Eröffnungsrede: (K)ein Frühling für Frauen?

Teaser Bild Untertitel
Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Politische Umbrüche und sexualisierte Gewalt: Beispiele aus den arabischen Transformationsländern

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Gäste,

ich möchte Sie herzlich – im Namen der Heinrich-Böll-Stiftung und unserer Kooperationspartnerin Amica e.V. – zu unserer Konferenz „(K)ein Frühling für Frauen?“ willkommen heißen. Es ist wunderbar und für die Stiftung wie für die Bundesrepublik wahrscheinlich einmalig, dass fast 40 Frauen aus Ägypten, Libyen, und Syrien, Palästina, den USA, England, dem Balkan und dem Nordkaukasus zum Austausch zusammenkommen und unsere Gäste und Partnerinnen für die nächsten zwei Tage sind. Ein ganz herzliches Willkommen und ein großes Dankeschön, das Sie hier in Berlin sind – trotz der zumeist schwierigen politischen Verhältnisse in ihren Ländern. Amica e. V. und die Heinrich-Böll-Stiftung hoffen, Ihnen eine gute Gastgeberinnen zu sein.

In den Transformationsländern der MENA-Region stehend viele drängende politische, ökonomische und strukturelle Reformen an. Die Kräfteverhältnisse und die Aushandlungsprozesse zwischen säkularen und islamistischen Kräften werden für die Gesellschaftspolitik und vor allem für die Geschlechterverhältnisse, für die Rechte von Frauen von entscheidender Bedeutung sein. Wir wollen mit Ihnen Ihre Erfahrungen im politischen Auf- und Umbruch teilen, an Ihren Analysen und Einschätzungen teilhaben. Und ich hoffe wir können uns gemeinsam zu Strategien für einen demokratischen Wandel für mehr politische Teilhabe für Frauen und Geschlechtergerechtigkeit austauschen.

Wir werden uns bei dieser Konferenz vor allem mit dem Thema sexualisierter Gewalt auseinandersetzen. Sie ist nicht auf die Region, mit der wir uns besonders befassen beschränkt, sie ist ein weltweites und dauerhaftes Problem – auch und gerade in Konfliktsituationen. Auch wenn es heute mehr Aufmerksamkeit gegenüber geschlechtsspezifischer Gewalt, besonders sexualisierter Gewalt gibt, wird sie immer noch viel zu häufig tabuisiert oder als „Nebenprodukt“ von Konflikten eingestuft.

Die Bandbreite der Gewalt ist groß und reicht von Nötigung, massiver Einschüchterung und Jungfrauentest bis hin zu Massenvergewaltigungen und sexueller Versklavung. Besonders der weibliche Körper gilt als symbolische Angriffsfläche in nationalistisch, ethnisch und religiös aufgeladenen Konflikten. Vergewaltigungen werden als kollektive Demütigungs- und Vertreibungsstrategie angeordnet, die familiären und kulturellen Grundlagen der Gemeinschaften zerstört. Weibliche Körper werden so als Waffe politisiert. Sexualisierte Gewalt richtet sich aber auch gegen Jungen und Männer.

Sexualisierte Gewalt als Waffe erleben wir gerade massiv im Bürgerkrieg Syriens, im politischen Umbruch in Ägypten und in Libyen. Von ca. 4.000 Fällen von Vergewaltigungen und Schändungen in Syrien spricht das Syrian Network for Human Rights. Vermutet wird eine hohe Dunkelziffer. Darüber hinaus gibt es Informationen, dass Regierungskräfte und Milizen Frauen und Mädchen während Hausdurchsuchungen oder in Gefangenenlager sexuell missbrauchen. Auch die unabhängige Syrien-Untersuchungskommission der UN hält in ihrem Bericht vom August 2013 fest, dass sexuelle Gewalt im Syrienkonflikt eine prominente Rolle spielt.

Aus Libyen hören wir immer wieder, dass Frauen Opfer von Vergewaltigung und sexueller Gewalt sind. Aus Furcht vor Vergewaltigung durch Gaddafis Schergen entschieden sich Frauen für die Flucht. Hinzu kommt die Stigmatisierung der Vergewaltigungsopfer. Sexualisierte Gewalt ist in Libyen ein Tabu. Unterstützung wird den Betroffenen kaum zuteil. Ende November 2011 kamen Frauen in Tripolis zu einer stummen Kundgebung zusammen. Sie forderten Unterstützung für die Opfer und Strafverfolgung der Täter. Getan hat sich seither nichts. Ein Gesetz, das den Betroffenen finanzielle Unterstützung zuspricht, wird seit Monaten vom Parlament auf die lange Bank geschoben.

In Ägypten ist sexuelle Gewalt gegen Frauen ein permanentes Problem. Frauen sind leider auch während Demonstrationen nicht vor sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen gefeit. Human Rights Watch berichtet, dass im Zuge der Demonstrationen gegen Mursi Ende Juni 2013 in vier Tagen über 90 Frauen auf dem Tahrir-Platz vergewaltigt oder sexuell belästigt wurden.

Wir wollen nicht nur das Thema geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt in politischen Umbrüchen analysieren. Uns geht es darum nach Antworten zu suchen, wie sie verhindert und strafrechtlich verfolgt werden kann. Was gibt es für politische Ansätze, sexualisierte Gewalt zu verhindern, sie zu ahnden und Täter zur Rechenschaft zu ziehen? Gibt es so etwas wie Wahrheit und Recht für von Gewalt – sexualisierter Gewalt – Betroffene? Gibt es so etwas wie Transitional Justice aus Geschlechterperspektive?

Lange Zeit ist auf internationaler Ebene eine konsequente Geschlechterperspektive in der Friedens- und Sicherheitspolitik und in der Aufarbeitungs- und Versöhnungsphase ignoriert worden. Der unermüdlichen Lobbyarbeit engagierter Frauen ist es zu verdanken, dass wir zumindest auf UN-Ebene neue auch völkerrechtsverbindliche Grundlagen haben, die die geschlechterdifferenzierte Sichtweise auf Konflikte und Post-Konfliktsituationen schärft. Dazu gehört die UN Resolution 1325, die völkerrechtlich verpflichtend regelt, dass Frauen auf allen Ebenen – in Friedensprozessen, in der Sicherheitspolitik sowie bei der Konfliktbearbeitung vor Ort – angemessen zu beteiligen sind. Sie stellt klar, dass die Verantwortung für den Frieden bei Männern und Frauen gleichermaßen liegt!

Ein sehr großer Schritt wurde 2008 mit der Resolution 1820 des UN-Sicherheitsrates getan. Sie erklärt, dass Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt „ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder eine die Tatbestandsmerkmale des Völkermords erfüllende Handlung darstellen können.“ Mit dieser Resolution stellte der UN-Sicherheitsrat ausdrücklich fest, dass sexuelle Gewalt gegen Zivilpersonen der „Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ diametral entgegenstehen kann. 2009 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat zwei weitere Resolutionen: die UN-Resolutionen 1888 und 1889. Hier wird untermauert, dass sexualisierte Gewalttaten in Konflikten als Menschenrechts- und Kriegsverbrechen und als Gefahr für den internationalen Frieden und die Sicherheit anerkannt, die rechtlich verfolgt und sanktioniert werden müssen. Der Haken: Bisher wurden diese Resolutionen jedoch nicht oder kaum umgesetzt.

Im Juni 2013 haben die 15 Mitglieder des UN-Sicherheitsrat einstimmig für die neue UN-Resolution 2106 gestimmt und damit ein klares Signal an alle nationalen Regierungen gesetzt, dass der Kampf gegen sexualisierte Gewalt in Konflikten oberste Priorität haben muss. Denn noch immer bleiben geschlechterbasierte Gewalttaten ungestraft.

Das sind in den letzten 13 Jahren – seit der Verabschiedung der UN-Resolution 1325 in 2000 – auf internationaler Ebene bemerkenswerte Fortschritte. Sind diese völkerrechtsverbindlichen Vorgaben überhaupt ein Referenzrahmen, der in der Region ankommt und ein Ansatzpunkt für zivilgesellschaftlich Akteurinnen und Akteure, auf deren Durchsetzung zu pochen? Symptomatisch ist leider, dass sich die UN-Resolutionen kaum in politisches Handeln umsetzen und die unterschiedlichen Konflikt- und Gewalterfahrungen von Männern und Frauen kaum in Konfliktlösungs- und Friedenskonsolidierungsprozess einbezogen werden.

Wir werden hierzu gleich mit einem Einführungsvortrag tiefer einsteigen und der Frage nachgehen, wie sexualisierte Gewalt als Straftatbestand durchgesetzt werden kann. Damit werden wir morgen früh gut gewappnet in die Diskussionen der Länderschwerpunkte zu Ägypten, Syrien und Libyen gehen.

Das Besondere an dieser Konferenz und an der Kooperation mit Amica e. V ist, dass wir nicht nur über die arabischen Länder sprechen wollen, sondern auch gezielt von den Kenntnissen und Erfahrungen profitieren werden, die auf dem Balkan und im Nordkaukasus mit dem Thema sexualisierte Gewalt und Konflikt gesammelt werden konnten: das gegenseitige voneinander Lernen steht im Vordergrund.

Zum Schluss ein paar wenige Sätze zum Engagement der Heinrich-Böll-Stiftung in der MENA-Region. Wir arbeiten in Ramallah und Tel Aviv, Beirut und Tunis – und bald auch in Rabat/Marokko. Und aus Beirut arbeiten wird auch zu Syrien; aus Ramallah bzw. Tunis unterstützen wir Partnerinnen und Partner in Jordanien und Ägypten. Die Kooperation mit und Förderung von Frauenorganisationen in der Region ist für die Heinrich-Böll-Stiftung ein Kernbereich und Markenzeichen.

Zudem ist Gender und Sicherheit seit Langem ein Schwerpunkt, auch und vor allem des Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie hier in Berlin. Wir mischen uns kräftig ein, um in der Öffentlichkeit für die UN-Resolutionen zu werben und deren Umsetzung zu erwirken: Durch Publikationen wie „Hoffnungsträger 1325: Resolution für eine geschlechtergerechte Friedens- und Sicherheitspolitik in Europa“ oder „Frieden, Sicherheit und Geschlechterverhältnisse“ oder mit diversen internationalen Konferenzen zu friedenspolitischen Strategien von Frauen und Männern.

Es ist zwar selbstverständlich, aber ich sage es dennoch: Frauen sind natürlich nicht nur Opfer, sind überall aktive Gestalterinnen politischen Wandels. In den Transformationsprozessen in den arabischen Ländern waren und sind Frauen Akteurinnen in Revolutionen und den politischen Konflikten. Die Art und Weise, wie Frauen am demokratischen Wandel und am Wiederaufbau beteiligt sind, ist für einen stabilen und dauerhaften Frieden und für die Zukunft der Demokratien entscheidend.

Ich möchte mich an dieser Stelle nochmals ganz herzlich bei unseren internationalen Gästen bedanken, die den weiten Weg auf sich genommen haben, um Ihre Expertise, Erfahrungen, Perspektiven mit uns zu teilen. Bedanken möchte ich mich auch herzlich bei Amica e. V. – unserer Kooperationspartnerin für die gute Zusammenarbeit. Hier gilt mein besonderer Dank Heide Serra und Christina Hering, die die Konferenz mit vorbereitet haben.

Danken möchte ich dem Nahost-Team der Heinrich-Böll-Stiftung, insbesondere Antonie Nord und Sakina Abushi, die maßgeblich zum Gelingen der Konferenz beitragen, sowie Sylke Berlin, die als Konferenzassistentin mitwirkt.

Und natürlich gilt mein Dank auch dem Tagungsbüro, die guten Seelen einer jeden Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung, die wie immer für einen guten und reibungslosen Ablauf und damit für das Gelingen der Konferenz Sorge tragen.

Vielen Dank.