner Ehefrau Eva Köhler im Juli 2009

Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft verleiht Bundespräsident a.D. Horst Köhler den Adam-Smith-Preis 2014. In seiner Laudatio erklärt Ralf Fücks die Relevanz einer nachhaltigen Marktwirtschaft.
 

Als ich gefragt wurde, diese Laudatio zu halten, habe ich ohne Zögern zugesagt. Nicht nur, weil es mir in der Sache eine passende Idee scheint, Horst Köhler als passionierten Anwalt einer nachhaltigen Ökonomie mit dem Adam-Smith-Preis des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft auszuzeichnen. Ich hatte einige Male Gelegenheit, ihn während seiner Zeit im Schloss Bellevue als einen aufgeschlossenen, klugen und sympathischen Gesprächspartner kennenzulernen. Insofern gibt es durchaus ein persönliches Motiv für diese Rede.

15 Minuten sind kurz. Ich will mich deshalb auf einige wenige Momente konzentrieren, die eine Brücke zwischen Person und Preis schlagen.

Krönung einer internationalen Karriere

Horst Köhler wurde Bundespräsident als Krönung einer internationalen Karriere. Insofern war sein Weg in das höchste öffentliche Amt der Bundesrepublik eher untypisch für unsere politische Klasse. Es würde uns gut tun, wenn mehr Köpfe mit internationaler Erfahrung in den Entscheidungsgremien der Republik vertreten wären – angesichts der zunehmenden ökonomischen und politischen Verflechtungen wird Weltkenntnis und Urteilsfähigkeit über den eigenen Suppentopf hinaus immer wichtiger.

Nach der Wiedervereinigung war er als Staatssekretär im Finanzministerium maßgeblich an den Verhandlungen über den Vertrag von Maastricht beteiligt, dem bis dahin größten Schritt zur europäischen Integration, der auch die Grundlagen für die Einführung des EURO legte.

Er handelte mit Russland Milliardenzahlungen als Kompensation für den Abzug der Roten Armee aus Ostdeutschland aus und war Helmut Kohls Sherpa bei diversen G7- Konferenzen.

Ende der 90er Jahre leitete er die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, bevor er schließlich zum geschäftsführenden Direktor des IWF berufen wurde.

Auch nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten blieb er der internationalen Sphäre treu. Eine faire Weltwirtschaft, Armutsbekämpfung, Klimawandel und ein anderer, postkolonialer Blick auf Afrika sind authentische Anliegen, die Horst Köhler über den Wandel der Zeiten und Funktionen hinweg umtreiben.

Idee einer ethisch fundierten Ökonomie

Das verweist auf eine die Idee einer ethisch fundierten Ökonomie, deren Ziel nicht ist, möglichst viel Gewinn in möglichst kurzer Zeit herauszuschlagen, sondern die Lebensqualität möglichst vieler Menschen zu steigern. Unternehmer im besten Sinn ist jemand, der Geld verdient, indem er Produkte oder Dienstleistungen in Verkehr bringt, die einen Mehrwert (Zusatznutzen) für die Gesellschaft stiften. In der Medienöffentlichkeit wird Unternehmertum zumeist mit Gier und Rücksichtslosigkeit identifiziert. Dafür gibt es leider auch viele Belege im Wirtschaftsleben. Dennoch ist das ein Zerrbild, das den Millionen von Familienunternehmern, Selbständigen und Handwerkern in unserem Land nicht gerecht wird. Unternehmertum ist zuallererst eine Haltung: Eigeninitiative, Verantwortung übernehmen, Neues wagen, Risikobereitschaft. Das sind unverzichtbare Tugenden für eine dynamische Gesellschaft.

Die wohlfahrtssteigernde Wirkung der Marktwirtschaft ergibt sich allerdings nicht von selbst. Die „unsichtbare Hand des Marktes“ kann segensreich oder destruktiv wirken. Das hängt entscheidend von den rechtlich-politischen Rahmenbedingungen ab, in denen Unternehmen und Konsumenten agieren.

Horst Köhler ist denn auch kein Laissez-Faire-Liberaler, sondern Verfechter eines Ordoliberalismus, der dem Staat eine aktive Rolle im Wirtschaftsprozess zumisst. Das gilt sowohl für Investitionen in Bildung, Wissenschaft und öffentliche Infrastruktur wie für die Vorgabe sozialer und ökologischer Leitplanken für unternehmerisches Handeln.

Mit anderen Worten: damit Märkte ihr positives Potential ausspielen können, bedarf es eines regulatorischen Rahmens. Rechtssicherheit und Schutz des Eigentums gehören genauso dazu wie Koalitionsfreiheit, Umwelt- und Verbraucherschutz, Vorkehrungen gegen Monopole und Kartelle, ein effektives Haftungsrecht und eine Steuer- und Abgabenpolitik, die auf Kostenwahrheit zielt.

Immer wieder beharrt Horst Köhler darauf, dass unternehmerische Freiheit und unternehmerische Haftung zusammen gehören, weil sonst der Gewinnmaximierung zu Lasten der Gesellschaft Tür und Tor geöffnet wird.

Die Finanzkrise, die seit 2007 wie ein Schwelbrand die Weltwirtschaft erfasst hat, ist dafür ein schlagendes Beispiel. Wer Gewinne privatisieren, Verluste aber auf die Gemeinschaft der Steuerzahler abwälzen kann, wird geradezu ermutigt, unverantwortliche Risiken einzugehen.

Aufruf zur Bändigung der Finanzmärkte

Wenn ein ehemaliger Banker und Direktor des Internationalen Währungsfonds zur Bändigung der Finanzmärkte aufruft, hat das vermutlich eine größere Autorität als wenn unsereins das tut. Für Horst Köhler ist eine staatliche Kernaufgabe, „den Finanzmärkten eine gemeinwohlverträgliche Ordnung vorzuschreiben und sie auch durchzusetzen.“ Dazu gehören höhere Eigenkapitalquoten als Risikopuffer wie eine Insolvenzordnung, die den Banken die „too big too fail“ – Garantie entzieht.

Im Zerstörungspotential selbstreferentieller Finanzmärkte sieht Horst Köhler nicht nur eine Gefahr für die Realwirtschaft, sondern eine Bedrohung der Demokratie. Wenn Großbanken und Hedge Fonds ganze Staaten in Haftung nehmen und Regierungen erpressen können, ihre Verluste zu kompensieren, untergräbt das auch die Legitimation demokratischer Institutionen.

Es ruiniert das Vertrauen in die Demokratie, wenn Parlamente und Regierungen als Ausfallbürgen für Investmentbanker auftreten, die mit dem Prinzip Verantwortung nichts mehr am Hut haben.

Es gibt auf Dauer keine wirtschaftliche Prosperität und demokratische Stabilität ohne starke inklusive Institutionen. Dazu gehört insbesondere ein öffentliches Bildungssystem, das Chancengleichheit gewährleisten muss.

Auch die Demokratie braucht Eliten, sagt Horst Köhler, aber diese Eliten dürfen sich nicht nur aus sich selbst rekrutieren. Die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg gehört zu den Grundversprechen der sozialen Demokratie. Abnehmende Aufwärtsmobilität ist gerade für Einwanderergesellschaften ein Alarmzeichen. Aufwärtsmobilität heißt, dass harte Arbeit und Bildungshunger den Fahrstuhl nach oben öffnen. Genau das ist in den Vereinigten Staaten wie bei uns seit geraumer Zeit der Fall. Wir sind heute wieder in stärkerem Maß eine Klassengesellschaft als in den siebziger und achtziger Jahren.

Wenn das Versprechen nicht mehr eingelöst wird, dass jeder durch Bildung und berufliche Leistung vorankommen kann, verliert die Gesellschaft zahlreiche Talente, die ihr Potential nicht entfalten können. Zugleich wird damit das Leistungsprinzip entkernt, das entgegen aller Vorurteile ein egalitäres Prinzip ist: die attraktiven und lukrativen Positionen sollen allen offen stehen, unabhängig von sozialer Herkunft, Hautfarbe und Geschlecht.

Die ökologische Frage

Eine weitere Konstante in den öffentlichen Interventionen unseres Preisträgers ist die ökologische Frage.

Man kann die Krise der globalen Ökosysteme – Klimawandel, Verlust fruchtbarer Böden im großen Stil, Wasserkrise, Artensterben – als eine Kombination von Markt- und Staatsversagen lesen.

Marktversagen, weil die allermeisten Unternehmen über die letzten 150 Jahre hinweg ihre Geschäfte ohne Rücksicht auf die natürlichen Lebensgrundlagen, ja geradezu durch Raubbau an ihnen betrieben haben. Natur galt bislang als bloße Rohstoffquelle und Abfalldeponie, ein öffentliches Gut, an dem sich alle bedienten, ohne für seine Erhaltung verantwortlich zu sein.

Ein wesentlicher Grund für diese ökologische Blindheit der bisherigen Marktwirtschaft ist die Externalisierung von Umweltkosten. Wenn sie nicht oder nur marginal in die Preisbildung eingehen, spielen sie auch in der Kalkulation der Unternehmen keine Rolle.

Genau hier setzt das Konzept der ökologischen Steuerreform an, das in Horst Köhler einen prominenten Fürsprecher fand: die Preise sollen die ökologische Wahrheit sagen. Nur dann wird es auch betriebswirtschaftlich rentabel, in Ressourceneffizienz, Abfallvermeidung und Emissionsminderung zu investieren. Und genau diesen Sprung müssen wir schaffen: wir müssen das Eigeninteresse von Produzenten und Verbrauchern an nachhaltigen Lösungen wecken. Das funktioniert nicht nur über Appelle und auch nicht in erster Linie über Vorschriften.
Wenn Preise einigermaßen realistisch die Umweltkosten abbilden, werden Unternehmen wie Konsumenten verstärkt auf Umweltverträglichkeit, Langlebigkeit, Energieeffizienz und Wiederverwertbarkeit achten.

Spätestens hier kommt die Verantwortung der Politik ins Spiel, die den Märkten ökologische Leitplanken verpassen muss, sei es in Form von Steuern und Abgaben oder von ordnungsrechtlichen Vorgaben. Wer das als wirtschaftsfeindlich denunziert, hat von Volkswirtschaft wenig begriffen.

Ökologie ist nichts anderes als Langzeitökonomie. Je rascher und entschiedener wir in die Vermeidung von Umweltkrisen investieren, desto geringer sind die Kosten und desto höher die Innovationsgewinne. Dass die Bundesrepublik heute mit Abstand Weltmarktführer bei umweltfreundlichen Produkten und Technologien ist, verdanken wir nicht zuletzt den relativ hohen Umweltstandards, die seit den 80er Jahren aufgrund des Drucks der Öko-Bewegung etabliert wurden.

Bei der Verleihung des Deutschen Umweltpreises 2009 forderte der damalige Bundespräsident Köhler nichts weniger als eine „ökologische industrielle Revolution“. Das ist ein großes Wort, aber kleiner geht es nicht, wenn wir verhindern wollen, dass eine wachsende Weltwirtschaft in den ökologischen Kollaps führt. Es hilft nichts, die Wachstumsdebatte als deutsche Nabelschau zu führen. Die großen Wachstumsschübe der kommenden Jahrzehnte finden in Asien, Lateinamerika und Afrika statt. Dort sind Milliarden Menschen im Aufbruch in die industrielle Moderne. In einer globalen Perspektive lautet die große Herausforderung deshalb, wirtschaftliche Wertschöpfung (Wohlstandsproduktion) und Naturverbrauch zu entkoppeln. Das erfordert drei fundamentale Veränderungen unserer Produktionsweise:

  • Den Übergang in eine postfossile Gesellschaft, weg von Kohle und Öl, hin zu erneuerbaren Energien und nachwachsenden Rohstoffen
  • Eine groß angelegte Effizienzrevolution, die den Material – und Energieeinsatz drastisch reduziert: aus weniger mehr machen
  • Und nicht zuletzt den Sprung in eine ökologische Kreislaufwirtschaft, in der jeder Reststoff zum Ausgangspunkt für einen neuen Wertschöpfungszyklus wird: Synergie statt Entropie.

Die Umstellung unseres Steuersystems von der Abschöpfung der Arbeitseinkommen auf die Besteuerung des Umweltverbrauchs ist dafür ein zentraler Hebel. Kostenwahrheit ist der Schlüssel für die grüne industrielle Revolution. Ein erster Schritt ist der Abbau ökologisch kontraproduktiver Subventionen wie der Kohleförderung oder der Steuerbefreiung von Flugbenzin.

In den letzten Jahren hat es einige erfreuliche Fortschritte auf diesem Weg gegeben – ich erinnere an die Brennelementesteuer für Atomkraftwerke oder den Ausbau der LKW-Maut. Auch das Cap & Trade-Regime für CO2-Emissionen ist im Prinzip eine gute Idee, die allerdings miserabel ins Werk gesetzt wurde: die Schwemme unentgeltlicher Emissionszertifikate drückt den CO2-Preis weit unter die Schwelle einer effektiven Lenkungswirkung. Hier muss dringend nachjustiert werden.

Lieber Herr Köhler, ich bin sicher, dass wir auch weiterhin mit Ihnen rechnen können, wenn es darum geht, die Marktwirtschaft auf ein soziales und ökologisches Fundament zu stellen. Herzlichen Glückwunsch also zu diesem Preis!