Männliche Monokultur

Das Thema Frauen in der Unternehmensführung ist in der öffentlichen Diskussion in Deutschland angekommen. Auch auf EU-Ebene hat die Frage von politischer Gestaltung und verbindlicher Steuerung an Kraft gewonnen. Nicht zuletzt das Erleben der Finanz- und Wirtschaftskrise und der Grenzen marktradikaler Wirtschaftsweise hat Hoffnungen auf Veränderungen ausgelöst. Die Erkenntnis einer europäischen „Vielfachkrise“ schärft auch den Blick auf Strukturen und verantwortliche Akteure in den Top-Etagen: Wenn es um Führungsgremien geht, herrscht überwiegend und mit hartnäckiger Tradition eine Monokultur - männlich, weiß, verheiratet. Diese zeigt sich mehr oder weniger stark ausgeprägt in allen EU-Ländern. Nur wenige Frauen finden ihren Weg an die Spitze großer Unternehmen und wenn doch, sind die oftmals Töchter oder Witwen von Unternehmensführern, wie z.B. Margarita Louis-Dreyfus in Frankreich oder Maria-Elisabeth Schaeffler an der Spitze des gleichnamigen deutschen Maschinenbauunternehmens.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede - Status quo in der EU

Im Vergleich der EU27-Länder lagen 2012 bei dem Anteil weiblicher Vorsitzender im Vorstand bzw. Aufsichtsrat interessanterweise drei postsozialistische Länder aus der europäischen Beitrittswelle von 2004 vorn: Tschechien (17 %), Lettland (13 %) und Slowenien (11 %). Mindestens ebenso interessant ist, dass knapp die Hälfte der EU-Länder (13 von 28) über keine weiblichen Vorsitzenden verfügt, erstaunlicherweise auch ein gleichstellungsorientiertes Land wie Schweden.

Schauen wir auf die Besetzung der Vorsitzenden in Führungsgremien, haben dann doch die Länder des Nordens die Nase vorn: Finnland und Schweden (29 %) sowie Lettland (28 %). Tendenziell bilden die Länder des Südens Malta (4 %), Portugal/Ungarn (7 %) und Griechenland/Zypern (8 %) die Schlusslichter. Ungarn erstaunt insofern, da das Land, neben Frankreich (40 %) und Litauen (39 %) über den höchsten Anteil von Frauen im Management von Wirtschaftsunternehmen allgemein verfügt (41 %), allerdings verbergen sich dahinter auch die klein- und mittelständigen Firmen, die vergleichsweise häufiger von Frauen geführt werden.

Am Beispiel Frankreich lässt sich gut zeigen, dass die Dynamik an der Teilhabe von Frauen an der Spitze erheblich steigt, wenn Ziele präzisiert werden und die Verbindlichkeit zunimmt. Ab 2017 sind dort konkrete Sanktionen für Unternehmen angekündigt, die das Ziel einer 40% Teilhabe von Frauen nicht erreichen.

Allerdings deuten Stagnationen oder gar Rückgänge in Ländern wie etwa Rumänien darauf hin, dass sich „die Entwicklung zu mehr Frauen in den Top-Positionen (...) nicht quasi automatisch fortzieht“ (DIW, Führungskräftemonitor:2012). Dies verweist auch auf die Notwendigkeit einer wirkungsvollen und verbindlichen Gleichstellungspolitik.

Deutschland im oberen Mittelfeld - kein Grund für Euphorie

Normativ hat sich in Deutschland durchaus etwas bewegt. 2011 entschied die Regierungskommission mit dem "Deutschen Corporate Governance Kodex" mehr Diversity bei der Besetzung von Leitungsgremien anzumahnen und Frauen zu berücksichtigen.

Im Rahmen freiwilliger Aktivitäten beschäftigen sich Unternehmen der Privatwirtschaft mit der Frage, wie mehr Frauen nach oben kommen können. Dies geschieht etwa im Rahmen von Diversity-Ansätzen, die dem Ziel dienen sollen, das Unternehmen vielfältiger und damit zukunftsfähiger aufzustellen. Die fortschreitende Internationalisierung genauso wie der demografische Wandel und der damit einhergehende Fachkräftemangel erhöhen den Druck hochqualifizierte Talente für das Unternehmen zu sichern. Frauen als Entscheiderinnen sollen auch mehr Kund_innennähe und damit eine erfolgreichere Marktperformance sichern.

Schließlich sind es Imagefragen und das zunehmende öffentlichen Interesse an einer guter Unternehmensführung, die insbesondere große Unternehmen veranlassen, sich mit der Positionierung von mehr Frauen in Führungspositionen zu beschäftigen.

Wenn sich Unternehmen auch vor diesem Hintergrund für mehr Frauen in Führungspositionen aussprechen, verbindliche, gesetzliche Regelungen lehnen die meisten ab. Lediglich die Deutsche Telekom bildet unter den DAX-30 die rühmliche Ausnahme mit ihrem Vorstoß einer verbindlichen Quote im Führungsbereich von 30 %.

Im aktuellen DIW-Managerinnenbarometer 2013 konnten Elke Holst, Direktorin der Gender Studies im Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW) und ihre Kollegin Julia Schimeta nur eine leichte Aufwärtsbewegung beim Anteil der Frauen in den Spitzengremien im Vergleich zum Vorjahr um etwa 4 Prozentpunkte feststellen - allerdings nur bei den DAX-30 Unternehmen.

Politik und Privatwirtschaft sind gefordert: Umsteuern in Richtung Geschlechtergerechtigkeit

Auf EU-Ebene ist es die engagierte und streitbare Justizkommissarin und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission Viviane Reding, die entsprechende Weichen gestellt hat. Ab 2020 will sie eine Quote von 40 % in den Aufsichtsräten von Unternehmen in den europäischen Mitgliedsstaaten realisiert sehen. Im Jahr 2010 stellte sie die „Charta für Frauen“ vor. Darin geht es um die Teilhabe von Frauen an Entscheidungsprozessen, um die Berücksichtigung von Geschlechterperspektiven in allen Politikfeldern der Europäischen Union. Belgien, Italien, Frankreich, Spanien und die Niederlande führten Quoten für Aufsichtsräte und teilweise für Vorstände ein. In Deutschland ist die Chance auf eine verbindliche politische Regelung in diesem Jahr erst einmal vertan worden.

Die European Business Schools/Women on Board Initiative zeigt: an fehlenden Frauen mit entsprechender Kompetenz liegt es nicht. Mehr als 60 % der Absolvent_innen von Business Schools in Europa sind Frauen. Unzählige Studien verweisen auf die „gläsernen Decken“, die den Aufstieg von Frauen in die Top-Etagen verhindern oder das Bild der „leaking pipelines“, welches aufzeigen soll, dass Frauen auf allen Ebenen des Karriereaufstiegs verlorengehen bzw. schlechter aufgestellt sind. Die Gründe dafür liegen bei verinnerlichten Normen von Weiblichkeit[1], wie etwa die einer zählebigen geschlechtsspezifschen Berufs- und Studienwahl oder einer immer noch stark wirksamen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die – trotz leicht gestiegenem männlichem Engagement – den Frauen nach wie vor mehr Verantwortung für die Pflege und Erziehung zuweist. Dazu kommt, dass viele Frauen die Bedeutung von im engeren Sinne nicht-fachlichen Kompetenzen für die Karriereentwicklung unterschätzen, wie etwa die Anerkennungsfähigkeit von Leistung, die über Netzwerke und informelle Kontakte in Unternehmen gesichert wird. Eine Klaviatur, die Männer in der Regel besser gelernt haben zu bedienen.

Dazu kommen strukturelle und kulturelle Hindernisse sowie reale Diskriminierungen. Wenn eine Präsenz- und Anerkennungskultur lange Anwesenheitszeiten belohnt, Teilzeittätigkeiten nicht bereitgestellt sowie diese überwiegend von Frauen ausgeübt werden und zudem keine Perspektiven auf Karriere und Führung beinhalten, führt dies zu Ausschluss. Den gleichen negativen Effekt auf eine Karriereentwicklung haben zu eng angelegte Karrieretracks in Unternehmen, die zeitgleich in die biografische Phase fallen, in der Frauen Interesse an einer Familiengründung haben.

Ausblick

Die Perspektive auf Frauen in Führung ist in vielfältige gesellschaftliche Schieflagen eingebunden: zwischen den Geschlechtern, zwischen Frauen und Männern mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen, in unterschiedlichen Lebenslagen. Benachteiligungen erscheinen auf allen Ebenen der sozialen Hierarchie.

Die Wissenschaftlerinnen Ingrid Kurz-Scherf und Alexandra Scheele verweisen in ihrem Sammelband „Zum Zusammenhang von Krise und Geschlecht – Macht oder ökonomisches Gesetz“ (2012) darauf, dass es aus feministischer Perspektive nicht nur allein um die Frage von Repräsentanz in Gremien gehe könne. Es gelte, die problematischen Strukturen einer marktradikalen Wirtschaftsweise, die auf Asymmetrien im Geschlechterverhältnis basiert, umfassend mit Blick auf Lebens- und Arbeitsverhältnisse in den Blick zu nehmen.

Eine solche ganzheitliche Perspektive nimmt auch der letzte und bislang weitgehend unbeachtet gebliebene Gleichstellungsbericht der Bundesregierung ein, der einen radikalen Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarkt-, Sozial-, Familien- und Steuerpolitik nahelegt, in der das ganze Leben mit all seinen unterschiedlichen Phasen betrachtet wird.

Es gilt den Blick sowohl nach „oben“ wie auch nach „unten“ so zu erweitern, dass die Gemeinsamkeit der strukturellen Ausschlüsse deutlich und gleichzeitig die Unterschiede in den Lebenslagen berücksichtigt werden, etwa wenn es gilt Armut zu bekämpfen und existenzsichernde Mindestlöhnen zu fordern.

Die EU und ihre Mitgliedsländer sind gleichstellungspolitisch gefordert, sich massiv gegen Diskriminierung und für eine bessere Teilhabe von Frauen auf allen Ebenen der Gesellschaft einzusetzen.

 

[1] Zu diesem asymmetrisches Wirkungsgefüge gehören im Pendant beim „anderen“ Geschlecht freilich auch enge Normen von Männlichkeitsvorstellungen, die etwa aktive Vaterschaft behindern.