Die Modi-Regierung: Kann sie die Erwartungen erfüllen?

Junge Inderinnen bei einer Wahlveranstaltung in Mumbai
Teaser Bild Untertitel
Junge Inderinnen bei einer Wahlveranstaltung in Mumbai

Mai und Juni sind im Allgemeinen die heißesten Monate in Nordindien, insbesondere in Delhi, wo ein tropischer Wind, im Volksmund "loo" genannt, heftige Böen durch die Stadt treibt. In diesem Jahr ist auch die politische Temperatur auf neue Rekordwerte gestiegen, nachdem der "politische loo" mit dem stürmischen Wahlsieg der Bharatiya Janata Party (BJP) unter Führung von Narendra Modi die politische Landschaft kräftig durcheinandergewirbelt hat. Ich persönlich war äußerst gespannt, welches Kabinett Modi vorstellen würde und natürlich mit welchem Programm er die dringlichsten Probleme Indien angehen wird: die Stabilisierung der schwankenden indischen Wirtschaft, die Bedrohungen der inneren und äußeren Sicherheit, die außenpolitische Positionierung und die Entwicklung der abgelegenen Regionen des Landes. Diese und die vielen anderen Probleme, die Indien meistern muss, kann Modi nur mit einem Kabinett lösen, das kompetent und effizient ist, das seine Rechenschaftspflicht gegenüber den Menschen ernst nimmt und das teamfähig ist –  eine wichtige Eigenschaft in unserer Form der parlamentarischen Demokratie.

In einem Land, das so von Unterschieden geprägt ist, in dem so viele konkurrierende Ansprüche aus Kastenzugehörigkeit, Religion, Stadt und Land, reich und arm, alt und jung ausbalanciert werden müssen, ist die Kabinettbildung ein Drahtseilakt. Der Premierminister muss auch die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen der Bundesstaaten und der Regionen bedienen und sicherstellen, dass alle Gruppen der indischen Gesellschaft angemessen vertreten sind.

Würde dem neuen Premierminister die Quadratur des Kreises gelingen?

Traditionell sind das Innen-, Finanz-, Außen- und das Verteidigungsministerium am mächtigsten und daher am begehrtesten. Ebenso wichtig sind meines Erachtens aber auch die Bereiche Entwicklung der Arbeitskräfte (Human Resource Development – HRD), ländliche Entwicklung, Frauen und Umwelt. Würde dem neuen Premierminister die Quadratur des Kreises gelingen und er ein Team auswählen, das unverbraucht und gleichzeitig erfahren ist, reif und dynamisch, effizient und integer? Würde er das in Indien weit verbreitete politische Diktum "old is gold" überwinden angesichts der 100 Millionen Erstwähler, die ihr Kreuz bei Hoffnung und Entwicklung gemacht haben? Würde er sein Versprechen der "minimalen Regierung, maximalen Regierungsführung“ halten? Würde er sich Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS) beugen, von dem viele denken, dass er ein Marionettenspieler ist, der die BJP lenkt?

Erste Antworten zu einigen dieser Fragen gab es am 26. Mai bei der Vereidigung des Kabinetts im imposanten Präsidentenpalast. Die Ministerriege zeigte die Handschrift des neuen Regierungschefs. Die alte Garde um L.K. Advani und M.M. Joshi, beide über 80 und beide parteiinterne Gegner von Modi, sind praktisch kaltgestellt. Rajnath Singh, Vorsitzender der BJP und ehemaliger Ministerpräsident des größten indischen Bundesstaates Uttar Pradesh sowie wichtiger Strippenzieher bei Modis Aufstieg zum Premierminister-Kandidaten, wurde Innenminister, also die Nummer 2 in der politischen Rangordnung. Das Finanzministerium, Dreh- und Angelpunkt von Modis Wachstums- und Entwicklungsagenda, ging an Arun Jaitley, einen renommierten Anwalt und ehemaligen Justizminister sowie bekennenden Modi-Fan. Jaitley erhielt auch das Verteidigungsministerium, wahrscheinlich als eine Art Übergangslösung, obwohl er als Herausforderer bei den Wahlen gegen den INC-Kandidaten verloren hatte. Die indische Wirtschaft kann sich unter der Führung von Modi und Arun Jaitely durchaus erholen. Das Außenministerium ging an Sushma Swaraj, früher Ministerin in Delhi und von 2009 bis 2014 Oppositionsführerin im Lok Sabha, dem Unterhaus des Parlaments. Sie ist seit langem das weibliche Gesicht der BJP, auch wenn sie dem Anti-Modi-Lager zugerechnet wird.

Kritik für die Jüngste im Kabinett

Die Ernennung von Smriti Irani zur Ministerin für die Entwicklung menschlicher Ressourcen wurde heftig kritisiert, weil sie keinen Hochschulabschluss hat und erst 38 Jahre alt ist – die Jüngste im Kabinett. Ist diese Kritik berechtigt? Muss man als Ministerin für die Entwicklung von Humankapital eine entsprechende Ausbildung mitbringen? Das würde heißen, dass der Minister für zivile Luftfahrt Pilot und der Verteidigungsminister ein Militär sein muss. Irani entgegnete ihren Kritikern, man möge sie an ihrer Leistung beurteilen, nicht an ihrer Qualifikation.

Um Engpässe zu beseitigen und Synergien zwischen verwandten Ministerien zu nutzen, hat Narendra Modi mehrere Bereiche zusammengelegt. So sind die ehemals getrennten Bereiche Elektrizität, Kohle und erneuerbare Energien jetzt ein einem Ministerium vereint. Dasselbe gilt für Verkehr, Schifffahrt und Straßenbau. Hoffentlich sorgen diese Umstrukturierungen für schnellere und besser koordinierte Entscheidungen. Modi hat darüber hinaus die Funktionsweise des Kabinetts geändert, indem er die sogenannte "Empowered Group of Ministers und Group of Ministers" abgeschafft hat. Diese Ministerialgruppen sollten theoretisch interministerielle Zwiste beilegen, in der Praxis jedoch führten sie nur zu Verzögerungen und politischer Lähmung. Es bleibt zu hoffen, dass die Streitigkeiten zwischen den Ministerien jetzt direkt entschieden und vom PM selbst beigelegt werden.

Positives Signal an Pakistan

Der neue Premierminister, dem man mangelnde außenpolitische Erfahrung nachsagt, hat ein positives Signal gesendet und die Regierungschefs der South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC) zu seiner Vereidigung eingeladen. Die Eine-Millionen-Dollar Frage dabei lautete "Kommt der pakistanische Premierminister?" Indien und Pakistan sind bekanntermaßen nicht beste Freunde und die Falken auf beiden Seiten tun alles, damit das auch so bleibt. Nach einigem Hin und Her hat der pakistanische Premierminister Nawaz Sharif tatsächlich an der Zeremonie teilgenommen, was für das künftige Verhältnis der beiden Länder hoffen lässt. Vielleicht kann die wirtschaftliche Perspektive von Sharif und Modi das Schicksal und die Zukunft von Indien und Pakistan ändern. Meine Generation, die wir das Trauma der Teilung nicht unmittelbar erlebt haben, würde eine gute nachbarschaftliche Zusammenarbeit der Konfrontation vorziehen. Das wird Modis wichtigste außenpolitische Herausforderung sein.

Als ich die pompöse Zeremonie im Fernsehen verfolgte, war ich doch überrascht, wie reibungslos der Regierungswechsel vonstatten ging. Gift und Galle des Wahlkampfes war dem Willen des Volkes gewichen. Die Sieger und die Verlierer, die sich nur Tage zuvor noch schärfstens attackiert hatten, schüttelten Hände und tauschten Nettigkeiten aus. Dafür müssen wir den Bauherren unserer Verfassung danken und den Generationen von Politikern, die das demokratische Fundament unserer Gesellschaft gelegt haben. Jetzt ist es an der neuen Regierung, auf diesem Fundament ein stabiles Gebäude zu errichten.

Lesen Sie hier den ersten Beitrag von Avani Tewari: Gedanken einer Erstwählerin vom 4. Juni 2014.