Unsere Besten - Frauen im VEB Werk für Fernsehelektronik

Fotoausstellung "Unsere Besten"
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Die Ausstellung von Susanne Schleyer und Michael J. Stephan läuft noch bis 21. September 2014. Foto: Susanne Schleyer / Pressefotos / Industriesalon

Susanne Schleyer und Michael J. Stephan zeigen im Industriesalon Schöneweide in Berlin eine Fotografie-Ton-Installation über ausgezeichnete Frauen im VEB Werk für Fernsehelektronik und was aus ihnen wurde.
 

Es gibt ein Gemälde von Wolfgang Mattheuer, das mich, wenn ich es sehe, anrührt und Gefühle freisetzt, die ich längst unter viel Geröll verschüttet glaubte. Es ist Die Ausgezeichnete  von 1973-74, ein realistisches, fast schlichtes Gemälde, das eine Frau an einem nachlässig weißgedeckten Tisch zeigt, auf dem fünf kümmerliche Tulpen liegen, die übliche Gabe zu Urkunde und Abzeichen. Die Frau hat sich fein gemacht, die Haare gekämmt, eine Kette um den Hals gelegt, die beste Jacke angezogen. Aber sie ist müde, unendlich müde, ihre Haut, ihre Augen, ihre Hände, ihre Schultern. In ihrer Gestalt wird die ganze Erschöpfung der Frauen erzählt, die nach acht Stunden Arbeit noch einmal soviel Zeit für Besorgungen, Kinder und Haushalt aufwenden müssen und denen selten mehr als sechs Stunden Schlaf bleiben. Das Bild ist Erinnerungsraum und zeitlos zugleich.

Im VEB Werk für Fernsehelektronik in Berlin-Oberschöneweide, Alleinhersteller für Bildröhren in der DDR, hatten die Ausgezeichneten frische Dauerwellen und waren ausgeschlafen und geschminkt, wenn die Fotografen der Betriebszeitung Sender kamen. So suggerieren es jedenfalls die Fotos aus dem Archiv des Werkes, die noch bis Ende September 2014 im Industriesalon Schöneweide als Teil der Fotografie-Ton-Installation Unsere Besten von Susanne Schleyer und Michael J. Stephan zu sehen sind. Die Idee der beiden Künstler ist so einfach wie überzeugend: Sie haben auf Einladung des Industriesalons und gefördert von der Stiftung Aufarbeitung das Archiv des WF, wie das Werk abgekürzt hieß, gesichtet und die Fotos der Ausgezeichneten aus der Betriebszeitung als Ausgangspunkt für eine künstlerische Collage genommen.

In einem Jahr Recherchearbeit haben Schleyer und Stephan etliche Frauen ausfindig gemacht, die Bestarbeiterinnen waren und in der Betriebszeitung erwähnt wurden. 28 von ihnen waren einverstanden, sich von Susanne Schleyer fotografieren und filmen zu lassen, 27 gaben dem Künstlerpaar ein Interview über ihre Arbeit. Daraus hat Michael J. Stephan eine Stimmcollage gemacht, die in der Ausstellung in Vierkanalinstallation zu hören ist. Die Frauenstimmen scheinen über den 28 eng aneinander gehängten großformatigen Porträts der Frauen in ihrer heutigen Gestalt und Porträts und Produktionsfotos aus dem Archiv der Betriebszeitung zu schweben. Viertes Element ist eine jeweils eine Minute lange Videosequenz der Gesichter der Frauen. Den Alltag in der DDR zu dokumentieren, ist dabei nicht Thema der Ausstellung, sondern sie ist in ihrer collagehaften Ästhetik eine künstlerische Befragung von subjektiven Erinnerungen an das Industriezeitalter, das in seiner sozialistischen Variante die Frauen als Arbeitskräfte benötigte und ihnen deswegen die Bedingungen schaffte, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, auch wenn da immer ein Rest aus Müdigkeit und Sehnsucht nach einem anderen, komfortableren Leben blieb. Wie auch heute bei der Betrachtung der damaligen Zeit immer ein Rest bleibt.

Die Trennung von Stimme und Gestalt schafft ein Kollektiv von Individualistinnen, die ihre Vergangenheit weder beschönigen noch denunzieren. Sie erzählen ihr Leben, zu dem eine Erwerbsarbeit selbstverständlich gehörte. In manchen Antworten sind die unhörbaren Fragen der Künstler impliziert, nach den Arbeitsbedingungen, der Rolle der Partei im Werk, dem Umgang mit Ausreisewilligen, dem Verhältnis der Geschlechter in der Brigade:

Die hatten ihre Mühe mit den Arbeitern, ihre Arbeiterpartei vollzukriegen. Von uns Arbeitern war keiner in der Partei. // Ich war nachher Vertrauensmann. Meine Abteilung war ’ne Insel. // Wir haben uns wohlgefühlt. // Wir hatten viele ausreisewillige Leute. // Egal, wie viel Geld man hatte, es hat gereicht. // Ich gehöre zu einer Generation derer, die jetzt um die 60 sind, die ihre Qualifikationen durchgezogen haben. // Es ist vieles unter der Decke geblieben. // Da kam einmal im Jahr ein Mantelgeschwader vorbei. // Da wurde kein Unterschied gemacht, ob da Mann war oder Frau. // Wir als Kollegen, das war schön, aber die Arbeit selber? // Da war viel Abwechslung. Dann hat man einen Tag mal das gebaut und einen Tag mal das. // Ich hab immer gerne gearbeitet.

Die Frauen lesen, manchmal stockend, oft reserviert, manchmal mit leisem Widerwillen oder offenem Widerspruch die Texte zu ihren Fotos aus dem Sender vor. Was sich die Meister oder Sekretäre als Begründung für die Auszeichnung so aus den Fingern gesogen hatten:

Sie hat ihre Arbeit termingerecht fertigestellt. // Sie ist aufgeschlossen, freundlich und hat guten Kontakt. // Besonders im ersten Quartal zeigte sie hohe Bereitschaft zum Lösen von Sonderaufgaben. // Durch ein hohes Maß an Fleiß wurden diese zusätzlichen Aufgaben gelöst und gelangten korrekt und zuverlässig zur Ausführung.

"Wie würde das aussehen, in einem Land, in dem das Kapital regiert? Sicherlich müsste man um einen Arbeitsplatz fürchten", liest eine ungerührt ihr mehr als 30 Jahre altes Statement vor.

Über ihre Auszeichnungen, meist "Aktivist der sozialistischen Arbeit", machen sie sich im Nachhinein keine Illusionen:

Es musste ja immer irgendeiner sein, und nu war der lange nicht dranne, dann musste der mal dran sein. // Da hats immer mal diesen oder jenen jetroffen. // Monatsbester ging immer mal so ringsum. // Ick gloob, man kriegte 50 Mark. // Von dem Geld haben wir dann 20 halbe Broiler jeholt.

Die inflationäre Verteilung der Titel stand im Widerspruch zur Innovation. Die DDR ist auch daran zugrunde gegangen.

"Es hat uns überrascht, wie froh alle Frauen waren, dass sie gearbeitet haben", schreiben die Künstler im Begleitheft der Ausstellung. Manche der Frauen, die jüngste Befragte ist 49, die älteste 90, arbeiteten über ein Vierteljahrhundert im WF und fünf Jahre bei Samsung. Sie stehen stellvertretend für die 9000 Menschen, die in den Hochzeiten der Industrie im Werk beschäftigt waren. 1993 übernahm der japanische Konzern nur noch 800 Leute, 2005 wurde das Werk geschlossen, die Immobilie verkauft. Die Zeit der Röhren und Halbleiter war längst vorbei. Und auch die Berufe starben aus. Interessant auch, bei welchen Berufen das Femininum verwendet wurde und bei welchen nicht: Sie waren Montierer, Einrichter, Glüherin, Anlagenfahrerin, Fachtechnologe, Prüffeldbearbeiterin, Keramikspritzer, Temperin, LCD-Bearbeiter, sie waren Mitglied des sozialistischen Kollektivs Lebensfreude oder der Brigade Chemigrafie. "Traumberuf, so was gabs in der DDR nicht", sagt eine im Interview und man weiß nicht, welche der fotografierten Frauen es ist.

Die Zeit zwischen der Entlassung in den neunziger Jahren und heute wird in der Toncollage kaum thematisiert. Die Lücke birgt Raum für Erzählungen im Kopf der Betrachter. Was haben Margot P., Ingeborg K. oder Jane H. in den Jahren nach der Entlassung gemacht? Auf den Porträts scheint keine der Frauen gescheitert oder vom Leben untergebuttert, die meisten schauen selbstbewusst in die Kamera, einige wirken jünger als vor 30 Jahren, was vielleicht auch daran liegt, dass Dauerwellen aus der Mode sind. Susanne Schleyer hat ihre Porträts genau komponiert, anders als die Fotos aus der Werkszeitung, die nur einen Zweck zu erfüllen hatten, den der Propaganda und somit zielgerichtet Abbilder schufen, die mit der Realität wenig gemein hatten. Die Schriftstellerin Helga M. Nowak war nach einer Republikflucht und Rückkehr in den sechziger Jahren zur Bewährung in das Werk für Fernsehelektronik geschickt worden. Im Akkord setzte sie am Band Röhren zusammen. Im letzten Buch vor ihrem Tod 2013, dem autobiographischen Roman Im Schwanenhals hat sie diese Arbeit beschrieben: „Die Frauen im Saal schlugen derbe Töne an, frech, respektlos, brüllend vor Lachen. Während die vier oder fünf Einrichter, die zwischen uns herumsprangen, getriezt und verspottet wurden, entwickelten die Frauen füreinander manchmal viel Verständnis und Solidarität. Sie fuhren sich gegenseitig in die Haare, um plötzlich zusammen Schlager oder Volkslieder anzustimmen.“ Fein ging es da nicht zu. Vor allem nicht auf der Toilette: "Das Aufregendste war jedoch, dass einem Einrichter das beste Stück abgebissen wurde. Er hat es nicht überlebt." In der Welt der Betriebszeitung Sender kam soetwas nicht vor.

Anders als in vielen Ausstellungen oder Dokumentationen, die sich mit der DDR-Geschichte auseinandersetzen, wird in Unsere Besten jedes Klischee schon mit dem nächsten Satz, der folgenden Videosequenz zerstört. Das Narrativ ist offen.

Dass die Ausstellung in den ehemaligen Betriebsräumen des heutigen Industriesalons gezeigt wird, hat etwas Ambivalentes. Einerseits fügt es ein weiteres Element zur Collage hinzu, den authentischen Raum, andererseits käme in einer Galerie mit einer angemesseneren Beleuchtung und mehr Platz das Zusammenspiel der künstlerischen Elemente besser zur Geltung.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 21.9.2014 im Industriesalon Schöneweide e.V., Reinbekstr. 9, 12459 Berlin. Öffnungszeiten: Mi, Fr, So, 14-18 Uhr. www.industriesalon.de.